Taktisch und spielerisch sehr ansehnliches Moskauer Derby
In einer kurzweiligen Begegnung machten die Stadtrivalen Dinamo und Lok aus Moskau spielerisch ansehnliche Werbung für die russische Liga.
Seitliches Aufrücken gegen stabile Lok-Defensive
Im Stadtduell zwischen Dinamo und Lok Moskau ging es um die europäischen Plätze in der russischen Liga. Die Gäste unter Trainer Miodrag Bozovic erwiesen sich zuletzt als defensivstark mit nur einem Gegentreffer aus acht Partien und deuteten gegen die dominierenden Mannen von Dinamo auch durchaus an, wieso. In einer 4-4-1-1-Formation überzeugten sie mit den eingerückten Positionierungen ihrer Außenstürmer und in Sachen horizontaler Kompaktheit, ohne jedoch übermäßig spektakulär zu sein. Daneben gefiel vor allem die individuelle Bewusstheit und Aufmerksamkeit der einzelnen Spieler, die auch auf kleine Details wie beispielsweise den richtigen Positionierungswinkel zum Ball zu achten schienen. Die beiden vordersten Akteure agierten interessanterweise etwas isoliert von den Viererketten und ließen horizontal auch mal größere Distanzen, verschoben also beispielsweise nicht ganz konsequent mit zur Seite, was aber durchaus wirksam war.
Der Grund dafür lag in der Spielweise der Hausherren von Trainer Stanislav Cherchesov: Diese agierten fluid und aktiv, versuchten auch das Kommando zu übernehmen, hatten aber Probleme mit den Verbindungen im defensiven Mittelfeld, die innerhalb ihrer teils recht weiträumigen Doppelsechs im zweiten Drittel bisweilen abrissen. Teilweise orientierte sich Loks Halbstürmer lose am ballferneren Akteur und konnte Verlagerungswege unangenehm machen, ohne jedoch den ballnahen Flügel übermäßig zu schwächen, da er situativ schnell wieder mittig hätte nachschieben können. So gelang es Dinamo nicht konstant, klare Kontrolle im Zentrum auszuüben, weshalb sie aus ihrem Ballbesitz viel über die Außen eröffnen mussten. Das taten sie auch sehr konsequent und nutzten beispielsweise viele frühzeitige Aufrückbewegungen der Innenverteidiger, mit denen sie die höheren Zonen zuverlässig erreichten. Dort waren sie dann jedoch in ihrer Raumwahl schon festgelegt und horizontal eingeschränkt – wieder ins Zentrum zu kommen, war nicht so leicht.
Lücken für Boussoufa hinter den Flügelüberladungen
Gegen den Defensivblock von Lok um einige Male mit geschickter Konsequenz ballorientiert verschiebende Doppel-Sechs um den tacklingstarken Shishkin wären sie so wohl kaum durchgekommen, hätten sie diese Flügelszenen nicht zumindest konsequent angenommen. Immer wieder schoben sie viel Personal in diese Bereiche und suchten insbesondere über die Engen auflösenden Fähigkeiten des umtriebigen Valbuena Überladungen. Anfangs war es vor allem die rechte Seite, die der Franzose zusammen mit dem weiträumigen Kuranyi und dem pendelnden Ionov bespielte, doch mit der Zeit wurde vor allem der linke Flügel des ansonsten ballfern ausgleichenden Zhirkov dominant, wo auch Vainqueur vermehrt unterstützte und letztlich den Führungstreffer kurz vor der Pause erzielen sollte. Bei diesem Tor war Lok eigentlich recht gut gestaffelt, doch Dinamo ebenso – und dann zerstörte Valbuena das Herausrücken Shishkins, während Zhirkov sich unterstützend für den Torschützen bewegte, der noch ein starkes Dribbling folgen ließ. Mit diesen seitlichen Überladungen entsprangen also immer mal – vor allem wenn sie mal wie hier vorher etwas kontrollierter auch in den Halbraum kamen – Chancen für Dinamo, wenngleich es nicht allzu viele waren.
Durch die teils weiträumige Spielweise der Sechser und die vielen aufrückenden Läufe der Innenverteidiger wurde die Struktur in der Restverteidigung des Teams bisweilen etwas chaotisch. Zwar hatten sie nach Ballverlusten durch die Überladungen gute Voraussetzungen im Gegenpressing, doch vor allem über den sehr pressingresistenten und dribbelstarken Manuel Fernandes konnte sich Lok einige Male lösen – und wenn das gelang, waren durchaus größere Lücken in den seitlichen Halbräumen offen, über die man zumindest im Umschalten aufrücken konnte. Überhaupt ließen die Hausherren in der Defensive zu Beginn mit kleineren Nachlässigkeiten einige Räume offen, die bei den Gästen vor allem ihr offensiver Schlüsselspieler Mbark Boussoufa anvisierte. Er beeindruckte mit seinen definierten, wendigen, kleinschrittigen Bewegungsabläufen und sauberer Ballführung. Als hängende Spitze driftete er sehr engagiert und dynamisch durch verschiedene Bereiche und suchte vor allem die Halbräume für diagonale Pässe. Auf rechts erhielt er einige Zuspiele des zurückfallenden Samedov und versuchte dann über Anschlussläufe anzukurbeln.
Torreigen um die Halbzeitpause trotz vorsichtiger Lokomotiven
Insgesamt entfaltete die Mannschaft aber wenig Durchschlagskraft, da gerade in der ersten Halbzeit nur sehr wenige Kollegen aufrückten, Mittelstürmer Skuletic wenig eingebunden war und ab dem letzten Drittel zunächst auch die Bewegungsmuster eher simpel in die letzte Linie verliefen. Dass bei den acht letzten Spielen nie mehr als zwei Tore selbst erzielt wurden, erschien daher durchaus naheliegend. Entsprechend versandete auch das Engagement von Boussoufa, zumal Dinamo mit der Zeit mehr Konsequenz nach hinten fand und zunehmend erkannte, dass sie vor allem die Halbraumschnittstellen der Mittelfeldkette zustellen mussten, um die Gefahr des etwas allein gelassenen Marokkaners zu bändigen. Immerhin verhinderten die Gäste durch ihre zudem sehr absichernd spielenden Außenverteidiger gegnerische Konter. Dinamo ließ dafür phasenweise Kuranyi als Halbstürmer und Valbuena als ausweichenden vordersten Angreifer der 4-4-1-1-Defensivformation agieren, doch für mehr als Umschaltaufrücken machte sich dieser Kniff nicht bezahlt.
Bis zum Rückstand war eine abwartende Haltung in Loks Ausrichtung auch kein wirkliches Problem – und danach intensivierten sie die schon zuvor leicht offensiveren Ansätze direkt. Mit Abschlussglück bei ihrer ersten Chance seit langem führte das noch vor der Halbzeit zum Ausgleich: Entscheidend war Manuel Fernandes, der schon zuvor einige Male etwas weiter aufgerückt war, um im hohen linken Halbraum das Zusammenspiel mit dem anpassungsfähigen Kasaev zu suchen. Auch diesmal versuchte der ballgewandte Portugiese eine Kombination einzuleiten, die abgefälscht vor Skuletic´ Füßen landete, dessen ebenso abgelenkter Grätsch-Abschluss irgendwie ins Netz fiel. So torreich wie die erste Halbzeit aufgehört hatte, ging es nach Wiederbeginn weiter. Nach einem Halbraumangriff über links steckte Valbuena etwas glücklich für Zhirkov durch, den Sheshukov zu Fall brachte – Elfmeter, den Kurayni verwandelte, und eine zu harte Rote Karte. In dieser Phase hatten die Gäste einige Probleme mit ihren verstärkt mannorientierter werdenden Außenspielern, da das nicht wirklich gut eingebunden war.
Noch mehr Halbraumangriffe für Dinamo, aber auch mehr Verbindungen bei Lok
In Unterzahl stellten sie auf ein 4-4-1/4-3-1-1 mit nach hinten zu Fernandes pendelndem Boussoufa um. Dadurch waren sie defensiv nicht mehr ganz so stabil, zumal sich Dinamo erneut gut angepasst hatte: Valbuena fiel nun sehr weiträumig zurück, holte sich Bälle in diversen Halbraumlücken und kurbelte dann die Angriffe an. Gerade über links erwuchsen daraus einige Szenen, da Zhirkov nun vor allem den Rechtsverteidiger seitlich band, während sich Valbuena und der mit guten Diagonalbewegungen auffallende Büttner zum Tor durchspielten. So hätte ein weiterer Elfmeter gegeben werden können und auch im Rückraum zogen diese Angriffe einige Möglichkeiten offen. Situativ schaltete sich auch Vainqueur gut ein, der im Zusammenspiel mit Valbuena ohnehin nun besser die Zwischenräume ansteuerte und einige Kombinationsversuche einleitete. Trotz dieser phasenweise sehr ansehnlichen Offensivvorstellung der Hausherren blieb das Spiel aber spannend – in die Gegenrichtung kam Lok auch in Unterzahl weiterhin zu einigen Szenen.
Ihre Offensivkräfte suchten nun horizontal viel stärker die Verbindung zueinander und der Mittelstürmer ließ sich – wie bei den generell genutzten langen Bällen – häufiger fallen, womit auch mal Samba und Hubocan weit herausgezogen wurden. Mit schnellen, dynamischen Angriffen spielten sie sich einige Male durch und waren vor allem durch Überladungen auf rechts gefährlich. Nach 77 Minuten entstand aus einer solchen Szene nach einem Grundliniendurchbruch vom mittlerweile als Rechtsverteidiger agierenden Shishkin auch für sie ein Elfmeter. Der neu für Skuletic gekommene Pavlyuchenko scheiterte zwar am Querbalken, doch beim Duell um den anschließenden Abpraller gab es sofort einen weiteren umstrittenen Strafstoß wegen Handspiels, den Fernandes verwandelte. In den Schlussminuten machte Dinamo noch einmal Druck: Sie brachten Dzsudzsák für Büttner, wofür Zhirkov offensiver Linksverteidiger wurde, hatten einige Ansätze und einen Lattenschuss Valbuenas, konnten gegen das teilweise noch stark klärende Lok jedoch nicht mehr zum Sieg kommen.
Kurzfazit
Abschließend noch einmal ein Lob für beide Teams und das Niveau in der russischen Liga: Es war eine taktisch wie spielerisch starke und von vielen interessanten Facetten begleitete Partie.
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