Everton – Liverpool FC 3:3

Im Merseyside-Derby empfing Everton den Liverpool FC. Interessanterweise sind die Reds in dieser Saison von ihrem Ballbesitzfußball unter Brendan Rodgers etwas abgewichen, während Everton mit Roberto Martinez den Konterfußball von Moyes abgelegt hat und nun selbst mehr Ballbesitz anstrebt; in gewisser Weise also umgekehrte Verhältnisse. Beide Mannschaften konnten die bisherige Saison bislang überaus erfolgreich gestalten – und ein Sieg im Derby wäre für beide die vorläufige Krönung gewesen.

Liverpool ohne Dreierkette, aber mit einer neuerlichen Formationsänderung

Wie seit der zweiten Halbzeit gegen Arsenal üblich agiert Liverpool wieder mit einer Viererkette hinten. Nicht allzu interessant, möchte man meinen. Allerdings setzt Liverpool diese Viererkette beziehungsweise die Bewegung davor sehr interessant um. Das nominelle 4-2-3-1 wurde nämlich nur vereinzelt zum üblichen 4-4-2, meistens wurde es als 4-4-1-1 mit einem tiefen Gerrard gespielt, sehr oft entstanden dadurch aber auch andere formative Konstrukte.

Waren die Reds etwas passiver, gab es beispielweise eher eine Art 4-5-1 mit flacher Fünf zu beobachten. Dieses 4-5-1 sollte das Mittelfeld eng machen, das Aufbauspiel Evertons ungestört lassen, ihnen dafür aber das wichtige Zentrum rauben. Darum konzentrierte sich Everton gezwungenermaßen auf Schenllangriffe nach riskanten Pässen oder langen Bällen auf die Flügel. Dies sah man insbesondere nach der Führung häufiger, da Pool das Pressing etwas weniger intensiv und hoch anlegte, wodurch sie öfter im 4-5-1 standen.

Grundformationen

Grundformationen

Agierten die Gäste aber aggressiver, entstanden phasenweise sogar 4-3-2-1-Formationen, in denen die beiden Flügelstürmer tief und breit blieben, während die beiden nominellen Achter – Steven Gerrard und Joe Allen – nach vorne herausrückten und die gegnerischen Sechser unter Druck setzten. Meistens aber war das 4-4-1-1 erkennbar. Hier beteiligte sich Gerrard halbrechts am Pressing mit Suarez, der sich vorne links postierte.

Überwand Everton diese erste Pressingwelle, dann ließ sich Gerrard zurückfallen, Suarez blieb hoch und pendelte meistens auf dem Flügel, um nach Balleroberungen anspielbar zu sein. Everton hatte darum Räume im rechten Halbraum offen, doch Gerrrard von hinten sowie die verschiebende Doppelsechs konnte einige Male in diesem Raum eine Pressingfalle aufbauen.

Gerrards Pendelrolle war somit sehr interessant zu beobachten, wirkte aber unstrukturiert und ermöglichte Everton auch einige Angriffe. Die Tore fielen dennoch nach keinen Angriffen aus dem Spiel heraus, sondern nach Standards.

Tore nach Standards

Die drei Tore in der ersten Halbzeit fielen alle in den ersten zehn Minuten und aus Standardsituationen, wo entweder taktische oder strategische Aspekte ursächlich waren. Beim 1:0 Liverpools nach einer Ecke war es die schlechte Staffelung und individuelle Unterlegenheit. Everton besetzte weder zonal den zweiten Pfosten noch das zweite Eck des Fünfmeterraums, gleichzeitig verfolgten sie Coutinho nicht (ordentlich) mannorientiert, wodurch dieser nach einer Weiterleitung ganz alleine am zweiten Pfosten stand und sogar den Ball stoppen konnte.

Beim Ausgleich Evertons war es eher ein strategisches Problem. Der Freistoß wurde aus dem Halbfeld ausgeführt und es war ein langer Ball in den Strafraum. Liverpools Abwehrreihe positionierte sich an der Strafraumkante und musste dann dem Ball hinterherlaufen. In einer solchen Situation ist dies aus mehreren Gründen unpraktisch. Der wichtigste Grund liegt in der Natur des Herausköpfens.

Kommt man von hinten zum Ball, hat man ein saubereres Sichtfeld, kann den Kopfball besser timen, hat mehr Dynamik und kann gezielter klären. Läuft man dem Ball hinterher, erwischt man ihn nur schwer, kann meistens nur die Richtung korrigieren, sie aber nicht grundsätzlich verändern und tut sich mit der Berechnung der Flugkurve schwer. Zusätzlich zu diesem Problem stand Liverpool außerdem sehr eng und störte sich selbst beim Kopfball, wodurch sie den Ball irgendwohin klärten und der Ball schließlich zu einem Everton-Spieler kam, der ähnlich wie Coutinho enorm nahe am Tor einnetzen konnte.

Die tiefe Positionierung der Abwehrreihe mit dem Heraus- statt Hinterherlaufen wäre in dieser Situation auch taktisch bei einer kurzen Ausführung kein wirkliches Problem gewesen. Der Ball war nicht nahe genug am Strafraum, dass mit einem Querpass eine sehr gute Schussposition entstanden wäre und ausreichend weit weg, dass man bei einem Querpass hätte sauber und effektiv herausrücken können.

Das dritte Tor fiel dann durch einen Positionierungsfehler der Mauer, von Gareth Barry und Steven Pienaar, wodurch Luis Suarez mit seinem guten Freistoß einfaches Spiel hatte und den langen Pfosten vergleichsweise problemlos anvisieren konnte. Nach der Halbzeit fiel dann auch das 2:2 für Everton im Endeffekt nach einem ähnlichen Standard und einer ähnlichen Dynamik wie beim 1:1.

Lukaku schoss aus der Distanz direkt per Freistoß aufs Tor, Mignolet kann nur prallen lassen und Liverpool muss aus der hohen Grundposition zurückeilen. Sie haben dadurch keine wirkliche Staffelung und Lukaku kann sich im Strafraum positionieren. Beim 3:2 war es wieder eine direkte Ecke. Hier gab es mit Lukaku gegen Johnson ein individuelles Missmatch, eine perfekte Flanke auf Lukaku führte zum 3:2. Identisch fiel das 3:3 durch Sturridge, nur durch einen seitlichen Freistoß statt durch eine Ecke. s

Abgesehen von diesen Problemen bei Standards zeigten sich aber beide Mannschaften defensiv gut bzw. interessant. Liverpool haben wird diesbezüglich schon analysiert, zu Everton kommen wir jetzt.

Everton ebenfalls im 4-2-3-1 ohne Doppelspitze – und offensiv stärker

Wie Liverpool organisierte sich auch Everton nominell in einem 4-2-3-1, legten dieses aber im Bewegungsspiel anders und dennoch nicht orthodox aus. Sie hatten weder ein 4-4-1-1 noch ein 4-4-2, sondern behielten das 4-2-3-1 eigentlich immer bei. Dabei ließ sich Barkley eigentlich auch selten zu den beiden Sechsern zurückfallen, er blieb zumeist im Zehnerraum und stellte Pässe Liverpools ins Mittelfeld zu.

Everton orientierte sich auch situativ mannorientiert. Barkley ging einige Male auf Leiva, Lukaku schob auf Agger als

Grundformationen Min. 50

Grundformationen Min. 50

rechtem Innenverteidiger und Skrtel wurde offen gelassen. Ansonsten wollte Everton mit dem 4-2-3-1 verhindern, dass sie zentral in Unterzahl gerieten, sie hatten eine gespiegelte Formation zu Liverpool und erzeugten mit den Manndeckungen viel Druck. Außerdem leiteten sie Liverpools Aufbauspiel durch eine leichte Asymmetrie der eigenen Flügelstürmer mit einem tieferen Mirallas und einem höheren Pienaar auf die eigene rechte Seite.

Liverpool hatte insgesamt große Probleme in die Mitte zu kommen. Die konnten zwar bei den Innenverteidigern den Ball zirkulieren lassen oder über die Halbspieler nach vorne kommen, hatten aber kaum Chancen im Angriffsdrittel noch die Seite zu wechseln und die Angriffsrichtung zu verändern. Meistens war Liverpool dann gefährlich, wenn sie über Coutinhos Dribblings oder über Einzelaktionen von Suarez sowie das schnelle Aufrücken der beiden Achter kommen konnten, was ihnen aber nur phasenweise gelang.

Everton hingegen hatte bis auf eine Phase um die Halbzeitphase herum deutlich strukturiertere Offensivangriffe. In der ersten Halbzeit kamen sie immer wieder über die Außen, ließen dann nach innen prallen und spielt dann über diese Lücken schnelle Angriffe aus, wobei die Qualität der Angriffe unter der Schnelligkeit und Liverpools Dynamik litt.

Um die Halbräume zu versperren, spielte Liverpools Mittelfeldkette nach der Halbzeit etwas horizontal kompakter, doch Martinez‘ Einwechslungen und Veränderungen brachten Everton endgültig die spielerische Dominanz. Liverpool hatte sich mit der Führung im Rücken zurückgezogen, woraufhin Everton höher spielen musste.

Martinez brachte Deulofeu als Rechtsaußenstürmer und schob Mirallas in die Mitte, dazu pendelte Lukaku verstärkt auf den rechten Flügel. Immer wieder konnte Everton schnell kontern oder sich mit Rochaden hinter das Mittelfeldband Liverpools kombinieren. Dadurch entstand eine Partie mit viel Hin und Her, in der Everton spielerisch besser wirkte, aber letztlich doch nur einen Punkt holen konnte.

Fazit

Dieses Spiel war durchaus Werbung für die Premier League, auch aus taktischer und spielerischer Hinsicht. Zwar wirkten beide Teams etwas instabil und nicht in allen Phasen strukturiert, doch konnten trotzdem viele sehenswerte Aspekte an den Tag legen. Das Spiel lebte auch stark von der Veränderung des Rhythmus und des „game-state“, wo die jeweilige Mannschaft in Führung etwas schwächer wirkte und das Momentum bald aus der Hand gab.

Auch darum darf man die Partie nicht wirklich nach der Statistik bewerten, bei der Everton deutlich mehr Torschüsse hatte, diese Deutlichkeit aber leicht übertrieben ist, weil Liverpool lange Zeit in Führung und in dieser Zeit offensiv sehr passiv war. Spätestens in der Schlussphase und mit der Einwechslung Deulofeus entwickelte sich ein tolles Spiel ohne Sieger. Bei besserer Chancenverwertung hätte das Spiel auch ohne die Standards wohl ähnlich enden können, wobei Everton bei dieser hypothetischen Effizienz die Partie eigentlich hätte klar gewinnen müssen.

Gleichzeitig muss man bei Liverpool hinterfragen, wieso Moses‘ Einwechslung nicht dafür genutzt wurde Barry auf links stärker zu attackieren und ob Sturridge nicht schon von Beginn an hätte spielen müssen. Im Spielverlauf verlor Liverpool die Mittelfeldkontrolle, Gerrard war kaum eingebunden und sie hatten letztlich auch Glück, dass sie sich noch den Punkt schnappen konnten.

Izi 24. November 2013 um 22:34

Klasse Artikel! Ich habe das Spiel leider verpasst, aber es passt zu meinen bisherigen Beobachtungen. An dieser Stelle auch ein herzliches Dank und großes Lob zu eurem Artikel über die Toffees in eurer aktuellen Ausgabe von „ballnah“!!! 🙂

Was mich noch interessieren würde: Wie ist eure Einschätzung zu Everton im Vergleich zu den anderen Teams? Haben wir durch Martínez‘ Änderungen eine Chance auf die Champions League? 😀

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hannes 25. November 2013 um 00:41

Champions League? Die wird zwar ziemlich sicher zurück nach Liverpool kommen, aber für Everton sollte das Ziel höchstens die Euro League sein.

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AR 24. November 2013 um 16:32

Habt jemand noch Southampton-Arsenal gesehen oder waren da alle schon in der Dormund-Bayern Vorbereitung? Konnte leider nur 30min in der zweiten Halbzeit sehen aber die waren sehr beeindruckend (vor allem Arsenal, man können die schön spielen) und ganz und gar nicht englisch.

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CF 24. November 2013 um 11:23

Was ich bei Liverpool in dieser Saison aber auch in diesem Spiel echt als Problem sehe ist, dass sie es nie schaffen den Gegner im letzten Drittel wirklich zu attackieren und an der Ball zirkulatio zu stören. In diesem Spiel entstand Phasenweise eine Sechserkette mit Coutinho und Henderson die sich sehr weit zurück fallen lassen. Mit dieser Formation gelang es ihnen nie wirklich Druck auf zu bauen. So gab es Szenen in den Everton den Ball Problemlos Horizontal zirkulieren lassen konnte. Liverpool hatte Glück das Everton diese Situation teilweise zu schlampig ausgespielt hat.

Barkley ist ja mal so gut. Der hat sich am eigenen Sechzehner manchmal aus extrem engen Situationen befreit und damit den Konter erst möglich gemacht. Manchmal ein bisschen zu verschnörkelt aber ansonsten lässiger Spieler.

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JFSM 23. November 2013 um 17:52

Super Analyse, die sich weitestgehend mit meinen Eindrücken deckt. Am Ende hätte Everton 2 Konter besser ausspielen müssen.Aber naja, leider hat Lukaku einen sehr viel versprechenden Konter durch einen „grandiosen“ Fehlpass zunichte gemacht. Mir persönlich hat Everton etwas besser gefallen. Die Offensivaktionen wirkten auf mich insgesamt strukturierter und besser eingespielt. Mich hat die Aufstellung von Joe Allen seitens Rodgers allerdings überrascht. Welchen Plan vermutest du dahinter?

Bei Everton war ich in der ersten Halbzeit sehr von Ross Barkley beeindruckt. Ein sehr hohes technisches Niveau und er hat sich sehr gut ins Spiel eingebracht, leider etwas zu vorschnell die finale Aktion Richtung Torabschluss gesucht.

Insbesondere in der zweiten Halbzeit hat man auch sehr viel vom Potenzial von Lukaku gesehen. Super Körpersprache, teilweise sehr gute und intelligente Laufwege, gute Ballbehauptungen. Leider aber auch hin und wieder schlampige Pässe, und in der ersten Halbzeit hatte ich das Gefühl, dass er den Ball nicht immer perfekt bei der Annahme verarbeitet hat.

PS: Gerrards Standards waren mal wieder überragend!

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