Juventus – Lazio 4:1
Mit einem zu hohen 4:1 gewinnt Juventus vor allem durch Angriffe über links und Chip-Pässe auf Vidal gegen Lazio, bei denen Kloses Treffer nicht reicht.
Lazios Entwicklung
In der vergangenen Saison hatten die Laziali immer wieder Probleme im geplanten Offensivspiel gehabt und zu häufig spielerisch bei weitem nicht überzeugen können – am Ende stand ein neuerlicher Einbruch in der Rückrunde, so dass einzig der Pokalsieg die Spielzeit retten konnte. Mit den neu verpflichteten Mittelfeldakteuren Biglia und Felipe Anderson setzten die Hauptstädter im Transferfenster ein erstes Zeichen, an diesen Problemen arbeiten zu wollen.
Beim erfolgreichen 2:1-Saisonauftakt gegen Udinese präsentierte Trainer Vladimir Petkovic auch die ersten Konzepte für dieses Vorhaben und ließ seine Mannschaft in neuer Ausrichtung daher kommen. Der nominell rechts offensiv spielende Candreva, der nach seiner herausragenden Vorsaison und ordentlichen Leistungen beim Confed-Cup weiterhin an individueller Klasse zuzulegen scheint, agierte enorm eingerückt und antreibend in der Mitte, wo er freie Räume anvisierte und mit seiner Power bespielte. Durch gelegentliche Rochaden nach außen glich der polyvalente Zwischenspieler Alvaro González – nominell halbrechter Achter – dies aus und sorgte für Balance.
Nach einem vielversprechenden Start gegen den Tabellenfünften der Vorsaison, bei dem Lazio viel bessere Verbindungen zwischen den Spielern und mehr Präsenz in den zentralen Räumen zeigte, stellte Petkovic für diese Begegnung aber um. Im Duell mit dem bekannten 3-5-2 des Doppelmeisters aus Turin wurden die Bewegungen des bisherigen Lazio-Systems eingefroren und in eine feste Form gegossen – Candreva spielte als hängende Spitze und González auf dem rechten Flügel eines 4-4-1-1, das für defensive Stabilität sorgen sollte.
Von Mannorientierungen, Zugriff und Kontrolle
Dabei orientierte sich der später nachlässiger werdende Candreva – gelegentlich übernahm dies auch Klose – an Juventus´ Spielmacher Pirlo, während Biglia und Hernanes sich mannorientiert gegen die beiden Achter der Hausherren verhielten. Auf den Seiten standen sowohl die Außenverteidiger als auch die beiden Akteure vor ihnen grundsätzlich recht eng, um insbesondere die Innenverteidiger gegen Vucinic und Tévez zu unterstützen, und einer von beiden rückte je nach Situation auf den jeweiligen Flügelspieler der Gastgeber heraus, um diesen zu bewachen.
Diese tiefe und passive Spielweise mit einer sehr reaktiven Haltung auf den Außenbahnen bedeutete natürlich, dass Lazio in höheren Zonen wenig entgegenzusetzen hatte. Gegen die drei zentralen Verteidiger der Hausherren war Klose ziemlich auf sich allein gestellt und die auf Sicherheit weiter hinten bedachten Laziali konnten keinen Zugriff auf das Aufbauspiel von Juve herstellen, was dazu führte, dass die Gastgeber die Partie mit viel Ballbesitz und Kontrolle diktierten.
Dies nutzten die Turiner geschickt für sich, indem sie viel über links aufbauten und dort mit Chiellini, Pogba und Asamoah gegen die passive Spielweise der Gäste einfach nach vorne aufrückten. Aus diesen Situationen folgten dann direkte Zuspiele auf das Sturmduo oder auf Arturo Vidal, die miteinander gute Wechselwirkungen erzeugten. So ließ sich Vidal zu Beginn dieser Angriffe etwas nach hinten in den rechten Halbraum fallen, wo er auch bei Spielzügen über jene Seite hinter Lichtsteiner herauskippte.
Haupt-Angriffsmuster von Juventus spielentscheidend
Somit zog er den mannorientierten Hernanes sehr weit hinaus und öffnete damit den Raum unmittelbar vor der Lazio-Abwehr. Nach dem vertikalen Zuspiel auf einen der beiden Stürmer konnten diese somit ihre Freiheiten nutzen und mit gutem Zusammenspiel in Form von Doppelpässen, durchgelassenen oder weitergeleiteten Bällen sich Torchancen erarbeiten. Daneben gab es noch die Option, dass einer der Angreifer auf die nachrückenden Pogba und Pirlo prallen ließ, welche ihrerseits mit gechippten Pässen hinter die Abwehr den vorstoßenden Vidal suchten.
Dessen dynamische Läufe aus Positionen, die sehr weit vom Geschehen entfernt lagen, bekam Hernanes nicht verfolgt, so dass Vidal immer wieder frei durchbrechen konnte. Nach einer Viertelstunde erreichte ihn ein Chip von Pogba und der Chilene erzielte vor Marchetti die Führung für Juventus, die bei dieser Szene wieder einmal zeigten, dass kaum eine Mannschaft so effektive Pässe hinter die Abwehr spielen kann, wenn man sich in solch tornahen Bereichen etwa 25 Meter vor dem Kasten befindet.
Dieses Muster des nachstoßenden Vidal, für den Tévez auswich und Lücken in der Abwehr öffnete, während Lichtsteiner sehr breit blieb, konnten die Hausherren einige Male auch direkt aus der letzten Linie in Person von Chiellini oder Bonucci bedienen. So schlug Letzterer nach 26 Minuten einen langen Ball aus der Tiefe in denselben Raum wie beim Führungstor und fand dort erneut den nachstoßenden Vidal hinter der Lazio-Abwehr. Dieser verarbeitete den Ball wiederum stark und überwand Marchetti, nachdem Hernanes ihn durch die Lücke nicht hatte verfolgen können, zum zweiten Mal.
Lazio steigert sich defensiv
Teilweise wirkte Juventus durch diese vielen raumöffnenden Bewegungen inkonstant im Gegenpressing und ließ dabei manchmal einige Räume für Lazio, die bei diesen Konterszenen dann einfach über die Kreativität von Hernanes und die antreibenden Dribblings von Lulic vorstoßen konnten, ehe sie im letzten Drittel an schlechtem Ausspielen scheiterten. Doch generell verbesserten sich die Römer, kamen nach dem zweiten Gegentor besser ins Spiel und führten die eigenen Mannorientierungen druckvoller sowie balancierter aus.
Dabei gab es auch eine methodische Veränderung – Vidal wurde nun immer häufiger durch den ins Zentrum einrückenden Lulic übernommen, während Radu sich an Lichtsteiner orientierte. So konnte Hernanes entlastet bzw. gar befreit werden, weshalb sich der Brasilianer vermehrt in vordere Zonen einschalten und mit situativem Herausrücken dort Druck ausüben konnte. Insbesondere das Vorstoßen Barzaglis in den rechten Halbraum wurde von ihm unterbunden, so dass Juventus das Aufbauspiel nicht mehr ganz so unbeschwert zu gestalten imstande war.
Auch Andrea Pirlo, den Candreva und Klose mit der Zeit nicht mehr so konsequent abgeschirmt hatten, sollte nun auf eine veränderte Art und Weise verteidigt werden. So schoben sich die beiden nominellen Angreifer der Laziali etwas weiter nach außen, wo sie besser und balancierter gegen die Dreierkette der Turiner arbeiteten, und ließen Pirlo gewähren. Dieser stieß aufgrund der Freiheiten frühzeitig in den offenen Kanal zwischen den beiden, um die Bälle nach vorne zu tragen.
Lazio setzte einen weit herausrückenden Sechser dagegen – entweder Hernanes oder gar Biglia, der riskant vorschob und Pogba durch den Deckungsschatten sowie die Hilfe seiner Mitspieler zu verteidigen versuchte. Auf diese Weise planten die Gäste, Juventus durch die recht eiligen Vorstöße Pirlos aus dem geordneten Aufbaurhythmus hinaus- und zu vorschnellen, fahrigen Aktionen zu drängen. Auch wenn die Hausherren weiterhin die eine oder andere Möglichkeit erspielen konnten, funktionierte diese Strategie recht gut, denn die Juventus wurde in der Tat ungefährlicher. Stattdessen agierten sie etwas chaotischer, konnten durch Lazios zockendes Auftreten die starke linke Seite um Pogba nicht mehr so geplant einbeziehen und verloren an Kontrolle, was Lazio mehr Aktionen und Ballbesitzphasen ermöglichte.
Ein Spiel der Distanzschüsse
Dabei stand Juventus mit ihrer defensiven Fünferkette grundsätzlich stabil und konnte von den Gästen fast nie wirklich auskombiniert werden, doch fehlte es den Hausherren mit den vielen Spielern in letzter Linie weiter vorne an Zugriff. Gegen die phasenweise etwas lasch verteidigenden Offensivspieler des Meisters hatte Lazio, die immer wieder mit sinnvollen Seitenverlagerungen arbeiteten, keine Probleme bei der Ballsicherung und –zirkulation. Anschließend konnten die vielen guten Distanzschützen (Hernanes, Lulic, Candreva, Radu) in Position gebracht werden oder sie liefen von den Flügeln mit horizontalen Bewegungen in die Mitte, bei denen Juve keine Überzahlen herstellen konnte. So mussten die Gastgeber einen Schwall von Abschlüssen aus der zweiten Reihe zulassen – einen Ball von Hernanes hielt Buffon nicht fest, so dass Klose kurz nach dem 2:0 per Abstauber verkürzte.
Bis zur Halbzeitpause blieben die Gäste das tendenziell gefährlichere Team und kamen über ihre Schüsse aus dem Rückraum oder aus der Ferne auch zu einigen Szenen, doch fehlte es ansonsten an Strukturen, um Juventus´ Abwehrlinie knacken zu können. Ihre Staffelungen ganz vorne waren etwas zu flach, das verlagernde Spiel in die Breite zu ungeduldig und das kombinierende Zusammenspiel zu improvisiert. Auch das Verwaisen der rechten Flanke durch zentrale Positionierungen von Candreva und González funktionierte gegen die stabile 3-5-2/5-3-2-Formation der Hausherren nicht und Asamoah konnte im Zuge der einfachen Flügelbesetzung recht simpel gegen Cavanda spielen. Nur selten kam Lazio zu den – dieses Jahr scheinbar vielversprechenden – Schnellangriffen, mit denen Hernanes und Candreva zügig durch die Mitte brechen können. Diesmal verfingen sie sich bei den wenigen Versuchen mit ihren Hackenweiterleitungen ohnehin in Unterzahlen an der auch individuell starken Juve-Defensive.
Entscheidung, Ende und Bewertung der Partie
Nach dem Seitenwechsel gab es grundsätzlich eine ähnliche Gemengelage: Juventus blieb weiterhin gefährlich, wurde aber von Lazio besser eingedämmt, während diese auf der anderen Seite durch – nun allerdings von den Turinern vermehrt unterbundene – Distanzschüsse auf sich aufmerksam machten. Für Juventus war es ein sehr guter Start, da Vucinic nach nicht einmal vier Minuten mit dem ersten Abschluss direkt auf 3:1 stellte. Aufgrund ihrer verbesserten Absicherung gegen die Distanzschüsse Lazios war die folgende Phase des Spiels ziemlich ereignislos und plätscherte ohne wirkliche Torchancen beiderseits dahin.
Mit Hernanes Gelb-Roter Karte – durch ein unsinniges Handspiel nach einer Flanke – war die Partie nach einer guten Stunde Spielzeit dann endgültig gelaufen. Während Lazio zwischendurch den einen oder anderen Fernschuss abfeuerte, begnügte sich Juventus weitgehend mit dem lockeren Herunterspielen der restlichen Zeit, ehe Vucinic und Tévez beim gut herausgespielten 4:1 noch einmal ein Paradebeispiel ihrer typischen Interaktion vorlegten. So kam das Ergebnis letztlich doch noch an das viel beschriene 4:0 aus der Supercoppa heran, als die Turiner vor etwa eineinhalb Wochen Lazio mit Ablagen ihrer Stürmer bei schnellen Angriffen zerlegt hatten.
Zu dieser Partie muss man sagen, dass die sehr kontrolliert auftretenden und geplant spielenden Turiner verdienter Sieger waren. Lazio war zu Beginn einfach zu anfällig und wurde nach der Stabilisation der Defensive vor allem über Fernschüsse gefährlich – erst Buffons Abklatscher nach vorne ermöglichte Kloses Treffer. Dennoch fiel das Resultat definitiv zu hoch aus, denn Juventus war nicht derart überlegen, sondern profitierte auch vom frühen Tor in der zweiten Halbzeit, Hernanes Dummheit beim Platzverweis und Vidals Klasse vor dem Tor.
Dies bleibt ein wichtiger Punkt bei Juventus – sie nutzen ihr enormes Potential nicht voll und haben quantitativ zu wenig ihrer teils brutalen Angriffe, weshalb sie sich immer auch auf solch gute Chancenverwertung wie bei den ersten beiden Toren verlassen müssen. Auch letztes Jahr hatten sie einige Spiele, wo entweder dies der Fall war oder von vielen kraftvollen Abschlüssen aus schwachen Positionen nur wenige Hochkaräter dabei waren. Aus Sicht von Lazio war dies erneut ein Spiel zum Vergessen – sie haben generell Probleme mit der Dreierkette, den Chippässen und den hohen Flügelverteidigern von Juve. Über ihr wahres Potential gibt das „gewöhnlichere“ Spiel gegen Udine mehr Aufschluss, wo sie mit dem eingerückten Candreva deutlich besser waren als in so vielen durchschnittlichen Partien der Vorsaison.
5 Kommentare Alle anzeigen
juventino 1. September 2013 um 19:06
Guter Artikel, freut mich, dass ihr wieder mal was über Juve schreibt. Konnte dieses Spiel und das Supercupfinale leider beide nicht vollständig verfolgen. Gibt es nennenswerte Unterschiede? War das 4:0 verdienter?
Und wie genau deffinierst du das enorme Potenzial, welches Juve nicht ausnützt? Wie könnte man dies optimieren?
Danke schon mal für die Antworten!
TR 4. September 2013 um 00:45
Hallo, war leider verhindert, deswegen jetzt erst die Antwort. 😉
Zum Supercupfinale kann ich eigentlich gar nicht so viel sagen, da ich nur die Tore von der Partie gesehen habe und ansonsten nichts. Ist allerdings gut möglich, dass es einige Unterschiede gab, und ich glaube, dass das 4:0 verdienter war.
Bzgl. des verschwendeten Potentials finde ich einfach, dass Juve immer wieder sporadisch hervorragende Angriffe über die ablegenden und ausweichenden Stürmer, die vielen nachrückenden Leute und die starke Passqualität der Mittelfeldspieler hat, aber viel zu wenig davon zeigt. Die generieren dann in 90 Minuten x (mal 5, mal 10) von diesen Angriffen, die total stark sind, aber das war es von diesen Aktionen, die eben nicht konstant angesteuert werden. Fehlt also teilweise daran, dass die verschiedenen Stärken der Mannschaft dauerhaft verknüpft werden, statt im Laufe einzelner Angriffe über die Dynamik dieser Abläufe selbst zusammenzufinden.
juventino 4. September 2013 um 13:02
Danke für die Antworten! Und kein Stress, Vorfreude ist ja bekanntlich die schönste Freude. Um nochmal auf das Potenzial zu sprechen zu kommen, fehlt es vielleicht auch einfach an einstudierten Spielzügen?
TR 7. September 2013 um 16:09
Naja, das würde ich nicht sagen mit dem Einstudieren, denn die Angriffe an sich sind ja schon gut und qualitativ stark. Sie kommen eben nur zu selten und inkonstant.
fluxkompensator 4. September 2013 um 14:25
ich habe das supercup-finale gesehen. lazio presste phasenweise sehr gut, zwang barzagli und bonucci immer wieder zu unkontrollierten langen bällen. problematisch schien mir damals der große abstand zwischen den beiden letzten reihen lazios zu sein. im eigenen drittel hatten sie immer wieder probleme mit den aufrückenden 8ern und den diagonalläufen der wingbacks (wenn ich mich recht erinnere, schoss lichtsteiner in solch einer aktion ein tor).
das 4:0 lässt sich in meinen augen in erster linie durch die gute chancenauswertung von juve erklären, zusätzlich zum genutzten momentum nach dem 1:0 bzw. 2:0. auffallend waren hingegen die vielen unterzahlangriffe lazios (die ihr ja hier schon einige male bemängelt habt), klare torchancen gab es kaum, am ende 2-3 gefährliche distanzschüsse.