Kreativloses Aufbauspiel beweist sich in ungleichen Halbzeiten nicht
Di Matteos Fünferkette zeigte Wirkung – 45 Minuten lang. Hamburg hingegen hatte Probleme, die sie in der zweiten Halbzeit verringern konnten.
Schalkes Fünferkette mit variabler Rollenverteilung zwischen 5-3-2 und 5-2-3
Seit geraumer Zeit spielen die Schalker unter Roberto di Matteo ein unorthodoxes System. Sie nutzen eine Mischung aus 5-3-2 und 5-2-3 in ihrer offensiven Rollenverteilung. Das bedeutet, dass sich einer der nominellen Mittelfeldspieler häufig nach vorne in die Spitze orientiert und die beiden Stürmer unterstützt.
Gegen den HSV fiel diese Rolle Tranquillo Barnetta zu, welcher sich im Aufbauspiel immer wieder nach vorne orientierte und fast auf einer Linie mit den Stürmern agierte oder den Zehnerraum besetzte. Höger spielte halbrechts schon etwas zurückhaltender; er besetzte häufiger mit Aogo den Sechserraum, ein paar Mal spielte er sogar tiefer als er, obgleich es auch viele Staffelungen gab, in welchen Höger und Barnetta die gleichen Räume besetzten. Dann wurde die Formation zu einem 3-1-4-2, Höger und Barnetta besetzten die offensiven Halbräume, die Flügelverteidiger gaben Breite und Aogo sicherte den Sechserraum.
Überraschend und positiv war die Bewegung von Schalke in diesen Situationen. Immer wieder gab es Sprints in die Tiefe, Choupo-Moting und Huntelaar gingen kurz zurück in den Zwischenlinienraum und pendelten entlang der Horizontale. Das waren keine komplexen Aufbaubewegungen, aber effektiv und etwas, dass es bei Schalke schon seit längerer Zeit nicht mehr zu sehen gab. Die formativen Wechsel zwischen 3-1-4-2, 3-2-3-2 und auch 3-1-3-3 taten ihr Übriges. Schalke war zwar nicht konstant gefährlich und es mangelte ihnen in letzter Linie an Präsenz, um sich konstant Chancen zu erzeugen, doch im Aufbau war man überraschend stabil und konnte vermehrt Anspielstationen in Ballnähe kreieren.
Gegen den Ball gab es meistens eine klare Fünferkette oder eine pendelnde Viererkette. Die Flügelverteidiger waren also nicht ansatzweise so hoch wie bei eigenem Ballbesitz und orientierten sich an den drei Innenverteidigern. Davor wurde zwischen einer 1-2-2- und einer flacheren 3-2-Staffelung variiert. Dadurch konnte Schalkes Mittelfeld den zentralen Raum vor der Abwehr mit drei Spielern sichern, leitete gemeinsam mit den Stürmern Hamburg auf die Seite und konnte durch das Aufrücken von Barnetta und Höger gegen den Ball auch situativ für mehr Druck sorgen.
Alles in allem dominierten die Schalker damit klar das Spiel, hatten aber bisweilen Probleme sauber ins letzte Drittel zu kommen. Hamburg präsentierte sich aber im Vergleich zu den letzten Spielen ungewohnt passiv.
Hamburg zieht sich als Reaktion gegen die Dreierreihe im Pressing zurück
Unter Joe Zinnbauer spielten die Hamburger in den vergangenen Wochen mit einem teilweise sehr intensiven und aggressiven, beinahe manisch wirkenden Pressing. Sie stellten den Gegner überall auf dem Feld mit hohem Laufaufwand zu und verschoben stark ballorientiert. Gegen Schalke wurde dies etwas verändert; auch das 4-1-3(-0)-2 wurde nicht mehr praktiziert.
Stattdessen staffelte sich der HSV verstärkt in einem 4-1-2-3/4-3-3 bei höherem Pressing, verschob ansonsten aber im 4-5-1/4-1-4-1. Sie waren wie erwähnt sogar bei höheren Pressing nicht allzu aggressiv. Rudnevs stellte eher den Sechserraum Schalkes zu, machte dies allerdings nicht besonders effektiv und konsequent. Meistens ließ er Passwege offen, die Höger und Aogo besetzten.
Die formative Veränderung – und wohl auch die Zurückhaltung in der Arbeit gegen den Ball – dürfte eine direkte Anpassung an Schalkes zentrale Dreierreihe im Aufbauspiel sein. Die Flügelstürmer deckten beim höheren Pressing nämlich nicht die gegnerischen Flügelverteidiger, sondern liefen leicht bogenartig und vorsichtig die Halbverteidiger Schalkes an. Damit wollten sie verhindern, dass Schalke an Dynamik aufnahmen und/oder das Spiel über die Flügel aufbauen konnte.
Sie wollten Schalke in die Mitte zwingen. Hier hatte Hamburg passenderweise einige Mannorientierungen, Holtby und Jiracek auf der Doppelacht suchten sich immer wieder situativ einen Gegenspieler und hielten einen geringen Abstand auf ihn, um bei Pässen in den Sechser- und Zehnerraum sofort pressen zu können. Dahinter spielte Behrami als Abräumer vor der Viererkette, in der es ebenfalls zahlreiche situative Mannorientierungen gab.
Mit fortschreitender Spieldauer wurde der HSV aber immer passiver und spielte tiefer. Das 4-5-1 im Mittelfeldpressing war nach der Anfangsphase am häufigsten zu sehen, Schalke hatte enorm viel vom Ballbesitz, konnte aber durch die passenden herausrückenden Bewegungen, die vielen Mannorientierungen und eine passable Kompaktheit Hamburgs kaum Großchancen herausspielen. Über Einzelaktionen von SV-Liebling Choupo-Moting und Lokalkompaktheiten konnten sie sich zwar einige Male durchtanken, meistens scheiterte man aber spätestens im letzten Spielfelddrittel.
Hamburg war aber auch nicht besser. Ihre Aufbaubewegungen und Offensivkombinationen enttäuschten und sorgten für keine wirklichen Chancen. Vermutlich passten darum beide Trainer an, wodurch die zweite Halbzeit zum Spiegelbild der ersten wurde.
Anpassungen in der zweiten Spielhälfte
Ob Zinnbauer seine Mannschaft zu mehr Pressing und weniger langen Bällen anwies, während di Matteo bei seinem Team das Umgekehrte tat? Schalke zog sich in der zweiten Halbzeit zurück, lauerte mehr Konter und plötzlich hatte Hamburg viel mehr vom Spiel. Wirkliche Veränderungen gab es zumindest zu Beginn der zweiten Spielhälfte aber noch nicht, außer der Einwechslung Ayhans für Fuchs, wodurch Aogo auf die Position des Linksverteidigers und Neustädter ins Mittelfeld ging. Einige Anpassungen kamen aber direkt in der Phase nach dem Wiederanpfiff.
So gab es ein verstärktes Ab- und vereinzelt auch Herauskippen beim HSV im eigenen Aufbauspiel durch Behrami. Generell besetzte der HSV mehr Raum, konnten den Ball dadurch besser laufen lassen und hatte viel mehr Ballbesitz als noch in der ersten Halbzeit. Schalke hingegen zog sich zurück, presste tiefer, passiver und in einer abgeänderten Formation. Aus dem 5-3-2/5-1-2-2 gegen den Ball wurde ein flaches 5-4-1 mit Choupo-Moting auf dem linken und dem eingewechselten Sané auf dem rechten Flügel.
Di Matteo wollte dadurch womöglich für mehr Stabilität in der Defensive und eine bessere Breitenstaffelung im Mittelfeld sorgen, öffnete jedoch andere Problembereiche. Im 5-4-1 fehlte ihnen der Zugriff auf den gegnerischen Sechserraum, der HSV konnte den Ball besser laufen lassen und aus unpassenden Situationen auch nach hinten spielen, die Mitte einbinden oder die Seite wechseln. Auch die einrückenden Bewegungen von Müller und Gouaida sowie das wieder verstärkt höhere Pressing des HSV im 4-1-2-3 taten ihr Übriges und sorgten für die Überlegenheit der Hamburger in der zweiten Halbzeit.
Dadurch war diese Spielhälfte das Gegenteil der ersten. Bis zur Pause kontrollierte Schalke die Partie, war klar überlegen und hatte mehr Chancen sowie mehr vom Spiel. Hamburg lauerte auf Konter und hatte ein paar Chancen im Umschaltspiel, doch insgesamt war man unterlegen. Nach dem Wiederanpfiff war der HSV die dominante Mannschaft in puncto Ballbesitz, Feldkontrolle und Torchancen, obgleich auch ihnen die Führung verwehrt blieb.
Fazit
In der ersten Halbzeit hatte Schalke 10:4 Schüsse, 63% Ballbesitz und zeigte eine solide Leistung. Umgekehrt war es in der der zweiten Halbzeit; hier hatte Hamburg 11:7 Schüsse, 54% Ballbesitz und zeigte eine solide Leistung. Es waren sogar 7:4 Schüsse und 60% Ballbesitz aus Sicht der Hamburger in den letzten 25 Minuten. Beide Teams passten nur marginal an, doch das Momentum kippte und der Spielrhythmus änderte sich komplett. Am Ende war es ein 0:0, welches wohl eher ein 1:1 hätte sein sollen. Immerhin hatten beide Mannschaften in je einer Halbzeit einen Sieg verdient gehabt.
Keine Kommentare vorhanden Alle anzeigen