Mainz mit Libero zu einem knappen Unentschieden gegen typisch starke Fohlen
Gladbach spielt 1:1 gegen Mainz und hätte sich den Sieg trotz deutlich mehr Anpassung von gegnerischer Seite eher verdient gehabt.
Mainz‘ flexible Formation mit dem 5-4-1 als Basis
Fünfer-, Dreier und pendelnde Viererketten sind bei der Weltmeisterschaft 2014 bekanntlich stärker in den Fokus geraten und vielfach wurde – auch hier – diskutiert, ob sich dieser Trend auch in den (europäischen) Vereinsfußball auswirken könnte. Die Mainzer spielten gegen Gladbach deuten auf einen mögliche Fortsetzung dieses Trends auf kleinerer Ebene hin, obgleich Mainz schon unter Tuchel natürlich immer wieder Fünferketten nutzte. Gegen Gladbach formierten sich die Mainzer in einem 5-4-1, welches aber sehr flexibel und hochinteressant ausgelegt wurde.
Die Flügelstürmer schoben beispielsweise häufig, insbesondere im höheren Pressing, nach vorne und orientierten sich auch in Richtung Mitte. Asymmetrische 5-3-2 oder 5-2-3-Formationen entstanden dadurch. Auch der ballnahe Außenverteidiger konnte bei höherem Pressing und bei vorherigem erfolgreichen Leiten auf eine Seite eine Linie nach vorne rücken und hinterließ dann hinten eine Viererkette, um hinter dem (eben öfters einrückenden und auch auf den gegnerischen Innenverteidiger pressenden) Flügelstürmer zu unterstützen und abzusichern.
Durch die vielen Mannorientierungen gab es auch 5-1-4- oder 5-0-5/5-5-0-Staffelungen; die Flügelstürmer schoben in der gegnerischen Hälfte wie erwähnt nach vorne und auch die Sechser gingen nach vorne, um dort die Gladbacher Sechser zu pressen beziehungsweise mannorientiert zuzustellen.
Bei tieferer Ausrichtung stellten sich die Mainzer in einem relativ klaren 5-4-1 mit zonalen Manndeckungen auf. Sie verschoben mannorientiert in Richtung Gegenspieler in ihrer Nähe und deckten diese dann lose, bis sie wieder aus dem unmittelbaren Radius ihrer Position verschwanden. Dadurch wurde dieses 5-4-1 ziemlich stabil und kompakt, teilweise ließ sich auch der Mittelstürmer zurückfallen, der dann die Räume vor der häufig herausrückenden Mittelfeldreihe versperrte.
Neben dem Herausrücken und den formativen Umformungen sowie der Natur der Mannorientierungen war auch die Rolle des zentralen Innenverteidigers sehr interessant. In gewisser Weise spielte er wie ein Libero – er ging selten in Manndeckungen über, übernahm kaum Gegenspieler, wenn diese kreuzten und stand häufig ein paar Meter hinter den anderen vier Verteidigern. Zwar standen sie auch sehr oft in einer Linie, doch wenn sich wer tiefer hängen ließ, dann war es der zentrale Verteidiger und dies gab es insbesondere in Situationen, wo Absicherung benötigt wurde.
Die beiden Halbverteidiger und die Außenverteidiger spielten darum sogar relativ klar mannorientiert, verließen auch ihre Positionen, um den Gegenspieler zu verfolgen, und sorgten dafür, dass sie zwar grundsätzlich wie eine Kette ballorientiert verschoben und auf Abseits spielten, hierbei aber sehr unübliche Muster und Mechanismen hatten.
Diese Spielweise wirkte sich natürlich auch auf das Aufbauspiel aus. Hier standen die Mainzer bisweilen sehr unorthodox für die Bundesliga in einem 1-2-4-3. Der zentrale Innenverteidiger spielte zentral tiefer und gab Tiefe für Rückpässe, die beiden Halbverteidiger standen in den defensiven Halbräumen und die beiden Sechser standen fast auf gleicher Linie vor ihnen (teilweise etwas eingerückter und enger). Dadurch entstand ein Fünfeck beziehungsweise eine 1-2-2/3-2-Aufteilung. Daneben spielten die zwei Flügelverteidiger, standen etwas höher und der ballnahe Flügelverteidiger ging bis ins letzte Drittel nach vorne. Die Flügelstürmer wiederum rückten ein und bildeten dann quasi einen Dreiersturm mit dem Mittelstürmer, versuchten zu dritt die gegnerische Viererkette zu besetzen, die Flügelverteidiger wollten die gegnerischen Außenstürmer zurückdrängen und dadurch Raum für das zentrale Fünfeck in der eigenen Hälfte im Aufbauspiel schaffen.
Mit dieser Besetzung gab es interessante potenzielle strategische Positionsbesetzungen. Der „Libero“ gibt nicht nur Tiefe, sondern besitzt aus seiner tiefen und zentralen Position ein sehr weitflächiges und komplettes Sichtfeld; lockt man den Gegner ins Pressing, kann er durch den zusätzlichen Zeitfaktor durch die tiefere Position das ausnutzen und theoretisch sehr gute lange Pässe in sich öffnende Zonen spielen. Über die Halbverteidiger kann man den Gegner nicht nur im Pressing auseinander ziehen und im ersten Drittel Überzahl erzeugen, sondern sehr diagonal aufbauen.
Direkten Pässe aus der Mitte auf die Seite zu den Halbverteidigern können sofort wieder weiträumige diagonale Pässe folgen, desweiteren sind natürlich eher vertikale Bälle auf die Flügel ebenfalls möglich. Desweiteren konnte bei Flügelangriffen auf sie zurückgespielt werden, sie sicherten seitlich ab und es gab eine bis zu dreifache Flügelbesetzung (Halbverteidiger, Flügelverteidiger, Flügelstürmer).
Auffällig und interessant bei Hjulmand bzw. bei diesem Spiel speziell ist, dass diese kleinen Aspekte in puncto Linienspiel auch defensiv anscheinend Verwendung fanden. Häufig standen die Mainzer nur wenige Meter in der Höhe in der Abwehr versetzt, also nicht komplett in einer Linie, wodurch es eher keine Linie, sondern wie ein Becken wirkte; die Flügelverteidiger konnten dann schneller und einfacher bei Pässen des Gegners auf die Seite herausrücken, die Halbverteidiger waren sofort in einer absichernden Stellung in der Nähe und der zentrale Innenverteidiger konnte aufrücken für das Abseits oder tief absichern.
Trotzdem funktionierte diese auf dem Papier potenziell sehr starke und hochwertige Idee nicht in voller Effektivität.
Wieso Gladbach bestand
18(10):8(2) Schüsse hatten die Fohlen und waren insgesamt die überlegene Mannschaft, welche ich trotz der interessanten Ideen der Mainzer den Sieg verdient hätte. Ihre offensive Bewegung, ihre Dynamik und ihre Staffelung nach Ballverlusten sowie ihre Pressingbemühungen waren einmal mehr überaus gut abgestimmt und sehr gut gewählt. Sie schoben ihre Flügelstürmer häufiger auf die gegnerischen Halbverteidiger, pressten mit ihnen aggressiv und verhinderten eine effektive Ausübung der Spielweise im Aufbauspiel der Mainzer. Ansonsten standen sie einmal mehr kompakt in ihrem 4-4-2, verschoben gut zum Ball und öffneten selten Räume. Desweiteren wechselten sie häufig zwischen einem aggressiven und höheren Pressing, einem passiveren Pressing im Mittelfeld und dem klassischen abwartenden Verschieben in der eigenen Hälfte.
Offensiv hatten sie einmal mehr mit Raffael und Kruse sowie Herrmann auf rechts und Johnson auf links viel Bewegung, die Außenverteidiger schoben situativ nach vorne und besonders die kreuzenden Bewegungen der beiden Stürmer, die enorme Schnelligkeit im Kombinationsspiel sowie die Läufe in die Tiefe hinter die Abwehrspieler sorgten dafür, dass die Mainzer ihre beckenartige Formation in der letzten Linie nur selten herstellen konnten.
Das heißt aber auch, dass Favre kaum etwas veränderte. Er hatte offensivere Außenverteidiger auf beiden Seiten als üblich, spielte mit Johnson als linkem Flügelstürmer und spielte teilweise wieder positionsorientierter, um sich nicht von den Mainzern nach hinten drücken zu lassen; obgleich es insbesondere im höheren Pressing wieder einzelne Mannorientierungen gab. In den letzten zwanzig Minuten brachte er dann noch Hahn und Hazard für die Flügel, Gladbach hatte noch sieben Abschlüsse, aber letztlich überstand Mainz den Anlauf der Borussen und konnte sich ein Unentschieden am Bökelberg „Stadion im Borussia-Park“ sichern.
Fazit
Mainz begann mit einer interessanten Formation und einer Art Libero, während Gladbach das mit ihren Läufen sehr gut bespielte, die Halbräume stark besetzte und mit ihren schnellen Kombinationen sich aus Unterzahlsituationen befreien, das Mittelfeld überwinden und in die Spitze spielen konnte. Gleichwohl wird es interessant zu beobachten, ob Hjulmand weiterhin – wie schon in der Vorsaison und einzelnen Endphasen in dieser Spielzeit – mit Dreier- und Fünferketten experimentiert. Gladbach hingegen dürfte sich weiterhin oben halten, trotz des Punktverlusts: Sie sind offensiv sehr stark, befreien sich mit ihrem One-Touch-Passspiel erfolgreich aus unangenehmen Situationen, greifen flexibel an und verteidigen Konter ebenfalls sehr gut.
7 Kommentare Alle anzeigen
Burrinho 7. Oktober 2014 um 22:36
Mh, hatte das Spiel zwar nicht hundertprozentig konzentriert verfolgt, glaubte aber eigentlich etwas mehr Struktur erkannt zu haben.
Besonders in der ersten Halbzeit konnte man sehen, WIE gut der Pressingplan Mainz eigentlich war. Man konterte perfekt die – durchaus schematisch simplen – Aufbaumechanismen der Gladbacher: abkippende Sechs, dann 3-1-4, aus dem Vierersturm freie Bewegungen mit Rückfallen in die Halbräume als Anspielstation.
In Halbzeit 1 stand Mainz noch ziemlich konstant im 5-2-3, dabei hatten die beiden Sechser recht konstanten Zugriff auf Xhaka und Kramer. Wenn einer der beiden abkippte, was da noch häufig passierte, stand man praktisch 3:3 in erster Ebene, wobei die Stürmer per Deckungsschatten die Wege versperrte. Da die Außenverteidiger normalerweise tief bleiben, hatten die Außenstürmer Mainz‘ aber auch immer Zugriff auf diese. Die Fallbewegungen der Sturmreihe konnte man wegen der Überzahl gut handlen, indem die Gegenspieler schlicht mannorientiert verfolgt wurden.
Schwachstelle dieses Konstrukt waren die (ballfernen) Halbräume, die in H1 manchmal attackiert werden konnten. Und – hypotetisch gesprochen – die eigentlich freien Außenverteidiger, die die Zuordnungshaftigkeit mit höherem Aufrücken aufrütteln könnten.
Das schien – zumindest mMn?! – Favre in der Pause anzuordnen: Die Sechser kippte eigentlich nicht mehr ab, soweit ich es sah, wodurch entweder die Innenverteidiger in 2:1-Überzahl zu Okazaki oder die Kette in 4:3-Überzahl da stand. Im Laufe des Angriffes aber auch der Halbzeit wurden dann die Außenverteidiger immer offensiver, wodurch sie immer wieder in den eben angesprochenen freien Raum hinter dem Dreiersturm und neben den Sechser kamen und die Wing-Backs weiter beschäftigten. So konnte Gladbach immer wieder starke Kombinationen in diesem Raum starten.
Irgendwann schien Hjulmand seine außen dann konstanter tiefer zu ziehen ins 5-4-1 und die Achter öfters Druck auf die Innenverteidiger geben zu lassen. Dadurch war man zwar prinzipiell stabiler, übergab aber die Dominanz auch fast komplett.
Hab ich mir das eingebildet? Egal, auf jeden Fall ein gutes Spiel und ganz offensichtlich scheint Hjulmand starke Sachen anzubieten – ich hatte ihn anfangs wohl auch unterschätzt; ziemlich doof, der Mainzer Vorstand vergreift sich jawohl nicht im Trainer.
Koom 7. Oktober 2014 um 11:04
Tja, da haben wir schon das erste Erscheinen eines Liberos. Wird auch nicht das letzte Mal sein. Geschichte im Fußball wiederholt sich immer wieder. So wie die Viererkette schon mal von Manndeckern und Libero abgelöst wurde, passiert das momentan scheinbar wieder. Auch Manndeckungen sind ja wieder salonfähig geworden und kommen immer häufiger. Auch wenn sie „flexibler“ sind als das frühere „bis auf den Klo verfolgen“.
Hat vermutlich auch was damit zu tun, dass Fußball weniger schematisch wird, bzw. man sich zu sehr auf die durch die Schemata auftretenden Lücken (Halbräume) konzentriert. Ergo wird die Raumdeckung wieder mehr zur Mann- oder „Balldeckung“. Bis dann wieder durch das dadurch vermehrt auftretende Klein-Klein sich vermutlich wieder ein schematischeres Raumdeckungssystem durchsetzt. 😉
HW 7. Oktober 2014 um 12:42
Man man ja auch in Italien beobachten.
Wenn der Libero im Aufbau aber so tief spielt, dann kann der Gegner alle Anspielstationen durch die Überzahl zustellen. Außerdem könnte diese Rolle eigentlich auch ein Spiel stärker Torwart über nehmen, zumindest was den Spielaufbau betrifft.
Die Mechanismen in der Verteidigung muss man weiter beobachten. Gegen Gladbach, die 4-4-2 spielen, kann das ein gutes Mittel sein. Aber eine Manndeckung kann auch immer anfällig durch Lücken in der Linie werden. Durch den Libero kann man die Löcher theoretisch stopfen. Mal abwarten wie oft Mainz dieses System zeigen wird.
Olm 7. Oktober 2014 um 14:51
Den Libero im Aufbau spielt in Gladbach schon ewig der Torwart. Erst MAtS, jetzt hat Sommer den Job 1:1 übernommen. Dafür einen Feldspieler abstellen ist IMO Verschwendung.
HW 7. Oktober 2014 um 15:46
Hab mich mit Karius nicht so weit beschäftigt um ihn als Libero einschätzen zu können. Aber ein Feldspieler wird im Aufbau natürlich noch viel weiter vorne als der Torwart spielen können.
Pad 8. Oktober 2014 um 18:33
Ein Libero gegen Gladbach ist in meinen Augen eine sehr passende Wahl, zumindest um ihr relativ simples Offensivspiel zu unterbinden. Da Gladbach mit zwei Kreationisten im Sturm spielt gibt es (potentiell) viele zweite Bälle, die dann meist Futter für die aggressiven Flügelstürmer(Hahn, Herrmann!!) sind. Manndeckungen gegen diese sind da zwar ein Mittel dies zu unterbinden, allerdings in der letzten Linie riskant, weswegen es logisch erscheint, entweder einen dynamischen Ballsammler im Mittelfeld(Modell „Vidal“) zurückzubeordern oder eben einen zusätzlichen Verteidiger einzusetzen, der dann aber idealerweise auch spielstark ist um sich im Offensivbereich nicht zu beschneiden.
Was also bei Mainz noch relativ stabil war hätte zu Anfang der Saison auch eine Variante für Schalke sein können, wobei da dann die Variante dynamischer Ballsammler(Boateng) im defensiven Mittelfeld das Mittel der Wahl gewesen wäre. In meinen Augen wäre das Spiel so nicht 1-4 geendet 😛
TuxDerPinguin 6. Oktober 2014 um 15:23
Gladbach hat diese Sasion (BL + EL) 3 Siege und 6 Unentschieden geholt. Interessant ist, dass von diesen 6 Unentschieden eigentlich 3 oder 4 hätten locker gewonnen werden können, wenn die Chancenverwertung wie im Spiel gegen Mainz nicht so katastrophal gewesen wäre.
Die Fohlen scheinen damit diese Saison eine sehr starke Mannschaft zu sein, mit der der EL-Platz wieder locker drin sein sollte.
Was die Chancenverwertung angeht… Kruse, Raffael, Hahn hatten letzte Saison einiges an Toren. Kann neben Pech in der Chancenverwertung auch die neue Situation der Rotation eine Rolle spielen (im Vergleich zum vorherigen EL-Spiel wurde die Startelf gegen Mainz auf fünf Positionen verändert – die Rotation unter Favre ist gefühlt stärker als die Rotation anderer EL/Cl-Teilnehmer, ohne dass ich die Zahlen nachprüf)? Etwa da Spieler verunsicherter sind, ihre Startelf-Platz schnell zu verlieren?