Bayer Leverkusen – VfB Stuttgart 2:1
Zum dritten Mal in einer Woche kassiert der VfB Stuttgart in den Schlussminuten den entscheidenen Treffer. Bayer Leverkusen brauchte lange, um die stabile Ordnung der Stuttgarter zu knacken.
Stuttgart hat diese Tage wahrlich kein leichtes Programm. Unter der Woche noch mussten die Stuttgarter gegen Tabellenführer Bayern München ran – und dabei schlugen sie sich erstaunlich gut. Gegen den Tabellenzweiten Bayer Leverkusen setzten sie daher erneut auf eine reaktive 4-4-2-Variante. Bayer Leverkusen baute auf die altbekannte 4-3-3-Variante. Die Rollen waren klar verteilt: Stuttgart baute auf eine stabile Defensive und suchte den riskanten Umschaltmoment. Bayer Leverkusen musste hingegen das Spiel machen – zur Halbzeit hatten sie 69% Ballbesitz, zu Spielende waren es immerhin noch 60%.
Bayers Achter kippen heraus
Aus taktischer Sicht stach vor allem ein Kniff von Bayer Leverkusen hervor: Die Achter hielten sich mit ihren Vorstößen zurück und kippten oft auf die Außenverteidigerposition heraus. In vielen Situationen standen sie breit und sicherten für die hervorstoßenden Außenverteidiger ab. So konnten Linksverteidiger Can und Rechtsverteidiger Hilbert äußert offensive Rollen bekleiden, ohne dass Leverkusen anfällig für Konter über die Flügel war. Das war auch bitter notwendig, schließlich legte es Stuttgart mit den schnellen Außenstürmern Harnik und Werner genau darauf an.
Durch diese Strategie legte Leverkusen allerdings einen hohen Fokus auf die Außen. Das zentrale Mittelfeld blieb größtenteils frei, wenn nicht gerade Son oder Castro hier hineinkippten. Ansonsten musste Leverkusen durch die breite Positionierung fast aller Spieler versuchen, über Flügelüberladungen die Stuttgarter zu knacken. Gegen das mannorientierte 4-4-2-Pressing war das gar nicht leicht. Harnik und Werner gingen weite Wege, auch die beiden Sechser Khedira und Leitner konnten auf die Flügel rücken, da sie in der Mitte keinen Gegenspieler hatten. Oft standen auf den Flügeln sechs bis acht Spieler gegenüber, das Spiel war sehr eng und von Zweikämpfen geprägt.
Leverkusen spielerisch überlegen
Leverkusen machte bis zur Pause den potentiell gefährlicheren Eindruck. Stuttgarts wollte sehr vertikal und riskant spielen, aufgrund der tiefen Positionierung der Außenstürmer blieb ihnen jedoch meist nur der Vertikalpass auf die Stürmer. Diesen konnten die Leverkusener Innenverteidiger oft entschärfen. Wenn die Stürmer den Ball jedoch halten konnten, setzten sie einen der startenden Außenspieler ein. Chancen ergaben sich dadurch nicht, jedoch musste Leverkusen viele der (teilweise sehr früh geschlagenen) Flanken zu Ecken abwehren. Nach einer solchen Ecke stand Leitner frei im Rückraum, er traf zum (etwas überraschenden) 1:0 (12.).
Leverkusen hingegen konnte mit schnellen Kombinationen immer mal wieder über die Außen durchstoßen. Nach einem vertikalen Pass auf die Außenverteidiger, meist durch einen Achter, folgte oft eine kurze Kombination, mit deren Hilfe ein Spieler auf den Außen freigespielt werden sollte. Dies funktionierte besonders dann gut, wenn Castro einen diagonalen Lauf startete und damit die Mannorientierungen des Gegners durcheinanderbrachte. So konnte er selbst oft frei angespielt werden oder er brachte die Außenverteidiger in Position. Der freigewordene Spieler schlug daraufhin eine Flanke oder suchte direkt den Schnittstellenpass.
Dieser „letzte Pass“ kam allerdings so gut wie nie an. Was sonst eine Lieblingsfloskel unkreativer Kommentatoren ist, traf dieses Mal vollends zu. 13 Flanken schlugen die Leverkusener vor der Pause, nur eine einzige bedeutete Gefahr für das Tor von Ulreich – und das auch nur dank eines ungelenken Klärungsversuches durch Sakai (14.). Selbst dem Ausgleichstreffer von Kießling ging eigentlich ein Fehlpass voraus, Rüdiger klärte hier jedoch nicht konsequent genug (26.).
Nichts Neues nach der Pause
Nach der Pause konnte Reinartz nicht weiterspielen, für ihn kam Sam. Trotz veränderter Rollenverteilung auf Leverkusener Seite änderte sich am Spiel wenig. Stuttgart attackierte weiterhin im mannorientierten 4-4-2-Pressing und lauerte auf den entscheidenden Konter. Doch potentiell gefährliche Ballgewinne bekamen die Stuttgarter kaum, auch weil Leverkusen sehr risikobewusst agierte. Wenn der Druck zu hoch wurde, suchten die Leverkusener Kießling mit einem hohen Ball. Selbst die Abstöße schlugen sie lang, nachdem Stuttgart dort mit einem hohen 4-3-3 alle Stationen verstellte.
Auch die Wechsel helfen beiden Teams wenig. Sidney Sam wirkte noch nicht hundertprozentig fit. Zudem fehlte Castro durch seine tiefere Rolle als Unterstützungsspieler auf dem Flügel, wovon besonders Hilbert profitiert hatte. Sam suchte – seinem Naturell entsprechend – die Räume im Zentrum, die Stuttgart allerdings gut schloss. Auf der anderen Seite fand Maxim als Rechtsaußen keinen Anschluss an das Spiel. Er versuchte zwar immer wieder, den verwaisten Zehnerraum zu besetzen, bekam aber kaum Zuspiele. Leverkusen hielt besonders im Gegenpressing den Druck hoch und verhinderte diese Pässe.
In der Schlussphase presste Stuttgart weniger intensiv. Nachdem sie zuvor stets recht hoch standen, wechselten sich nun häufiger aktive Pressingversuche mit passiven Spielphasen ab. Nachdem Leverkusen in der zweiten Halbzeit lange Zeit bieder agierte und sich festkombinierte, wurden sie nun wieder kreativer und kombinativer. Kießling tauschte nun oft mit dem eingewechselten Derdiyok die Positionen, Stuttgart verlor bei diesen Positionswechseln manches Mal die (Mann-)Orientierung. Das 2:1 hätte Stuttgart dennoch mit einer konzentrierteren Manndeckung im eigenen Sechzehner verteidigen können, Derdiyok traf kurz vor Schluss (84.).
Zum Schluss warf Stuttgart noch einmal alles nach vorne. Schneider brachte Cacau und stellte damit auf ein extrem offensives 4-1-3-2 um. Hyypiä antwortete mit der Einwechslung Wollscheids, der einen dritten Innenverteidiger gab. Ein 5-4-1 gegen ein 4-1-3-2 – ein typisches Matchup in einer typischen Schlussphase. Stuttgart suchte mit langen Bällen den Lucky Punch, doch das Glück war ihnen nicht hold. Es blieb beim 1:2.
Fazit
Leverkusen beendet eine Serie von drei Niederlagen mit einem zittrigen, aber am Ende verdienten Sieg. Spielerisch waren Fortschritte im Vergleich zu den letzten Partien der Hinrunde erkennbar. Besonders die Flügelüberladungen funktionierten in der ersten Halbzeit gut, allerdings kamen sie zu selten gefährlich in den Strafraum. Nach der Pause ging ein wenig der Fokus verloren, doch mit Glück und Klasse konnten sie den Sieg erzwingen.
Stuttgart hat jetzt in sieben Tagen drei Spiele hinter sich – und alle drei Spiele haben sie in der Schlussphase verloren. Die Niederlage gegen Leverkusen erinnerte aber kaum an das Bayern-Spiel, als sie nach aufopferungsvollem Kampf müde und abgekämpft wirkten. Vielmehr wurde in dieser Partie deutlich, dass sie im Spiel nach vorne derzeit Schwierigkeiten haben. Gegen Leverkusen gab es kaum konstruktive Angriffe, Überladungen oder Spielverlagerungen waren Mangelware. An diesen Punkten wird Stuttgart arbeiten müssen, wenn sie gegen ihre Tabellennachbarn punkten wollen.
5 Kommentare Alle anzeigen
Pad 6. Februar 2014 um 10:01
Mich wurde mal interessieren wie ihr Derdiyok einschätzt. Ich hatte mich mal eine Zeit lang mit ihm beschäftigt weil ich das Gefühl hatte, dass er ziemlich falsch eingeschätzt wird beziehungsweise sich selbst falsch einschätzt. Ich habe nämlich die These, dass er trotz seiner Größe vielmehr ein Verwerter zweiter Bälle als ein Zielspieler ist. Um das zu überprüfen habe ich mir vor einiger Zeit ein paar Statistiken von ihm angesehen, unter Berücksichtigung seiner Mitstürmer und da fand ich auffällig, dass er immer dann gut genetzt hat, wenn einen ebensolchen zielspieler bei sich hatte(zumeist Kießling). Das würde meiner Meinung erklären warum er bei hoffenheim so derb gescheitert ist, hatte in der zeit auch ein Interview gelesen, wo er meinte er habe jetzt seine rolle(taktisch) gefunden , danach kam aber eher wenig…
LZ 6. Februar 2014 um 13:35
Ohne mir anzumaßen, „die“ richtige Beurtreilung abzugeben oder direkt gefragt zu sein, würde ich zu Derdiyok hinzufügen, dass ich seine technischen Fähigkeiten bis heute als ungewöhnlich gut beschreiben würde. Sein Raumverständnis „unsichtbar bis zum 16-Meterraum“ ist aber ebenso kritisch zu beurteilen, wie seine Konstanz mit physischer Stärke Bälle grundsätzlich „festzumachen“. Ihm fehlt einfach auch an Tempo mit und ohne Ball und in guten Zeiten klappte das auch noch mit dem Kopfball …
Für mich hat Derdiyok alles, was ein Stürmer braucht, nur scheint es ihm trotz seiner Statur manchmal nicht möglich diese im direkten Zweikampf geschickt oder Bundesliga tauglich einzusetzen. Das ist echt schade.
Kießling könnte man als den Typen beschreiben, der Derdiyoks Schwächen (gute und clevere Zweikampfführung) prefekt beherrscht und damit, wie Du in meinen Augen richtig beschreibst, sehr gut ergänzt.
In Hoffenheim „hing“ Derdiyok dementsprechend „in der Luft“.
Pad 6. Februar 2014 um 16:27
Hab es ja reingeschrieben, dass überhaupt jemand drauf antwortet, ist ja ein Diskussions“forum“ hier 😀
Ich stelle einfach mal in den Raum, dass Derdiyok unter anderem seine Größe in der Bundesliga zum Verhängnis wurde, gepaart mit seinem Wechsel zu Hoffenheim wo er eine „falsche“Rolle als Tiefengeber und Sturmtank bekam und dementsprechend scheiterte. Passend zu seinem Scheitern ist, dass er in einer Zeit wechselte, in der bei Hoffenheim blinder Aktionismus an der Tagesordnung war( Trainer der ihn holte war Markus Babbel,der nur ein halbes Jahr blieb und meiner Meinung nicht als Spielertypkenner bzw. Taktikfuchs bekannt ist). Ein Wechsel war rückblickend zudem nicht einmal nötig, da Leverkusen zu der Zeit keine Alternative zu Derdiyok besaß( weder Milik noch Yesil oder Aydin kamen zu wirklich vielen Einsätzen) und er so wohl wieder zu 20 Einsätzen plus gekommen wäre.
Bei Betrachtung von Viedeos zu Toren in seiner Leverkusener Zeit meine ich auch herausgesehen zu haben, dass er ein Spieler ist/war, der, wenn man die Schnelligkeit rauslässt, am ehsten mit einem Nicolai Müller oder Alex Esswein zu vergleichen ist. Ich fände es zum Beispiel interessant, wie er sich in einem 4-2-3-1 als invers agierender Außenstürmer schlägt. Was ich ihm auch zutrauen würde wäre eine Altintop-Rolle auf der Doppel-8/10 in einem 4-1-4-1 oder 4-3-2-1.
Was meinst du denn als typische Stürmerqualtitäten? Ich würde da am ehsten seine Postitionierung um und in der Box, und seine Fähigkeiten vor und im Abschluss sehen, ersteres ist in meinen Augen zum Beispiel hauptverantwortlich für seine Kopfballtore.
LZ 6. Februar 2014 um 16:49
Ja stimmt, es war ein unnötiger Wechsel und hat mich damals auch sehr überrascht. Es wurden dann zusätzlich noch sehr turbulente Tage in Hoffenheim, dass hat ihm vom Kopf her bestimmt auch recht viel Selbstvertrauen entzogen, was wiederrum für einen Stürmer ja elementar ist.
Was meinst Du mit dem Begriff „Tiefengeber“?
Für mich ist Derdiyok Positions-Typ Sturmtank, nur spielstark und nur kaum in der Lage sein Körper geschickt im Zweikampf einzusetzen. Von Schnelligkeit à la N.Müller oder A.Eßwein würde ich da definitiv absehen. Meiner Meinung nach kann er mit oder ohne Ball definitiv nicht so schnell laufen/spielen/rennen. Somit stünde ihm in meinen Augen auch keine Flügelstürmerposition auf den offensiven Halbseiten, weil er die Dynamik in meinen Augen einfach nicht besitzt. Und noch tiefer auf 8 und 10 wird er garantiert keine Übersicht mitbringen oder auf kleinem Raum stark sein.
Richtig, ich seh es auch so, dass er seine Qualitäten einzig rund um, oder im 16-Meterraum besitzt, als Ballschlepper oder Spieler für Flügeldribbling hat er für mich definitiv keine gute Basis. Derdiyok ist der perfekte Stürmer und wohl deutlich besser, wenn mindestens 2 echte Spitzen auf dem Platz stehen – ich finde, dass hast Du sehr gut beschrieben.
Mit der Bezeichnung „perfekter Stürmer“ und „alles was ein Stürmer braucht“ spiele ich auf Derdiyoks Schwerpunkt-Fähigkeiten an, die sich in meinen Augen einzig auf die 1:1 Duelle im 16-Meterraum beschränken. Nicht nur aufgrund seiner Technik bringt er alles mit, seine Stärken hier optimal auszuspielen. Für mich gehört sein Kopfballspiel früherer Tage dazu. Leider ist er aktuell bisher nur zu ungeschickt im Zweikampf und ohne viel Selbstvertrauen – aber Potential wieder der alte zu werden hat auf jeden Fall.
Simon 2. Februar 2014 um 01:20
Gute Analyse der Partie. Besonders wichtig war, dass Emir Spahic wieder zurückgekehrt ist und dem Team damit Sicherheit geben konnte. Bei der Spielweise von Bayer 04 kann man leichte Fortschritte im Ballbesitzspiel feststellen, aber das Umschaltspiel ist nicht mehr ganz so griffig, wie im letzten Herbst.
Hier noch ein Spielbericht zur Partie:
http://myfuba.de/2014/02/01/bayer-04-mit-arbeitssieg-gegen-den-vfb-stuttgart/
Schöne Grüße