Schweiz – Ecuador 2:1

In einem taktisch wenig überraschenden Spiel besiegen die Schweizer mit einem Last-Minute-Goal Ecuador. Zuvor hatten sie leichte Probleme im Spielaufbau.

Die Grundformationen

Die Grundformationen

Was gab es nicht alles für taktische Besonderheiten bei dieser WM zu bestaunen. Die Niederländer überraschten mit einem 5-0-5-System, die Dreierkette ist wieder auf dem Vormarsch und die Italiener spielten flexibler denn je. Gut, dass es zwischendurch auch einmal Spiele gibt, in denen wir Taktikanalysten mal durchatmen können. So geschehen bei der Partie Schweiz gegen Ecuador, wo eine Schweizer 4-2-3-1-Formation auf ein breit angelegtes 4-4-2 aus Ecuador traf.

Ecuadorianische Angreifer auf sich gestellt

Aus diesen Formationen heraus entstand in der ersten Halbzeit ein Spiel, das in dieser taktischen Form vor ein, zwei Jahren Bundesliga-Standard verkörpert hätte. Die Ecuadorianer spielten ein Mittelfeldpressing und versuchten, nach einem Ballgewinn die hohen Außenstürmer und die ausweichenden Angreifer auf dem Flügel einsetzen. Sie kamen vor allem über ihre Physis und die Dribbelstärke ihrer Außenstürmer. So spielten sie viele lange Bälle, oft auch diagonal, um ihre Angreifer einzusetzen.

Diese sollten Situationen im Eins-gegen-Eins lösen, während die Außenverteidiger und die Sechser eher behäbig nachrückten. Die Schweizer lösten in der Defensive die direkten Zweikämpfe mit den Ecuadorianern gut. So begann Montero einige starke Dribblings, wurde meist aber im entscheidenden Moment gestoppt. Kombinationen oder Überladungen nutzten die Ecuadorianer jedoch praktisch nie; so konnten sie bis zur Pause nur vereinzelte Angriffe fahren, die sie selten abschließen konnten.

Schweiz (zu?) rechtslastig

Die Schweizer hielten dem eine etwas kombinativere Strategie entgegen. Ihre Ballzirkulation war ruhiger, sie hielten die Bälle länger und warteten auf den richtigen Moment, um gegen Ecuadors 4-4-2 durchzubrechen. Ihr Spiel war leicht rechtslastig. Auf dieser Seite fiel Shaqiri weit zurück, während Stocker auf der gegenüberliegenden Seite sehr hoch agierte. Im Zusammenspiel mit dem weit vorrückenden Lichtsteiner versuchte die Schweiz, über den rechten Flügel Durchbrüche zu erzielen.

Die Rechtslastigkeit der Schweizer war jedoch eher Bürde denn Hilfe. Ecuador wich auf den Flügeln früh zurück, sodass es kaum Raum hinter der Abwehr gab. Behrami schickte dennoch immer wieder Lichtsteiner hinter die Abwehr, dieser fand aber nicht den nötigen Raum für sein Spiel vor. Er erwischte offensiv einen schwachen Tag, legte sich einige Bälle vor und schlug einige seiner berühmt-berüchtigen Flanken hinter das Tor.

Die offensiven Probleme der Schweizer wurden vor allem nach dem 0:1-Rückstand (natürlich nach einem Standard) deutlich. Die rechte Seite war wesentlich präsenter, spielte aber gefühlt immer einen Tick zu schnell. Die Kombinationen waren nicht gut vorbereitet, Behramis Diagonalbälle damit wirkungslos. Zudem fehlte die Unterstützung für Lichtsteiner.

Etwas stärker wurden die Schweizer, als Shaqiri nach rund einer halben Stunde öfter in den halblinken Raum auswich. Hier hatte er eine bessere Anbindung an seine Kollegen, zumal Rodriguez nicht so extrem hoch spielte und dadurch nicht so leicht auf dem Flügel isoliert werden konnte. Auch war Inler in seinem Passspiel etwas kluger als Behrami und streute einige gute Vertikalpässe, aber auch viele sichere Zuspiele ein.

Kleiner Wechsel, große Wirkung

Formationen nach der Pause

Formationen nach der Pause

Nach der Pause intensivierten die Schweizer ihr Spiel über links. Der eingewechselte Mehmedi (kam für Stocker) interpretierte seine Position etwas tiefer als Stocker, der oft verloren an der letzten Linie stand. Zudem spielte Shaqiri nun von der Grundposition her auf der Zehn, Xhaka ging auf die rechte Seite. Die Kombinationen über links gewannen jetzt an Fahrt, zumal Mehmedi sich klug im Halbraum positionierte und Rodriguez etwas weiter (aber nicht zu weit) aufrückte.

Angenehmer Nebeneffekt: Die Schweiz bespielte seltener Gruezos Seite, der sich besonders nach Ballgewinnen sehr passsicher zeigte. So gewannen die Schweizer etwas an Wucht im Gegenpressing, Ecuador befreite sich jetzt hauptsächlich über lange Bälle. Auch nach dem Ausgleichstreffer nach einem Standard (48.) waren die Schweizer noch einige Minuten sehr dominant.

Erst danach setzten die Ecuadorianer wieder auf ein früheres Pressing und brachten mehr Spieler vor den Ball. Die Außenverteidiger starteten nun einige diagonale Vorstöße, während die Außenstürmer weiter die Breite hielten. Doch Ecuadors Spiel blieb weiterhin stark auf die Einzelspieler und auf Flügelattacken ausgerichtet. Nur erwischte Antonio Valencia keinen starken Tag und Montero rieb sich bereits vor der Pause auf, sodass er völlig entkräftet ausgewechselt werden musste. Die Folge war, dass Ecuador vor allem über Standards Gefahr ausstrahlte.

Die Schlussviertelstunde wurde wieder etwas hektischer. Ecuador stellte auf ein 4-4-1-1 um und achtete nun darauf, die Rückpasswege zu den tiefen Sechsern der Schweizer besser zu verhindern. Die Schweizer konnten den Ball nicht mehr so ruhig und kontrolliert zirkulieren lassen, was ein schnelleres Spiel zur Folge hatte. Beide Teams neutralisierten sich mit ihren Formationen und rieben sich in zahlreichen direkten Zweikämpfen auf.

Zudem schwanden die Kräfte auf beiden Seiten; gerade die Außenverteidiger waren nach ihren Vorstößen nicht sofort wieder auf ihren Positionen. So gab es in der Nachspielzeit direkt hintereinander zwei Torszenen, nachdem zuvor die Außenstürmer hinter die Außenverteidiger gelangten: Zunächst verpasste Ecuador eine große Möglichkeit, im Gegenzug traf der eingewechselte Seferovic nach einer Flanke. Die Schweiz drehte damit das Spiel – es hätte aber auch genauso gut andersherum ausgehen können.

Fazit

Ecuador dürfte nach dieser Niederlage Probleme bekommen, das Achtelfinale zu erreichen. Ihr Aufbauspiel gibt wenig Anlass zur Hoffnung für die nächsten zwei Spiele. Gegen die Schweiz verließen sie sich auf ihre Physis und die Stärke ihrer Außenstürmer – das könnte in dieser Gruppe am Ende zu wenig sein. Auf jeden Fall aber haben die Ecuadorianer die Vorfreude auf das Spiel gegen Honduras enorm gedämpft; hier treffen die zwei bisher destruktivsten Teams des Turniers aufeinander.

Die Schweiz rief im erste Gruppenspiel noch nicht ihr volles Potential ab. Viele Spieler waren mäßig bis gar nicht eingebunden, darunter der viel zu hoch agierende Stocker oder auch Stürmer Drmic. Erst als die Schweizer sich von ihrem Rechtsfokus verabschiedeten, strahlten sie mehr Torgefahr aus. Gegen Frankreich werden die Karten aber wieder neu gemischt; die Schweizer können sich dort mehr als Kontermannschaft versuchen und werden weniger für das Spiel tun müssen.

Quotenraute 16. Juni 2014 um 11:30

Wie war denn der allgemeine Eindruck von Gruezo? Es wurde ja im Artikel erwähnt, dass ein angenehmer Nebeneffekt der Hereinnahme von Mehmedi die Tatsache war, dass seine Seite weniger bespielt wurde. Habe die erste Hälfte nicht intensiv verfolgen können, wie hat er sich da so geschlagen?

Antworten

CF 16. Juni 2014 um 12:08

MR zu Gruezos Leistung auf Twitter: “ Gruezo bisher Spieler des Turniers. Gegner überlädt die Mitte, hat über 60% Ballbesitz, presst 4-4-1-1. Gruezo Passqoute 95%“

Antworten

mh 16. Juni 2014 um 12:32

Im laufenden Spiel sehr stark, dann halt leider bei der Ecke gepennt.
Dazu eine allgemeine Frage an SV: Standards gehören ja auch zum Fussball und sind bei solchen Turnieren oft in engen Spielen entscheidend.
Geht Ihr auf die taktischen Varianten (defensiv: Mann/Raum/Kombi; offensiv: direkt/ablegen/kurz etc) bei Standards grundsätzlich nicht so ein??

Antworten

Quotenraute 16. Juni 2014 um 13:37

Danke für die Einschätzung. Zur Ecke, hab mir die nochmal angeschaut, war nicht sein Fehler. Gruezo hat sich von Anfang an hinter Mehmedi orientiert. Ein weiterer Spieler (Antonio Valencia war es glaub) war vor Mehmedi postiert. Als die Ecke reingeschlagen wurde hat sich dieser Spieler dann verschätzt und ist unter dem Ball durchgeflogen. Sieht man sich die Szene paar Mal an denke ich, dass es gewollt war, dass Gruezo hinter Mehmedi stand und wenn er hinter Mehmedi steht kann er mit dem Größenunterschied kaum was ausrichten.

Antworten

SCP-Poker 16. Juni 2014 um 23:32

Fairerweise muss man sagen, dass er <20 Pässe gespielt hat. Dazu 2/4 Tacklings gewonnen. Er hat wohl schon bessere Spiele gemacht.

Antworten

Maratonna 16. Juni 2014 um 10:58

Die Ballzirkulation aus dem zentraldefensiven Raum war wirklich extrem behäbig, um dann trotzdem( Behrami) noch bei Sicherheitspässen den Ball zu verlieren. Zudem keinerlei Bewegung, Anspielstation. Hätte Hitzfeld Stocker nicht anweisen müssen tiefer zu spielen? Nach der Pause war’s mit Mehmedi besser, würde mir die Schweiz lieber im 4411 wünschen. Drmic und Admir hängend dahinter. Klar gegen stärkere Teams wird es natürlich wieder ein anderes Spiel.

Antworten

Backville 16. Juni 2014 um 10:50

Also ich bin mir fast sicher das ZDF Kommentator Poschmann euer wm heft als Vorbereitung auf das spiel genutzt hat, ich habe beide Teams direkt vor dem spiel gelesen und hab da ganz viele parallelen gehört gerade als er sagte hier sieht man gut die vielen dreiecke die das spiel der Schweizer prägen war ich mir sicher oder aber der man ist sehr kompetent!

Antworten

Sasa 16. Juni 2014 um 11:32

Ist mir auch schon bei den anderen Spielen, die er kommentiert hat, aufgefallen! 😀

Antworten

MorataBVB 16. Juni 2014 um 11:40

Kann ich bestätigen, ist mir beim Chile-Spiel gegen die Aussies auch schon aufgefallen. Gerade zu Beginn des Spiels sagt er zu den Mannschaften immer das, was auch im WM-Heft steht (Ecuador 4-4-2 mit Flügelfokus und starker Physis, Kommentare zu Hitzfeld als Trainertyp) und während des Spiels die Kurzcharakteristiken der Spieler. Hut ab, Poschi, dessen Stärken ja sonst eher beim Eisschnelllauf liegen.

Antworten

mrb 16. Juni 2014 um 11:46

Poschi braucht das nicht lesen, der ehemalige Langstreckenläufer sieht das!

Antworten

blub 16. Juni 2014 um 08:58

Manchmal ist es ganz nett mal wieder bekannte standard-abläufe zu sehen.

Allerdings: wenn bei der Schweiz Shaquiri(!) weit zurückfallen muss um das spiel aus der tiefe anzukurbeln ist das kein gutes zeichen für die qulität der ballzirkulatoren.

Antworten

Thomas 16. Juni 2014 um 07:54

Ich hab leider nur die zweite Hälfte gesehen… fand es in einigen Situtationen fast schon zu einfach für die Schweizer, in den Zwischenlinienraum zu kommen. Mit ein paar Ungenauigkeiten haben sie dann aber oft genau dort den Ball verloren.

Antworten

fs984 16. Juni 2014 um 09:49

Dies ist mir auch schon in der ersten Halbzeit aufgefallen. Die Schweizer haben sehr viel weniger daraus gemacht, wie ich ihnen zugetraut hätte. Obwohl das Tempo langsam war, fehlte ihnen die Ruhe am Ball. Häufig gab es Szenen, in denen ich als Laie den einfachen Pass auf den besser positionierten Mann sah, die Spieler aber irgendwie nicht. Besonders Inler hatte überraschenderweise viele unnötige Ballverluste.
Von der Offensivreihe gab es in vielen Phasen im Spiel zu wenig Freilaufbewegungen und das Spiel erinnerte an Standfussball. Ich glaube nicht, dass es an der Hitze lag. Es hatte 22 Grad und 50% Luftfeuchtigkeit. Auch wenn Hitzfeld in den Interviews vor dem Spiel immer wieder darauf hinwies aufgrund der Temperaturen solle man Tempo aus dem Spiel nehmen.

Kritisch sehe ich die IV der Schweizer, sie war sehr behäbig im Spielaufbau. Daher bin ich auf das französische Pressing gespannt. Die beiden lassen sich recht schnell unter Druck setzen. Die langen Bälle auf den Flügel nach vorne waren quasi fast immer Ballverluste.

Antworten

mh 16. Juni 2014 um 02:22

Die Flanke zum 2:1 kam von Rodriguez, wie auch der Pass zum zu Unrecht annullierten Tor. Starkes Spiel von ihm, auch tolle Passquote. Ohnehin liefen nach der Pause die meisten Angriffe über links, was ein Erfolgsfaktor war. Ansonsten stimme ich zu!

Antworten

Schreibe einen Kommentar zu Thomas Antworten abbrechen

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

*