Bremer Ballbesitzprobleme gegen stabile Mainzer
In einem Duell aus dem Niemandsland der Tabelle wollten die Bremer den Anschluss an die EL-Plätze schaffen, während es den Mainzern eher um das Polster nach unten ging. Nach einer Stunde intensiver Einfallslosigkeit bringt Werder zu Ostern den Tannenbaum zurück – verpasst es jedoch, sich für die späte Verbesserung zu belohnen.
Ersatzgeschwächte Werder-Raute gegen flexible Mainzer Formation
Bei den Hausherren besetzte Viktor Skripnik seine typische, asymmetrische Mitelfeldraute im Vergleich zum Gastspiel beim 1. FC Köln personell auf zwei, taktisch gleich auf drei Positionen um. Für den angeschlagenen Junuzovic begann Felix Kroos auf der linken Halbposition. Somit wurde dem defensiv teilweise instabilen Sternberg ein absichernder, weniger riskant und vertikal agierender Vordermann an die Seite gestellt. Den vorstoßenden Rautenachter gab dafür auf der Gegenseite Fin Bartels, der Clemens Fritz verletzungsbedingt vertrat. Im Mittelfeldzentrum agierte mit Levent Aycicek ein „klassischerer“ Spielmacher mit Stärken im kleinräumigen Kombinationsspiel, der deutlich zentraler und weniger über raumöffnende Läufe ins Spiel findet als Konterzehner Bartels, der diese Planstelle zuvor besetzte. Im Sturm agierten erneut di Santo und Selke.
Die Gäste aus Mainz traten mit derselben Elf an wie am vorigen Spieltag beim Punktgewinn in Wolfsburg: Im Sturm agierte Okazaki als einzige, häufig ausweichende Spitze. Neben bis hinter dem Japaner hielt sich Malli auf, die Flügel besetzten der dynamische de Blasis und SV-Geheimtipp Ja-Cheol Koo. In der defensiven Zentrale teilten sich wie üblich Geis als tiefer Spielmacher und Baumgartlinger als Ballbesitzsicherer und Abfangjäger ihre Aufgaben.
Mainz mit Doppelspitze im hohen Pressing, Werder mit Verbindungsproblemen im Spielaufbau
Die Mainzer Formation wechselte hier von Spielphase zu Spielphase: Konnte sie im tiefen Aufbau wohl als 4-4-1-1 beschrieben werden, das sich durch die offensiv ausgerichteten Außen in höheren Zonen zu einem deutlicheren 4-2-3-1 umformte, agierte man gegen den Ball mit in einem 4-4-2 und Malli neben Okazaki als doppelter Pressingspitze, um die Passwege in den Sechserraum zu verschließen und die ohne den verletzt fehlenden Spanier Galvez spielschwache Bremer Innenverteidigung anzulaufen und zu langen, unpräzisen Bällen zu zwingen. Koo und de Blasis störten derweil die Bremer Außenverteidiger früh, sodass auch der weniger praktikable Weg über die Außen zumeist blockiert war.
In den Anfangsminuten praktizierten sie dies mit großer Intensität, was dazu führte, dass die Bremer aus dem eigenen Drittel heraus selten einen konstruktiven Raumgewinn erspielen konnten, sondern zu oft in Richtung der Köpfe von Selke und di Santo bolzten. Die defensiv gut organisierten Mainzer wollten dann die zweiten Bälle aufnehmen und schnell nach vorne bringen, um die teilweise unpassenden vertikalen Abstände der Bremer über die eigenen, schnellen Offensivspieler auszunutzen. Besonders Koo wurde immer wieder im Raum zwischen Kroos und Sternberg gesucht.
Noch erfolgreicher war dieser Ansatz, wenn Werder sich in den Sechserraum spielen konnte: Dort hatte Philipp Bargfrede, dessen Stärken eher im direkten Spiel und in der Balleroberung liegen, erhebliche Probleme, das Bremer Aufbauspiel zu ordnen. So sah er sich zwei sauber verschiebenden Viererketten gegenüber, während die Verbindungen in die offensiven Halbräume und das Zentrum kaum gegeben waren. Zwar ließ sich über den zeitweise zur Doppelsechs zurückfallenden Kroos und die – allerdings eher mäßig beziehungsweise risikolos eingebunden – Außenverteidiger ein für Bremer Verhältnisse ordentlicher, da ausgeglichener Ballbesitz ansammeln, allerdings fand dieser zumeist vor den gefährlichen Zonen statt.
Interessant war jedoch die Rolle Levent Ayciceks, der als Zehner häufig in die Halbräume auswich und etwas zurückfallen ließ, um sich dem Zugriff der Mainzer Sechser zu entgehen, um die Ballzirkulation aufrecht zu erhalten oder den Ball auf den dynamisch nachstoßenden Sternberg oder Bartels auf die Außenpositionen zu verteilen. Anspiele in die Spitze waren auch aufgrund der unpassenden Bewegungen von Selke und di Santo jedoch kaum von Erfolg gekrönt.
Verstärkung der Effekte nach der Pause, Skripniks Reaktion und die Mainzer Konterreaktion
Nach dem Seitenwechseln verschob sich die Mainzer Spielidee noch ein wenig mehr von „auf Fehler lauern“ hin zu „Fehler provozieren“. Koo und de Blasis schoben aggressiver auf die Außenverteidiger, der Südkoreaner rochierte teilweise auch mit Yunus Malli und hatte nach einer Hereingabe von links eine Großchance, als er den Ball per Kopf erreichte. Konnten sich die Bremer in Halbzeit eins noch über ein griffiges Pressing und Gegenpressing defensiv weitestgehend schadlos halten, hatten sie zu Beginn des zweiten Durchgangs Probleme mit dem von den Mainzern vorgegebenen Spielrhythmus und erhielten gerade in den Halbräumen zu selten Zugriff, sodass sich die Gäste endgültig ein Chancenplus erarbeiten konnten.
Eine halbe Stunde vor Spielende nahm die Spieldynamik dann noch einmal eine Wende zugunsten Werders: Mit der Einwechslung von Zlatko Junuzovic als Ersatz für Davie Selke, der als zweiter Zehner neben Aycicek in einem 4-3-2-1, das sich wegen Bartels‘ Interpretation der Halbposition zeitweilig als 4-2-3-1 darstellte, für eine Überzahl in den Halbräumen und mehr Möglichkeiten für Kombinationen sorgen sollte, stellte Werder die Spielweise noch einmal um. Die Halbpositionsspieler konnten nun im Spielaufbau besser eingesetzt werden, da Junuzovics zusätzliche Läufe und Präsenz zwischen den Mainzer Defensivlinien mehr Räume und eine weitere ballsichere Anspielstation ermöglichten. Ohne die Aussicht auf eine Selke-Kopfballablage ging zudem die Zahl der langen Bälle zurück, Werder wurde konstruktiver und kombinativer, kam so schneller nach vorne.
Zwar waren weiterhin Hereingaben von den Außenpositionen oder aus dem Halbfeld an der Tagesordnung, allerdings konnten die Mainzer Defensivreihen nun temporeicher be- und zerspielt werden, sodass diese nicht wie zuvor in eine stabile Ordnung geschlagen wurden, sondern durchaus Gefahr bargen. Alleine in der Viertelstunde nach der Einwechslung Junuzovics verzeichnete Werder mehr Torgelegenheiten als nach der ersten Hälfte, Aycicek hatte nach einer von di Santo verlängerten Hereingabe den Führungstreffer für die bis dahin biederen Bremer auf dem Fuß.
Mainz reagierte auf das spielerische Übergewicht der Hausherren und brachte den gelernten Linksverteidiger Bengtsson für de Blasis, der in einer umgestellten Mainzer Formation teils als linker Achter in einem 4-3-3 mit den ausweichenden Malli und Okazaki agierte, teils die Linksaußenposition einfach etwas tiefer interpretierte. Baumgartlinger stieß derweil häufiger ballorientiert aus dem Mainzer Defensivverbund vor, um Bargfrede und Kroos im Aufbau früher unter Druck zu setzen. Durch diese Maßnahme konnten die Mainzer dem Bremer Momentum zwar gut entgegenwirken, die Spielkontrolle erlangten sie jedoch nicht zurück. In einer hektischen Schlussphase vergaben beide Teams durch mangelnde Präzision, den Lucky Punch zu setzen, sodass es beim leistungsgerechten Unentschieden blieb.
Fazit:
Die Mainzer präsentieren sich unter Hjulmand-Nachfolger Schmidt weiter stabil und konnten das Zentrum und die Halbräume gut verschließen. Die Bremer sahen sich zu 18 Flankenversuchen genötigt und brachten lediglich 64% ihrer Pässe an den Mann, was einerseits den kaderbedingt typischen Bremer Mängeln zuzuschreiben ist, andererseits für ein funktionierendes Leiten der Bremer auf die Seiten sowie für ein funktionierendes Pressing spricht. Im Spiel nach vorne ließ man sich von der Intensität des Bremer Pressings jedoch aufreiben, Gefahr entstand hauptsächlich nach Schnellangriffen und Standardsituationen von Geis.
Bremen punktet weiterhin nur noch häppchenweise. Gegen die Kontrahenten aus der unteren Tabellenhälfte lässt sich der Konterfußball, der gegen Leverkusen, Dortmund, Augsburg oder Hoffenheim zum Erfolg führte, nicht fortführen. Im eigenen Ballbesitz ist man nach wie vor zu ausrechenbar, im defensiven Mittelfeld mangelt es an Pressingresistenz, während der Innenverteidigung weiterer aufbaustarker Spieler gut tun würde. Zudem erweist sich das gemeinsame Aufbieten von Selke und di Santo gegen tiefstehende Gegner als kritisch – erst, als man auf ein 4-3-2-1 umstellte, konnte das Bewegungsspiel der Bremer in der Offensive für Synergien sorgen.
8 Kommentare Alle anzeigen
Koom 8. April 2015 um 12:51
Schöner Artikel, danke. Würde mich generell freuen, wenn hier und da Mainz wieder etwas in den Fokus rückt. Zwar ist Martin Schmidt ein „normalerer“ Trainer und kein Hipster wie Tuchel, aber offensichtlich macht er auch sehr vieles sehr gut.
Zu Selke: Irgendwie erlebt man das immer, das die Spielweisen von nicht komplett gefestigten Mannschaften sich sehr simplifizieren, sobald vorne ein kopfballstarker Stürmer drin steht. Das lang und hoch aber 2015 (und eigentlich schon gut 10 Jahre lang) sehr vorhersehbar und abfangbar ist, merkt aber keiner.
BG 8. April 2015 um 15:27
Nach dem gescheiterten „Experiment“ mit Hjulmand scheint ja Schmidt wieder ein wenig „back-to-the-roots“-mäßig unterwegs. Fokus auf Umschaltspiel und sauberer Arbeit gegen den Ball und aggressives „Nach-Vorne-Verteidigen“ (etwas was imo ganz stark unter Hjulmand gefehlt hat). Meines Erachtens nach ist ja Hjulmand weniger daran gescheitert, dass er einer Mittelklassemannschaft mit einigen interessanten Kickern (Geis, Koo, Park etc.) das Ballbesitzspiel beibringen wollte, sondern weil er dafür andere Basics im Spiel gegen den Ball sträflich vernachlässigt hatte. Ich erinnere mich an einige Spiele (Hamburg, Schalke, Dortmund), in denen man häufig ganz gut mitgehalten hat, aber wegen des fehlenden Zugriffs im Gegenpressing hat schlicht auskontern lassen.
Koom 8. April 2015 um 22:00
Das fasst es gut zusammen. Spielerisch war man wirklich meist sehr ansehnlich, aber es fehlten zumindest mal Phasen mit Forechecking. Ärgerlich, da gerade darin die meisten Mainzer Spieler gut ausgebildet wurden (in Mainz, aber oft auch schon vorher). Da hat man viel Potential liegen lassen.
Reines Monster-Umschaltspiel scheint Schmidt auch nicht zu wollen mittelfristig, aber fürs erste wollte er das wiederbeleben. Kann man als „gelungen“ betrachten.
LM1895 9. April 2015 um 03:04
Mainz war z.B. gegen Wolfsburg schon wieder ganz schön cool, sogar nochmal Hochschalten nach dem blöden Ausgleich ging noch…da waren neben dem wirklich starken Pressing auch die Phasen mit Ball schon ganz ordentlich!
Peter Vincent 8. April 2015 um 12:00
Bei Werder ist mir auch zu viel Gebolze und wenig Spielkultur verhanden.
Ich hoffe, Skripnik schreibt sich hier Verbesserungen auf die Stirn und wird nicht zum nächsten generischen Pressing-Konter-Trainer. Personelles Potential ist mE durchaus vorhanden, z. B.:
————di Santo———————-Aycicek—————
——————————Bartels——————————–
———–Junuzovic———————-Öztunali————–
——————————Kroos———————————
(Günter)—–Vestergaard——-Galvez———–Selassie
—————————Wiedwald——————————-
Schorsch 8. April 2015 um 11:54
Wieder eine sehr gute Analyse. Sowohl der Verlauf des Spiels, als auch die Konsequenzen der Ausrichtung, Taktik und Aufstellung und deren jeweiliger Änderungen beider Teams sehr konkret und in sich logisch beschreibend und aufschlüsselnd. Das Fazit kann ich voll unterschreiben.
Bemerkenswert und wohltuend finde ich, dass wieder einmal keine polemischen Äußerungen in den Ausführungen zu finden sind. Eine von Sachlichkeit geprägte Analyse. So wie es mMn auch sein sollte.
Auch wenn die meisten Werder-Anhänger dies wahrscheinlich anders sehen werden, aber rein vom ‚Bauchgefühl‘ her habe ich den Eindruck, dass Werder mit dem Verkauf von Selke nicht nur wirtschaftlich, sondern auch sportlich alles richtig gemacht hat. Der Artikel schildert sehr nachvollziehbar, wie schnell sich das Spiel der Mannschaft mit Selke gegen weniger Räume gebende Teams von langen, hohen Bällen geprägt wird. Und dass es wirkungsvoller wird, wenn es ohne Selke kombinativer angelegt ist. Vielleicht generalisiere ich hier auch nur zu sehr.
Peda 8. April 2015 um 15:03
Ich glaube eher, dass das Spiel mit Selke UND di Santo weniger kombinativ ist, siehe Schweinsteiger-Alonso-Problematik. Oder?
Schorsch 8. April 2015 um 15:24
Kann durchaus sein. Heißt das dann in der Konsequenz, nur mit einem (der beiden) Stürmer spielen zu lassen oder in einem Zweistürmersystem nur einen der beiden mit einem anderen Partner?