Die Pokalüberraschung – Bochum überfällt den VfB Stuttgart
Der VfL Bochum warf den Favoriten aus Stuttgart souverän mit 2:0 aus dem Pokal. Peter Neururers Truppe überzeugte mit flexiblem Pressing und Hochgeschwindigkeitskontern. Die Anpassungen Vehs konnte das Bochumer Trainerteam schnell kontern.
Ausgangssituation
Der VfL traf in der ersten Pokalrunde direkt auf einen Erstligisten: die mit Hoffnungsträger Armin Veh in der Trainerposition neu formierten Stuttgarter. Trotz des ambitionierten Gegners blieb Trainer Peter Neururer seiner nominell äußerst offensiven Startelf mit den drei Stürmern Simon Terodde, Stanislav Sestak und Michael Gregoritsch treu. Das Offensivtrio wurde ergänzt durch Spielmacher Yusuke Tasake. Vor der Viererkette mit Timo Perthel, Patrick Fabian, Jan Simunek und Stefano Celozzi bildeten Danny Latza und Anthony Losilla die spiel- und kampfstarke Doppelsechs.
Der VfB Stuttgart setzte direkt auf die Neuzugänge Filip Kostic, Florian Klein und Oriol Romeu. Letzter übernahm dabei die tiefe Spielmacherposition in einem 4-1-4-1, während Klein die rechte Außenverteidigerposition offensivfreudig besetzte. Die restliche Viererkette bestand aus Daniel Schwaab, Antonio Rüdiger und Gotoku Sakai. Vor Romeu bildeten Christian Gentner und Daniel Didavi die Doppelacht, auf welcher Didavi im linken und Gentner im rechten Halbraum agierte. Filip Kostic übernahm den linken Flügel als Gegenpart von Martin Harnik. Das Sturmzentrum wurde wie gewohnt von Vedad Ibisevic besetzt.
Stuttgarts Pressing und Neururers Anpassungen
Trotz der klaren 4-1-4-1-Grundformation in der Rollenverteilung agierte Stuttgart im Pressing mit einem 4-4-1-(0)-1. Ibisevic hatte dabei eine Sonderbewachung für den spielstarken Simunek inne. Entsprechend lief der Aufbau des VfL meist über Fabian. Bereits nach 30 Sekunden reagierte das Trainerteam und tauschte den einrückenden, spielmachenden Tasaka und den Außenstürmer Gregoritsch, so dass Tasaka mit Latza und Fabian den linken Flügel überladen konnte. Die beiden boten sich kurz für Fabian an, um die Räume im zweiten Drittel zu überbrücken. Sie zogen damit Stuttgarts Pressing an, um im Anschluss zu verlagern. Ließ Stuttgart dabei Lücken offen, konnte auch Fabian mit ein paar starken Pässen direkt in den Zwischenlinenraum überzeugen.
Bochum mit flexiblem Pressing und offenen Flügeln
Bochum agierte nur kurzfristig mit höherem Pressing, z. B. bei Abstößen oder Einwürfen. Ansonsten gab es ein 4-4-2 Mittelfeldpressing mit den Stürmern in den Räumen um Romeu zwischen der Abwehrkette und den Achtern. Dabei bestand ein ausgeprägter Zentrumsfokus. Die Außenspieler spielten bei tiefer Ballzirkulation der Stuttgarter eng eingerückt und boten die Außenbahnen an. Kam der Pass zum Flügel wurde extrem verschoben. Stuttgart erspielte somit ein paar Halbchancen nach Verlagerungen und schnellen Flanken gegen die Verschieberichtung. Oftmals wurden die Verlagerungen oder die späteren Flanken zurück jedoch zu hektisch und ungenau gespielt, so dass nie größere Gefahr aufkam. Stattdessen gelang es den Bochumern erfolgreich, die Stuttgarter von ihrer formativen Überzahlzone (4-1-4-1 gegen 4-4-2) im Zentrum fernzuhalten.
Bei Rückpässen in die letzte Reihe auf den zentral aufbauenden Romeu gab es jedoch ein aggressives Vorschieben des Sechsers in ein 4-1-3-2/4-1-3-1-1. Dabei wurde versucht, den zentralen Spieler von seinen Mitspielern zu isolieren und somit zu hohen Ballgewinnen zu kommen. Auch wenn die Situation aus einem Torabstoß von Ulreich, also einem ruhenden Ball resultierte, wurde dieses Vorgehen beim 1:0 des VfL in Perfektion vorgeführt.
Die Stuttgarter Innenverteidiger wollten tief aufbauen und boten sich etwa an den Ecken des Sechzehners an. Romeu kippte ab. Ulreich vermutete wohl das tiefe Mittelpressing und spielte Romeu direkt nach dem Hinlegen des Balls mit noch gesenktem Kopf einen Pass zu, ohne vorher einen Blick auf das ganze Spielfeld zu werfen. Beim Pass von Ulreich zum noch vom zurücklaufen umgedrehten Romeu, pressten direkt drei Bochumer aggressiv auf den Ball. Terodde nahm Schwaab in den Deckungsschatten. Rüdiger, Gentner und die Außenverteidger befanden sich außerhalb Romeus Sichtfeld. Ein Aufdrehen war wegen Sestak und Latza nicht möglich. Romeu versuchte deshalb trotzdem den Pass auf Schwaab, den Terodde jedoch zwangsläufig abfing. Der Bochumer Torjäger schloß eiskalt ab. Die Grundstaffelung dieser Szene erinnerte stark an das Vorgehen Atlético Madrids gegen die Abstöße des FC Barcelona im Viertelfinale des letztjährigen Champions-League-Viertelfinals.
Stuttgarts Bemühungen nach dem Tor
Nach dem Tor tauschten Tasaka und Gregoritsch wieder die Seiten. Es wurde weiterhin im beschriebenen 4-4-2-Mittelfeldpressing agiert. Der VfB Stuttgart spielte dagegen im Ballbesitz ein 4-3-3, dass durch das Abkippen Romeus und das Aufrücken der Außenverteidiger zum 3-4-3 wurde. Viel Durchschlagskraft konnten sie so jedoch nicht erzeugen. Lichtblicke waren nur die diagonalen Dribblings Rüdigers aus der breiten Stellung gegen Bochums Verschiebebewegung in den Raum hinter Sestak und Terodde, wodurch er kurzfristig Unordnung in den Zuordnungen der Blau-Weißen schaffen konnte.
Gegen den Ball agierte Stuttgart nach dem Tor mit beiden Achter in vorgeschobener Position, so dass ein 4-3-2-1 entstand. So sollte mehr Druck auf den Aufbau Bochums gemacht werden.
Bochums individuelle Klasse
Der VfL überzeugte trotz des Drucks der Stuttgarter Achter durch extreme Ballsicherheit im Zentrum (Simunek, Latza, Losilla, Terodde). Er konnte so viele Bälle auch unter Druck halten und über Pässe auf freie Spieler Raum gewinnen. Insgesamt prägten jedoch individuelle Aktionen den Spielaufbau. Es gab wenig gruppentaktische Elemente. Insbesondere die in der Vorbereitung zu bewundernden Kombinationen zwischen Außenstürmern und -verteidigern gab es nie zu sehen, da sich sowohl Celozzi als auch Perthel offensiv sehr zurückhielten. Dieses Verhalten war aufgrund des Spielstands jedoch gut nachzuvollziehen. Die einzige nennenswerte Ausnahme war die Abstimmung in den Laufwegen, welche die Räume für die individuellen Aktionen schuf. Die Bochumer Offensiven liefen im Umschaltmoment immer wieder die Schnittstellen der Stuttgarter Viererkette an. Sie drängten die Verteidiger somit zurück und öffneten den Zwischenlinienraum, der anschließend durch Rückfallbewegungen von Tasaka oder Sestak oder aufrückende Dribblings von Latza oder Losilla besetzt werden konnte
Engagierter Start in die zweite Halbzeit
Zu Beginn der zweiten Halbzeit überfiel der VfL Bochum den VfB erneut. Nach jedem Ballgewinn wurde direkt nach vorn gespielt. Dabei wurde viel mit Vertikalpässen und kleinräumigen Kombinationen zum Herauslocken von Spielern und dem Schaffen weiterer vertikaler und diagonaler Passwege gearbeitet. Mit der bereits dritten Chance in der zweiten Halbzeit fiel in der 48. Minute das 2:0 für den VfL. Nach einer Ecke schwärmten direkt fünf Bochumer in jede der fünf vertikalen Zonen des Spielfelds aus. Losilla konnte mit einem Pass entlang der linken Außenlinie Latza einsetzen, der direkt wieder diagonal in seine Zone im linken Halbraum dribbelte. Nach einer diagonalen Halbraumverlagerung und einer direkten Horizontalablage von Sestak ins Zentrum erzielte Terodde mit einem sehenswerten Lupfer das Tor. Durch die Halbraumverlagerung wurden zwei der verbleibenden vier Gegenspieler vom aus der Tiefe ansprintenden Terodde weggelockt, so dass dieser keine Mühe hatte zu vollenden. Von Rechtsaußen wäre auch Gregoritsch bereits für eine Direktabnahme vom langen Pfosten Richtung Strafraum gelaufen.
Stuttgart fällt wenig ein
Bis zu den Wechseln in der 68. Minute (Leitner für Romeu und Terrazzino für Sestak) versuchte Stuttgart durch tiefe Ballzirkulation und schnelles Spiel über den nach Verlagerungen offenen Flügel die Bochumer zu knacken. Romeu kippte dafür weiterhin ab, um die Außenverteidiger für dynamische Vorstöße frei zu machen. In den meisten Fällen konnten die Blau-Weißen jedoch rechtzeitig und kompakt verschieben, so dass Stuttgart nur über Halbfeldflanken in die gefährlichen Zonen kam. Nur in ein paar seltenen Fällen gelang es, in die Räume zwischen Außen- und Innenverteidiger einzudringen. Hier zeigte sich dann jedoch die gute Endverteidigung von Simunek, Fabian, Latza und Losilla.
…und passt dann noch schlecht an
Nach den Wechseln agierte der VfB ohne dauerhaft abkippenden Sechser. Leitner versuchte stattdessen mit Gentner und Didavi eine flexible Rotation im Mittelfeld aufzuziehen. Die Außenverteidiger blieben dafür etwas tiefer. Der bereits in der 62. Minute für Kostic eingewechselte Maxim spielte stärker im Halbraum als der sehr außenlinienorientierte Kostic, dafür agierte Ibisevic ausweichender. Die Idee war es wohl, insgesamt kombinativer und weniger Flügelorientiert zu werden. Als Folge der Wechsel konnte jedoch Bochum eine stärkere Offensivpräsenz erzeugen. Die Außenspieler gingen bis auf die tiefen Außenverteidiger vor. Die Sechser rückten ebenfalls weit auf die beiden vorderen Achter heraus. Selbst die Innenverteidiger stießen vereinzelt vor. Somit gelang es Bochum, früh Zugriff zu bekommen und Stuttgarts Aufbauspiel weiter in deren Hälfte zu unterbinden. Nach Ballgewinnen gab es genug Mitspieler für Kombinationen, nach Ballverlusten gute Staffelungen für ein direktes Gegenpressing.
Der Feuerwehrmann löscht das Strohfeuer schnell
Mit der Einwechslung von Werner für Harnik, stellte Veh auf 4-2-3-1 um. Didavi spielte von nun hinter Ibisevic und wurde von Werner links und Maxim rechts flankiert. Dabei gab es häufige Rochaden zwischen Didavi und Maxim zu beobachten, die Bochums Zuordnungen im Sechserraum störten. Neururer reagierte nur 4 Minuten später, indem er Zahirovic für Gregoritsch brachte und auf ein 4-1-4-1 gegen den Ball umstellte, in welchem Zahirovic als tiefer Sechser die Räume hinter und zwischen Latza und Losilla sicherte. Nach der Umstellung hatte der VfL die Stuttgarter im Griff und konnte den Sieg in Ruhe nach Hause bringen.
2 Kommentare Alle anzeigen
Blacc 15. September 2014 um 13:02
Tolle Analyse, Danke!
Alessey 8. September 2014 um 15:35
Vielen Dank für die Analyse.