Atleticos Defensivleistung auf katalanischem Boden
Das 1:1 im Nou Camp war wie ein Sieg für Atletico Madrid. Gegen den Ligarivalen FC Barcelona gelang im Viertelfinal-Hinspiel erneut eine ansprechende Leistung in puncto Defensivorganisation und Angriffspressing. Einige wenige Aspekte des spanischen Duells in der Champions League:
Die statistischen Fakten sprachen eine eindeutige Sprache. Nach neunzig Minuten Spielzeit wies Barcelona einen Ballbesitzanteil von 71 Prozent, eine Passquote von 90 Prozent und eine Schussverwertungsquote von 5,2 Prozent auf. Tata Martinos Mannschaft gelang phasenweise nicht der Durchbruch in den 16er von Atletico oder die Katalanen scheiterten an Thibaut Courtois. Ein wunderschöner Abschluss des eingewechselten Diego sorgte sogar für die zwischenzeitliche Führung der Gäste, die sich hauptsächlich darauf konzentrierten, dem zentrumsfokussierten Spiel Barcas den Raum zu entziehen.
Die Anfangsphase war noch von hohen Pressingbemühungen der Gäste geprägt, die mehrmals versuchten, mit der ersten und sogar zweiten Linie bis zur gegnerischen Strafraumlinie aufzurücken und im Loch zwischen den beiden Innenverteidigern auf einen abkippenden Akteur Druck auszuüben. Zudem wird Jose Manuel Pinto bis zum Ende der Saison Victor Valdes ersetzen. Der 38-Jährige langjährige Ersatzmann konnte auch in diesem Spiel rasch als Unsicherheitsfaktor ausgemacht werden. Das komplette Aufbauspiel im ersten Drittel änderte sich für Barcelona durch diesen Personalwechsel.
Ab der 20. Minute nahm der Druck der Hausherren zu und Atletico wurde zunehmend in der eigenen Hälfte eingeschnürt, sodass sie sich in erster Linie auf Raumverknappung konzentrierten und situativ einen Barca-Spieler einkreisten, aber im Anschluss sofort wieder in die Grundausrichtung zurückkehrten, sofern keine Balleroberung gelungen war. Entlastungsangriffe fanden nur noch selten statt. Dafür agierten sie wie üblich im Mittelfeldband, verschoben allerdings nicht konstant und derart asymmetrisch, wie es in dieser Saison bereits zu beobachten war.
Trotzdem tendierte Arda Turan stets dazu bei einer Ballverlagerung Barcas auf seinen Flügel stärker in Richtung Seitenlinie zu schieben, während Koke auf der anderen Seite oftmals als ballferner Akteur intensiver ins Zentrum ging und sich nahezu in einer Vertikale zum Anstoßpunkt platzierte. Situativ deckte er sogar den abgekippten Messi. Dafür rückte Filipe mannorientiert auf, wenn Neymar oder auch Alba, sofern Neymar in den Halbraum ging, in höherer Position an der Seitenlinie angespielt wurden. Dadurch stand die letzte Reihe in manchen Szenen für wenige Augenblicke halbseitig etwas breiter und offener, wobei das engere Mittelfeldband den Abstand so gering zur Abwehrkette hielt, dass die Halbräume trotzdem bewacht wurden.
Insgesamt machte es Barcelona den Colchoneros auch zuweilen zu einfach. Auf der linken Seite gingen sie in aller Regel eine 2-2-Konstellation ein. Rückte Iniesta ins Zentrum, kippte Fabregas heraus. Somit konnten sie die Mannorientierungen selten brechen. Ein weiteres Mittel der Gäste aus der spanischen Hauptstadt sollte an dieser Stelle nicht unerwähnt bleiben: Härte. Entweder im Rahmen der Regeln oder auch darüber hinaus. Bereits im Hinrundenspiel der beiden Mannschaften in der spanischen Liga ging Atletico hart zur Sache. Auch an diesem Champions-League-Abend im Nou Camp nahmen sie kleine taktische Fouls mit in ihr Repertoire auf. Insgesamt 24mal pfiff der Schiedsrichter. Noch vor der 60. Minute hatten drei der vier Spieler der Mittelfeldreihe die gelbe Karte gesehen.
Warum konnte Atletico den Sieg nach dem Distanzschusstor von Diego nicht nach Hause bringen? In der 71. Minute traf Neymar zum Ausgleich. Diesem Treffer waren zwei Wechsel vorausgegangen. Einerseits nahm Martino Fabregas vom Feld und brachte Alexis Sanchez, wodurch Neymar auf die linke Seite rückte. Zum anderen war gerade in der 70. Minute Villa für Jose Sosa vom Feld gegangen. Atletico konstituierte sich noch im neuen 4-5-1. Arda verlor auf der linken Seite den Ball beim Herauslaufen aus dem eigenen Defensivdrittel. Busquets passte sofort nach links auf Nebenmann Iniesta. Die beiden Innenverteidiger ließen eine Lücke zu Juanfran. Gabi und der gerade eingewechselte Sosa blieben gegen Iniesta eher passiv und wurden durchspielt.
Bis zum Schlusspfiff blieb Atletico in der 4-5-1-Formation und konnte das Ergebnis über die Zeit bringen. Die auffälligsten Probleme hatten die Madrilenen in der zweiten Halbzeit mit Iniesta, der einerseits einen großen Präsenzraum hatte und zugleich als einer der wenigen Barca-Akteure sich im Dribbling (sechs erfolgreiche) in manchen Situationen durchsetzen konnte. Der Raum zwischen den beiden Viererketten war meist verwaist. Konnte einmal der Durchbruch durch den Raum von Gabi und Tiago gelingen, kamen die beiden Innenverteidiger in Schwierigkeiten. Allerdings blieb das doch eher die Seltenheit. Im Duell der beiden argentinischen Trainer wird die Rollenverteilung wohl auch im Rückspiel klar sein. Atletico tritt dann mit dem Vorteil des Auswärtstreffers im heimischen Vicente Calderon an.
13 Kommentare Alle anzeigen
Zack 3. April 2014 um 13:12
Martino hat wie zuvor in den Big Games das 4er Mittelfeld aufgeboten um auf totale Spielkontrolle und Ballbesitz zu kommen. Bis auf die die Chance von Villa, die eher dem Fehlpass Pintos geschuldet war, hatte man Atleti ziemlich gut im Griff. Ich denke die meisten wissen, dass Barca sich selbst aus solchen Situationen spielerisch befreien kann, als Atleti da zustellte, hat man auch öfters sehen können.
Die einen sagen, Atleti hat hier gewonnen, ich sage nein. Denn wenn Diegos Tor nicht fällt, stets 0:0 und damit ist Barcelona klar im Vorteil fürs Rückspiel. Dass der Druck gegen Ende zunehmen würde war klar, nach dem Ausgleich hat Atleti ziemlich gewackelt für 10 Minuten und das 2:1 lag in der Luft. Gegen Ende haben sie sich dann wieder gefangen.
Von all den CL „Klassikern“ (Chelsea, Inter) war Atleti hier die am wenigsten gefährliche Kontermannschaft und das lag nicht am Fehlen Costas, sondern eher daran, dass sie bewusst nicht aufgerückt sind über die Außen, da Barcelona dies in der Saison auszunutzen weiß.
Bei aller taktischen Analyse wird hier gerne vergessen, dass man den Kettenverbund einfach nicht so leicht „knacken kann“ wie das manche hier gerne sehen wollen. Bayern hat es auch nicht geschafft, trotz großer Zielspieler, die Barca nicht hat. Wenn Fellaini nicht pennt und draufgeht kommt das Schwein nicht zum Abschluss und United gewinnt vermutlich 1:0.
Wie Michael Cox sagen würde, „Barcelona need to unlock the block“. Im Normalfall werden sie 2-3 Chancen im Rückspiel bekommen ihr Tor zu machen, wenn es gelingt wird die Frage sein was Atleti dann macht, dann wirds richtig spannend. Habe diesmal aber iwie ein schlechtes Gefühl.
Die Konstellation mit 1:1 Hinspiel zuhause hatten wir noch nie bei Barca.
Vermutlich wird man mit einem „echten“ 4-3-3 starten ohne Cesc um die Flügel zu überladen bzw. situativ im 3-4-3 a la Dani vs Milan 2013. Costa wird spielen, das sind nur „Mindgames“.
Naja wir werdens ja sehen Freunde
Bernhard 3. April 2014 um 12:46
Kleiner Fehler: Korrekt heißt es Camp Nou. Die Reihenfolge ist bei dir falsch.
Ansonsten danke für diese Analyse,sie ist ganz gut gelungen.
DonQ 3. April 2014 um 12:25
Also mich hat die Vorstellung von Barca (trotz des „schlechten“ Resultats) überzeugt. Sie hatten mehr Torchanchen, haben fast nichts zugelassen und dies gegen eine der besten Klubmannschaften. Sollte man in die Halbfinals eindringen, ist für mich Barca sogar Hauptfavorit für den Championsleague Titel…
Thomas 3. April 2014 um 07:12
Beim ersten Bild verstehe ich entweder die Deckungsschatten nicht, oder zwei sind spiegelverkehrt und der dritte überflüssig 😉
CE 3. April 2014 um 09:10
Das soll die Blickrichtungen/Sichtfelder andeuten.
Magic_Mo 3. April 2014 um 01:28
Ich sehe das auch so, dass Barça dieses Spiel normalerweise gewonnen hätte… dennoch ist es offenkundig, dass sich Tata Martinos Mannen gegen die im Mittelfeld enge 4-4-2-Ausrichtung extrem schwertun und es ihnen nicht gelingt, sich formative Vorteile zu erspielen.
Ich denk die ganze Zeit daran rum, wie Martino diese Herangehensweise von Atlético auscoachen könnte… Halbfeldflanken auf Zielstürmer sind ekelhaft und für Barcelona auch nicht machbar.
Das, worauf ich bisher gekommen bin, wäre eine grundsätzliche Anlage im 3-4-3 oder 3-4-1-2 mit einem Fokus auf Flügelüberladungen, um entweder zur Grundlinie bzw diagonal hinter den Außenverteidiger zum Tor durchzubrechen oder aber schnell in die Halbräume zu kommen.
Für letzteres verschiebt Atlético aber zu konsequent….
Fällt euch was anständiges ein?
TW 3. April 2014 um 09:54
RM hat dazu schon einmal was geschrieben: http://www.abseits.at/fusball-international/spanien/atletico-madrid-und-katalanische-grenzen-haette-barcelona-das-ueberraschungsteam-anders-bespielen-koennen/
Lino 3. April 2014 um 00:40
Ja, die defensive Organisation von Atletico ist schon gut, aber Barca hätte das Spiel eigentlich gewinnen müssen. Und das Gegenpressing von Atletico war, abgesehen vom Pinto-Bock (der nicht wirklich strukturelle Ursachen hatte), praktisch nicht existent. Im Gegenteil, ich finde sogar, dass das Gegenpressing von Barca so gut wie schon lange nicht war.
TW 3. April 2014 um 09:47
Ich denke sehr wohl, dass der Bock von Pinto strukturelle Ursachen hatte. Wie CE in dem Szenenbild sehr schön zeigt, erzeugt Atlético eine 5-4 Überzahl an Feldspielern im letzten Drittel, was allein schon Respekt verdient. Ballnah besteht durch die Deckungsschatten sogar eine 5-3 Überzahl gegen Cesc, Busquets und Pinto. Da Barca offenbar die Anweisung hatte, flach aufzubauen, war das sehr wohl strukturell erzwungen.
Atléticos große Stärke besteht darin, dass sie drei Pressingvarianten perfekt spielen und ineinander übergehen lassen können: das hohe Angriffspressing, dass superkompakte hohe Mittelfeldpressing und das asymmetrische tiefe Mittelfeldpressing. In diesem Spiel wurde grad die Übergangsphase sehr gut von Barca bespielt, so dass Atlético zumeist in der tiefen Phase stand. In dieser sind die Stürmer jedoch extrem tief (10-15 m hinter der Mittellinie), so dass im Umschaltmoment keine Anspielstationen in der Tiefe bestehen. Es muss erst ein Querpass gespielt werden, bevor tatsächlich Raum gewonnen werden kann. Dies ist grad bei einem in ballnähe sehr präsenten Gegner gefährlich. Dies ist aus meiner Sicht der Grund, warum Barcas Gegenpressing so stark wirkte.
AlexF 3. April 2014 um 11:19
Also ich verstehe auch nicht, wieso Barca so überlegen und und dem Sieg näher gesehen wird.
Atletico hat das Klasse gemacht, or allem in der Strafraumverteidigung sehr gut. Außer vor dem Tor, haben sie eigentlich nie ein Durchbrechen von Barca zugelassen. Das Verschieben im Mittelfeld war meiner Meinung nach ganz große Kunst. Sieht man selten so intensiv und perfekt ausgeführt.
Und ein punkt der mir auch in der Analyse fehlt ist, dass ihnen ihr Zielspieler vorne früh fehlte. Dadurch hatten sie natürlich große Probleme Chancen zu kreieren, da sie den Ball nicht ins letzte Drittel bekamen.
ERda 3. April 2014 um 00:04
Wenn man deine Analyse liest, könnte man meinen Atletico hat gut gespielt (verteidigt). Bei allem Respekt, das war einfach auch Glück. Barca war krass überlegen (vorallem in der zweiten Halbzeit), hatte mehr Torschüsse, mehr Torchancen. Atletico war 1-2 Mal gefährlich (nach haarsträubenden Fehler von Pinto), ansonsten nichts.. das Tor war ein Sonntagsschuss, der alle 10 Jahre reingeht..
CE 3. April 2014 um 09:15
Kann man natürlich so sehen. Für mich gibt es kein Glück im Fußball. (Vielleicht Losglück 😉 ). Es hat schon seine Gründe, warum Barca die eigene Dominanz nicht nutzen konnte. Es sollten nur ein paar Aspekte herausstellt werden, warum auch Atletico daran seine Anteile hatte.
AlexF 3. April 2014 um 11:14
Sehe ich auch nicht so. Atletico hat schon klasse verteidigt. Und die Chancen, die Barca hatte, waren auch nicht Chancen in der Kategorie „frei vor dem Tor“. Außer natürlich das 1:1.