1899 Hoffenheim – Bayer Leverkusen 1:2
Bei einem denkwürdigen Bundesligaspiel in Sinsheim vertraten beide Mannschaften ihre Ansichten und Bayer Leverkusen konnte sich mit 2:1 durchzusetzen, obwohl über dieses Ergebnis am grünen Tisch noch entschieden wird.
Während die Heimmannschaft der TSG 1899 Hoffenheim wieder auf schnelles Vertikalspiel und eine fluide Offensive setzte, kam Bayer 04 vor allem in der zweiten Halbzeit über Spielkontrolle zu eigener Sicherheit. Die Mannschaft von Hyypiä setzt auswärts weiterhin auf eine kompakte Defensive und kann sich gut in Geduld üben.
Grundformation
Beim Gastgeber war von Beginn an eine Änderung in der Grundformation zu erkennen. Obwohl es auf dem Papier wie das übliche 4-2-3-1 wirkte, pendelte Hoffenheim vielmehr zwischen 4-3-3 und 4-2-4. Dies hatte mit der Hereinnahme von Salihovic auf einer offensiveren Position zu tun, die im Folgenden noch erläutert wird. Volland war wie auch in vielen vergangenen Partien eine Art Hybridspieler zwischen Außenbahnakteur und zentralem „attacking midfielder“. Im 4-4-2-haftem Pressing gegen den Spielaufbau schob er außerdem in der Regel neben Modeste und lief mit an. Bei eigenem Ballbesitz ließ Gisdol wiederum die eigene Viererkette schnell auflösen und die Außenverteidiger hochstehen, sodass es immer eine Anspieloption auf den Flügeln gab. Diese Maßnahme versuchte auch Johnson-Ersatzmann Toljan umzusetzen, der auf seiner Seite mit wechselnden Mitspielern arbeiten konnte.
Beim Gegner aus Leverkusen ergaben sich zu Spielbeginn keine Überraschungen. Sami Hyypiä setzte wie gewohnt auf die Bayer-typische Interpretation des 4-3-3 mit zwei variablen Achtern und Reinartz als positionsorientierten Mann vor der Abwehr. Castro ersetzte auf der halbrechten Achterposition Lars Bender und der eher defensivere Hegeler agierte als inverser Flügelmann auf der linken Seite, wobei er gerade in der ersten Hälfte genauso wie Sidney Sam sehr häufig in die Mitte zog, während die Achter etwas breiter standen, sodass man auch in gewissen Phasen von einem 4-3-2-1 sprechen konnte.
Flexibler Salihovic
Markus Gisdol entschied sich in Folge der Herausnahme von Flügelmann Tarik Elyounoussi für eine vermischte Positionszuordnung im Mittelfeld. Salihovic spielte nicht auf der Doppelsechs sondern ein Stück offensiver. Dabei rückte er häufiger auf die linke Seite und schob dadurch Roberto Firmino mehr in die Mitte. Es kann auch eine Maßnahme Gisdols gewesen sein, die offensivstarke rechte Seite der Leverkusener stärker einzudämmen. Denn zusätzlich zu Hilbert und Sam wich Castro vom rechten Halbraum auch mit Vorliebe in Richtung Seitenauslinie.
Salihovic hatte hier die Aufgabe nummerische Gleichheit zu schaffen und orientierte sich ansonsten stark an Castro, lief ihn immer wieder an und stellte sich so in den Halbraum, dass der Leverkusener in seinem Deckungsschatten und schwer anspielbar war. Allerdings gelang dies in der ersten Halbzeit nicht immer. In der 26. Minute kam Castro nach einer Balleroberung über Hilbert an den Ball und konnte ungestört durch das zweite Drittel marschieren. Salihovic war vorher in die Spitze gegangen und schon lange aus dem Spiel. Während des Sprints von Castro attackierten die Hoffenheimer nicht, die letzte Reihe schob sehr tief und Toljan ging erst kurz vor dem eigenen Strafraum auf Castro zu, stand aber überhaupt nicht gut und war eigentlich bereits vor dem Zweikampf aus dem Spiel. Sams Abschluss war dann nur die Konsequenz dieses fatalen Hoffenheimer Zuordnungsfehlers. So gut Gisdol seine Mannschaft auf die Umschaltaktionen des Gegners auch vorbereitete, so schlecht wurde in dieser Aktion gegen den Ballführenden gearbeitet.
Hoffenheim überspielt die Linien
Das Halbzeitergebnis spiegelte allerdings in keinem Fall die Rollenverteilungen wieder. Dem Gastgeber aus dem Kraichgau gehörte nicht nur in großer Mehrheit der Ball, er überbrückte auch relativ schnell die Reihen. Leverkusen agierte wie so häufig bei Auswärtspartien. Sie standen sehr tief, die drei Sechser/Achter liefen die Räume vor der Abwehr gekonnt an und stellten in vielen Situationen die Passwege zu. Hoffenheims Spielaufbau lief oft über die beiden Innenverteidiger und nicht über einen der Sechser Strobl oder Polanski, die wieder als enorm isolierter Block im Spiel auftraten und meist mit einem langen Ball von Abraham oder anderen überspielt wurden. Dies hatte zur Folge, dass die Offensivkräfte einige Szenen hatten, wo sie weit in der Leverkusener Hälfte den Ball verarbeiten mussten beziehungsweise konnten, aber auch mehr oder weniger auf sich alleine gestellt waren. Auch hier war die Doppelsechs meist zu weit weg vom Geschehen am Ball.
In der Regel nahmen die beiden Außenverteidiger in vielen Angriffssituationen die Rollen von offensiven Flügelspielern und positionierten sich fast am Kreidestrich der Seitenlinie, um für Pässe in die Breite und etwaige Flankenversuche eine Option darzustellen. Auch für die weit aufrückenden Innenverteidiger waren Toljan und Beck in vielen Fällen die erste Anspielstation, sofern diese nicht sofort einen längeren Ball auf die konzentrierte Mitte spielten. Da Firmino rein nominell eher auf der linken Seite agierte beziehungsweise von dort aus erst rund dreißig Meter vor dem Tor von Leno in die Mitte einrückte, agierte Kevin Volland zentraler. Er überließ ganz gezielt Beck die Seite, der sich aber dadurch häufiger in eingeengten Situationen befand. Volland entzog sich wiederrum dem Sechserzugriff und agierte gut zwischen den Linien, um wie so oft in dieser Saison Modeste mit Lochpässen zu bedienen oder selbst zwischen die Leverkusener Verteidiger zu rücken. Der alleingelassene Beck konnte in schnellen Umschaltphasen freie Flanken schlagen, ansonsten war er meist gut abgedeckt, da auch Hegeler sehr auf ihn fokussiert war und die Wege nach hinten mit ging. Becks Pendant auf der Hoffenheimer linken Seite war der Toljan, der ebenfalls versuchte, bereits beim Spielaufbau hinter die erste Leverkusener Linie zu gelangen und einen Spielaufbaupass der Innenverteidiger aufzunehmen. Allerdings fehlte dem 19-Jährigen noch so manches Mal der Mut, um weit aufzurücken. Da sein nomineller Vordermann Firmino gegen den Ball meist aus dem Spiel war – beim frühen Pressing stand er zu hoch und zu zentral und hatte wenig Zugriff auf Hilbert – war Toljan mit Defensivaufgaben bedient und hatte bei Hoffenheimer Ballbesitz nicht diese breiteschaffende Wirkung wie Kapitän Beck.
Bayer entzieht sich dem Zugriff
Keineswegs zeigte die zweite Halbzeit ein komplett verändertes Bild. Allerdings war die über die Pause hinweg fortgeführte Dominanz der Gastgeber rasch vorbei und Leverkusen riss das Spiel an sich. Dies war sicherlich auch den schwindenden Kräften beim Gegner geschuldet, aber Bayer 04 entzog sich mehr und mehr gekonnt dem gegnerischen Pressing und Zugriff im zweiten Drittel. Dabei rückten Rolfes und Castro nun mehr auf. Gerade der zweitgenannte Achter agierte nun noch flexibler und positionierte sich nicht nur im rechten Halbraum, was er häufig beim ersten Aufbauzuspiel von Reinartz tat. Er ging gleichfalls horizontale Wege, kam über linke Räume nach vorn und war für die Hoffenheimer Doppelsechs nicht in jedem Fall zu packen. Salihovic, der ihn in der ersten Halbzeit noch meist erfolgreich anlief, wurde nach rund einer Stunde Spielzeit vom Platz genommen.
Bayer 04 konnte über einen längeren Zeitraum dann das eigene Dominanzspiel aufziehen und machte dies über viel ballferne Bewegungen, wodurch vor allem im Spiel in der Breite Passmöglichkeiten aufgebaut wurden. Denn neben den beiden Achtern, die nun weiter aufrückten und von Reinartz oder einem der Innenverteidiger angespielt wurden, standen gleichfalls die Außenverteidiger höher und konnten so zusammen mit den situativ nach außen weichenden Achtern Überladungen schaffen. Des Weiteren positionierten sich in der zweiten Halbzeit Sam und Hegeler viel häufiger näher der Seitenauslinie, während sie in der ersten Halbzeit noch relativ zentriert agierten. So ergab sich folgendes Bild: In der eigenen Hälfte suchte der Leverkusener Ballführende immer seine Dreiecke. Der Ball wurde kontrolliert hin und her gespielt. Das 4-4-2-Pressing der Kraichgauer verlor seine Wirkung, Modeste und Volland zogen sich immer weiter zurück und attackierten viel später. Nach dem ersten Vertikalball von Bayer konzentrierten sich zumeist drei Spieler im Zentrum. Bevor hier die Passwege komplett abgeschnitten werden konnten, ging der Ball wieder auf den Flügel auf die hochstehenden Außenverteidiger oder Sam beziehungsweise Hegeler. Diese Stafetten wurden ständig wiederholt und Hoffenheim ein wenig zermürbt.
Das Phantom und Hoffenheims Schlussoffensive
Dass durch das irreguläre Tor Kießlings in der 70. Minute das Spiel eine Art Bruch erlitt, ist vollkommen klar und war für jeden augenscheinlich. Gisdol versuchte in der Folge durch seine Auswechslung noch eine Wende herbeizuführen. Bayer zog sich wieder stärker zurück und überließ Hoffenheim in vielen Phasen den Ball. Mit Schipplock kam ein zweiter Stürmer neben Modeste und ab der 81. Minute spielten die Kraichgauer nur noch mit einer Dreierkette, da Beck vom Platz ging. Kai Herdling übernahm nun häufiger das Spielgerät und trug es nach vorn. Ein eingespieltes System war natürlich nicht mehr zu erkennen. Vielmehr konzentrierten sich fünf Offensivkräfte vor dem Strafraum der Leverkusener. Volland wurde zum richtigen Flügelspieler und er sowie Elyounoussi versuchten mit Flanken die beiden Neuner zu finden, während Strobl und Herdling im Nachrücken die Halbräume besetzten. Inwieweit Leverkusener Zuordnungsprobleme mit den vorangegangenen Ereignissen zusammenhingen, lässt sich natürlich nicht genau sagen. Allerdings kamen sie in einigen Situationen mit den Hoffenheimer Bewegungen und Aufteilungen nicht klar und arbeiteten nicht immer optimal gegen den Ball.
Fazit
Die Begegnung war eine weitestgehend typische Auswärtspartie der Leverkusener. Entweder sie standen tief und gerade das zentrale Dreiermittelfeld positionierte sich gegen den Ball nahezu auf einer Linie und verschob situativ in die ballnahen Räume oder Bayer dominierte über eigenen Ballbesitz das Spiel, wobei dies häufig über kontrolliertes Dreiecksspiel und umverlagernde Pässe nach außen erfolgte.
Trainer Sami Hyypiä scheint weiterhin auf die defensive Stärke und gleichzeitig auf die Spielkontrolle seiner Mannschaft zu setzen. Allerdings war sichtbar, dass in der ersten Halbzeit die Linien in einigen Szenen relativ leicht von Hoffenheim überbrückt werden konnten und die Dominanz der Achter erst zum Tragen kam, als das gegnerische Pressing nicht mehr diese Wirkung hatte.
Bei Hoffenheim besteht weiterhin das Problem, dass das Zentrum komplett isoliert ist. Gisdol verzichtet auf eine Sechser-Achter-Einteilung und weist gleichfalls keinen der beiden Spieler an, abzukippen und den Spielaufbau selbst in die Hand zu nehmen. Außerdem ist die Unterstützungsleistung für die Offensivkräfte äußerst begrenzt. Dafür müssen die Außenverteidiger weiterhin hohe Laufleistungen bringen und zuweilen die Außenbahn fast alleine bearbeiten. Die Mischformation der ersten Halbzeit mit Salihovic, der eine Art Freirolle begleitete, ging nur zum Teil auf. Offensiv war Firmino nicht der Anker, der er ansonsten ist, da er dieses Mal mehr über die linke Seite kommen musste und defensiv stimmte einmal die Zuteilung zu Castro nicht, wodurch der Führungstreffer der Leverkusener ermöglicht wurde.
13 Kommentare Alle anzeigen
tox-777 21. Oktober 2013 um 13:15
Der Hauptunterschied zum Helmer-Tor ist wohl das der Ball dieses mal IM Tor lag, Helmer hatte damals ja vorbei geschossen, kein Ball weit und breit und trotzdem wurde das Tor gegeben.
Ich denke nicht das das Spiel wiederholt wird. Ich habe gelesen das die FIFA damals schon was dagegen hatte. Meiner Meinung nach ist Hoffenheim auch teilweise selbst Schuld. Sollen sie halt ordentliche Netze montieren.
Ballsportblog 20. Oktober 2013 um 11:01
Ich denke an diesem Spiel konnte man schön sehen, dass Bayer nicht selbstverständlich mit dem Einzug in die CL rechnen kann. Sehr souverän war Leverkusen in keinem Fall, allerdings ist unter Gisdol ja vom alten Hoffenheim auch keine Spur mehr. Ohne einen Bender geht diese Souveränität flöten, da kann ein Rolfes Erfahrung haben wie er will… defensiv noch immer zu gebrauchen, aber was das Spiel Leverkusens ausmacht, schnelles Umschalten auf die beiden Außen mit folgendem Pass in oder an den 16er, geht natürlich mit einem Bender viel besser.
Gerade das Umschaltspiel ist ja auch eine der Erfindungen Gisdols im Spiel der TSG und wird von seinen Spieler extrem gut umgesetzt. Die angesprochene fehlende Bindung der 6er sehe ich ähnlich, diese sind aber eher auf das schnelle Umschalten der Hoffenheimer zu erklären. Oft wird die erste Mittelfeldkette von langen/hohen Bällen überwunden, sodass eine offensive Aufgabe der Herren Polanski und Strobl eher knapp ausfält.
Über das Tor brauchen wir ja nicht weiter zu diskutieren, für mich persönlich käme alles andere als eine Wiederholung einer Farce ziemlich nahe.
Stefan 19. Oktober 2013 um 14:41
Sich über eine einzelne Situation zu äußern, gehört hier nicht hin, aber dennoch – sorry: Kießlings Tor wird ja mit dem Tor von Helmer verglichen, bei Helmer befand sich der Ball aber nicht mal im Tor. Mich erinnert das eher an den Pfostenbruch vom Bökelberg, wo das Spielmaterial nicht in Ordnung war und kein Ersatz von der Heimmannschaft gestellt werden konnte. Die Auswärtsmannschaft trägt jedenfalls keine Verantwortung dafür, wenn das Spielmaterial nicht den Ansprüchen genügt!
Was wäre denn passiert der Ball wäre ins Tor gegangen, dann aber durch ein Loch im Netz wieder aus dem Tor geflogen. Und der Schiri hätte kein Tor gepfiffen? (Spielwiederholung?)
Fehlentscheidungen, die als Tatsachenentscheidung akzeptiert werden, gibt es doch zuhauf: Abseitstore, reguläre Tore, die nicht anerkannt werden, unberechtigte Elfmeter und rote Karten, usw.
Spieler die Fehlentscheidungen provozieren oder nicht aufklären (Man erinnere sich z.B. an Manuel Neuer im Spiel gegen England als der Ball im Tor war und er ihn in die Hände nimmt und schnell abwirft.) gibt es auch wöchentlich zu sehen.
Also was ist der Aufreger? Vermutlich nur, weil Phantomtore seltener vorkommen als andere Fehlentscheidungen, mit denen zu leben, man gelernt hat.
Zinedine04 19. Oktober 2013 um 14:41
Danke für den Artikel. Vielleicht noch eine Ergänzung, die ich als Leverkuser gestern als raffinierten Schachzug von Gisdol bezeichnen würde. In der Arbeit gegen den Ball agierten Castro/Reinartz/Rolfes sehr flach und verschoben dabei stets mit Bedacht auf enge Zwischenräume (vor allem in Hälfte 1). Salihovic positionierte sich dabei oftmals zwischen der Leverkusener 6er-Reihe und der 4er-Kette, was für die Innenverteidiger (Toprak/Wollscheid) ein ums andere mal große Schwierigkeiten bedeutete, da sich Salihovic geschickt am bereits deckenden IV der Leverkusener vorbeimogelte. Offensichtlich schien Leverkusen jedoch nicht groß darauf zu reagieren, sondern stattdessen auf das Abfangen des Balles plus schnellem Konter zu setzen, was erfolgreich zum 1:0 führte. Dennoch hätte es zu diesem Zeitpunkt bereits einen Rückstand geben können, wäre das geschickte Manöver erfolgreicher gewesen. Die zwei gelben Karten waren folglich nicht unterheblich.
Zum kuriosen Tor: Das Ergebnis müsste aufgrund des Regelwerkes anuliert werden, da es sich nicht um ein regelkonformes Tor handelte. Aufgrund der Verantwortlichkeit bezogen auf die Rahmenbedingungen des Spiels (Tore, Bääle, Netze, Stadionsicherheit etc.) sollte das Spiel dennoch am Grünen Tisch für Leverkusen gewertet werden. Wir dürfen aber wohl gespannt sein. 🙂
fluxkompensator 19. Oktober 2013 um 13:00
was ist eigentlich los mit den hoffenheimer 6ern? genügend auswahl an spielern auf der position hätte gisdol doch, oder (rudy, polanski, die 2-3 jungen talente)? wie kommts, dass der spielaufbau so oft wackelt? immerhin erwähnte gisdol beim letzten bl-spiel, dass seine mannschaft gegen den ball taktisch bisweilen sehr gut funktioniert, ihr mit der zeit aber bisher immer noch die puste und/oder konzentration ausgeht. ist gisdols ansatz vielleicht ein anderer, indem er vom eigenen ballbesitzspiel weitesgehend weggeht und sich stattdessen auf pressing und gegenpressing konzentriert? was meint ihr dazu?
Max 19. Oktober 2013 um 12:37
Ich bezweifle, dass Kießling das 100% bemerken muss, ob der Ball drin war oder nicht. Klar weiß man in der Regel, ob ein Schuss das Tor trifft, oder nicht. Aber a) ging es hier um 20 cm und b) lag der Ball hinterher schlicht und einfach im (!) Tor.
Da denke ich auch eher „hm, war wohl doch drin“ als „hm, da ist bestimmt ein Loch im Netz und ich treffe das exakt ohne dass das jemandem auffällt“. Kommt ja auch nicht so häufig vor (außer in der Kreisliga 😉 ).
Im da einen Vorwurf zu machen, finde ich nicht in Ordnung. Beck und Casteels sagen auch beide, dass sie dachten, dass der Ball nicht drin war, dass sie dann aber ebenso dachten, dass sie sich wohl getäuscht hätten. Dumm gelaufen. Passiert eben alle hundert (ääh,17?) Jahre mal…
Mal was anderes, und „taktischeres“: Bayer fand ich gestern grausam. Ja, es ist erfolgreich. Aber da wurde ja wirklich ab dem Führungstor auf Zeit gespielt. MMn nicht schön anzusehen. Sieht das immer so aus? War erst das erste, zweite Spiel, das ich von Bayer komplett gesehen habe.
Schlicke 19. Oktober 2013 um 12:24
Danke für den zügig veröffentlichen Artikel. Möchte mich wie CE gar nicht lange mit den strittigen Entscheidungen aufhalten (Es muss ein Wiederholungsspiel geben, alles andere wäre absurd, da es den Präzedenzfall schon gibt), sondern habe ein paar Anmerkungen bzgl. des Leverkusener Erfolgs:
Auffällig finde ich, dass die Mannschaft in den klassischen Indikatoren für Punkterfolge nicht im Spitzenfeld der Bundesliga ist. Ihre Grundausrichtung ist wenig auf Ballbesitz ausgerichtet (44% nach 9 Spielen), auch kreiieren sie Chancen nicht in dem Maße wie der BVB (23.9 pro Spiel) oder die Bayern (19.6), sondern sind da eher eine Kragenweite mit Clubs wie Mainz und Gladbach, die auch ca. 15 Schüsse pro Spiel setzen, davon 5 aufs Tor (ist wahrscheinlich mit der Grundausrichtung korreliert, da Augsburg als Ballbesitzteam auf Rang 3 liegt).
Der Erfolg scheint für mich demnach auf der angesprochenen Defensivstärke, insbesondere durch so unauffällige Organisatoren wie Reinartz (der hier nicht so überschwänglich gelobt wird wie Neustädter oder Baier) sowie der individuellen Klasse von Sam und Kießling zu beruhen. Unterstützt wird dies dadurch, dass ich den Eindruck habe, dass die Wahrnehmung beim Gegner (noch) eine andere ist als bei Bayern, dem BVB und mit Abstrichen auch bei Schalke. Das Grundkonzept kommt demnach in jedem Spiel zum Tragen, während der BVB in fast jeder Partie ein Geduldspiel gegen extrem defensiv orientierte Gegner zu absolvieren hatte. Seht ihr das ähnlich, oder liege ich da komplett daneben?
Schlicke 19. Oktober 2013 um 13:44
Muss mich kurz selbst berichtigen und ergänzen:
a) Die Rechtslage bzgl. des Wiederholungsspiels ist keineswegs eindeutig, man darf also gespannt sein.
b) Wie von splattercheffe auch schon angesprochen, lässt Bayer trotz der Konzentration auf die Defensive schon recht viele hochkarätige Chancen zu. Hoffenheim hatte 20 Torchancen, auch qualitativ sehr viele hochwertige. Richtig bestraft wurde Bayer bisher nur von Manchester United.
splattercheffe 19. Oktober 2013 um 12:18
Treffende Analyse soweit, wobei ich die Formulierung „Spielkontrolle“ im Zusammenhang mit Leverkusen fast schon geschönt nennen würde. Wenn man sieht, wie tief diese Mannschaft – mit drei gelernten Sechsern – immer wieder steht, entspricht das nicht meiner Vorstellung von Fußball. Wenn sie gegen Bayern oder Dortmund so spielen, seh ich es ja noch ein, aber bei dem Kader könnte man doch zumindest gegen deutlich schwächer besetzte Teams eine offensivere Ausrichtung erwarten. Stark vereinfacht und etwas polemisch könnte man sagen, Leverkusen ist eine reine Kontermannschaft. Ein 4-3-3 mit flexiblen Achtern, gut und schön, aber wenn dann der linke Flügelmann auch noch recht defensiv orientiert ist, fällt mir in der Liga eigentlich nur noch Braunschweig ein, die eine ähnlich reaktive Haltung einnehmen. Subjektiv, schon klar, aber mir gefällt’s nicht.
Zur Spielkontrolle: trotz der Ausrichtung lässt die Werkself für meinen Begriff erstaunlich viele Spielzüge des Gegners zu. Dass dies zumindest bis dato in der Liga soviel Erfolg hat, gehört für mich zu den immer wiederkehrenden Rätseln des Fußballs, im Klartext: Dusel-Bayer (jetzt muss ich aufpassen, nicht auf Boulevard-Niveau zu schrumpfen).
Das Kießling-Tor ist da natürlich nur der Gipfel der Absurdität. Ich muss auch sagen, dass ich es ihm kaum abnehme, dass er den Nicht-Einschlag der Kugel im Tor kaum mehr beobachten konnte und deswegen die Glückwünsche der Kollegen letztlich erfreut entgegennahm. Leute, wir haben doch alle selbst gespielt: wenn der Ball den Kopf oder den Fuß verlässt, weiß man doch (als Profi erst recht), ob die Flugkurve hinhaut oder nicht, zumal aus so kurzer Entfernung. Seine Gestik in dem Moment war doch eindeutig.
Nicht falsch verstehen: ich will von einem Profi gar nicht fordern, immer hundertprozentiges Fair-Play zu liefern, aber eine verpasste Chance war das schon (in doppeltem Sinne).
Ich weiß nicht mehr genau, wie das damals bei dem Helmer-Tor gegen Nürnberg war, mit welcher Begründung wurde das damals eigentlich wiederholt? Muss ja irgendein Regelverstoß festgestellt worden sein, oder? Hieße, dass der Hoffenheimer Protest letztlich keine Chance hätte, weil sich’s gestern ja „nur“ um eine Fehlentscheidung handelte. Kann das jemand aufdröseln?
Michael 19. Oktober 2013 um 11:46
Verblüffend, das bei der Diskussion über das Phantomtor niemand Stefan Kießling einen Vorwurf macht. Ihm war augenscheinlich klar, dass sein Kopfball neben das Tor ging, dennoch ließ er sich bejubeln, statt die Situation aufzuklären. Vorwürfe bekommt nur der Shiri, der durch die hirnrissigen Regeln keine Chance hat, seinen Fehler zu korrigieren. Aber das Kießling nicht fair genug ist, ein nicht Tor als solches zu benennen wird offensichtlich als vollkommen normal empfunden. Moral und Haltung wird von einem Spieler heutzutage offenbar noch nicht einmal mehr erwartet…
splattercheffe 19. Oktober 2013 um 12:22
Ich würde noch hinzufügen, dass Kießling hier auch von seinem einwandfreien Ruf profitiert. Achtung, heute ist mein polemischer Tag: wo der Arme doch immer von Bundes-Jogi so ignoriert wird. Möchte nicht wissen, was los wäre, wenn ein Bayern-Spieler so ein Tor feiern dürfte.
AR 19. Oktober 2013 um 13:52
Nun ja, schau dich mal auf transfermarkt um, da wird Kießling nicht nur kritisiert, sondern ihm der Lynchtod gewünscht, während über den Schiedsrichter wenig gesprochen wird. Meine Ansicht dazu: Er sieht, dass der Ball nicht reingeht, dann wird aber gratuliert und der Ball liegt im Tor. Ich halte es schon für plausibel, da eher zu vermuten, dass einen die Augen wohl einen Streich gespielt haben als anzunehmen, dass dort ein Loch im Tornetz sein muss. Wie oft ist man im Stadion schon aufgesprungen als der Ball teils klar daneben ging und nur durch die Bande von hinten gegen das Netz geflogen ist? Die Reaktionen in den Fernsehbilder zeigen ja auch, dass Casteels und Rolfes sofort annehmen, dass der Ball drin war, obwohl Sie mit freier Sicht zentral vor/im Tor stehen. Lediglich Reinartz dürfte hier aufgrund seiner Positionierung deutlich gesehen haben, dass der Ball vorbeiging.
Aber letztlich ist das ganze auch kein Thema für Spielverlagerung! Hier geht es ja eher darum was die Wahrscheinlichkeit erhöht Spiele zu gewinnen als um um hätte, wäre, könnte.
Taktisch fand ich das Spiel recht vorhersehbar, wobei mich Salihovic‘ Position dann doch überrascht hatte. Bei der aktuellen Spielweise der 6er find ich den Gedanken über ihn die dringend nötige Anbindung zu schaffen sehr sinnvoll, man merkte aber, dass seine Mitspieler eher Volland und Firmino suchten und ihn auch oft in viel zu engen Räumen anspielten, die der kleine Brasilianer zwar lösen kann, Salihovic Stärken aber nicht entsprechen. Ich dachte mit bei seinem Spiel: Vor 10, 12 Jahren wäre das ein ein richtig guter 10er gewesen.
So konnte Leverkusen sich wie so oft auf das Senken der gegnerischen Chancenqualität beschränken ohne hier besonders gefordert zu sein. Man denkt sich da oft „der hätte aber auch mal reingehen können“ (z.B. Vollands Direktabnahme im Strafraum) aber nach nunmehr bald 1,5 Saisons kann man wohl feststellen: „Tut er aber nie“.
Jörg 21. Oktober 2013 um 10:59
Außerdem war es ein Kopfball aus relativ kurzer Distanz (d.h. heftige Kopfbewegung und entsprechend erstmal schlechte Sicht). Ich glaube, dass er da wirklich seinen Augen nicht ganz getraut hat. Laut eigener Aussage hat er das auch dem Schiri erzählt: „Ich dachte er geht vorbei, aber dann war ja doch drin.“
Finde ich absolut glaubwürdig.