Gladbachs Dynamik zerspielt und zerschiebt den HSV
Lucien Favres Gladbacher gewinnen zwar nur mit 1:0 gegen den HSV, tun dies aber souverän.
Favre arbeitet weiter an der Verbindung aus Positionsdeckung und Aggressivität
Beim Spiel der Fohlen war sofort auffällig, dass die defensive Dynamik sich wie in den letzten Saisons immer weiter verändert. Im ersten Jahr unter Favre wurde sehr positionsorientiert, relativ passiv und in gewisser Weise simpel gegen den Ball agiert; die Abstände zwischen den Spielern waren in alle Richtungen gleich und jeder hatte die gleiche Aufgabe – so lange (intensiv) ballorientiert verschieben, bis der Ball in unmittelbarer Nähe lag. Das 4-4-2 war wie am Reißbrett gezogen. In den letzten zwei Saisons wurde verstärkt an einem höheren Pressing als Alternative, an Mannorientierungen der Außenspieler und auch am mannorientierten Herausrücken der zentralen Mittelfeldspieler gearbeitet.
Gegen den HSV war auffällig, wie viele situative Mannorientierungen und wie viel Herausrücken es gab. In einer Szene – ich meine, es war gegen Ende von Minute 12 – spielten die zwei Außenstürmer noch positionsorientiert vor der Viererkette, während beide Sechser nach vorne gerückt waren und mit den Mittelstürmern höher pressten. Aus der nach wie vor prinzipiell positionsorientierten Raumdeckung gab es häufig solche herausrückenden Bewegungen, die sich jetzt auf fast alle Positionen zeigten. Interessant ist auch, dass diese Bewegungen weiträumiger sind; wie erwähnt wurde im ersten Favre-Jahr nur dann die Position verlassen, wenn der Gegner und der Ball mit ihm näher standen. Nun werden anscheinend auch Sprints über mehrere Meter gemacht, wenn der Spieler die Möglichkeit zum Zweikampf antizipiert.
Auch die Stürmer ziehen sich noch weiter zurück und sind sehr aktiv, was phasenweise an Atlético Madrid in der Spielweise erinnerte. Im ballorientierten Verschieben ist auch die Mitte stärker im Fokus; verschob früher der Block komplett bis zur Seite und blieb kompakt, so werden die Schnittstellen zwischen Außenverteidiger und Innenverteidiger proportional größer als zwischen den beiden Innenverteidigern.
Der HSV hatte damit relativ große Probleme. Sie konnten nie ohne Druck in die Mitte spielen, wurden auf die Seiten geschoben und konnten sich hier kaum gefährlich durchsetzen. Bei Flanken oder Pässen ins Zentrum oder versuchten Verlagerungen hatte Gladbach außerdem immer Präsenz in den wichtigen Zonen. Doch auch Gladbach hatte bestimmte Probleme.
HSVs Pressing sorgt für interessanten Spielrhythmus
Auch der HSV spielte prinzipiell im 4-4-2, agierte hierbei aber weniger sauber und abgestimmt. Desweiteren spielten sie mit vielen Mannorientierungen und generell einer eher mannorientierten Raumdeckung. Auch sie fokussierten sich auf die Kontrolle der Mitte; die beiden Mittelstürmer agierten phasenweise fast schon als Manndecker auf die Gladbacher Innenverteidiger und einer der Hamburger Sechser schob ebenfalls nach vorne, wodurch auch 4-3-1-2-Staffelungen mit vielen klaren Mannorientierungen entstanden.
Anfällig waren die Hamburger dadurch in puncto horizontaler Kompaktheit, was sie aber mit viel Bewegung und Aggressivität kompensierten. Generell war der HSV deutlich aktiver als unter den letzten Trainern und pressten sehr hoch. Dadurch entstand ein schnelles Spiel, welches von einzelnen Überladungsversuchen dominiert war. Das endete aber meistens in 2-3 Spielern, die sich an der Auslinie festsetzten und dann eher mithilfe des Hinterlaufens und isolierter Kombinationen entlang der Seite durchbrechen wollten. Der HSV war außerdem betont lang und vertikal in der Spielanlage im Passspiel.
Dadurch entstand ein Hin und Hergedränge über das gesamte Spielfeld mit vielen Richtungswechseln, in welchen die enorm mitspielenden Torhüter und Rückverlagerungen für die einzigen konstanten Atempausen sorgten. Das Mitspielen der Torhüter und ihre Beteiligung im Aufbauspiel waren ohnehin einer der taktisch interessantesten Aspekte. Häufig bildeten sie Rauten mit den beiden Innenverteidigern und mit einem der Sechser. Entscheidend war aber die Bewegung der beiden Sechser davor und die Abstimmung des Kollektivs, welche auch dank des Trainers gegeben ist.
Favres Zauber löst den HSV auf
Gibt es eine Mannschaft, die so harmonisch in schnellen Direktpasskombinationen ist wie Favres Gladbacher? Ihre Bewegungen passen zueinander, sie sind sehr schnell und sehr präzise bei Ablagen, Abprallern und auch in ihren Läufen; das passt außerdem perfekt zur Dribbelstärke einzelner Akteure wie Kramer, Hazard, Raffael, Kruse und Co.
Das Tor in der 25. Minute fiel zum Beispiel durch einen wunderbaren Konter, der – obwohl er mit einer Flanke abgeschlossen wurde – sehenswert war. Nach dem Ballgewinn gab es ein sehr intelligentes und schnelles Kombinationsspiel, in welchem die Angriffszonen von links nach rechts gewechselt wurden; und nach so etwas darf dann sogar eine Flanke folgen. Kruse stand frei in der Mitte und verwandelte mit etwas Glück zum Tor des Tages.
Doch schon davor dominierte Gladbach – sie waren intelligent in ihren Entscheidungen, ob sie Abkippen oder Nichtabkippen sollten, die zwei Sechser öffneten sich gegenseitig Räume und gingen vergleichsweise gut mit den Mannorientierungen des HSVs um. Das Bewegungsspiel war generell deutlich besser und dadurch konnte man in diesem hektischen und intensiven Spiel (besonders in der Anfangsphase) am ehesten noch Struktur einbringen und sich durchsetzen.
Besonders war die Borussia aber nach der Führung souverän. Sie spielten positionsorientierter und hatten eine sehr gute Balance im Defensivrhythmus; offensiv griffen sie meistens mit sehr schnellen Unterzahlkontern an, blieben immer gut abgesichert und organisiert nach Ballverlusten. Der HSV kam auf einige Abschlüsse, aber aus dem Spiel heraus hatten sie eigentlich keine gefährlichen Schüsse. Gladbach hingegen hätte durchaus noch einen Treffer verdient gehabt.
Ansonsten gab es kaum größere Änderungen; die Wechsel auf Seiten des HSV machten ihr Spiel offensiver, die Wechsel auf Seiten der Gladbacher das Spiel defensiver. Die Hamburger konnten nicht viel ändern, weil ihre Probleme in der Unterlegenheit in der gruppentaktischen Kommunikation und Abstimmung lagen, während die Gladbacher ihren klassischen souveränen Stiefel in Führung herunterspielten.
Fazit
Favre scheint weiterhin an seiner Mannschaft zu basteln. War diese Entwicklung über diesen Zeitraum geplant, dann ist dies aller Ehren wert. Aus der sehr passiven und positionsorientierten Mannschaft von vor mehr als zwei Jahren ist nun eine entstanden, welche aus diesem Fundament heraus unterschiedliche Rhythmen und Spielweisen beherrscht, enorm aggressiv und hoch pressen kann, inklusive zahlreicher Mannorientierungen, die auch variieren können. Dazu kommt die Stärke im tiefen Aufbauspiel, im schnellen Kombinationsspiel und in der puren Dynamik ihrer Konter. Der HSV kann auch unter dem neuen Trainer da nicht mithalten, der in dieser Zeit – unabhängig von seiner Kompetenz – gegen eine solch gut ausgebildete Mannschaft in dieser Form nicht mithalten kann. Dennoch waren (vorerst) positive Tendenzen beim HSV zu erkennen; sie waren deutlich aktiver und aggressiver als bisher, obwohl ihnen nach wie vor die taktische und strategische Struktur fehlt.
6 Kommentare Alle anzeigen
Core 25. September 2014 um 13:59
Super Analyse mal wieder!
Ich hätte da noch eine kleine Frage/Bitte:
Könnte man eventuell wieder öfters die TSG Hoffenheim analysieren? Gerade für mich als großer Taktik-Fan ist die Arbeit von M.Gisdol immer wieder sehr interessant, da dessen Team in jedem Spiel anders auftritt und auch innerhalb eines Spiels sehr variabel auftritt.
Wäre super interessant darüber zu lesen
ayounes 25. September 2014 um 10:14
Das Spiel hat schon sehr an meinen Nerven gezerrt (ich war im Stadion).
Vielen Dank für die Analyse. Ich wünschte ich könnte das dermaßen gut beschreiben wie Ihr ;-).
Ich hab aber noch ein paar Fragen (sind Diskussionsstoff uns im Block und ich möchte mal eine neutrale Meinung):
– Aus welchem Grund spielte Dominguez für Wendt auf links? Gerade im letzten Drittel geht Dominguez die Zielstrebigkeit / Zug zum Tor / 1vs1-Situationen lösen ab. Alles nur um Hazard mehr defensive – Freiheiten zu gewähren?
– Fehlt es Gladbach im letzten drittel (gerade bei Kontern) eine gute Staffelung? Oder warum werden Angriffe sooft leichtfertig verspielt? Liegt das an inviduellen Fehlern?
– Warum war Lasogga so schlecht im Hamburger Spiel eingebunden? Holtby hat eigentlich gute Pässe in die Tiefe gespielt. Positioniert/Fehlendes Timing Lasogga sich oft falsch oder lag das an dem guten Gegner?
-Wenn der Spielaufbau der Hamburger über Arslan gespielt wurde, gab es immer ein „Standartspielzug“. Arslan steht hoch und kommt kurz zu den Westermann (meistens). Wenn er genug Platz hat um sich zu drehen wird er angespielt. Darauf hin rückt ein 6er der Gladbacher (wie oben beschrieben) raus und wird durch einen simplen Doppelpass ausgespielt. Arslan kann dann mit Ball und Tempo in die Halbräume vorrücken. Ende. Warum wurde der gute Ansatz der Hamburger im Spielaufbau dann leichtfertig verspielt? War Arslan überfordert oder stimmte bei Hamburg die Positionierung der Mitspieler nicht? Danach folgte meisten Fehlpässe oder Arslan nahm das Tempo raus und wurde in Zweikämpfe verwickelt.
– Wie würdest du eine Mannschaft einstellen um Gladbachs Probleme am effektivsten zu bespielen?
– Warum ist Gladbach in den ersten Minuten (außer Villareal) dermaßen passiv (teilweise hat selbst Hamburg (sorry) 70% Ballbesitz. Wir können uns dann kaum klar befreien und wenn fällt oft das erste Tor für uns. Soll das Taktik sein? Warum spielt man nicht von Anfang an dominant?
Vielen Dank vorab und ich hoffe auf viele weitere Analysen der Gladbacher 🙂
RM 25. September 2014 um 13:03
– Dominguez: Ja, gut möglich. Wobei es für mich auch vorstellbar wäre, dass es mit den Staffelungen und Rollen insgesamt zu tun hatte. Dominguez steht als LV tiefer, der RV geht höher, Hazard und Kruse gehen auf links, Raffael als Verbindungsspieler und Hahn situativ diagonal Richtung Tor hin einrückend. Müsste man aber wohl eher Favre fragen. Vl. ja einfach eine gegnerbedingte oder situationsbedingte Anpassung.
– Ja, wobei das eher strategisch bedingt war. Man war vorne und nutzte eben wenige Spieler im Konter. Diese dann zu Ende zu spielen, ist schwer.
– Lasogga ist für mich kein besonders guter Stürmer im Bewegungsspiel und gegen Gladbachs Spielweise ist er etwas unpassend, finde ich. Vl. auch Tagesform, Pech und die kollektive Spielweise daran schuld.
– Mischung aus beidem? Ich fand, dass Arslan da nie wirklich konstant gute Anspielstationen hatte.
– Welche Probleme genau? Wobei sowas immer von der eigenen Mannschaft abhängt.
– Wieder eine Frage an Favre 🙂
Koom 25. September 2014 um 09:27
Gladbach war für den HSV der falsche Gegner. Ein weiterer Gegner, der eher offensivfokussiert spielt, wäre günstiger für diese Ausrichtung gewesen. So wurde mit ähnlichen Waffen (Defensivfokus, Pressing, Umschaltspiel) gekämpft, die Gladbach einfach besser beherrschen muss zum derzeitigen Stand.
Aber es schaut nach dieser Analyse aber so aus, das der HSV jetzt wieder mithalten kann in der Liga und wenn er keinen Blödsinn macht, wird sich die hohe individuelle Qualität zumindest insofern durchsetzen, dass es eine abstiegskampffreie Saison wird.
Koom 25. September 2014 um 09:10
„Zerspielt“ ist das neue „lässig“? 😉
blub 25. September 2014 um 10:21
Stells dir vor wie nen Cosplaywettbewerb zu dem der HSV als Butter und Gladbach als Messer auftaucht.^^