Ambitionierte Bochumer halten Unions Druck nicht stand
Gertjan Verbeek ist zurück. Innerhalb der hochintensiven Wintervorbereitung hat er den Bochumern seine Philosophie von Ballbesitz und Spielkontrolle injiziert. Gegen Norbert Düwels Eiserne darf der VfL eine Halbzeit die neue Spielanlage präsentieren. Unter Druck zeigen sich jedoch noch altbekannte Schwächen.
Trotz der zusätzlichen Woche, welche den Zweitligisten gegenüber ihren Kollegen der höchsten deutschen Spielklasse zugestanden wurde, war die Vorbereitungszeit für den neuen Bochumer Trainer Gertjan Verbeek scheinbar viel zu kurz. Die täglichen Doppelschichten inklusive der zusätzlichen Videoanalysen, die oft noch am Abend stattfanden, brachten Trainer und Spieler an ihre Grenzen. Die zahlreichen Muskel- und Bänderverletzungen der Vorbereitung waren zum Teil wohl auch eine Folge der extremen Intensität – physisch wie psychisch.
Mit Andreas Luthe (Rückenprobleme), Tobias Weis (Syndesmosebandriss), Yusuke Tasaka (Sprunggelenkprobleme) und Michael Gregoritsch (Muskelfaserriss) fielen vier potentielle Stammspieler für das Eröffnungsspiel aus. Zu ihnen gesellte sich kurzfristig auch Mannschaftskapitän Patrick Fabian, der nach einem Nasenbeinbruch im Training noch nicht einsatzfähig war. Er wurde von Malcolm Cacutalua vertreten, der zusammen mit Winterneuzugang Felix Bastians die Innenverteidigung bildete. Flankiert wurden die beiden von Stefano Celozzi und Timo Perthel. Davor formierten Anthony Losilla und Danny Latza die gewohnte Doppelsechs. Selim Gündüz avancierte unter Verbeek zum Gewinner der Vorbereitung und durfte auf der rechten Angriffseite starten. Aufgrund der Verletzungen feierte Piotr Ćwielong links sein Comeback. Simon Terodde durfte gegen die alten Kollege in der Sturmspitze ran und wurde von Stanislav Šesták aus der Tiefe unterstützt.
Nach den Experimenten mit Dreier-/Fünferketten zu Saisonbeginn kehrte Union-Coach Norbert Düwel zum guten alten 4-4-2 zurück. Die Viererkette bildeten Chistopher Trimmel, Roberto Puncec, Fabian Schönheim und Björn Kopplin. Davor agierten Christopher Quiring, Damir Kreilach, Michael Parensen und Sören Brandy. Der Angriff bestand aus Steven Skrzybski und Sebastian Polter.
Bochum sammelt Ballbesitz…
Zu Beginn der Partie verteidigten die Hausherren in einem tiefen 4-4-2-Mittelfeldpressing, bei welchem die Stürmer Skrzybski und Polter auf der Höhe der Bochumer Sechser warteten und die Abwehrkette in Ruhe aufbauen ließen. Auf diese Weise hielten sie engen Kontakt zum Mittelfeldzentrum, aus welchem die beiden Sechser Kreilach und Parensen häufig bis fast neben die Stürmer aufrückten, um die Passwege ins Zentrum zu schließen. Die Bochumer konnten also in Ruhe ihr neues Ballbesitzsystem präsentieren.
Die Grundidee des Verbeek’schen Positionsspiels besteht darin, aus einer sicheren, tiefen Ballzirkulation Schnellangriffe vorzubereiten. Meist wird dazu eine Seite überladen, um sich dort direkt durchzukombinieren oder durch das Verschieben des Gegners Durchbrüche nach Spielverlagerungen zu erzielen. Dieses Konzept findet auch in Bochum seine Anwendung. Durch das asymmetrische hohe Aufrücken des Linksverteidigers Perthels wird Raum für diagonale Vorstöße des spielstärkeren, linken Innenverteidigers Bastians geschaffen. Gleichzeitig schieben das zentrale Mittelfeld und die verbleibende Abwehrkette nach links, so dass Latza im linken Halbraum als Kombinationspartner bereitsteht, während Losilla das Zentrum sichert und die Verbindung zur rechten Seite aufrechterhält. Dahinter bilden Bastians, Cacutalua und Celozzi eine Aufbaudreierkette. Da auch Tasaka bzw. Ćwielong aufgrund Perthels Vorschieben etwas einrücken und Terodde leicht nach links versetzt spielt, entsteht ein 3-4-3, bei dem die komplette mittlere Reihe in der linken Hälfte steht – eine massive Überladung des linken Halbraums. Die rechte Seite wird offensiv nur durch Gündüz besetzt, der sich hoch und breit positioniert, um nach Verlagerungen direkt mit Tempo der Verschiebedynamik entgegen zu dribbeln. Auf diese Art kamen die Blau-Weißen beispielsweise zu ihrem frühen Führungstreffer im Vorbereitungsspiel gegen den FC Bayern.
Auch gegen Union gab es diese Mechanismen zu sehen. Aufgrund der Passivität der Berliner, die sich nicht herauslocken ließen, nur dosiert auf die Flügel verschoben und Gündüz ballfern stets im Auge behielten, war jedoch auch die Intensität der Bochumer Verschiebebewegungen deutlich geringer. Aus dem 4-2-3-1 heraus versuchten sie zu Beginn nach vorne zu kommen. Da Latza und Losilla unter dem hohen Druck der Berliner in Fehler gedrängt wurden und Perthel bereits aus tieferen Stellungen situativ auf lange Bälle zurückgriff, wurde etwa ab der 5. Minute konsequent auf die Aufbaudreierkette aus Celozzi, Cacutalua und Bastians gesetzt. Dabei wurde das Risiko deutlich reduziert. Der umstellte Sechserraum wurde gemieden. Viel mehr versuchte der VfL die Passivität im Verschieben für Kombinationen durch den linken Halbraum zu nutzen. Dazu fiel Ćwielong sobald der Ball zu Bastians zirkulierte dynamisch zurück, um Latza mit Ablagen in offener Stellung einzusetzen. Die durch das ansatzweise Verfolgen des Zurückfallens geöffneten Lücken zwischen Außen- und Innenverteidiger wurden direkt durch den deutlich höheren Perthel attackiert, welcher als diagonal abbiegender Außenverteidiger (wir warten schon gespannt auf RMs Artikel) agierte.
Vereinzelt gab es auch Aufbauversuche über die rechte Seite. Dabei fiel Gündüz bei einem Einrücken Celozzis in der Aufbaudreierkette an der Seitenauslinie etwas zurück, um den Ball zu erhalten und mit Dribblings Gegenspieler zu binden und Räume für die zentralen Mitspieler zu schaffen. Dies gelang jedoch nur selten, da Union in der tiefen Stellung gut die Kompaktheit halten konnte.
… doch ohne Spielkontrolle
Trotz der hohen Ballbesitzzahlen der Bochumer war die Spielkontrolle nicht immer zu 100 % gegeben. Nach Ballverlusten wurde extrem intensiv ballnah der Zugriff gesucht. Die Kompaktheit wurde dazu im eigenen Ballbesitz jedoch nicht ausreichend forciert, da Losilla beispielsweise in seinem rechten Grundraum blieb statt ins Zentrum zu schieben. So konnte sich Union leicht aus der ersten Gegenpressingwelle befreien. In der Folge kam es häufig zu chaotischen Szenen in Bochums Defensive, in der die verbliebenen Spieler extrem ball- und mannorientiert agierten. In der letzten Linie mussten Cacutalua und Bastians beim Herausrücken deshalb oft Kopf und Kragen riskieren, was zu aussichtsreichen Standardsituationen und Bastians gelber Karte in der 42. Minute führte. Der wilde Versuch des Zugriffs nach Ballverlusten und die offenen Räume sorgten dafür, dass Union zu einem schnellen Ausspielen der Umschaltsituationen gedrängt wurde. Es gab in der ersten Halbzeit fast nie einen organisierten Spielaufbau der Hausherren zu beobachten.
Bei Standardsituationen, insbesondere bei Ecken, wirkten die Bochumer ebenfalls oft unsicher. Anders als Vorgänger Peter Neururer verteidigt Verbeek Ecken und Freistöße am Flügel raum- statt mannorientiert. Der Strafraum wird gleichmäßig von Spielern besetzt, die dann ballorientiert agieren. Die beiden größten Chancen für Union in der ersten Halbzeit resultierten, indem sie mit einem Spieler die ballnahe Grenze des Bochumers Blocks besetzten. Der Spieler wurde gesucht, um das Verschieben auszulösen und anschließend in den geöffneten Raum am ballfernen Pfosten zu verlängern. Auf diese Weise kam Union trotz klarem Ballbesitznachteil zu mehr Torschüssen.
Union erhöht den Druck
Nach dem Bochumer Führungstreffer durch Gündüz, welcher nach einem kurz ausgeführten Eckball in Arjen Robben Manier am Berliner Strafraum entlang dribbeln und mit links abschließen konnte, musste Union zwangsläufig den Druck erhöhen. Bereits in der Phase unmittelbar nach dem Tor schoben Unions Stürmer und Flügelspieler deshalb bis auf die Innen und Außenverteidiger des VfL vor, was diese vor große Probleme stellte. Die neue Philosophie des flachen und kontrollierten Spielaufbaus auch unter Druck stand im Widerspruch zur Selbstsicherheit und den technischen Qualitäten der Bochumer Spieler. Der Kompromiss waren dann häufig hektische, flache Pässe in unbesetzte Räume, was den nachrückenden Berlinern den erneuten Ballbesitz in höheren Zonen erlaubte.
Unter diesem Eindruck forcierte Düwel das Angriffspressing in der zweiten Halbzeit. Mit Stürmer Martin Kobylanski kam ein offensiver Akteur für Mittelfeldmann Quiring. Außerdem wechselten Linksaußen Brandy und Stürmer Skrzybski die Positionen. Die Eisernen verteidigten von nun an im 4-1-3-2, da auch der ballnahe Sechser früh mit nach vorn schob. Dabei suchten nur die Stürmer mannorientiert Zugriff, während die zweite Reihe die Räume um die Sechser und Außenverteidiger eher raumorientiert sicherte. Das Ziel war es wohl, hektische Pässe in diese Zone zu erzwingen, um dann dort blitzartig Zugriff zu bekommen. Dies gelang auch sofort. Losilla verlor nach einem technischen Fehler den Ball und Union konnte direkt aussichtsreich kontern.
Der VfL reagierte, indem er Esser nun aktiv in tiefen Torwartketten einband. Bastians und Cacutalua positionierten sich breit auf Höhe des eigenen Strafraums, während beide Außenverteidiger leicht vorrückten. Die komplexeren Asymmetrien der ersten Halbzeit waren nur noch selten zu sehen. Bochum baute aus einem normalen 4-2-3-1 heraus auf. Insbesondere Gündüz agierte deutlich eingerückter als in der ersten Halbzeit und unterstützte mit seinen technischen Qualitäten das Aufbauspiel. Da auch Celozzi mehr Sicherheit ausstrahlte als sein Gegenüber Perthel, wurde der Aufbau in der zweiten Halbzeit sehr rechtslastig. Aufgrund der Probleme Losillas in engen Situationen, war es überraschend, dass Verbeek ihn konsequent als tiefste Anspielstation nutzte. Hier wäre es zielführender gewesen, Latzas Pressingresistenz effektiver einzubinden. Es muss jedoch auch festgehalten werden, dass die Folgebewegungen auf die Pässe in den Sechserraum insbesondere von Ćwielong und Šesták nicht optimal waren. Infolge der aus dem Druck und den fehlenden Anspielstationen resultierenden, improvisierten Befreiungsschlägen, kam nun auch Union zu kurzen Ballbesitzphasen.
Bochums Defensivplan geht nicht auf
Der VfL Bochum setzte gegen den Ball ebenfalls auf ein hohes Pressing. In der ersten Variante positionieren sich Šesták und Terodde bei zentralem Ballbesitzkurz kurz nebeneinander, um dann sobald der Ball auf die Seite gespielt wird, das Spiel auf dem Flügel zu isolieren. Dazu klappt Šesták hinter Terodde und der erst eng positionierte Flügelspieler im 4-4-1-1 schiebt nach Außen nach. Mit diesem Plan konnten die Bayern in der ersten Halbzeit des Testspiels mit wenigen Ausnahmen gut kontrolliert werden. Gegen Union gab es dies jedoch seltener zu sehen.
Stattdessen schoben die beiden Flügelspieler früh vor. Šesták orientierte sich eher am Mittelfeld, so dass ein 4-2-1-3 als Variante des 4-3-3 entstand. Die Anlaufbewegungen der Flügelspieler waren dabei jedoch zu zentral angelegt, so dass das Pressing gut über die Flügel umspielt werden konnte. Die Probleme waren ähnlich zum ersten Einsatz des 4-2-1-3 unter Neururer. Das Spiel wurde durch das frühe Anlaufen und die offenen Flügel schnell gemacht, wodurch in der zweiten Halbzeit ein sehr hektisches Spiel entstand.
Ein weiteres Problem in Verbeeks Defensivsystem sind die Mannorientierungen der Sechser Latza und Losilla. Sie orientieren sich an den gegnerischen Sechsern und Zehnern und lassen sich von diesen entweder in die Abwehrkette hineindrücken oder auf die Flügel herausziehen. Das Übergeben klappt dabei noch nicht immer optimal. Auch sonst tendiert die Bochumer Doppelsechs dazu, tief bis in die Abwehrkette zurückzufallen. Dadurch entstehen sehr flache Stellungen mit wenig Zentrumspräsenz. In der Folge gibt es häufig Probleme in der Abstimmung beim Herausrücken. Beim ersten Gegentor blieb der Rückraum unbesetzt, so dass der Ball vor dem Sechszehner auf die andere Seite herübergespielt werden konnte. Beim zweiten Treffer rückten Latza und Bastians gemeinsam aus der Abwehr, so dass Cacutalua allein gegen zwei Spieler stand und das entscheidende Kopfduell verlor. Auch gegen die Bayern fielen drei der fünf Tore aufgrund von zu flachen Stellungen in der Endverteidigung.
Terrazzinos Weiträumigkeit und Eisfelds verschenktes Potential
Auf die Probleme in der zweiten Halbzeit reagierte Verbeek mit zwei Auswechslungen. In der 60. Minute kam Marco Terrazzino für Šesták. Er interpretierte die Rolle als Zehner im 4-2-3-1 im Stile eines Central Wingers. Im Gegensatz zum Slowaken, der sich stets im Zentrum aufhielt und situativ im Sturm oder im Mittelfeld aushalf, wich er weit auf die Flügel aus, was sich gut mit Gündüz einrückenden Bewegungen ergänzte und die Kombinationen auf der rechten Seite unterstützte. Allerdings agierte er in den wenigen aussichtsreichen Situationen oft etwas unglücklich, indem er seinen Körper in engen Zweikämpfen nicht ausreichend einsetzte.
In der 70. Minute gab Last-Minute Ausleihe Thomas Eisfeld seinen Einstand für den VfL Bochum. Er wurde jedoch wie sein Vorgänger Ćwielong Opfer des starken Fokus auf die rechte Seite. Nur in einer Situation, in welcher er schön mit Terrazzino kombinierte, konnte er seine Stärken im dynamischen Passspiel aufblitzen lassen. Insbesondere seine sehr gute Positionsfindung und sein Gespür für offene Räume kamen kaum zu Geltung. Dabei wäre eine Rolle wie die Ćwielongs in der ersten Halbzeit sicher interessant für ihn. Dem VfL gelang es jedoch nicht, die Mechanismen und Umformbewegungen des Ballbesitzspiels der ersten Hälfte unter dem Pressingdruck der Eisernen abzurufen.
Fazit
Gertjan Verbeek und der VfL Bochum zeigen eine Halbzeit lang interessante Asymmetrien im Aufbauspiel, die sehr gut mit dem Spielermaterial harmonieren. Durch mangelnde Kompaktheit bei eigenem Ballbesitz und schlechte Abstimmung beim ballorientierten Zugriff im Gegenpressing fehlt jedoch noch die gewünschte Spielkontrolle. Unter Druck verhindern technische Schwächen und mangelnde Unterstützung die Aufrechterhaltung des dominanten Ballbesitzstils. Grad Losilla zeigte teilweise wieso Verbeek gern noch einen Sechser bekommen hätte. Ohne neue Spieler werden wohl die Kompaktheit bei eigenem Ballbesitz sowie die Abstimmung im Pass- und defensiven Umschaltspiel einen wichtigen Fokus für die nächsten Spiele darstellen – auch wenn Marco Terrazzino durchaus Potenzial zeigte und Eisfeld bald die neue Hybridrolle zwischen Flügelspieler und Achter im asymmetrischen System einnehmen kann.
4 Kommentare Alle anzeigen
king_cesc 30. Dezember 2015 um 15:08
Nachdem Heiko Herrlich nun Trainer in Regensburg wird und ja vor einigen Jahren in Bochum war wollte ich mal nachfragen, ob hier jemand was zu ihm sagen kann? Gerne auch von anderen Stationen oder seiner Spielerzeit, die vor meiner Zeit liegt.
Wie arbeitet er? Positive und negative Eigenschaften?
(Die regionale Zeitungen schreiben nur, dass er Fan von klaren Worten ist, was mir jedoch nicht sehr weiterhilft…)
mrb 9. Februar 2015 um 15:33
„Der Angriff bestand aus Steven Skrzybski und Sebastian. Polter.“
Sebastian.Polter.
Stilmittel oder Tippfehler? 😉
CE 9. Februar 2015 um 15:41
Im Zweifel immer Stilmittel.
TW 9. Februar 2015 um 18:34
Oder billige Masche um Kommentare zu erhaschen 😉