Kolumbien – Uruguay 2:0

Die Sperre ihres Top-Stürmers konnten die Urus nicht kompensieren. Sie schieden mit einer weitestgehend biederen Vorstellung gegen Kolumbien um James Rodríguez aus. Los Cafeteros stehen damit zum ersten Mal in einem WM-Viertelfinale.

Grundformationen

Óscar Tabárez änderte das System der Celeste im Vergleich zum entscheidenden Gruppenspiel gegen Italien nur marginal. Statt eines 5-3-1-1 war es eher ein 5-3-2 und statt des gesperrten Luis Suárez kam Diego Forlán, der bei der letzten WM noch den Goldenen Ball gewann, in die Startelf. Er spielte in aller Regel auf einer Höhe mit Edinson Cavani. Besonders diese mangelnde Tiefenstaffelung sollte ein Problem werden. Denn zugleich rutschte Nicolás Lodeiro aus der Mannschaft. Álvaro González rückte ins Mittelfeld. Maxi Pereira lief als rechter Außenverteidiger auf.

2014-06-28_Kolumbien-Uruguay_Grundformation

Grundformation in der ersten Halbzeit

Bei den Kolumbianern gab es auch eine kleine, aber nicht unwichtige Veränderung. José Pékerman brachte erneut Mittelstürmer Jackson Martínez, allerdings neben Teófilo Gutiérrez in der vordersten Linie. Dadurch entstand eine Art 4-2-2-2. James Rodríguez und Juan Cuadrado tendierten stärker in Richtung Zehnerraum, wenngleich Cuadrado noch häufiger die Flügelposition suchte.

Uruguay steht tief und reißt einen Krater

Tabárez‘ Mannschaft ging mit der klaren Prämisse in diese Partie, den Kolumbianern den Ball und die Initiative zu überlassen. Spätestens mit dem Ausfall von Suárez war man offensiv vieler Waffen beziehungsweise einer großen Gefahr beraubt. Die Urus spielten in diesem Fall mit einer wirklichen Fünferkette und besonders in der ersten Halbzeit fungierten beide Pereiras vornehmlich als richtige Außenverteidiger. Am ehesten stieß noch Álvaro nach vorn. Die drei Zentralverteidiger standen die meiste Zeit an der eigenen Strafraumgrenze. Diego Godín leitete die Defensive, davor war Arévalo Ríos einmal mehr der Zerstörer und Wellenbrecher.

Allerdings war der Schachzug von Pékerman nicht schlecht. Er schickte zwei Angreifer aufs Feld, die sich jeweils zwischen Godín und dem Nebenmann in der Fünferkette positionierten. Da auch Cuadrado und Rodríguez häufiger ins Zentrum kippten beziehungsweise die Halbräume besetzten, waren die Möglichkeiten der Fünferkette, die Mitte besser zu dominieren oder gut gestaffelt für Pressing und Umschaltspiel zu stehen, beschränkter.

Trotzdem verzweifelte Kolumbien in der ersten Halbzeit ein Stück weit an der tiefen Defensive. Martínez war überhaupt nicht präsent, stand zum Teil nur zwischen den uruguayischen Verteidigern und zeigte selten Fallbewegungen, obwohl der Raum um Arévalo bespielbar schien. Bei den los Cafeteros zogen zunehmend die beiden Außenverteidiger nach vorn. Man versuchte den tiefen Block so zu umgehen. Durch das Aufrücken von Juan Zúñiga und Pablo Armero drückten sie die beiden Außenverteidiger der Celeste tief hinein. Sie standen in der Fünferkette eng und hatten dadurch wenig Möglichkeiten die Löcher hinter Zúñiga und Armero zu nutzen.

2014-06-28_Kolumbien-Uruguay_Uru-Umschalt

Das Loch im Umschaltspiel war nur schwer zu überbrücken. In manchen Situationen fehlte der Verbindungsspieler. Zudem stand Uruguay insgesamt enorm tief.

Das verhinderte bessere Positionierungen der beiden Pereiras beim Umschalten. Insgesamt hatte Uruguay in diesem Punkt ein großes Problem. Gegen Italien stand Cavani zumeist tiefer und wurde auch von Lodeiro unterstützt, der mehr als zentraler Verbindungsakteur auftrat. González blieb in diesem Punkt zurückhaltender und positionsgetreu halbrechts.

Alles in allem entstand bei den Urus ein Loch. Nach Ballgewinnen schlugen Godín oder Arévalo die Bälle lang auf Cavani und Forlán. Beide Neuner versuchten in die Lücken hinter die aufgerückten Außenverteidiger abzudriften. Dadurch hatten auch die langen Schläge einen gewissen Winkel und wurden nicht direkt in Richtung der starken kolumbianischen Innenverteidiger gespielt. Trotzdem gelang die Verarbeitung nur schwer. Mario Yepes und Cristián Zapata blieben nah dran. Chancen entstanden nicht.

Cavani und Forlán hatten Probleme bei der Raumfindung und sie versuchten diagonal zu starten, blieben dann aber doch häufiger hängen. Insgesamt fehlte den Urus die richtige Raumfindung. Teilweise klappten die beiden Achter in Verbindung mit Arévalos Balancegebung nach außen. Gerade Cristian Rodríguez konnte da von seinem Naturell her noch den meisten Druck erzeugen.

Kolumbianische Dominanz ohne Ertrag…

Trotzdem verhinderte die tiefe Staffelung eine gewisse Durchschlagskraft. Kolumbien hatte teilweise über 70% Ballbesitz. Sie konnten im Aufbau bis zur Mittellinie das Spielgerät gut zirkulieren lassen, ohne dass sie einem gewissen Pressing ausgesetzt waren. Lediglich Abel Aguilar stieß aus dem Sechserraum häufiger nach vorn. Die Urus standen derweil in einem 5-5-0, wobei Cavani und Forlán etwas flexibler rausrückten. Ansonsten sprangen die Achter der Celeste nur immer wieder leicht mannorientiert heraus, sofern die Kugel im Zentrum der Kolumbianer hin und her gepasst wurde. Man konnte so den Ball vermehrt auf die Außen leiten. Zúñiga stand dort oftmals ein Stück weit frei oder schob sogar etwas nach innen. Álvaro Pereira presste nur situativ und versuchte hier einen Umschaltmoment zu initiieren.

…bis James kam

Schlussendlich sorgte James Rodríguez mit seinem Treffer in der 28. Minute für den Dosenöffner – möchte man meinen. Doch im Anschluss verlief die Partie nahezu gewohnt weiter. Die Urus überließen dem Gegner weiter das Spielgerät. Cuadrado mühte sich mit seinen Diagonaldribblings ab und versuchte den Raum links etwas zu öffnen. Die Celeste fokussierte weiter auf Cavani.

Im eigenen Spielaufbau stießen sie zum Ende der ersten Halbzeit vermehrt mit einem Halbverteidiger vor. Los Cafeteros agierten im 4-4-2, wobei der ballferne Außen stark einrückte. Halbverteidiger Martín Cáceres schob nach vorn und spielte über den Halbraum einige Male den fallenden Cavani an, der wiederum das Spielgerät nach außen auf Álvaro Pereira. Im Anschluss erfolgten einige Flanken in den Strafraum, die es auch von Maxi Pereira gab. Doch Forlán war auf verlorenem Posten. Insgesamt war es eine erneut blasse Leistung des Routiniers.

Kurz vor der Halbzeitpause lauerten die Urus wieder verstärkt auf Konter und zogen sich passiv zurück. Cavani wartete weiter hinter Zúñiga. Zum Zeitpunkt des Kabinengangs hatten die Himmelblauen keinen Schuss auf das Tor von David Ospina abfeuern.

Zweite Halbzeit: Uruguay müht sich ab

Sicherlich schickte Tabárez seine Mannschaft mit der Prämisse aufs Feld nach und nach das Risiko bei Rückstand zu erhöhen. Das eine Tor war immer noch aufzuholen. Allerdings verschlechterte sich fünf Minuten nach Wiederanpfiff die Ausgangslage der Urus signifikant. Armero flankte von links diagonal in den Strafraum. Cuadrado legte von der Grundlinie auf James zurück. Im Anschluss kam Christian Stuani für Forlán. Zudem ersetzte Gastón Ramírez Linksverteidiger Álvaro Pereira. Die Celeste gab die Fünferkette auf und spielte zunächst im 4-4-2. Nach der Einwechslung von Mittelstürmer Abel Hernández für González wurde es zu einem 4-3-3.

Grundformation in der Schlussphase

Grundformation in der Schlussphase

Bei Kolumbien nahm die Intensität ab. Sie zogen sich zurück. Cavani machte nun als Linksaußen mehr Druck, war aber dort etwas verschenkt. Im Mittelfeld herrschte eine gewisse Asymmetrie vor. Rodríguez blieb links, Ramírez agierte vor Arévalo und die rechte Seite musste Maxi Pereira allein belaufen. Pékerman passte an und stellte Armero mannorientiert entgegen, wodurch Yepes oder Sanchez den einrückenden Stuani meist übernahmen.

Uruguay wurde druckvoller, doch die Kolumbianer blieben in der Semi-Passivität stabil und konnten sich auf ihre individuellen Pressingfähigkeiten sowie auf das Können in der Endverteidigung verlassen. Sie zogen die Viererkette eng zusammen. Allerdings wurden Armero und Zúñiga selten tief im 16er-Zentrum zum Zweikampf gezwungen. Dort sind sie am ehesten verwundbar. Martínez und James zockten derweil bezüglich der Defensivarbeit und lauerten auf Konter. Es ergaben sich auch Lücken. Ein Tor fiel auf beiden Seiten nicht mehr. Der zweifache Weltmeister fährt nach Hause.

Fazit I: Was war eigentlich Tabárez‘ Plan?

Es war zu befürchten und am Ende bewahrheitete sich, dass der Ausfall von Suárez massive Auswirkungen hatte. Ob die Urus auch mit dem Liverpool-Angreifer so tief, passiv und abwartend agiert hätte, bleibt fraglich. In jedem Fall hätten sie mehr Durchschlagskraft in der Offensive erzeugt. Forlán war komplett abgemeldet. Im Endeffekt war die eigene Ballzirkulation zu unkonstant und die Spielidee dann doch zu abhängig von einem einzelnen Spieler.

Fazit II: Antizipator Pékerman

Bei den Kolumbianern konnte James bisher seine Fähigkeit als Zehner sehr gut einbringen und er dominierte im Zentrum. Bei den Urus wäre es gängig gewesen, dass Arévalo ihn manndeckt und direkt verfolgt. Das kann der kompakte Sechser der Celeste sehr stark, nahm beispielsweise Wayne Rooney beim Sieg gegen England gut aus dem Spiel. Pékerman passt sein Team clever an, erhöhte die Präsenz in der vordersten Reihe und ließ James über längere Phasen auf der Außenbahn spielen.

Man muss anmerken, dass er trotz der zwei Treffer nicht derart dominant auftrat. In dieser Formation, die es auch mit Stürmerstar Falcao in der Vergangenheit häufiger gab, wird er einiger Stärken beraubt. Zudem wirkte James etwas passiv, ging teilweise nicht ins Gegenpressing. Cuadrado wies eine höhere Arbeitsrate auf und agierte auch in der Defensive intensiver.

Fazit III: Chaoten gegen die Seleção

Nun steht für Kolumbien das Viertelfinale gegen Brasilien an und sie werden ein schwerer Brocken für den Gastgeber. Auch gegen Uruguay wirkten sie vom Positionsspiel etwas chaotisch und nicht unbedingt organisiert. Aber einerseits sind sie im Pressing, auch in der letzten Linie, so stark, dass sie etwaige Lücken ausgleichen können. Andererseits erschwert es den Zugriff und die richtige Staffelung für den Gegner.

HG 30. Juni 2014 um 12:54

Hmmm… ich hab das eher so gesehen, dass Cavani tiefer verteidigt hat als Forlan. In der Anfangsphase war das Hauptmittel im Spielaufbau von Kolumbien Zunigas Vorstöße durch den rechten Halbraum während Cuadrado für Breite gesorgt hat. Dann hat Cavani den Raum abgedeckt und von da an hat Cuadrado diese diagonalen Dribblings aus dem linken Halbraum gestartet.

Insgesamt musste Cavani vielleicht etwas zu viel Defensivarbeit leisten, wenn man bedenkt, dass er Uruguays gefährlichster Offensivspieler ist…

Aber Kolumbien hat sich wie ihr schon gesagt habt, wieder gut an den Gegner angepasst, auch mit den 2 Stürmern und James. Sie waren mein Geheimtipp vor dem Turnier und wurden dem gerecht. 🙂

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Wasserkocher 30. Juni 2014 um 09:24

„Martínez […] zeigte selten Fallbewegungen“
– es muss ja nicht jeder wie Robben fallen können 😉
Im Ernst: Ich weiß nicht wirklich, was damit gemeint ist …

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CH 30. Juni 2014 um 11:22

sich vom Tor weg und dem Mittelfeld/Ballführenden entgegengehen.

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mh 29. Juni 2014 um 17:51

Bei Pekerman bin ich noch unschlüssig. Die Grundformation eines flachen 4-4-2 wirkt auf mich statisch mit zu linearen Staffelungen in der Offensive. So wie es auf dem Papier aussah, hätte es vermutlich nicht funktioniert. Erst das „Chaos“ durch überraschende Bewegungen einzelner Spieler ergab Überladungen, Dreiecke und insgesamt mehr Zug zum Tor…

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sappydharma 29. Juni 2014 um 18:34

Bin vor allem der Meinung, dass er wieder zu früh auf Defensive umgeschalten, wie schon gegen Cote d Ivoire, von 2006 möchte ich noch gar nicht reden. Eine offensiv bessere, gefährlichere Mannschaft hätte das besser ausgenutzt, bis zum 1:0 von Rodriguez haben sie kaum eine Chance herausgespielt. Wenn uruquay mehr nach vorne orientiert gestartet wäre hätten die Gelben ihre Probs gehabt. Ich glaube nicht, dass das gegen die Brasilianer reichen wird…

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