Euro-League-Finale: Sevilla F.C. – S.L. Benfica 0:0

In einem taktisch interessanten Finale der Euro League gewinnt die Kompaktheit mit einem überzeugenden 0:0 gegen die spielerischen Ansätze, die letztlich zu selten zu ihrer vollen Konsequenz fanden. Der Titel gehört am Ende wie immer Sevilla und nicht Benfica.

EL Finale 2014 - GrundformationenIm Finale der Euro League trafen zwei Mannschaften aufeinander, die mit und gegen den Ball klare Ideen verfolgten und sich dabei stärker auf die Aufbauphasen konzentrierten als auf die Umschaltmomente. Dadurch entstand ein Spiel mit sehr hohem Mittelfeld-Anteil, vielen kompakten Szenen und interessanten Strukturen. Die beiden weit auffächernden Teams kamen aus ihrer guten Ballzirkulation aber nur selten in die gut organisierte gegnerische Kompaktheit der höheren Mittelfeldzonen hinein, sodass die Partie letztlich torlos blieb.

Die wichtigsten personellen Entscheidungen gab es im zentralen Mittelfeld. Ivan Rakitic, der sich zu Sevillas wichtigstem Leistungsträger entwickelt hat, startete im offensiven Mittelfeld des 4-2-3-1-Systems und nicht als Sechser. Jorge Jesus entschied sich in Abwesenheit seines wichtigen Achters Enzo Perez, den nominellen Sechser Andre Gomes mit der offensiveren Rolle im Zentrum zu betrauen, während der passstarke Ruben Amorim den tieferen Spieler gab; da Benficas System oft in Richtung eines 4-1-3-2 tendiert, ist diese Unterscheidung beim portugiesischen Doublesieger noch deutlich klarer und bedeutsamer als bei normalen 4-4-2-Mannschaften.

Extremes Auffächern von Sevilla

Der FC Sevilla konnte in den ersten 45 Minuten etwas mehr Dominanz erzeugen als der Vorjahresfinalist aus Portugal. Das erreichten sie unter anderem mit einer sehr klaren Abkippbewegung bei eigenem Ballbesitz. Daniel Carrico fiel konstant zwischen die Innenverteidiger, Rakitic fiel auf dessen Position zurück und die Außenverteidiger rückten auf. Die beiden Flügelspieler orientierten sich Richtung Zwischenlinienraum. So ließen sie den Ball in einer recht klaren 3-4-2-1-Ordnung zirkulieren.

Grundordnung bei Ballbesitz Sevilla

Zu Beginn der beiden Halbzeiten bekam Benfica guten Zugriff auf diese weiträumige Aufbauformation, indem sie ein aggressives Angriffspressing praktizierten. André Gomes rückte zur Unterstützung weit auf, vereinzelt sogar bis zwischen die Stürmer. Die Flügel rückten etwas ein und die Abwehr, sodass Benfica auch guten Zugruff auf zweite Bälle hatte, wenn sich Sevillas Dreierkette mit langen Bällen befreite.

Als sich die Portugiesen dann etwas tiefer positionierten bekam Sevilla mehr Präsenz und brachte Rakitic öfter ins Spiel. Besonders wenn er Diagonaldribblings durch das Zentrum anziehen konnte, entstand viel Dynamik, die für Benfica nicht so leicht zu kontrollieren war. Letztlich fehlte es Sevillas aber an Verbundenheit zwischen den drei Angriffsspielern. Bacca ließ sich vereinzelt für Ablagen in den rechten Halbraum zurückfallen, war ansonsten aber nicht gut eingebunden und agierte etwas statisch. Vitolo agierte sehr druckvoll in die Spitze, was aber nicht so gut zum sonstigen Angriffsrhythmus von Sevilla passte. Dadurch hatte Reyes in seiner potentiell wichtigen Rolle an den Ränden des Zehnerraums wenig Möglichkeiten; das änderte sich auch nicht, wenn er phasenweise mit Vitolo die Positionen tauschte.

Benficas defensive Flexibilität

Hauptsächlich funktionierte jedoch Benficas Defensive sehr gut. Die gute Kollektivität und Flexibilität führte in den entscheidenden Verbindungsräumen zu guten lokalen Kompaktheiten. Die 4-1-3-2-Rollenverteilung hatte daran einen Anteil. Zwar ist diese Ordnung nach dem Abgang Matics nur noch selten klar zu erkennen – meist agieren die Sechser auf einer Höhe –, doch im Verschieben und der Reaktion auf gelungene gegnerische Aktionen zeigt sich die Systematik zuweilen; außerdem ist Benficas Dreiecksbildung zum Ball intuitiver. So schoben Amorim und Gomes manchmal unabhängig voneinander weit zum Ball oder rückten in diagonale Stellungen. So konnten sie sehr effektiv die äußeren Halbraumbereiche zustellen und die Verbindungen zu Rakitic und den eingerückten Flügelspielern sperren, wenn Sevillas Außenverteidiger am Ball waren.

Zudem reagierten sie passend auf Lücken innerhalb des Mittelfeldes, die sich immer mal wieder kurzzeitig auftaten. Sevillas vorstoßende Außenverteidiger wurden bei Vorstößen in höhere Zonen von Gaitán und Sulejmani in eingerückter Stellung verfolgt; wenn sie bis in die letzte Linie durchgingen, fielen Benficas Flügel sogar in eine Fünferkette neben die Außenverteidiger zurück. Einer der beiden zentralen Spieler rückte dann in die Lücke zur Seite, während der andere das Zentrum sicherte. In solchen improvisierten, etwas unkompakten Szenen verhielten sie sich sehr sauber innerhalb der Räume und nahmen Tempo aus der Situation.

Sevilla konnte diese Momente aber auch aufgrund der Mittelfeldbewegungen nicht ganz effektiv ausnutzen. Mbia und Rakitic hatten kaum Interaktion, sondern fokussierten sich auf ihre jeweilige Seite. So fiel Rakitic sogar manchmal auf die Außenverteidiger-Position zurück und forderte von dort den Ball. Dadurch entwickelten sich Sevillas Angriffe sehr langsam und „flach“ nach vorne, sodass Benfica immer wieder Zeit zum nachschieben bekam. Durch die tiefe Präsenz der Mittelfeldakteure und die klare Raumaufteilung hatten die Spanier aber zumindest eine gute torseitige Staffelung nach Ballverlusten, sodass Benfica keine Konter auslösen konnte und damit auch keine Chance bekam, die hohe Stellung der Außenverteidiger auszunutzen.

Zentrumsfokus vs Zentrumsfokus

EL Finale 2014 - Ballbesitz Benfica

Grundordnung bei Ballbesitz Benfica

Beim Spielaufbau von Benfica entwickelte sich sogar ein noch kompakteres Spiel, wobei sich die Seiten strategisch ähnelten. Sevilla zeigte sich wie Benfica recht beweglich im Zentrum, wo Rakitic hinter Bacca eine sehr gute Leistung gegen den Ball ablieferte. Aufgrund seiner linksseitigen Grundposition, schob bei Bedarf auch Mbia neben ihn heraus. Diese Anpassungsfähigkeit war aber nur ein kleines Sahnehäubchen auf Sevillas hervorragender Grundkompaktheit. Die beiden Flügelspieler verteidigten sehr eng vor der Doppelsechs; oft entsprach die Ordnung einem echten 4-2-3-1 (nicht dem häufigeren 4-4-1-1).

Das führte dazu, dass Benfica sich sehr schwer tat, ins Zentrum zu kommen, von wo sie normalerweise ihr Spiel entwickeln. Das lag auch an der fehlenden Präsenz im Sechserraum: Amorim kippte sehr häufig nach links oder (seltener) zwischen die Innenverteidiger und Gomes reagierte darauf zu unpräsent. Auf dem Papier hätte er der entscheidende Verbindungspunkt sein müssen, doch Rakitic konnte ihn gut vom Spielgeschehen abschneiden.

So liefen Benficas Angriffe meist über die relativ offenen Flügelbereiche an. Dort nutzten sie die Räume aber nicht vertikal aus, sondern versuchten die Verbindung ins Offensivzentrum herzustellen. Dadurch konnte Sevilla die Situationen mit ihrer engen Kompaktheit zuschieben. Rollenverteilung und strategische Ausrichtung von Benfica passten – aus Sicht der Portugiesen – nicht gut zu der engen Ausrichtung Sevillas.

Benfica mit wenig Präsenz in Verbindungsräumen

Rechts entwickelte sich zu wenig Dynamik, da Sulejmani die Bälle sehr breit forderte und Pereira erst später nachrückte. Da Moreno sehr frühzeitig herausrückte und Fazio hinter ihm gut gegen die ausweichenden Bewegungen von Lima absicherte, hatte Sevilla dann bequeme Überzahl; Rakitics Grundposition tat ihr übriges. Dass der mäßig kreative Pereira eine Position nach vorne beordert wurde, nachdem Sulejmani in der 25. Minute verletzt vom Platz musste, half dabei auch nicht.

Links gab es mehr Räume für Benfica, aber zu wenig Unterstützung für das potentiell sehr kreative Päärchen Siqueira und Gaitán. Dabei machte sich das Fehlen eines nominellen Zehners bemerkbar; die Bewegungen von Rodrigo waren etwas zu unpräsent und attackierend angelegt, sodass er meist hinter dem gegnerischen Mittelfeldblock isoliert war. Amorims tiefe Rolleninterpretation und Gomes‘ Orientierung auf halbrechts legten die Verbindungen ins defensive Mittelfeld lahm. Passenderweise entstand Benficas größte Chance der ersten Halbzeit, als Amorim aus der herausgekippten Stellung aufrückte und sich gleichzeitig Gomes mit nach links orientierte, sodass Amorim nach einer Ablage von Siqueira ungestört einen hohen Ball hinter die Abwehrlinie auf den einlaufenden zirkeln konnte.

Die fehlende Präsenz in den Sechserräumen sorgte auch für eine zu langsame Zirkulation in der Horizontalen, was Sevilla das Spiel mit der Kompaktheit sehr erleichterte. So blieben Benficas diagonale Ansätze meist im zweiten Drittel hängen und ihre außergewöhnlichen Qualitäten innerhalb des Angriffsdrittels kamen kaum zur Geltung. (Wobei es beim aktuellen taktischen Stand des Fußballs eigentlich beinahe ein Lob verdient hätte, dass eine Mannschaft mal zu diagonal ausgerichtet ist.)

Gefahr durch Konter

Obwohl sich beide Mannschaften so sehr auf ihren Spielaufbau fokussierten, entstanden dann die gefährlichsten Szenen nach Kontern. Im ersten Durchgang gab es diese vor allem von Seiten Sevillas. Nach Balleroberung hatte Rakitic eine bessere Grundposition für seine Diagonaldribblings und zudem zeigte Vitolo ein sehr explosives Umschaltverhalten.

In der Halbzeitpause dachten sich dann anscheinend beide Trainer, dass man das ambitionierte Aufrücken des Gegners ja durchaus mal bespielen könnte, sodass die Mannschaften mit deutlich vertikaleren Ansätzen aus der Kabine kamen. Daher entwickelte sich zu Beginn des zweiten Durchgangs ein sehr hektisches Spiel. Zuweilen gab es doppelte Umschaltmomente, bei denen ein gefährlicher Gleichzahlkonter auf den nächsten folgte.

Beide Hintermannschaften zeigten sich jedoch recht geschickt in der Endverteidigung und zudem wurden die Gegenstöße auf beiden Seiten nun oftmals zu vertikal ausgespielt. Mehrfach wurden überfrühte Hereingaben vor das Tor gespielt oder sehr schnell der Abschluss gesucht, anstatt die Räume mit Verlagerungen, Rücklagen oder Kombinationen sauber auszuspielen.

Benfica kommt sukzessive ins Spiel

Das Spiel beruhigte sich dann gegen Ende der regulären Spielzeit wieder. Indes kam Benfica immer besser in die Partie, weil Sevillas Intensität nachließ und sie sich etwas an die gegnerische Defensivarbeit anpassen konnten. Amorim kippte im zweiten Durchgang nicht mehr nach links, sondern hauptsächlich in die Mitte. Von dort verteilte er längere Bälle nach außen und zeigte auch mal Vorstöße mit Ball. Dadurch kam Sevilla schneller in die Flügelräume hinein.

Diese spielten sie nun auch fokussierter aus. Links hielt Gaitán nun stärker die Linie, sodass klarere Spielzüge entlang der Seite oder Verlagerungen nach kurzen Dribblings möglich waren. Von rechts kamen nun öfter lange Diagonalbälle in die Spitze, wo sich Lima öfter ballfern absetzte. So wurde die Problemzone des Mittelfeldzentrums besser überspielt und beide Stürmer kamen besser in die Partie.

In der Verlängerung – vor allem der finalen Viertelstunde – stellte Sevilla das Mittelfeldpressing auch ein und zog sich in ein weniger laufintensives Abwehrpressing zurück. So bekam Benfica noch einmal die Chance, die typischen Offensivstärken konstanter in die Waagschale zu werfen. Sevilla löste diese Phase aber gut, indem sie Vorstöße aus dem Mittelfeld mannorientiert verfolgten und dadurch immer wieder entscheidend Dynamik aus den Angriffen nahmen. Der eingewechselte Cardozo zeigte sich außerdem formschwach. So reichte die Zeit nicht mehr für einen Treffer.

Fazit

Es war ein Spiel, das nicht leicht zu bewerten ist. Beide Mannschaften machten viele Dinge richtig, hatten aber auch ganz entscheidende Schwächen, die dann dazu führten, dass das 0:0 irgendwie zur Partie passte. Dennoch war das Spiel deutlich interessanter und hochwertiger, als es wohl in Erinnerung bleiben wird. Die Finalisten machten deutlich, dass sie verdient in diesem Endspiel standen.

Insgesamt hatte die Mannschaft von Jorge Jesus wie bereits im letztjährigen Finale das Chancenplus auf ihrer Seite. Doch Abschlusspech, mehrere heikle Strafraumsituationen, die zu Gunsten Sevillas ausgelegt wurden, und das Elfmeterschießen kosteten sie erneut den Titel. Benfica kann wohl einfach nicht gegen Marko Marin gewinnen.

HW 16. Mai 2014 um 13:32

Frage zur situativen Fünferkette von Sevilla. Warum wird davon ausgegangen, das dieses und das Verhalten der zentralen Spieler improvisiert und nicht geplant ist?

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MR 16. Mai 2014 um 16:05

Benfica hatte die Fünferkette und das „improvisiert“ bezog sich auf die recht freie Reaktion in diesen Szenen, nicht auf das Zurückfallen der Flügel.

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HW 16. Mai 2014 um 16:09

Ich meinte auch Benfica. Man ein Kurzzeitgedächtnis wie ein Sieb.

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LM 16. Mai 2014 um 12:23

Ein wirklich interessantes Finale, wie ich fand, danke für den Artikel!
Benfica hatte wie ich fand oft eine zu flache Staffelung an der letzten Linie, der 10erraum war nicht besetzt und so konnten die Diagonalbälle eigentlich nirgendwo ankommen. Im Sinne einer hohen Zentrumskompaktheit finde ich so ein echtes 4-2-3-1 gegen den Ball wirklich stark, sollte man öfter mal auspacken 😉

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HW 16. Mai 2014 um 08:41

Marko Marin als Reinkarnation von Béla Guttmann.

Da die Entscheidung nach dem Spiel im Elfmeterschießen ermittelt wurde möchte ich kurz darauf eingehen.

Elfmeterschießen ist auch immer ein psychologisches Duell. Die Spieler von Benfica machten direkt nach dem Abpfiff auf mich den Eindruck niedergeschlagen zu sein weil sie es nicht geschaft haben Sevilla zu schlagen.
Bei den Elfmetern war dann auch zu sehen, dass Sevilla mit Überzeugung diese Chance nutzen wollte. Selbst der Torwart sprang voller Selbstbewusstsein nach vorne aus dem Tor. Das war zwar regelwidrig, wurde aber nicht geahndet.
Die Schützen von Benfica dagegen verzettelten sich in verzögerten Anläufen – eine Unsitte, die von Trainern unterbunden werden sollte – vergaßen in ihrer Niedergeschlagenheit aber gegen Betos Aktionen zu protestieren.

Benfica hat natürlich nicht aufgrund eines Fluchs verloren, sondern weil sie nicht von sich überzeugt waren. Sevilla dagegen überzeugt durch Konsequenz und Selbstvertrauen ohne dabei Arrogant zu werden.

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rodeoclown 16. Mai 2014 um 09:12

Doch, das war schon der Fluch. Immer diese haltlosen Mutmaßungen über Psychologie hier auf der Seite…

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HW 16. Mai 2014 um 11:30

Guttmann muss wohl mal ausgebuddelt werden. Ich denke Benfika wartet entweder bis die 100 Jahre um sind oder sie schneiden sich Wappen und Vereinsnamen aus dem Trikot, bzw. benennen sich offiziell um damit der Geist von Guttman sie nicht findet.

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