Liverpool – Everton 4:0

Dank einer wirkungsvollen Anpassung der defensiven Grundpositionierungen der Außenstürmer gewinnt Liverpool ein intensives und ansprechendes Merseyside-Derby gegen Everton, das mit allgemeinen Verbindungsproblemen zu kämpfen hatte.

Liverpools Offensivformation und Bewegungen

liverpool-everton-2014Während Everton grundsätzlich die unter Roberto Martínez bekannte 4-2-3-1-Formation mit Linksfokus im Aufbau und Ross Barkley in zentraler Rolle auf den Platz brachte, agierten die die Hausherren in einer 4-1-4-1-haften Grundformation, bei der Sturridge etwas überraschend den linken Flügel besetzte, dort allerdings mit Ball nur selten auftauchte. Entweder zog er direkt und zielstrebig mit dem Leder in die Mitte, wo Suárez in den ballnahen Halbraum arbeitete und als Ablagehilfe diente, während Coutinho die spielstärkste und auf engem Raum beste Option darstellte, die sich aus dem rechten Halbraum vielseitig bewegen konnte. Oder der englische Nationalspieler blieb für längere Phasen in vorderen, zentralen Räumen und überließ seinen eigentlichen Grundbereich den Kollegen.

Halblinks war Jordan Henderson als Achter dann sehr dominant unterwegs, trieb immer wieder mit vielen Aktionen an und zeigte sich nachstoßend. Wenn Sturridge längerfristig in den zentralen Bereichen agierte, seine Seite komplett verwaisen ließ und seine Qualitäten an der letzten Linie anbrachte, war Henderson mit einigen nach links ausweichenden Läufen neben dem ebenfalls sich nach außen absetzenden Luis Suárez der ausgleichende Faktor und wurde durch das Engagement des Uruguayers, der auch einzelne schlechte Passwinkel mit seiner giftigen Angriffsspielweise übergehen konnte, mit dem sehr weit hochschiebenden Cissokho verbunden.

Spiel aus dem Mittelfeldloch gegen die letzte Linie

Auffällig war dabei stets, dass Liverpool recht viel Zeit im letzten Drittel bekam, da Evertons Viererketten oder situativ auch mal 4-3-Stellungen sich recht einfach zurückdrängen ließen und dann weit nach hinten fielen. Gerade durch das weite Aufrücken von Cissokho und die recht vorgeschobene Offensivabteilung der „Reds“ wurde sie dann meistens ziemlich flach und konnte sich kaum dagegen wehren, dass die Hausherren ihre Kombinationsversuche etwa 25 Meter vor dem Tor eher ungestört zu starten begannen. Barkley, der zudem auf kleinere Freiräume in Konterszenen wartete und ansonsten sich stark an Gerrard orientierte, um dessen seltenes, aber potentiell in ein bis zwei Abschlussszenen als gefährlich zu erkennendes Nachstoßen blockieren zu können, und Lukaku hatten nicht immer kompakten Zugriff und druckvolle Optionen im Pressing. Sie störten den Aufbau der Gastgeber daher verhältnismäßig ineffektiv und ermöglichten jenen somit einerseits das Aufrücken, andererseits, genau in diesem Loch zwischen Mittelfeld- und Angriffsreihe der Blauen ihre Angriffe aufzubauen und eine Ebene weiter vorne die Szenen in Strafraumnähe einzuleiten.

Allerdings war die flache Stellung Evertons in gewisser Weise auch ein Vorteil, da sie die insgesamt guten Verbindungen und Strukturen der Hausherren zwar nicht in ihren Ursprüngen und Anfängen unterbinden, aber doch ihre Effektivität schmälern konnten. Trotz des geringen Drucks und einigen Löchern im Mittelfeld verhielten sie sich in der letzten Linie dann recht intelligent, standen in der Breite gut gesichert und insgesamt durchaus mit annehmbarer Präsenz, so dass sie die letzten entscheidenden Durchbrüche zu verhindern wussten. Es bildete sich eine Art Patt-Stellung heraus, in der Liverpool zu quantitativ vielen Abschlüssen kam, die gefährlich aussahen, aber aus sehr gemischten Positionen abgefeuert wurden. Obwohl Brendan Rodgers Mannen die letzte Linie selten zu knacken wussten, waren ihre Ausgangslagen dennoch qualitativ wertvoller als bei manch anderen Teams, die an passiven Gegnern zu leiden hatten – wie die Bayern im CL-Finale 2012, als Chelsea dies natürlich auch viel geplanter und konsequenter im Sinn hatte. Letztlich zeigte die Präsenz der „Reds“ und die in ihrer Balance sich steigernde Nutzung von kurzen Ablagen Wirkung – nicht umsonst wurde so die Chance für Suárez eingeleitet, die unmittelbar die Ecke zu Gerrards Führungstor herausholte.

Interessant an dieser Thematik der Wechselwirkungen zwischen Liverpools Angriffen und der zurückweichenden Passivität des Stadtrivalen war die Tatsache, dass Evertons Mittelfeldloch den Gastgebern zwar viel Zeit gewährte, diese aber trotzdem gerade durch das Loch eigentlich sehr schnell aus ihren Aufbauszenen nach vorne spielten. Schließlich brauchten sie nicht lange durch bestimmte Bereiche zirkulieren, sondern konnten recht simpel aufrücken und mussten dann „nur“ die richtigen Bewegungsmuster und Abschlusspositionen im letzten Drittel finden. Dies trug mit dazu bei, dass Liverpool letztlich ein deutliches Untergewicht in Sachen Ballbesitz zu Buche stehen haben sollte – doch dieser Aspekt war nicht der alleinige oder wichtigste Punkt dafür.

Strukturelle und provozierte Aufbauprobleme ermöglichen Konter für Liverpool

Schon fast die gesamte Spieldauer über hatte Liverpool neben solchen Angriffen, die aus dem Aufbau schnell bis an die letzte Linie getragen wurden, auch immer wieder gefährliche Konter fahren können. Gegen das Aufbauspiel der Gäste gelang ihnen eine geschickte Strategie, durch die sie viele aussichtsreiche Ballgewinne erzeugten und dann gegen die nicht gut abgesicherten Stellungen der „Toffees“ mit ihren dynamischen und schnellen Akteuren wie Sterling, Suárez und Sturridge die Gegenstöße initiierten.

Entscheidend dafür waren die etwas vorgeschobenen Positionierungen der beiden nominellen Außenstürmer, die sich geschickt bewegten und vor den recht hochgeschobenen Außenverteidigern des Stadtrivalen standen. Dadurch wurden diese aus dem Aufbau herausgehalten, Everton ein wenig aus den eigenen bekannten Strukturen gedrängt und in ihren Möglichkeiten beschnitten. In Teilen auch als Reaktion auf diese Tatsachen zeigten die beiden defensiven Mittelfeldspieler der Gäste eine eher breite Grundstaffelung und gingen immer wieder in seitliche Positionen, wodurch sie unter anderem diese Probleme zu einem gewissen Grad ausgleichen wollten, was aber letztlich eher in einer Beeinträchtigung der Verbindungen, Kohärenz und kompakten Absicherung im Sechserraum mündete.

liverpool-everton-2014-hauptaspektGerade auf der eigenen linken Seite, wo Suárez respektive Sturridge jeweils vorgerückt standen, mit ihrem Deckungsschatten ein wenig auf Stones achteten und sich etwa mittig zwischen diesem sowie McCarthy herumtrieben, gelang Liverpool dies besonders effektiv. So wurde die Seite für Everton blockiert, die das Spiel nur umständlich auf jene Außenbahn hätten verlagern können und denen stattdessen eher der Weg zum anderen Flügel aufgezwungen wurde. Eigentlich besitzt Roberto Martínez – wie er bereits in der Anlage seiner 3-4-3-haften Formationen bei Wigan als auch in der bisherigen Zeit bei den „Toffees“ zeigte – ein gewisses Faible für einen linkslastigen Aufbau. Doch in dieser speziellen Situation war es für seine Mannschaft nicht wirklich ein Vorteil, dass Liverpool sie vermehrt genau in jenen Bereich hinein lenkte. Mit den richtigen Positionierungen schnürte die Heimmannschaft hier Leighton Baines fest, drückte Evertons Aufbauversuche in engen Bereichen zusammen und konnte in Person von Suárez oder Sturridge aus dem ballfernen Halbraum nachschieben, um die Ballbesitzszenen der Gäste auf deren eigentlicher Schokoladenseite sehr unangenehm einzuzäunen.

Barry konnte sich gegen die flexibel agierenden und situativ tauschenden Coutinho und Sterling im breiten Halbraum nicht entfalten, Pienaar versuchte zwar geschickt kleinere Lücken zu erschließen, verschwand aber meistens hinter Liverpools Mittelfeldlinie und Barkley fand – wie generell in fast allen Angriffsmomenten – nur selten freie Räume hinter Gerrard, der beim Absichern ziemlich diszipliniert auftrat. Auch von Seiten Evertons war die Ausführung des typischen Linksfokus diesmal nicht überzeugend, da die Sechser etwas zu tief agierten und man mit den zu groß werdenden Abständen innerhalb des Mittelfelds der gegnerischen Strategie das Leben erleichterte. Mit diesen spezifischen Mustern und Situationen dieser Partie kam Antolín Alcaraz als linker Innenverteidiger nicht so gut klar – er erreichte zur Pause die zweitniedrigste Passquote aller Everton-Feldspieler und fiel mit einigen schwerwiegenden Fehlpässe in diese Strukturen hinein auf.

Gerade wenn Liverpool Pässe auf Baines antizipierte und diese über den hochgeschobenen Flügelstürmer abfangen konnte, kam es – aus der in der Tiefe eigentlich komfortabel erscheinenden Aufbauanlage heraus – zu überraschenden Ballgewinnen für die Gastgeber. Auf ähnliche Weise entwickelte sich auch ihr zweiter Treffer, der mit einer Eroberung des Leders um Barrys Grundraum herum seinen Anfang nahm. Wichtig bei diesem Tor war die Grundpositionierung von Sturridge, der bei seinem anschließenden Lauf deshalb nicht mehr entscheidend gestört werden konnte, weil er defensiv eben nicht seinen klassischen Gegenspieler Stones bearbeitet hatte. Dass er bei Zeiten kniffelig aus dem Rücken von McCarthy kommen und diesen abschneiden – auch wenn Suárez in seinen Phasen dies intensiver und effektiver machte – konnte, zahlte sich dann auf direkte Art in einem anderen Kontext aus – in jener Konterszene, als Stones keine mehr Chance im Rückwärtsgang hatte und Sturridge die große Schnittstelle attackieren durfte.

Everton im zweiten und letzten Drittel

liverpool-everton-2014-staffelung

Phasenweise sahen Evertons Staffelungen nach dem erfolgten Aufrücken zu häufig in etwa so aus.

Auch allgemein hatten die „Toffees“ in der Offensive und den dortigen Strukturen einige Probleme, wie sich zeigte, wenn sie das Aufrücken einmal geschafft hatten. In diesen Szenen gingen zu oft zu viele Akteure etwas vorschnell in den Strafraum mit hinein, während die Sechser beim Nachschieben – insbesondere auf den vorne etwas aktiveren McCarthy traf dies zu – sehr stark auf die Seite fokussiert blieben und eher hinter den hohen Außenverteidigern agierten.  Alles in allem waren die Halbraumnutzung und die dortigen Dynamiken bei Everton dann nicht gut genug bzw. wurden in ihrem Potential zu Teilen verschwendet. Dies wurde im weiteren Verlauf etwas besser in Szenen, in denen sie auf die selten gelingenden Verlagerungen auf Stones besser einstellten. Dann ergaben sich situativ einige nette Dynamiken oder Rochaden – insbesondere nach der Einwechslung von Naismith (für Lukaku)– zwischen Mittelstürmer und Rechtsaußen, während vor allem Pienaar mit hinüberging und den rechten Halbraum präsenter besetzte.

Vor allem angetrieben durch den zusehends mehr herum driftenden Kevin Mirallas, der individuell die wohl besten Ansätze bei den „Toffees“ zeigte und beispielsweise auch mit seinem einleitenden Spiel an die letzte Linie heran zu überzeugen wusste, schaffte Everton nun verbesserte Rochadebewegungen und mehr Fluidität in den Aufbaustrukturen einerseits sowie eben effektivere Verbindungen auf halbrechts. Diese Seite wurde zusehends belebt und konnte gelegentlich auch überladen werden, wie bei der besten Gäste-Chance des ersten Durchgangs nach einer halben Stunde. Hier wirkte Pienaar im rechten Halbraum raumschaffend für Mirallas, während Liverpool sich zu tief und passiv hatte zurückdrücken lassen. In dieser Umgebung ermöglichten konsequentes Nachrücken und eine recht präsente Offensivabteilung nach der einleitenden Arbeit von Mirallas und Pienaar dann die Chance für Barry, der die kraftvolle Situation beim Stand von 1:0 aber nicht in einen Treffer umwandeln konnte.

Durchwachsene Veränderungen

Nach dem Doppelschlag von Anfield wurden zusätzlich auch die Aufbausituationen für Everton etwas leichter, weil Liverpool tiefer agierte und das vorige Konzept nicht mehr dermaßen konsequent anwandte. Außerdem reagierte Roberto Martínez mit ein wenig veränderten Positionierungen – unter anderem von Pienaar und Naismith im Bereich des linken Halbraums – und der fokussierten, balancierteren Anwendung direkter Vertikalpässe. Ansatzweise kamen Fake-Läufe von McCarthy hinzu, die Suárez bzw. Sturridge weglocken und damit die zuvor erprobten Verlagerungen im zweiten Drittel auf Stones vereinfachen sollten. Alles in allem kamen die Blauen dann besser in die Übergangszonen und hatten nun die zuvor nur angedeuteten Schwierigkeiten des letzten Drittels als Kern-„Probleme“ vor der Brust, wobei diese Schwierigkeiten eher in Detail und Balance, denn in absolut grundlegenden Aspekten lagen.

Erneut kamen die Verbesserungen mit der Zeit. Diesmal betrafen sie die Halbraumbesetzung und –nutzung im Allgemeinen, die aber insgesamt noch zu sehr durch einzelne Verbindungsspieler in den flachen Gesamtstrukturen des Strafraumumlandes geprägt war. Es gab immer mal wieder sehr ansehnliche und lobenswerte Kombinationsansätze und Engenbildungen in den verschiedensten Formen und Bereichen, doch wurden diese zu selten wirklich strukturiert herbeigeführt, sondern hatten trotz der Intention zu einem solchen Vorgehen einen eher spontan sich ergebenden Charakter. Dadurch wurden diese Szenen mitunter schwierig zu nutzen und auszuspielen, so dass sie teilweise „unüberzeugt“ sowie halbgar wirkten und nicht konsequent genug mit allen umstehenden Spielern auch angeschwungen wurden, so dass die grundlegende Präsenz nicht vollends in diese Szenen übertragen werden konnte. Hinzu mischten sich die aus der Gesamtsituation hervorgegangenen Rhythmusprobleme, die zu Teilen auch Ursache waren, aber in jedem Fall beim Ausspielen der höheren Szenen nicht förderlich wirkten.

Fazit

Angesichts der taktischen Anpassungen – namentlich vor allem der geschickten Interpretation der Flügelspielerrollen im Duell mit Evertons Aufbaustrukturen – war Liverpool in diesem vielschichtigen Derby auf insgesamt hohem Niveau (unter anderem die phasenweisen Ansätze beider Seiten, antizipierend und vorausschauend zu verteidigen) der verdiente Sieger. Spätestens mit dem vierten Treffer zu Beginn der zweiten Halbzeit war das Match entschieden und gab Everton, die sich kontinuierlich steigerten und einige positiv stimmende Aspekte zeigten, nicht mehr die Möglichkeit auf ein Comeback.

Izi 4. Februar 2014 um 07:30

Wie immer ein guter Artikel, auch wenn das Ergebnis natürlich bitter ist. . . Ich konnte das Spiel leider nicht sehen, aber das macht nichts, wenn man den Artikel hat! 🙂

Was ich nicht verstehe, und mir beim Beobachten immer wieder mal Stirnrunzeln bereitet (okay, hätte ich auch unter „Taktiktheorie“ posten können, passt hier aber auch, weil es aufgeworfen wird): Wie ist es möglich, dass sich ein eigentlich offensiv eingestelltes Team so weit zurückdrängen lässt? TR schrieb ja „Auffällig war dabei stets, dass Liverpool recht viel Zeit im letzten Drittel bekam, da Evertons Viererketten oder situativ auch mal 4-3-Stellungen sich recht einfach zurückdrängen ließen und dann weit nach hinten fielen. Gerade durch das weite Aufrücken von Cissokho und die recht vorgeschobene Offensivabteilung der „Reds“ wurde sie dann meistens ziemlich flach und konnte sich kaum dagegen wehren, dass die Hausherren ihre Kombinationsversuche etwa 25 Meter vor dem Tor eher ungestört zu starten begannen.“ Ich verstehe nicht wirklich, dass Teams das „über sich ergehen lassen müssen“, ohne sich zu wehren. Andererseits, vielleicht ist mir das beim Spielen nie aufgefallen und ich sehe es nur als Zuschauer?

Antworten

Kopite 31. Januar 2014 um 02:41

Hab das situative Pressing von Liverpool vor allem auf der Linken Seite sehr interessant gefunden.
Die Aktion vor dem zweiten Tor war symptomatisch für das Pressing.
Angenehmer Nebeneffekt: Baines konnte dadurch in Zaum gehalten werden.

Herausgehoben muss auch die großartigen Leistung von Flanagan werden, der mir mittlerweile besser gefällt als Johnson.

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CF 31. Januar 2014 um 07:01

Wirklich? Ich finde Flanagen nicht Ansatzweise so gut wie Johnson. Der hat manchmal so ziemlich komische Fehlpässe drin. Hatte im diesem Spiel auch wieder sehr viele. Und gerade wenn er ins letzte Drittel kommt ist er sehr unkonstant in seiner Entscheidungsfindung seine Bewegunsgmuster sind ziemlich einfach und in der Ausführumg seiner Passmuster eben noch nicht so gut und unter Druck sehr hektisch und überhaupt nicht pressingresistent.

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