Peter Bosz schlägt Frank De Boer mit Ballbesitz und Pressing

1:0

Vitesse Arnheim gegen Ajax Amsterdam. Eigentlich eine einfache Angelegenheit, möchte man als geneigter Nicht-Ehrendivision-Zuschauer sagen. Ajax dominiert den Ball, zerspielt Vitesse irgendwann und gewinnt. Doch wer sich näher mit Vitesse befasst hat, weiß, dass Ajax dieses Mal Probleme haben würde; sogar beim Ballbesitzspiel.

Ist Peter Bosz der Paco Jemez der Niederlande?

Vitesse liegt zwar nur auf Platz zwölf, doch nur sechs Mannschaften haben eine bessere Tordifferenz. Insgesamt sind sie gar nur eine von sieben Mannschaften mit positiver Tordifferenz in der Liga. Desweiteren haben sie im Schnitt den zweithöchsten Ballbesitz der Liga (59,5%, direkt hinter Feyenoord) und die zweitbeste Passquote (83,2%, direkt hinter Ajax). Die Ursache dafür ist der Trainer, Peter Bosz. Dieser hat schon bei seinen früheren Stationen interessante und sehr offensivorientierte Mannschaften mit viel Ballbesitz trainiert, bei Heracles Almelo von 2010-2013 spielte man teilweise gar mit einer unorthodoxen 3-1-2-1-3-Formation.

Grundformationen

Grundformationen

Und wie zu erwarten bot Bosz auch vor einem so namhaften Gegner eine sehr offensive und aggressive Mannschaft auf. Meistens stellte man Ajax‘ Spielaufbau schon sehr hoch zu und nutzte dafür eine 4-3-3/4-1-2-3-Formation. Die Flügelstürmer pressten meist die Flügelstürmer, schoben aber weit bis in die Mitte ballorientiert ein und gingen dann situativ auf die Innenverteidiger Ajax‘.

Das 4-1-2-3 wurde besonders dann passend und sehr aggressiv genutzt, wenn Ajax mit einem abkippenden Sechser agierte. Geschah dies, rückten sofort die zwei Flügelstürmer ein und orientierten sich an Ajax aufgefächerten Innenverteidigern. Mittelstürmer Traore wiederum deckte den abgekippten Sechser, wodurch Ajax keine wirkliche Aufbaustation hatte. Nominell ließ diese Formation die Außenverteidiger Ajax‘ offen, was aber von der Mannschaft Frank de Boers kaum genutzt werden konnte.

Desweiteren verrichtete Vitesse schlichtweg gute Pressingarbeit. Sie wechselten geschickt zwischen 4-1-2-3, 4-1-4-1, flacher Mittelfelddrei und verschoben insgesamt recht  intensiv. Die Mittelfeldspieler manndeckten insbesondere auf den Halbpositionen meistens einen Gegenspieler, waren aber dynamisch beim Verschieben auf den Flügel und beim Übergeben. Teilweise geschah dies, indem der zentrale Mittelfeldspieler den ballnahen Halbspieler ablöste, wodurch dieser auf Ajax‘ Außenverteidiger gehen konnte. Die Flügelstürmer gingen auch lange Wege nach hinten, um per Rückwärtspressing zu unterstützen.

Im tieferen Pressing nach Überspielen der ersten Pressinglinie stand Vitesse gar in 4-5-1/4-1-4-1haften Formationen und stellten den Raum vor dem Strafraum kompakt zu. Diese interessanten Orientierungen mit viel Herausrücken und Übergeben machten sie zu einem sehr unangenehmen Gegner im Aufbauspiel. Dabei hatte sich de Boer sogar etwas Spezielles überlegt, was jedoch kaum aufging.

Flügelasymmetrie zergeht im Pressing

Wie üblich baute Ajax im klassischen Ajax-System auf: Zwei Flügelstürmer, die zwischen einer diagonalen und dribblingorientierten oder breitegebenden Spielweise wechseln, aufrückende Außenverteidiger, ein zurückfallender und aufbauender Sechser hinter zwei weiträumigen Achtern, ein Mittelstürmer ganz vorne und zwei Innenverteidiger in der Abwehrkette; 4-3-3/4-1-2-3 also.

Ihr Aufbau funktionierte aber kaum. Vitesse war enorm flexibel und konterte die Bewegungen Ajax‘ geschickt. Riedewalds sehr häufiges Abkippen nach hinten wurde wie schon erwähnt von einer veränderten Orientierung der offensiven Dreierreihe abgefangen. Blieb Riedewald höher, agierten Vitesses Flügelstürmer breiter und aus dem 4-1-2-3 wurde oftmals gar ein 4-2-3-1.

Auch hier gab es die Mannorientierungen Vitesses zu sehen; ein aufrückender Achter presste Riedewald, die zwei Sechser orientierten sich an Ajax‘ Achtern. Ebenfalls zu sehen war das sehr gute Übergeben von Gegenspielern, das Auflösen von Manndeckungen zur Unterstützung der Mitspieler oder zum Erzeugen von Überzahl in Ballnähe.

Darum schien es, als ob Vitesse auf sämtliche Bewegungen Ajax‘ eine Antwort zu finden schien. Besonders eindrucksvoll waren die gute Funktionsweise und das flexible Pressing auf Boilesen. Der linke Außenverteidiger von Ajax agierte mit fortschreitender Spieldauer häufiger in tiefen Zonen etwas einrückend bzw. enger positioniert, um den Sechserraum zu unterstützen und Probleme in der Raumaufteilung Vitesses zu erzeugen. Andersen auf der linken Achterposition schob passenderweise häufig zum Flügel und gab Breite.

Dank der flexiblen Positionsfindung und den intelligenten Mannorientierungen der Mittelfeldspieler und Flügelstürmer der Bosz-Elf funktionierte das jedoch kaum. Sehr tiefe Stellungen Boilesens wurden gar ignoriert und man schaltete in ein passiveres, aber weiterhin hochstehendes Pressing um, was wohl die beste Wahl war.

Außerdem hatte  Ajax einige Probleme in ihrem Positionsspiel. Insgesamt spielten sie phasenweise sehr unsauber in puncto Abständen und Bewegungen im Kombinationsspiel. Dadurch fehlte es ihnen an Verbindungen und die unpassenden Staffelungen zueinander schadeten ihnen, was Vitesse natürlich nutzte.

Somit verbuchte Vitesse viele Ballgewinne und ließ nur wenige Chancen zu. Das beeindruckende Schussverhältnis von 25:9(!) gegen einen eigentlich deutlich überlegenen Gegner spricht Bände und zeigt die herausragende Leistung von Bosz‘ und Mannschaft. Doch das Pressing und Ajax‘ Probleme waren nicht die einzigen ausschlaggebenden Punkte.

Vitesse wahre Stärke liegt im Ballbesitz und Gegenpressing

In der Arbeit gegen den Ball spielte Ajax meistens ein 4-1-4-1 mit einigen Mannorientierungen, in welchem Klaasen von der Achterposition häufig nach vorne schob. Dadurch entstanden auch 4-1-3-2- und 4-4-2-Staffelungen. Hohen Zugriff hatte Ajax aber nie, weil Vitesse über den Torwart, die Viererkette und die flexiblen Positionierungen im Sechserraum immer wieder Anspielstationen und Räume generieren konnte. Besonders der hervorragend pressingresistente und hochintelligente Vejinovic mit seinen weiträumigen Bewegungen und sehr guten Fähigkeiten im Kombinationsspiel war hierbei ein Schlüsselspieler.

Ajax wurde dadurch häufig an den eigenen Strafraum zurückgedrängt. Aus dem 4-1-4-1 entstanden teilweise durch die zurückfallenden Außenstürmer und auch durch den tiefen Riedewald 5-4-1-Formationen, obgleich Rechtsaußen Ghazi ein paar Mal zockte. Wirklichen Effekt hatte dies übrigens nicht. Das 5-4-1 hatte allerdings einen großen Vorteil und einen noch größeren Nachteil.

Der Vorteil war, dass Vitesse den hohen Ballbesitzanteil nicht ideal ausspielen konnte und vielfach aus unpassenden Situationen abschloss, was zu geblockten und Distanzschüssen führte. Der Nachteil war aber, dass Vitesse schlichtweg ihr herausragendes Gegenpressing sehr gut anbringen und Ajax am Konterspiel und an längeren Ballbesitzzeiten nach Balleroberungen hindern konnte. Vitesse dominierte dadurch das gesamte Spiel, ließ Ajax nie in ihren bevorzugten Rhythmus  kommen und gewann letztlich verdient.

Bei eigenem Offensivspiel zeigten sie außerdem interessante  Bewegungen, wie bspw. Vorstöße der Achter, intelligentes und dynamisches Einrücken der Außenstürmer und Positionswechsel mit den Achtern, die auf die Seite wichen sowie generell eine variable Zonenbesetzung im zentralen Mittelfeld. Neben vielen kleinräumigen Kombinationen bauten sie auch sehr lässige weiträumige Verlagerungen und lange (Flach-)Pässe in die Tiefe ein, lehnten Kontermöglichkeiten keineswegs ab und waren alles in allem überaus dynamisch. Das 1:0 war fast schon ein Symbol: Der eingewechselte Djurdjevic legte genial ab, nahm die Flanke nicht direkt, sondern tanzte zwei Verteidiger aus und netzte eiskalt ein. Der passende Abschluss für eine tolle Kollektivleistung.

Fazit

Ajax ging als Topfavorit in die Partie, spielte aber nie dementsprechend. Vitesse hatte mehr vom Ball, eine bessere strategische und taktische Anlage und spielte insgesamt schlichtweg ansehnlicher. Frank De Boer hatte das Pressing und die Ballzirkulation nicht adäquat eingestellt, wodurch die Amsterdamer in der Luft hingen. Vitesse hingegen überzeugte auf ganzer Linie.

Ganz nach dem Motto: Wer ist hier der Bosz? zeigten sie und ihr Trainer Peter Bosz, dass Letzterer der Bosz ist. Tim Rieke wird uns in den nächsten Wochen ein Trainerporträt zu einem der interessantesten Hipster-Trainer Europas basteln. Ob auch ein Spielerporträt zu Marko Vejinovic, einem kommenden Spieler für größere Mannschaften und Aufgaben, darin enthalten ist?

SCP-Poker 1. Februar 2015 um 22:01

Rene,
du lässt mir das Wasser im Mund zusammen laufen, ich krieg so Bock mir die anzugucken! Klingt sehr nice!

Antworten

Hinterlasse eine Antwort

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

*