Luhukay profitiert von Vehs Umstellungen
Jos Luhukay kopiert sich selbst, hat damit Probleme, weil der VfB sich nicht selbst kopiert. Als den Stuttgartern einfällt, dass sie wie Stuttgart spielen müssen, kippt das Spiel.
Luhukay, wir wissen, wo dein Stürmer steht!
Nämlich rechts vorne beim linken Innenverteidiger. Zumindest wurde dieses taktische Mittel, welches Jos Luhukay mit der Hertha schon in der Vorsaison häufig anwandte, auch dieses Mal genutzt. Stocker oder Kalou stellten sich gerne bei Rüdiger auf; auch letztes Jahr wurde dies auf dieser Seite praktiziert, wobei das variieren konnte und dieses Mal weder so sauber noch so extrem praktiziert wurde wie in der Vorsaison. Auch die Bewegung des Kollektivs war aktiver.
Blieb man früher häufig passiv, tief und manndeckend im Mittefeld, so versuchte der zweite Stürmer im 4-4-1-1 häufig nach vorne zu schieben und den zweiten Innenverteidiger zu pressen. Dabei orientierte er sich zuerst lose am gegnerischen Sechser und lief von diesem aus den Innenverteidiger an, während Skjelbred dann aus einer tieferen Zone auf den Sechser ging. Sehr oft wurde dadurch aus dem 4-4-1-1 ein 4-1-3-2 im Pressing, mit welchem möglichst viel Zugriff und Druck ausgeübt wurde. Je nach Bewegungen des Gegners gab es auch häufige 4-1-4-1-Stellungen bei Hertha, die insbesondere in der zweiten Halbzeit öfter zu sehen waren.
An sich funktionierten die Manndeckungen sehr gut, aber erst ab der 15. Minute. Zuvor waren die Stuttgarter intensiver, in ihren Bewegungen aggressiver und durch die Wirrheit ihrer positionellen Besetzung (Gentner als Rechtsaußen und Leitner als Zehner? Ernsthaft?) waren sie überraschend präsent in der Offensive.
Stuttgart funktioniert gut – eine Viertelstunde lang
Das 4-1-4-1 mit Ansätzen eines 4-3-3 und eines 4-2-3-1 spielten die Stuttgarter in der Anfangsphase wirklich gut. Ibisevic als Mittelstürmer bewegte sich nicht allzu weiträumig, ging aber etwas in Richtung Seiten oder ließ sich dynamisch zurückfallen, um im Zwischenlinienraum als Anspiel-, Ablage- und Prallstation zu agieren. Mehrfach konnte er dadurch die Bewegungen gegen Herthas Mannorientierungen gut unterstützen. Hinzu kam ein weites Aufrücken der Flügelstürmer, wodurch in einzelnen Szenen sogar eine Art 4-3-1-2 als Variante eines 4-3-3 entstand; die Außenverteidiger zogen hier gut nach, die Flügelstürmer banden die gegnerischen Außenverteidiger, Romeu sicherte sehr gut in der Mitte ab und Gruezo verband, während Leitner sich mit einzelnen guten Aktionen zentral hervortun konnte.
Diese Phase dauerte aber wie gesagt nicht lange; vermutlich durch die Führung, die der Hertha übergebene Initiative sowie die Rückkehr der Hertha in ihren Rhythmus wurden die Berliner stärker, die Stuttgarter schwächer. Nach dem Elfmeter gab es auch einige Fehler in puncto Personalwahl; Gruezo wurde ausgewechselt und für ihn kam Werner. An sich ist ja eine Einwechslung Werners natürlich schick, aber nicht, wenn Gentner dafür auf dem Platz bleiben darf.
Armin Veh wechselt das System kaputt
Hatte Stuttgart zuvor noch ein 4-1-4-1 praktiziert, in welchem sie sich trotz mäßiger Kompaktheit relativ flexibel und präsent gegen den Ball zeigten, gab es mit Gentner klarere 4-2-3-1 -und 4-4-2-Anordnungen. Im 4-1-4-1 gab es gute, klare Bewegungen; die Außenverteidiger rückten aus der Kette nach vorne, Romeu sicherte zentral das Verschieben der verbliebenen Spieler gut ab, die Achter konnten unterstützen und hinzu kamen viele herausrückende Aktionen von allen vier Positionen hinter Ibisevic. So schoben teilweise die Flügelstürmer nach vorne – mal beide und standen dann eng zueinander, mal einer und einer ließ sich zurückfallen – oder einer der beiden Achter (meist Leitner) rückten neben Ibisevic auf und pressten kurz. Diese Mischung aus 4-1-4-1, 4-1-3-2 und 4-3-3 war relativ gut; als sie nach der Führung passiver wurde, tat sich die Hertha auch leichter, hatte mehr vom Ball und fand zurück ins Spiel. Zuvor gab es aber primär Engkombinationen, die Stuttgart mit ihrem Pressing provozierte, welche nur dank Kalous individueller Klasse halbwegs ausgespielt werden konnten.
Ohne Gruezo und mit Gentner (Gentner zentral und Gruezo raus? Ernsthaft ernsthaft?) sowie dem Ausgleich der Hertha spielten die Stuttgarter nun eher in einem 4-2-3-1, in welchem Gentner zentral weniger Unterstützung bot und die vorherige passable Rollenverteilung zerstörte. Das 4-2-3-1 beziehungsweise 4-4-1-1/4-4-2 gegen den Ball sorgte auch für Überzahl der Hertha in der Mitte, wo Hosogai, Skjelbred und Stocker beziehungsweise Kalou diese Räume sehr gut bespielen konnten. Die Zahlen sind hierbei auch aussagekräftig: In den ersten 15 Minuten hatte Stuttgart drei Schüsse. In den nächsten 60 hatten sie ebenfalls drei. In den letzten 15 Minuten gab es nochmals drei. Herthas Verteilung war hier ein Schuss in den ersten 15 Minuten, neun in den nächsten 60 Minuten und wieder nur ein Schuss in der Schlussphase; wo man aber schon 3:1 vorne war.
Neben der Einwechslung Werners, der Umstellung Kostics vom linken auf den rechten Flügel und Gentners Versetzung in die Mitte inkl. der Folgeeffekte wechselte Veh nur noch einmal personell – er brachte Harnik für Romeu in der 73., zerstörte damit auf dem Papier die Stabilität komplett, erhielt in der Folgeminute das 1:3 und Stuttgart griff die letzte Viertelstunde durchgehend an. Die Rollenverteilung war hier am ehesten ein 4-2-4. Zu spät war es dennoch.
Salomon Kalou, Goalimpactgott
Neben Herthas verbesserten Zuordnungen in der Defensive und Stuttgarts Veh-Selbstzerstörungsmechanismus waren die Berliner auch zunehmend besser in der Offensive. Prinzipiell waren ihre Bewegungen relativ simpel, aber effektiv. Kalou war hierbei sehr interessant. Technisch hochwertige Aktionen in Dribblings, gute Raumorientierung und Entscheidungsfindung in engen Situationen und physische Präsenz garnierte er mit einem leichten Ausweichen nach halbrechts, wodurch er die zentrale Schnittstelle öffnete und dem Rechtsaußen einrückende Bewegungen erlaubte. Ein paar Mal in engen Situationen stellte er sich gar ins Abseits, lief dann diagonal oder horizontal, war somit nicht anspielbar, aber konnte etwas mehr Raum und auch den Passweg zu einer Anspielstation hinter sich besser öffnen, als bei gleichem Lauf im nicht-Abseits, wo Stuttgart enger geblieben und die Zonen ohnehin verschlossen wären. (Ob solche Läufe und Aktionen im Verbund mit seiner individuellen Qualität den herausragenden und übertrieben wirkenden Goalimpact Kalous erklären?)
Einige Male kam Kalou auch tiefer und oft stand Stocker höher als er, vereinzelt wechselte Stocker aber auch auf die Seite Beerens und Ben-Hatira pendelten dann zwischen weitem Einrücken, diagonalen tororientierten Läufen und einer breitegebenden Position. Besondere Mechanismen oder eine klare Struktur waren hierin nicht klar erkennbar, aber die Fülle an guten Bewegungen halfen den Herthanern bereits. Ergänzt wurde dies natürlich durch die aufrückenden Läufe Skjelbreds, der einige Male sogar weiträumig diagonal aus dem Halbraum oder der Mitte auf die andere Seite wanderte. Wichtig war hierbei natürlich wie üblich Hosogai und die gute Balance der Viererkette. Hosogai bot sich gut als Anspielstation an, verteilte Bälle geschickt, war defensiv stark, spielintelligent und technisch sauber. Einer der Schlüsselspieler in Herthas System, welches gegen den VfB diese Saison aufging, obwohl die Berliner bislang nicht ihre Sauberkeit und Effektivität aus der letzten Hinrunde abrufen können.
Fazit
Schwache Anfangsphase der Hertha mit viel Hin und Her, einem stärkeren VfB, der immer schwächer wurde. Die alte Dame fing sich wieder, rückte sich die Frisur zurecht und kam wieder ins Spiel. Spätestens ab dem 1:1 bis zur Schlussphase dominierten sie das Spiel und gaben es gegen Ende mit zwei Toren Vorsprung erst wieder aus der Hand.
6 Kommentare Alle anzeigen
B 7. Oktober 2014 um 14:41
Hab das Spiel im Stadion gesehen. Stand dummerweise die erste Halbzeit im Ultrablock, sodass ich nicht alles mitbekommen habe…
Auf die zweite konnte ich mich aber konzentrieren und finde den Goal Impact von Kalou gar nicht soo übertrieben. Beide Mannschaften sind meiner Ansicht nach nicht sauber ins Mittelfeld gekommen bzw konnten dass Zentrum im Ballbesitz nicht wirklich kontrollieren, wodurch es für die Offensivspieler nicht gerade leicht war zu vielversprechenden Chancen zu kommen. Kalou konnte dabei einerseits wie du ja erwähnst ziemlich viele Bälle festmachen und sich sogar Richtung Tor drehen. Dazu kommt dann eben mal ne Aktion wie beim 2:1 wo er sich quasi aus dem nichts am 16er-Eck komplett gegen den AV durchsetzt (vor dem Elfmeter wars ähnlich) und das Spiel zweier Mannschaften, die ich spielerisch recht gleichwertig angesehen habe entscheidet.
Thomas 4. Oktober 2014 um 09:13
Bitte die Grafik korrigieren… oder hat der HSV jetzt den kompletten Hertha Kader gekauft?
RM 4. Oktober 2014 um 09:33
Korrigiert.
Etebaer 4. Oktober 2014 um 04:05
Hertha ist Fahne Pur – der HSV trägt die Raute im Herzen (wegen den Vereinspwappen im Schaubild).
Ansonsten les ich hier immer gern.
Philipp 4. Oktober 2014 um 01:09
Knackpunkt war der Elfmeter, nicht unbedingt weil er sehr zweifelhaft war (Gruezo war der ballführende Spieler und Stocker „haute“ sich von hinten rein). Sondern vielmehr, weil Veh total emotional reagierte. Er gab Gruezo die Schuld und wechselte ihn aus. Wie schön in der Analyse beschrieben agierte Veh heute sehr unglücklich und sicherlich spielentscheidend.
So fähig Veh is, seine emotionalen „Wechsel“ sind oft gefährlich, sie Torwart, Kirschbaum hat heute zwar einige Bälle gut abgewehrt, aber war auch oft wackelig, lies viele Bälle wieder los. Sicher ist anders. Veh hat durch seinen unnötigen Torwartwechsel nun zwei unsichere Torleute.
Bisschen mehr Besonnenheit wäre gut.
Wolfgang Würz 5. Oktober 2014 um 16:54
Das war bereits in Frankfurt Vehs Schwäche in der letzten Saison, seine Eitelkeit. Obwohl die SGE sich keineswegs spielerisch verbessert hat, ist eine mental intakte Mannschaft auf dem Platz, die auch Rückstände gut kompensiert mit Kampf und Einsatzwille. Das ist zunächst Schaafs Verdienst.