Interview mit Evgeni Klyopov von InStatFootball
Spielverlagerung präsentiert ein Interview mit Evgeni Klyopov, einem Vertreter der Firma InStatFootball, die sich mit der statistischen Datenerfassung von Fußballspielen und Spielanalysen beschäftigt.
Für dieses Gespräch haben wir uns dabei der Hilfe unserer begeisterten und begeisternden Leser beholfen, welche vor einigen Wochen und Monaten ihre Fragen beisteuern konnten. Evgeni hat sich nun bereiterklärt, so viele wie möglich davon zu beantworten. Doch bevor wir zu den Antworten dieser Fragen übergehen:
Könntest du dich vorstellen?
Natürlich! Mein Name ist Evgeni Klyopov und ich bin der Direktor der analytischen Abteilung des Unternehmens InStatFootball. Ich bin also für alles verantwortlich, bei dem es um Analysen für unsere Klienten geht, die Trainer und Manager aus aller Welt. Hauptsächlich erstelle ich Texte über Spiele, Mannschaften oder einzelne Spieler, dazu kommen noch einige Videoanalysen. In jeder Analyse konzentrieren wird uns auf die Statistiken die wir selbst erheben. Die nackten Zahlen sind aber nutzlos, deshalb interpretieren wir diese direkt, um den Trainern und Analysten in den Vereinen zu helfen. Beispielsweise um ihnen einen zusätzlichen externen Einblick in ihr Spiel und das Spiel ihres Gegners zu geben.
Klingt interessant. Wie kommt man denn zu so einer Arbeit?
Ich startete als „normaler“ Analyst vor zweieinhalb Jahren und habe mich dann hochgearbeitet, es ist aber noch eine junge Firma. Mittlerweile übernehme ich deutlich mehr organisatorische Arbeit. Das ist sehr kompliziert, weil wir immer neue Märkte erschließen; zu Beginn haben wir nur für ukrainische und russische Vereine analysiert. Wir produzieren unsere Analysen nun in mehr als einem Dutzend Sprachen und nicht alle davon gehören zu den europäischen Sprachen! Wir machen auch Analysen auf Chinesisch, Japanisch oder bestimmten spanischen Dialekten, zum Beispiel in Honduras. Statistiken sind dabei natürlich das wichtigste Werkzeug bei der Analyse, weswegen meine Abteilung extrem wichtig für das gesamte Unternehmen ist. Ich bin für alle analytischen Produkte verantwortlich, das heißt, ich muss alle Texte prüfen. Ich weiß gar nicht, wie viele Mails ich jeden Tag bekomme und versende. (lacht)
Also warst du zuvor ein „normaler“ Analyst. Wie wurdest du das? Kann da jedermann arbeiten bzw. welche Qualifikationen sollte man mitbringen?
Für mich war es ein steiniger Weg aus der Technischen Universität, die ich schon vor dem Start meiner Arbeit im Fußball abgeschlossen hatte. Zuerst arbeitete ich als Journalist in den hiesigen Medien, was aber hierzulande ohne spezielle Ausbildung und Vitamin B ein kleines Wunder war. Je länger ich für eine Fußballzeitung arbeitete, umso näher lernte ich die Profis kennen und umso besser verstand ich das Spiel. Taktik und Ähnliches wurden für mich immer interessanter. Ich bildete mich mit Büchern weiter und begann das Spiel auf eine andere Art und Weise zu sehen. Dadurch kam ich in Kontakt mit Trainern der russischen Premier Liga und begann für sie Analysen zu erstellen. Dabei habe ich gelernt, dass frische Ideen von einem Externen, der kein Profi ist, sehr hilfreich sind.
Wie bist du dann zu InStatFootball gekommen?
Ich suchte später nach einer neuen Arbeit und fand heraus, dass es eine solche Firma in Moskau gab. Ich brauchte einen Monat, vielleicht sogar noch etwas mehr, bevor mich die Leute von InStatFootball einstellen wollten. Ich muss dabei Evgeni Shevelyov danken, der zu jener Zeit dort arbeitete. Er gab mir die Möglichkeit und war für mich immer ein Vorbild eines hart arbeitenden Mannes, der mit seinem Fleiß Mauern umstürzen kann. Er arbeitet nun als Trainer/Analyst beim FC Terek Grozny.
Wie hat sich Deine Tätigkeit vom normalen Analysten zum „Direktor“ gewandelt?
Mittlerweile bin ich derjenige, der die Analysten sucht und entscheidet, wer eingeladen wird. Die Ausbildung oder die Erfahrung der Bewerber sind nicht die wichtigsten Faktoren. Das Wichtigste ist die Fähigkeit zur Analyse. Eine gewisse Qualität und kognitive Fähigkeit, würde ich sagen. Und natürlich muss man fußballbesessen sein. Ich habe Leute mit Trainerlizenzen, frühere Fußballjournalisten oder Blogger. Ihre analytische Fähigkeit vereint sie. InStat hat dabei viele Statistiken und Arten der Datenerfassung, die es bei anderen Firmen nicht gibt. So muss ein neuer Analyst natürlich erst eingearbeitet werden und lernen, wie diese Statistiken zu verwenden sind.
Das trifft wohl auf jede Statistikfirma zu. Gibt es da eigentlich irgendwelche größeren Unterschiede zwischen euch und Opta? Oder muss ich sagen: Zwischen euch und dem herkömmlichen Datenlieferanten?
Jede Firma hat ihre eigene Betrachtung der Spiele, eine eigene Philosophie der Analyse. Die Datenerfassung und Messung wird dadurch beeinflusst. Opta ist dabei ein passender Vergleich. Sie haben riesige Unterschiede zu unseren Statistiken. Das beginnt bei der Messung des Ballbesitzes, die Engländer messen da oft die Gesamtzeit, also inklusive Einwechslungen und ähnliches, und endet bei einer subjektiveren Bewertung von Dribblings und Tacklings, die nicht konsistent innerhalb des Unternehmens bewertet werden, bei uns aber von einer oberen Instanz nachkorrigiert werden und dies mit Videoepisoden für den Klienten gestützt und bewiesen wird. Man kann zum Beispiel einfach alle Dribblings von Robben oder Abschlüsse Huntelaars per Klick nachverfolgen und ansehen. Das ist einfach und die Klienten loben uns sehr dafür.
Wenn wir schon bei der Konkurrenz sind: Wer stellt denn die größte dar in dem Segment?
Ich will nicht über Statistiken bei Statistiken reden. (lacht) Jeder kann seine Marktanteile schön präsentieren, das ist kein Problem, das mache ich sicher nicht. Es gibt einige große Firmen wie Opta, Amisco und Prozone, welche unsere Hauptkonkurrenz sind. Wir haben ein paar Märkte von ihnen übernommen, auch in Osteuropa, den wir jetzt nahezu gänzlich kontrollieren. Aktuell expandieren wir in den Westen, inklusive der Topligen. Wir arbeiten zum Beispiel schon lange Zeit mit Lazio, Porto oder Valencia zusammen. Wir haben zurzeit auf allen Kontinenten Klienten, wobei wir bei den nicht-europäischen am aktivsten in Südamerika und Asien sind. Und es arbeiten auch Nationalmannschaften mit uns zusammen.
Wie groß ist denn eigentlich euer Einfluss als Analysten auf die Teams? Und generell auf den Fußball?
Zuerst das Allgemeine: Die Rolle des Analysten ist generell eine sehr philosophische Frage. Es ist kein 1-Tages-Job, den man morgen wieder vergessen kann, denn es kommen immer wieder neue Spiele und die Resultate müssen da sein. Viele Trainer, Analysten und andere Profis vergessen dabei den Zauber, den Begleiter jedes Spiels und Sports. Analysten sollen dabei natürlich dem Team helfen zu gewinnen, aber sie sollen im Idealfall auch helfen, dem Spiel eine Identität und etwas Spezielles zu geben. Trophäen und Ruhm sind attraktiv, aufregend ist aber der Weg dorthin. Viele Profis, die keine Risiken scheuen und kreativ sind, experimentieren und neue Wege gehen, sind faszinierender, als jene, die auf die gleiche Art und Weise ohne Sinn für irgendetwas, außer dem Resultat, gewinnen wollen.
Für uns Analysten ist das aber natürlich auch ein Vorteil und macht uns bei den Klienten beliebt. Die interessantesten und nützlichsten Produkte sind unsere Gegneranalysen, in denen wir die Stärken, Schwächen und einzelne Schlüsselaspekte besprechen. Mit dieser Analyse und den Ratschlägen, basierend auf Statistiken, helfen wir den Klienten beim Gewinnen und sie danken beziehungsweise bezahlen uns auch dafür.
Und jetzt das Spezifische: Wie genau nutzen euch die Vereine denn, wie binden sie euch Analysten in die Entscheidungsfindung mit ein?
Jeder Verein hat eine eigene Meinung dazu. Für manche Klienten ist es nur ein externer Input. Nicht nur die Trainer, auch die Manager und der Vorstand erhalten die Analyse und die Statistiken, damit sie urteilen können, wie effektiv Team und Trainer arbeiten. In diesem Fall ist die Spielanalyse meistens praktischer für sie. Ich weiß von einigen Entlassungen, die nach den Analysen unserer Firma getroffen wurden.
Die Gegneranalysen wiederum konzentrieren sich auf die Vorbereitung für die kommende Partie. Manchmal erhalten dann auch einzelne Spieler bestimmte Informationen über die individuellen Charakteristika des Gegenspielers, die unseren Analysen des gegnerischen Teams entnommen werden. Das ist natürlich abhängig von den Arbeitsweisen der einzelnen Trainer. Mancher Trainer verwendet die Analysen direkt als Grund für Veränderungen. Andere Trainer sehen es nur als erweiternden Blick oder als weitere Meinung. Es ist jedoch zu erkennen, dass unsere Klienten kontinuierlich nach weiteren und komplexeren Analysen verlangen. Sie scheinen es also als sinnvoll einsetzen können.
Wann sind eure Einschätzungen denn am wichtigsten?
Ich denke den größten Einfluss haben wir auf das Vereinsgeschäft während der Transferphase. Sehr viele Klienten fragen nach Spieleranalysen und Scoutingberichten. Dann werden Entscheidungen nach Analysen von InStatFootball getroffen. Zum Beispiel hätte Alex, der bei PSG spielt, vor ein paar Jahren bei einem der größeren Vereine Russlands landen können. Aber nach unserer Analyse entschied sich der Manager dafür dieses Risiko nicht zu gehen und er hat es nicht bereut. Vor einiger Zeit hat ein anderer Verein der ersten russischen Liga auch nach einem neuen Trainer gesucht und uns gefragt, ob wir statistische Analysen von mehreren Kandidaten geben könnten.
Da fällt mir auch gleich eine Frage der Leser ein: Wie definiert ihr als Fußballanalytiker einen Pass als Pass?
Ein Pass ist ein Pass, wenn ein Spieler die Anstalt macht den Ball zu einem Mitspieler zu geben und die Umsetzung versucht. Natürlich passiert es gelegentlich, dass ein schwacher Schuss oder ein Befreiungsschlag in der Statistik zum Pass werden. Das müssen wir dann nachträglich korrigieren, denn die Ballzirkulation zwischen einzelnen Spielern ist wichtig und gleichzeitig komplex. Die Pässe unterteilen wir in unterschiedliche Gruppen: Nicht-angreifende Pässe, angreifende Pässe, tödliche Pässe, Schlüsselpässe. Diese unterscheiden sich voneinander in ihren Motiven. Wir unterteilen die Pässe dann noch in einer weiteren Ebene nach der Distanz, in kurz, mittel und lang. Kurze Pässe sind dabei 10 oder weniger Meter lang, 10-30 Meter sind die mittleren Pässe und über 30 ist alles lang.
Je mehr Informationen wir haben, desto mehr Kriterien gibt es für Schätzungen und die Analyse wird besser. Wir arbeiten aktuell an einer zeitnahen Umsetzung auf eine noch detaillierte Beschreibung von Pässen. Wir sind Perfektionisten. (lacht)
Apropos Perfektionisten – misst ihr auch Aktivitäten abseits des Balles? Wenn ja, wie?
Natürlich messen wir die! Wir wissen, wie viele Meter jeder Spieler spazierte, rannte oder sprintete, und so weiter. Die Messung gibt uns auch Informationen darüber, wie viele Aktionen jeder Spieler in bestimmten Geschwindigkeiten hatte. Das erlaubt uns ein 2D-Model der gesamten Partie zu erstellen, die einer Simulation oder einem Fußballmanagerspiel ähnelt. Der Trainer kann sie herunterladen und alle Bewegungen aus der Vogelperspektive betrachten. Das ist insbesondere bei Standards eine tolle Unterstützung für Analysen. Man erhält das 2D-Model und das Bild aller Spieler mit der dazugehörigen Rückennummer. Dadurch werden diese engen Szenen einfacher zu sehen und man muss nicht aus einer seitlichen oder diagonalen Betrachtung überlegen, wo zum Teufel wer wohin läuft. Das ist besonders nützlich, wenn die Videoqualität schlecht ist. Wir arbeiten auch mit Teams in niederen Ligen, wo es diese Probleme oft gibt.
Also ist die Messung von Bewegungen ohne Ball durchaus möglich. Kann man aber abstrakte Dinge wie Talent ebenfalls messen? Zum Beispiel – Leserfrage! – von Hans Sarpei? Wobei natürlich jeder weiß, dass Hans Sarpeis Talent nicht gemessen werden kann, weil wir solche Zahlen nicht darstellen können.
(lacht) Das Problem ist natürlich, dass Talent zwar vorhanden ist, aber nicht genutzt wird. Wir haben ein riesiges Scoutingnetzwerk, mit einem riesigen Videoarchiv inklusive intelligenten Suchmöglichkeiten und integrierten Statistiken. Unsere Klienten nutzen es regelmäßig zwischen den Transferfenstern und verfolgen viele Spieler. Zusätzlich haben wir den „InStatIndex“ entwickelt. Das ist eine einzigartige Kategorie, die für jeden Spieler nach einem Spiel berechnet wird. Sie besteht aus vielen Parametern, beispielsweise der Aktivität des Spielers, der Beteiligung an den Aktionen des Teams und dem Gegner und dessen Fähigkeiten. Dies wird summiert und man kann jederzeit den gegenwärtigen Index-Wert überprüfen. So könnte man glauben, dass ein Spieler beim FC Barcelona viel talentierter ist, als ein Durchschnittsspieler aus einer anderen Liga. Aber ich kann versichern, dass es in der russischen Liga einige wenige Spieler gibt, die einen höheren InStat-Index-Wert haben, als Alexis Sanchez.
Allerdings sind wir keine reinen Mathematiker, wir behandeln durchaus auch die Kunst im Fußball, wie ich es nenne. Wir mischen die Statistiken immer mit Videoanalysen, ansonsten könnte man das falsche Bild bekommen. Nur Videos ansehen ist aber auch nicht genug.
Ach ja, Sarpei kenne ich noch sehr gut aus seinen Tagen in der Bundesliga. (lacht)
Wie genau sieht dieser Index denn aus?
Der InStat-Index wird automatisch generiert, nachdem Spielstatistiken alle aufgenommen sind. Dabei nutzen wir viele Vergleiche: Die Statistiken des Spielers in dieser Partie werden mit modellierten Charakteristika für seine Position und Rolle verglichen. Für jede Position gibt es aber nur 5-6 Kriterien, zum Beispiel die Zweikampfquote. Für einen Innenverteidiger ist hier der Wert zum Beispiel 66%, wenn er mehr gewinnt, erhält er einen positiven Koeffizienten, nämlich 1,05. Bei 55% erhält er einen niedrigeren Koeffizienten. Wenn die letztliche Zahl im r der vergleichenden Charakteristika liegen, dann werden zusätzliche Koeffizienten genutzt. Die Base Mark für jeden Spieler im Spiel liegt bei 220. Jeder Spieler erhält dann eben 5-6 Koeffizienten zu Spielende.
Wir überarbeiten das aber immer, aktuell haben wir mehrere und komplexere Koeffizienten eingeführt, um zum Beispiel das Level der am Spiel beteiligten Mannschaften zu determinieren. Um den Koeffizienten der Vereine und Nationalmannschaften zu berechnen, haben wir diese Werte mit den Ergebnissen der Spiele abgeglichen. Und damit wir den Index des Spielers berechnen können, nutzen wir die Durchschnittswerte der am Spiel beteiligten Mannschaften. Wir haben die Wichtigkeit des Teamlevels und dessen Koeffizienten erhöht, um Spieler auch ligenübergreifend besser vergleichen zu können.
Eure Spielerbewertungen bestehen sicherlich auch aus den Laufstatistiken der Spieler – doch wie ermittelt ihr diese Daten und was genau messt ihr dabei? Auch Spaziergänge zur Ecke?
Die Trackingdaten werden mit speziellen Kameras gemessen, welche wir vor Ort in den Stadien nutzen. Unsere eigene Software nimmt dabei nicht nur sämtliche Läufe der Spieler auf, sondern verringert zusätzlich die Fehler bei der Messung. Die Läufe zur Ecke werden dabei später noch korrigiert. Wie viele andere Bewegungen ohne Ball kann es wichtige Unterschiede in der endgültigen Statistik ausmachen. Wir messen außerdem noch die Sprints und Antritte, nicht nur die reine Distanz.
Wie wird der Ballbesitz bei euch gemessen? Wieso ergibt der Ballbesitz immer 100%? Gibt es auch Daten, wenn niemand den Ball hat?
Unsere technischen Fähigkeiten erlauben es uns zu wissen, wer am Ball ist, wenn der Ball im Spiel ist. Der Ballbesitz kann für eine Sekunde oder weniger dauern, aber auch das ist Ballbesitz. Die entscheidende Frage ist, ob der Pass oder auch Befreiungsschlag erfolgreich war. Wenn er es war, dann bleibt die Mannschaft in Ballbesitz, auch wenn der Pass vielleicht nicht beabsichtigt war. Wenn der Ball nicht ankommt, dann wird diese Zeit aus der gesamten Ballbesitzzeit herausgerechnet.
Weitere Leserfrage: Was ist eigentlich deine generelle Meinung zum Ballbesitz und seiner statistischen Bedeutung?
Nun, der Ballbesitz als solcher ist ja eigentlich keine zentrale Statistik und zeigt auch nicht die nominellen Vorteile einer Mannschaft, er spiegelt aber gewisse Dynamiken sehr gut wieder. Wir kategorisieren den Ballbesitz in 15-Minuten-Intervallen. Manchmal ist das ein echtes Hin und Her: 60:40, 44:56 und dann 55:45. Jede wichtige Statistik verändert sich laufend. Die Post-Spiel-Analysen solcher Veränderungen sollen uns näher der Antwort auf die wichtige Frage bringen: Wieso fand das Spiel auf diese Art und Weise statt?
Zur Ermittlung der Ballbesitzverteilung messen wir natürlich, wie lange der Ball wirklich im Spiel ist. Wartezeiten an der Auslinie fließen beispielsweise nicht mit ein. Im Schnitt ist der Ball ungefähr 50 Minuten im, aber das ist vom Spiel und von den Teams abhängt. In Abhängigkeit der Netto-Spielzeit und der Ballbesitzverteilung erfährt man dann, dass das eigene Team 20 Minuten in Ballbesitz war und der Gegner 28 Minuten.
Zusätzlich unterteilen wir den Ballbesitz in Sequenzen, die in unterschiedliche Zeiten aufgeteilt sind; von 0-5 Sekunden, von 5-15, von 15-30, und so weiter. Für einzelne Spiele ist diese Information vielleicht nicht so wertvoll, aber wenn man das eigene Team oder den gegnerischen Stil analysieren will, ist es ein interessanter Zusatzaspekt.
Kann man denn überhaupt etwas objektiv messen? Spieler sind dabei doch kaum zu erfassen?
Wir versuchen beispielsweise durch die Ermittlung des InStat-Index uns einer gewissen Objektivität zu nähern. Das ist aber natürlich nur eine Beurteilungsmöglichkeit, wie gut oder schlecht die Leistung eines Spielers war. Wir versuchen unserem Klienten einfach viele, auch komplexe, Informationen zu geben. Eine Möglichkeit ist es Fitnessanalysen mit Basisstatistiken zu kombinieren, um die Effektivität eines Spielers (mit oder ohne Ball) oder der Erfolgsrate seiner offensiven wie defensiven Aktionen geben.
Ein Beispiel für die deutschen Leser von Spielverlagerung: Serdar Tasci gewinnt 65% aller seiner Zweikämpfe, inklusive 64% der Luftzweikämpfe und 69% seiner Grätschen. Gegen die Bayern im DFB-Pokalfinale im Juni war er noch besser: 69% gewonnene Zweikämpfe und 100% erfolgreiche Grätschen. Und er ging dabei öfter in die Zweikämpfe. Aber wir können durch andere Werte herausfinden, dass Tasci oftmals zu langsam in seiner richtigen Position war, um den Raum gegen die schnellen Stürmer der Bayern zu decken.
Tasci ging 16mal in dieser Partie in den Zweikampf statt der durchschnittlichen 12mal, aber in Relation zur Stärke der Gegenspieler und dem Ballbesitz des Gegners war dies trotzdem kein überdurchschnittlicher Wert. Eine Analyse von Tascis Laufdaten und Fitnesswerten gibt ein besseres Verständnis seiner realen Qualität und Leistung in dieser Partie. Und einer seiner Fehler in diesen analysierten Aspekten war mitverantwortlich für ein Gegentor.
Trotzdem darf man Tasci nicht wegen eines Spiels die Klasse absprechen. Es ist nur eine Momentaufnahme, die ebenfalls relativiert werden muss. So sagt zum Beispiel der Teamchef von Spartak Moskau Valeriy Kaprin, dass Tasci zu den besten Verteidigern Europas gehört.
Schöne Worte, da kann man nur hoffen, dass Tasci Spielverlagerung liest. Kann man aber einen Spieler aus der Bundesliga wie Tasci mit Spielern aus anderen Ligen vergleichen? Oder einen Verteidiger mit einem Stürmer? Oder Ligen mit anderen Ligen?
Vergleiche zwischen Ligen können einfach durchgeführt werden, weil wir sämtliche wichtigen Ligen der Welt und viele weniger beachtete Ligen ebenfalls abdecken, insgesamt über 100 unterschiedliche Ligen. Aus all diesen Ligen haben wir statistische Daten und können nach Unterschieden suchen. In der brasilianischen Serie A gibt es zum Beispiel viel mehr Schnittstellenpässe als in Italien. Der Unterschied liegt bei 25% und die Effektivität der Pässe ist bei den Brasilianern ebenfalls 10% höher.
Was wohl an der taktisch besseren und kompakteren Defensivarbeit der italienischen Serie A liegt, vermute ich, dazu auch wohl etwas mehr Risikofreude im Spiel nach vorne bei den Brasilianern.
Ich auch. Und dadurch können wir größere Spielstrategien und Trends in nationalen Ligen vergleichen. So ist zum Beispiel die russische Premier Liga in vielerlei statistischer Hinsicht so ähnlich wie die französische Ligue Un. Das beinhaltet unter anderem die Anzahl der Zweikämpfe, der Grätschen und die Enge bei eins-gegen-eins-Situationen. Darum kommen Spieler aus der französischen Liga oder mit Erfahrungen in dieser sehr gut in Russland an, wie beispielsweise Charles Kabore und Djibril Cisse bei Kuban oder Yann M’Vila und Chris Mavinga bei Rubin Kazan.
Wir wissen außerdem zum Beispiel, dass es in der Serie A, einer als sehr taktisch geltenden Liga, deutlich weniger Zweikämpfe im Schnitt gibt als in anderen Topligen. In der russischen Liga liegen die Topwerte bei aufgelesenen freien Bällen bei 20, in der Bundesliga ist dieser Wert 1,5mal so groß.
Jaja, die Konter- und Gegenpressingliga…
Genau. Diese Unterschiede zeigen unterschiedliche Spielstile, aber es ist nicht so einfach. In Deutschland müssen wir zwischen Bayern, Dortmund und den anderen differenzieren. Ebenso in Spanien bei Real und Barcelona, die fast eine eigene Liga, auch statistisch, darstellen.
Vergleiche von Spielern unterschiedlicher Positionen sind da schwieriger. Natürlich sollen alle Flügelspieler mal flanken, aber sie haben auch sehr unterschiedliche Aufgaben im Angriff, besonders, wenn es um Außenverteidiger und Flügelstürmer gibt. Oder auf gegenüberliegenden Seiten, wo sie teilweise ganz anders genutzt werden. Wir sehen dann auch oft eine Asymmetrie in den Aktionen. Ein Flügel wird zum Beispiel für Pässe in den Strafraum und der Andere für individuelle Läufe in die Mitte oder Schüsse genutzt. Das wird natürlich durch die Spielerqualitäten und die Philosophie des Trainers diktiert.
Aber wie vergleicht man einen Innenverteidiger und einen Mittelstürmer? Eine Möglichkeit ist es sie in gleiche Aufgaben, zum Beispiel Luftzweikämpfe, aufzuteilen, doch auch hier ist der Zweck unterschiedlich und die Rolle variabel. Es ist also sehr schwierig. Nehmen wir aber zwei Innenverteidiger aus unterschiedlichen Ligen und Ländern, wo die Spiele enger sind, dann können wir das dank der Ligenstatistiken berücksichtigen und sie gut vergleichen. Das geht schon.
Das sind ja ziemlich nette Spielereien. Und man darf natürlich auch fragen, wieso man denn Spieler in unterschiedlichen Positionen überhaupt miteinander vergleichen soll. Da fände ich Vergleiche unterschiedlicher Rollen lässiger. Wie siehst du das? Gibt es spezielle Statistiken für bestimmte Rollen oder Messunterschiede für unterschiedliche Spielertypen?
Spezielle Daten gibt es nur für die Extremposition des Torhüters. Aber das ist kein Problem, wir haben Daten zu allen Aktionen aller Spieler und können so die Rollen durchaus vergleichen. Es gäbe gar ein Problem dabei, wenn wir sie in fixe Rollen kategorisieren würden. Auch eine falsche Neun oder ein klassischer Zielspieler agiert in jedem Spiel anders und in einer angepassten Rolle. So analysieren wir auch, als ob jedes Spiel ein ganz spezielles und einzigartiges ist.
Also werden die Statistiken eher unterschiedlich interpretiert?
Exakt. Wenn ein Innenverteidiger 50% seiner Zweikämpfe gewinnt, ist das schrecklich. Der gleiche Wert für einen Mittelstürmer ist jedoch herausragend. Aber nicht nur die Position definiert den Kontext und die Normwerte für den Spieler und die Statistik. Es hängt auch davon ab, was der Trainer von seinen Spielern verlangt. Als Samuel Eto’o mal in einer Partie nur 10% seiner Zweikämpfe gewann, war Guus Hiddink zufrieden mit seiner Partie, da er in seinen Bewegungen ohne Ball und in seinen Aktionen sehr stark war. Und das war es, was der Trainer von ihm verlangt hatte.
Gewinnen – gibt es dafür irgendwelche Statistiken, die besonders wichtig für Siege zu sein scheinen und wie werden diese gemessen? Damit meine ich übrigens nicht die Tore und Schüsse.
Im Fußball ist das schwer. Jedes Spiel ist anders und das Entscheidende, was das Ergebnis bestimmt, variiert sehr oft. Man kann 75% der Luftzweikämpfe gewinnen, aber wenn der Gegner mit flachen Schnittstellenpässen spielt und man keine Unterstützung für den Zielspieler nach erfolgreichen Befreiungsschlägen hat, sieht es düster aus. Das macht die Arbeit auch aus. Es gibt viele statistische Programme und wissenschaftliche Arbeiten, welche gewisse Tendenzen für die Spiele ergeben können. Natürlich machen dabei gewisse Elemente öfter den Unterschied und es gibt generelle Aspekte, aber das heißt nicht, dass dies in einem bestimmten Spiel oder gegen Team X benötigt wird.
Analysiert ihr nur Mannschaften, Spiele und Spieler oder auch Dinge wie die Liga selbst, generelle taktische Strategien, Trainer und Spielphilosophien?
In vielen Ländern arbeiten wir nicht nur für die Vereine, sondern mit der gesamten Liga zusammen. Solche Verträge sind vorteilhaft für die Vereine, die Liga und für uns auch. Aber generell analysieren wir die gesamte Liga in der unsere Klienten tätig sind. Das ist wichtig, denn ohne das Gesamtbild können wir nicht die richtigen Schlussfolgerungen ziehen. Spielphilosophien werden immer in den Gegneranalysen besprochen, welche unsere Klienten erhalten. Wir versuchen die unterschiedlichen Ausrichtungen bei den Spielern, aber auch den Trainern zu betonen, und versuchen Entscheidungen vorwegzunehmen, wie die Startaufstellung oder die Einwechslungen, wann, wieso und wo sie stattfinden können. Diese Dinge können nicht objektiv sein, weil man sich in wen anders hineinversetzen muss und da gibt es Unterschiede zwischen Pep Guardiola und Antonio Conte. Das ist natürlich immer strittig, aber es ist ein unverzichtbarer Aspekt der Arbeit eines Analysten.
Versucht ihr auch neue Statistiken zu erfinden? Damit meine ich Sachen wie den durchschnittlichen Abstand zum Ball oder ähnliches? Abgedeckter oder geöffneter Raum bei erfolgreichem Dribbling? Durchschnittlicher Abstand zum ballführenden oder zum nominellen Gegenspieler?
Ja, das ist ein permanenter Prozess. Wir hören uns alle Ideen und Anforderungen unserer Klienten an. Aber da wir weltweit aktiv sind, müssen wir in allen unseren technischen Aspekten stabil und sicher sein, weswegen es eher eine Zeitfrage bis zur Einführung ist.
Versucht ihr nicht nur neue Werte, sondern auch irgendwelche Formeln für bestimmte Aspekte oder Strategien herauszufinden? Zum Beispiel wie bei einer „Pressingintensitätsformel“, die sich aus der Relation von Ballbesitz und Passgenauigkeit zusammensetzt?
Wir haben ein paar spezielle Formeln, zum Beispiel einen Index der Angriffsmentalität oder der Intensität bzw. „Enge“ von Zweikämpfen. Die sind etwas komplexer und nutzen mehr Faktoren als in deinem Beispiel. Aber wir fokussieren uns dennoch weiterhin auf die „normalen“ Statistiken, da die komplexen Indexe auch stärker von der jeweiligen Vision und Spielphilosophie der einzelnen Mannschaften beeinflusst sind. Viele Leute in unterschiedlichen Vereinen haben andere Meinungen darüber und wie sie zu messen und zu bewerten sind.
Macht ihr dann auch Analysen von größeren Strategien anstatt von taktischen Aspekten? Also Korrelationsanalysen zum Thema Ballbesitz und Punktausbeute oder so ähnliche Sachen?
Solche Sachen machen wir meistens nach großen Turnieren, wie zum Beispiel der Europa- oder Weltmeisterschaft. Das ist für jene interessant, die solche modernen Trends genau verfolgen möchten. Aber aus einer praktischen Sicht ist das zu verallgemeinernd. Die meisten Trainer und ihre Philosophien folgen persönlichen Ideen.
Brauchen die dann auch unterschiedliche Arten von Analysen? Gibt es so etwas überhaupt?
Spiel- und Gegneranalysten nehmen den Großteil unserer Arbeit ein und sind das Standardpaket für den Klienten. In den Transferphasen gibt es natürlich auch spezielle Anfragen für Spieleranalysen, die wir erfüllen. Manche Klienten, besonders größere Vereine, haben aber einen intensiven Kontakt mit uns und wir machen dann auch zusätzliche Arbeit auf Anfrage für sie. Manchmal brauchen sie tiefere Informationen über die eigene Mannschaft oder den Gegner und wir können dann spezifische Wünsche erfüllen.
Gibt es irgendwelche Neuerungen und Veränderungen bei den Analysen?
Beim Analysieren sollte es meiner Meinung nach darum gehen, Wissenschaft, Physiologie, Energie, Bildung, Kunst, Philosophie und Psychologie zu verbinden. Ich bin mir sicher, der Trend wird langfristig dahingehen, diese Aspekte in der Analyse auch zu repräsentieren. Heutzutage ist es außerdem nicht mehr genug einen Schritt voraus zu sein, sondern zwei. Wie beim Schach: Je weiter man vorne ist, desto besser und desto eher gewinnt man. Und wie beim Schach reicht ein Fehler zur Niederlage. Analysten sollten, auch wenn sie nicht im Verein angestellt sind, Assistenten der Trainer sein. Eine Analyse kann nicht immer theoretisch erklärt werden, man muss die Schlussfolgerungen auch praktisch umsetzen.
Misst ihr – oder messen eure Klienten – auch Aspekte abseits des Platzes bei Spielern, zum Beispiel die Intelligenz? Es gibt Teams mit den standardisierten IQ-Tests als Messung oder Charaktertests wie aktuell unter Van Marwijk beim HSV. Gibt es noch andere Beispiele?
Also wir machen nichts dergleichen, wobei das sicher zu den Aspekten gehört, die in den Bereich der Analyse langfristig hineinfallen könnten. Bei ein paar Sachen bin ich aber skeptisch, zum Beispiel gegenüber IQ-Tests. Ich weiß, dass einige Teams Kreativitätstests machen, eine wichtige Qualität im Fußball, ja!, aber ich frage mich, ob man es überhaupt messen und miteinander vergleichen kann. Kreativität als solche bezeichnet ja etwas, das man nicht messen oder in Skalen kategorisieren kann.
Wie viele Ligen und Mannschaften analysiert ihr?
Wie schon gesagt analysieren wir ungefähr 100 Länder. Wir analysieren dabei alle nationalen Meisterschaften, die kontinentalen Pokale, die Turniere der Nationalmannschaften, auch inklusive der Frauen und Jugend. Nicht alle unserer Kunden bestellen das analytische Material, welches aus einem Kernpaket aus Statistiken, Videoprogramm und Scoutsystem besteht, aber jeden Tag wird die Anzahl größer. Aktuell sind es über 60 Mannschaften aus aller Welt. Es gibt auch einige Mannschaften in Westeuropa, die keinen permanenten Vertrag haben, aber regelmäßig unsere Hilfe nutzen.
Wie analysiert ihr die Spiele? Funktioniert das automatisch oder schauen eure Analysten die Spiele und schreiben nieder, was passiert?
Für die statistische Produktion nutzen wir eine halbautomatische Methode. Unsere spezielle Software gemeinsam mit den Aktionen des Analysten erlauben es jede Aktion des Spiels aufzunehmen und danach zu korrigieren. Diese Aktionen werden mit Videos verlinkt, was uns eine intelligente Suche nach bestimmten Episoden ermöglicht. Die Analyse selbst ist ein Handwerk, aber die Statistiken und Videos machen sie realistisch.
Wie viele Analysten hat ihre gesamte Firma?
Aktuell sind es ungefähr 300 Leute, die sich am Firmenleben beteiligen. Ein Drittel davon produziert Statistiken, dazu kommen noch mehr als 20 Analysten. Und da wir in unterschiedlichen Ländern arbeiten, haben wir noch zusätzliche Analysten im Ausland.
Wie viel bezahlen die Mannschaften für euren Service, wie viele Analysten haben die Teams selbst und wie viele Analysten habt ihr pro Team?
Tut mir Leid, aber darüber darf ich nicht sprechen. Nicht alle Vereine sagen, wie viel sie für welchen Spieler bezahlt haben und hier ist es das Gleiche. Ich kann nur sagen, dass InStat günstiger ist als andere europäische Marken, obwohl unsere Mitarbeiter genug Geld für ihre Dienste erhalten.
Was ist mit der freien Konkurrenz? Internetseiten wie WhoScored oder Squawka bieten ihre Daten großteils umsonst an. Kennst du die? Wo ist der Unterschied zu euch, welche Statistiken differieren?
Ich kenne die Seiten, ich verfolge mehr oder weniger alles, was mit Statistiken und Analysen zu tun hat. Aber man kann die Ressourcen dieser Seiten nicht mit unserer Firma vergleichen. Wir haben Daten über jede Aktion jedes Spielers auf dem Feld. Nach einem Spiel erhalten unsere Klienten über 60 Seiten mit Darstellungen davon, mit Grafiken und Diagrammen.
Wenn man so viele Statistiken hat, kann man dann sagen, dass zwei Spieler mit der gleichen Statistik den gleichen Wert, die gleiche Leistung erbracht haben?
Statistiken sind relativ. Wenn wir die Statistiken im letzten Spiel nehmen, ist es eine Sache, in den letzten fünf Spielen eine andere und in der gesamten Saison eine ganz andere. Und selbst bei einem Spiel muss man beim Urteil die Videoanalyse miteinbeziehen. Man sollte verstehen, dass die Statistiken nur ein Werkzeug sind. Deswegen kann man diese Aussage nicht treffen.
Ein Beispiel zur Veranschaulichung: Zwei Spieler mit 40 Pässen bei 85% Passgenauigkeit, 2 Schüssen daneben, 3 erfolgreichen Dribblings bei 4 Versuchen, 2 erfolgreiche Grätschen bei 4 Versuchen. Aber der eine Spieler passte auf die Mittelstürmer, der andere auf die Flügel. Die Schüsse des Einen wurden von Abstaubern verwertet und führten zu Toren, die anderen gingen zum Herren in Blau in Block 7. Die Dribblings des Einen waren näher am gegnerischen Tor, die des Anderen in leeren Räumen in der Spielfeldmitte. Die Tacklings des einen Spielers kreierten gute Konterangriffe, die des Anderen nicht. Gibt es einen Unterschied? Natürlich. Ein reiner Blick auf die Zahlen ohne Kontext und Relation gibt wenig Aufschluss, es ist eher kontraproduktiv, wenn das Spiel nicht ordentlich beachtet wurde.
Spiele sind ja nur ein Aspekt des Fußballs und des Spieler- wie Trainerdaseins. Habt ihr auch Daten von Trainings oder Fitnesstests oder Ähnlichem?
Nein, aber wir arbeiten schon an neuen Produkten. Wir haben ja nur mit Statistiken begonnen, haben aber aktuell Fitnessanalysen, Videoprogramme, ein Scoutingsystem, Analysen, Texte für Medien und sogenannte Match-Center – Webseiten für nationale Ligen, wo alle Spiele mit Statistiken präsentiert werden.
Woran erkennt man einen zukünftigen Weltklassespieler, der noch nicht so weit ist?
Wir erkennen das an seinem Spielstil, der durch unsere detaillierte statistische Analyse eingeschätzt wird. In unserem Scoutingsystem kann man einen Spieler wählen und Informationen über ähnliche Spieler erhalten. Wenn ich mir Gareth Bale nicht leisten kann, dann einen jüngeren und billigeren Spieler. Aber wie sich Talente entfalten ist nicht vorherzusagen. Wie oft bekommen riesige Talente verlorene Hoffnungen? Und das ist ja nicht nur im Fußball so, sondern im Leben generell. Das Nachtleben und der Alkohol können nicht von Statistiken vorausgesagt werden.
Versucht ihr aber die Spieler und die nötigen Anpassungen an den neuen Verein oder den möglichen erhöhten oder verringerten Nutzen des Akteurs in einer bestimmten Ausrichtung vorherzusagen? Kombiniert ihr da Spielphilosophie, Taktik und Statistiken, um dies machen zu können? Ich meine, Andy Carroll beim FC Barcelona wäre keine super Idee.
Ja, wenn wir Scoutingberichte einzelner Spieler in den Transferphasen erstellen, versuchen wir auch vorherzusagen, wie er in das an ihm interessierte Team passen könnte. Wir analysieren dabei die Stärken und Schwächen des Spielers, seinen Spielstil und welche Position in welcher Formation für ihn am besten sein könnte. Dabei fassen wir nicht nur Zahlen zusammen, sondern versuchen auch eine Vorhersage zu treffen oder gar Ratschläge einfließen zu lassen.
Wir lassen sogar Analyseaspekte über charakterliche Qualitäten des Spielers einfließen, wenn möglich. Diese versuchen wir uns auf unterschiedliche Arten und Weisen zu besorgen, wenn es möglich ist. Dazu gehört dann das Verhalten in Spiel und Training, der Einfluss seines Charakters auf das Spiel, Interviews und Informationen von Insidern. Aber ich frage mich, ob es einen Scout in der gesamten Welt gibt, der kein bisschen an irgendeinem Transfer zweifelt. Selbst Topspieler können Probleme mit der Anpassung haben. Fußball ist oftmals doch mehr Psychologie, als die meisten Leute glauben, zumindest in dieser Hinsicht.
Aber viele Teams riskieren dennoch etwas. Das Carroll-zu-Barcelona-Beispiel ist ja sehr treffend und etwas Ähnliches ist für mich zum Beispiel der Llorente-Kauf von Juventus. Ich mag den Spieler, aber ich bin nicht überrascht, dass er dort noch keine Leistungen wie in Bilbao vor zwei Jahren bringt.
Wie kommt ihr eigentlich zu euren Klienten? Werdet ihr von Vereinen angesprochen und kommt in eine Ausschreibung oder geht ihr auf die Vereine zu?
Wir haben intelligente Manager, die uns helfen, diese Märkte zu erschließen. Natürlich, wenn wir über Topvereine reden, machen wir den ersten Schritt. Sie sind zu berühmt, um uns anzusprechen. Aber es gibt viele Vereine in der Welt, die uns ansprechen und unsere Produkte wollen, ohne oftmals die finanziellen Ressourcen dafür zu haben. Ein Team aus Brasilien bot uns sogar an, unser Logo auf ihre Shirts zu drucken, da sie kein Geld für das Scoutingsystem entbehren können. Sie sahen aber unsere Produkte bei anderen Teams und sie gefielen ihnen. Auch das gibt es.“
Ist es dann auch möglich herauszufinden, ob ein Fußballer auch ein guter Fußballer ist und ob er das in jedem Team ist?
Naja, was ist ein guter Fußballer? Ist Anelka ein guter Fußballer? Ja, wahrscheinlich schon. Aber er schaffte es nicht, dies bei Real Madrid zu zeigen. Adaption an die Situation und noch andere Dinge machen jeden Transfer risikoreich. Da frage ich mich auch, ob Neymar in Barcelona sofort so stark sein kann, wie beim FC Santos. Wir können zwar alles analysieren, was der Spieler schon gemacht hat und versuchen vorauszusagen, was er noch tun wird, wie er spielen wird, aber keine Voraussage der Welt liegt bei 100%iger Genauigkeit. Auf den Weltuntergang wartet man bekanntlich immer noch.
Kontrolliert ihr denn die Validität eurer Analyse?
Wir validieren sie täglich durch den Kontakt mit unseren Klienten. Feedback von Profis aus Topligen ist die beste Qualitätskontrolle.
Wie analysiert ihr Spieler die Sachen extrem gut machen, welche nicht statistisch gemessen werden? Dinge wie das Deuten und Öffnen von Räumen?
Das gehört zu den Dingen, die eher von unseren Analysten erhoben und bewertet werden. Diese sind sehr gut in Sachen Taktik und legen ein spezielles Augenmerk auf den jeweiligen Spielstil des Spielers und seine Bewegungen ohne Ball.
Braucht ihr eigentlich frühere Fußballer, um solche Sachen sehen zu können? Um zu wissen, was man wie messen kann oder werden die Statistiken und Analysen ohne diesen Input erstellt?
Ja, die brauchen wir schon. Als unser Unternehmen die ersten Schritte machten, halfen mehrere Toptrainer Russlands dabei. Ohne deren professionelle Hilfe wäre es sehr schwer geworden. Einer davon ist übrigens Yuriy Krasnozhan, einer der besten Trainer des Landes, der sich auch sehr um seine Fortbildung und Entwicklung im wissenschaftlichen Bereich bemüht. Wir arbeiten auch heute noch mit vielen Trainern, die uns immer wieder einzelne Ratschläge und Hinweise geben. Gemeinsam mit unseren Klienten versuchen wir unsere Produkte noch zu verbessern.
Gibt es solche Klienten auch in Deutschland?
Wir haben viele Klienten in Deutschland, aber nicht alle nutzen unsere analytischen Produkte. Sie arbeiten etwas anders, verglichen mit anderen europäischen Ligen. Sie konzentrieren sich stärker auf einzelne Sachen und die meisten wollen nur die Rohdaten haben. Dabei schätzen sie unsere Analysten sehr, wenn diese unübliche Statistiken finden. Aber entscheiden und beurteilen wollen sie selbst.
Kannst du uns auch Näheres zu den deutschen Klienten sagen?
Ich rede mal über zwei von denen. Das sind Mainz und Stuttgart. Wie du sicherlich weißt, leben Klopps Ideen noch immer in Mainz weiter und das betrifft auch den Aspekt der Spielvorbereitung. Es wirkt für mich, als ob sich ihr Interesse bei den Statistiken am meisten um die Theorie selbst dreht und um die Möglichkeit taktische, technische, physische und psychologische Aspekte quantitativ zu untermauern. Ein großer Teil ihrer Vorbereitung handelt von der Motivation der Spieler und einem globalen Fokus auf die Spielerentwicklung, inklusive der Fähigkeit der individuellen Verbesserung der Spieler. Sie suchen mit der zusätzlichen rationalen und empirischen Analyse die Balance zwischen der Inspiration der Spieler auf psychologischer Ebene und einem rationalen Ausgleich auf taktischem Level. Und das erhalten sie von uns.
Stuttgart hingegen ist nicht besonders an Analysen der eigenen Spiele interessiert, sie konzentrieren sich eher auf die Gegner. Dabei ist interessant, dass wir mehr für ihr zweites Team analysieren als für die Bundesligamannschaft. Ich denke, das machen sie so, weil sie mehr über die Bundesligateams wissen und sich die Dinge dort nur vereinzelt schnell ändern im Gegensatz zu Mannschaften in tieferen Ligen.
Vor kurzem haben wir übrigens auch Sturm Graz aus der österreichischen Liga unter Vertrag genommen, die Gegneranalyse buchen. Allerdings kennen wir sie noch nicht lange genug, um ihren Arbeitsstil zu kennen.
Und um zur abschließenden Frage des Tages zu kommen: Weiß man in Russland eigentlich, dass Thomas Müller sich selbst als Raumdeuter bezeichnet? Was sagt euer InStat-Index dazu?
Dass es eine ziemlich passende Bezeichnung ist (lacht). Selbst wenn er als nomineller rechter Flügelstürmer agiert, finden nur 57% seiner Aktionen auf rechts statt, 32% im zentralen Mittelfeld und 10% ganz vorne. Das ist eine große Gefahr für den Gegner, wenn man die Effektivität der Müller’schen Offensivaktionen kennt. Passenderweise haben wir eine neue Option in unserem Scoutingsystem: Eine Bewertung der wichtigsten Spielereigenschaften, die sich aus den Statistiken der Spieler und der Veränderungen zusammensetzt. Es ist also keine subjektive Beurteilung wie bei einem Fußballmanager. Müller kommt da auf 100 von 100 Punkten in Bezug auf seine Fähigkeiten im Raum. Selbst ein Spieler wie Mesut Özil kommt da auf „nur“ 86 Punkte.
Tja, damit wäre schon die wichtigste aller wichtigen Fragen beantwortet. Danke für das Interview, Evgeni.
Den Link zur Seite von InStatFootball findet ihr hier, ihre Twitterseite gibt es hier und wer Evgeni persönlich auf Twitter für mehr Informationen anschreiben oder seine Beiträge verfolgen möchte, kann dies hier tun.
10 Kommentare Alle anzeigen
BSG 4. November 2013 um 23:28
Bei dieser Gelegenheit kann ich vllt endlich geklärt bekommen (sic!) wie sich die unterschiedlichen Passsorten definieren.
Nicht-angreifende Pässe, angreifende Pässe, tödliche Pässe, Schlüsselpässe?
Sind Schlüsselpässe, Assists, die nicht zum Tor führen, also Torschussvorlagen? Sind tödliche Pässe, solche die Spieler mutterseelenallein auf die Reise vors Tor schicken?
Ich danke im Voraus
Demetrios 4. November 2013 um 23:26
Enorm interessant. Toll!
Stefan 3. November 2013 um 07:59
René, mal ne Frage zu Eurer Arbeitsweise.
Die meisten Spiele werdet ihr ja am Bildschirm sehen, oder?
Wie in etwa lautet dabei das Verhältnis zwischen Stadion und TV?
Und wo siehst den Unterschied ein Spiel im Stadion oder vor dem TV zu analysieren?
Stefan 2. November 2013 um 14:18
Danke René, sehr gutes Interview.
Sehr informativ, gut lesbar
Stefan
TW 2. November 2013 um 13:51
Großartiges Interview!
h 2. November 2013 um 10:59
Super Super Interview
SCP-Poker 1. November 2013 um 22:56
Super interessantes Interview, gerne öfter solche kompetenten Interviewpartner
kompottclown 1. November 2013 um 22:41
grossartiger artikel, wie immer.
Anmerkung zur ersten Grafik: „volle Spiele“ – ich vermute mal, dass ist nicht ganz richtig. Ich glaube nicht, dass es voll im Sinne von ausverkauft, sondern eher i.S.v. komplette, ganze Spiele über 90 Minuten geht. Und daher schätze ich ebenfalls, aufgrund der Anzahl der Ereignisse, dass es einfach eine Liste von bestimmten (228) Spielen in gesamter Länge ist.
datschge 1. November 2013 um 21:09
Was mich interessieren würde, ist, ob Bewegungsdaten der Läufe auch nach eigenem bzw. gegnerischen Ballbesitz gefiltert werden können und ob, als nächster konsequenter Schritt, die Positionierung der Spieler relativ zu den eigenen Mitspielern und den Kontrahenten ermittelt wird. Derartig aufbereitete Daten wären äußerst hilfreich zum Ermitteln, ob sich die Spieler bei Ballbesitz eines Mitspielers gut freilaufen bzw. bei gegnerischem Ballgewinn ein schneller Zugriff (für Zweikämpfe, zweite Bälle bzw. kollektives Gegenpressing) möglich ist. Aus dem daraus ermittelbaren Gesamtbild (Bewegungsmuster in Relation zu Ball, Mit- und Gegenspieler) sollte weiter auch gut auf die Rollen, das Raum- und Spielverständnis der Spieler schließen lassen.
RM 1. November 2013 um 20:28
Bedanken möchte ich mich noch bei unserem Leser Sauze, der mir bei der Bearbeitung geholfen hat. 🙂