Borussia Dortmund – FC Bayern München 1:1 | Die Wembley-Probe
Ein Unentschieden im Schatten von Wembley: Die Lehren aus der Generalprobe, die keine sein wollte.
Am Samstag kam es zum vierten Mal in der laufenden Saison zum Aufeinandertreffen zwischen Borussia Dortmund und Bayern München. Das 1:1 im Signal-Iduna-Park war jedoch das wohl unspektakulärste und schwächste „Germanico“ der jüngeren Vergangenheit und Zukunft, da beide Mannschaften nach den CL-Halbfinals auf wichtiges Personal verzichteten und sich nicht für das Finale in London in die Karten schauen lassen wollten.
Um die (fehlende) taktische Bedeutung des Spiels zu unterstreichen reicht ein kurzes Zitat von Jürgen Klopp, der auf der Pressekonferenz vor dem Spiel gefragt wurde, ob es denn ein Konzept gäbe, diese Bayern zu schlagen:
„Ja.“ (Fünf Sekunden Pause.) „Ganz bestimmt.“ (Fünf Sekunden Pause.) „Ob wir das am Samstag schon zur Anwendung bringen, weiß ich nicht.“
Auch Jupp Heynckes verneinte die Relevanz für das Finale mit klaren Worten. Dennoch war das Spiel letztlich keine beidseitige Arbeitsverweigerung. Ein paar potentiell wichtige Punkte wurden angedeutet. Vor allem der BVB skizzierte einen möglichen Weg in Richtung „Henkelpott“.
Dortmund im 4-2-3-1 gegen defensive Bayern-Elf
Dabei setzte Jürgen Klopp nicht wie zwei Mal zuvor auf das 4-5-1 bzw. 4-3-3 gegen die Bayern, sondern seine Elf reihte sich im (fast) üblichen 4-2-3-1 auf. Nuri Sahin startete auf der Doppelsechs neben Kehl, Gündogan gab den zurückfallenden Zehner. Zudem wurden Reus und Piszczek von Schieber und Großkreutz ersetzt, während Santana an der Stelle von Hummels spielte.
Aus der (ausbleibenden) formativen Umstellung lässt sich erst aber erst einmal nichts weiter ableiten, da die Münchner gleich auf alles verzichtete, was bei ihnen das Spiel machen kann: Spieleröffner Dante wurde geschont, Toni Kroos ist ohnehin verletzt und die wichtige, enorm spielstarke Doppelsechs aus Schweinsteiger und Martinez kam nicht zum Einsatz. Die defensiver orientierten Tymoshchuk und Gustavo bildeten stattdessen das technisch wesentlich schwächere Zentrum und auch Pizarro griff als nomineller Zehn nicht in den Spielaufbau ein.
Von daher benötigten die Borussen nicht die außergewöhnliche Dynamik und Flexibilität, die ihnen das 4-5-1 mit den drei Sechsern bietet, sondern konnten im klarer definierten, aggressiveren 4-2-3-1 pressen.
Dabei ließen sie sogar immer Mal wieder bewusst Wege auf Gustavo und Tymoshchuk auf. Anstatt sie konsequent zu isolieren, wie sie das gegen starke Passspieler üblicherweise tun, umstellten sie die Sechser. In dem beweglichen Viereck aus Stürmer, Flügelspieler, Sechser und Zehner sollten die beiden zu riskanten Fehlpässen gedrängt werden. Bayerns Sechser zeigten sich aber taktisch sicher und konnten sich recht zuverlässig aus diesen Pressingfallen befreien, wobei sie allerdings meistens die sicheren Pässe nach hinten oder auf die Außenverteidiger suchten und Dortmunds riskanteren Ansatz somit auch nicht bestrafen konnten.
Bayern überlädt die Mitte ohne Spielmacher
Als Reaktion auf Dortmunds Pressingstrategie schalteten sich Tymoshchuk und vor allem Gustavo im Laufe der ersten Halbzeit vermehrt in höhere Zonen ein. Beziehungsweise schalteten sie sich nicht wirklich ein, sondern sie schoben nur kurzzeitig nach vorne, um Dortmunds Sechser zu beschäftigen.
Dabei wurden sie auch von Shaqiri unterstützt, der sich viel im Rücken von Sahin und Kehl bewegte. Auch Alaba rückte gelegentlich in den linken Halbraum. Auf diese Weise wurde das Zentrum der Borussen überladen, weshalb sie dort wenig antizipativ und dynamisch agieren konnten. Ein effektives Herausrücken konnten sich die Dortmunder Sechser selten erlauben.
Die Bayern nutzten in ihrer spielerisch limierten Besetzung diese Überladung jedoch kaum für Passspiel aus. Stattdessen drückten sie die Borussia im Grunde nur in eine kompakte Stellung, um diese dann über die Flügel zu überbrücken. Besonders Rafinha bekam dadurch mehrfach kurzzeitig Freiheiten, die er mit seinen üblichen Flanken nutzen konnte. Gomez‘ Kopfballtor fiel dementsprechend aus solch einer Szene. Zuvor hatten die Münchner von rechts nach links verlagert und anschließend wieder zurück. Die entscheidende Verlagerung von Boateng war sogar unpräzise gespielt, doch Pizarro und Gomez hatten sich schon ballfern positioniert, sodass sie den zweiten Ball erobern konnten. So musste Schieber gegen Shaqiri helfen und Rafinha wurde frei.
BVB kontrolliert den Sechserraum
Die Rollen zwischen den Mannschaften waren etwas umgedreht zu den üblichen Duellen. Die Bayern waren stärker auf den Umschaltmoment und lange Bälle fokussiert, während die Dortmunder nach spielerischen Mitteln gegen Bayerns Pressing suchten. Nach dem verlorenen Pokalspiel hatte Jürgen Klopp noch bemängelt, die Mannschaft habe sich weit zurückgezogen, um hinten herauszuspielen, was aber nicht funktionierte und nach den erzwungenen langen Bällen im Kampf um die zweiten Bälle schädlich war. Dieses Mal wollten sie es besser machen.
Um das zu erreichen, zogen die Borussen abermals ihr alternatives 4-2-3-1 auf, in dem Gündogan weit ins Aufbauspiel zurück rochierte, um Sahin dort zu unterstützen. Die Systematik erinnerte stark an den erfolgreichen Auftritt in Fürth, nach welchem ich schon spekulierte, ob das System gegen Bayern zur Variante werden könnte.
Je nach Situation war Gündogan darin der halbhohe Verbindungsspieler für Sahins eröffnende Pässe, oder er ließ sich noch weiter zurückfallen, um selber die Bälle aus der Abwehr zu holen. Wieder nahmen sich beide Felipe Santana auf links als Fixpunkt, der nach außen auswich und einfache kurze Pässe auf die Spielmacher legen sollte. So nutzte der BVB die sehr erfolgreiche Asymmetrie aus dem Fürth-Spiel nun spiegelverkehrt. Interessant war dabei Schmelzers Rolle, der im Grunde nur als Raumschaffer und Gegenpressing-Spieler vorwärts schob. Trotz seiner hohen Grundposition, wurde er kaum ins Spiel integriert. Das Spiel sollte über das Spielmacher-Duo halblinks in die Zentrale vorne rein laufen.
Dieses asymmetrische Konzept zeigte sein ganzes Potential, als sich die Rollen von Blaszczykowski und Großkreutz in der 11. Minute perfekt einfügten. Der Pole hatte eine Freirolle auf rechts und gab den variablen Verbindungspunkt zwischen den Spielmachern und den beiden Stürmernaturen Lewandowski und Schieber. Letzterer agierte dabei naturgemäß sehr aktiv und wild und konnte dadurch gelegentlich Raum für Blaszczykowski und Lewandowski schaffen.
Vor dem 1:0 (siehe Grafik) zog Schieber van Buyten aus der Abwehr und Blaszczykowski ging in die Lücke. Gündogan, in eine Lücke auf der Linksverteidiger-Position abgekippt, konnte ungestört etwas vorwärts marschieren und dann den langen Ballen in den großen Freiraum spielen. Großkreutz schaltete sofort in seiner anspruchsvollen, nachrückenden Rolle: Von seiner absichernden Grundposition in der Abwehr legte er einen Sprint durch die ganze Münchner Hälfte hin. Contento und Alaba waren vom plötzlichen Nachsprinten überrascht, konnten Großkreutz nicht übernehmen und der knallte Blaszczykowskis Flanke zum Führungstreffer in die Maschen.
Leitners fehlende strategische Reife
Zwei Minuten später zeigte Gündogan noch sein Potential im Angriffsdrittel. Vorausschauend im rechten Halbraum hinter Gustavo positioniert bekam er über Subotic und Blaszczykowski das Zuspiel, suchte mit herausragendem Timing den Doppelpass mit Lewandowski und war alleine vor Neuer. Ob Contentos Auflaufen, das Gündogan zu Fall brachte und die Szene entschärfte, elfmeterreif war, sollen Regelexperten entscheiden; jedenfalls demonstrierte dieser vielversprechende Spielzug Gündogans Bedeutung für die Verbindung der Dortmunder Mannschaftsteile.
Von daher verlor Dortmunds Ballbesitzspiel viel Substanz, als Gündogan in der 14. Minute angeschlagen ausgewechselt wurde. Moritz Leitner kam für ihn und lieferte eine weitere wechselhafte Vorstellung ab. Wie in seinen bisherigen Saisoneinsätzen konnte er zwar mit seiner hervorragenden Technik vereinzelte Glanzpunkte setzen, aber in der Entscheidungsfindung und vor allem seinem Bewegungsspiel ist er nicht in Gündogans Nähe.
Beim Zurückfallen ins Aufbauspiel agierte Leitner oft etwas zu grob und fällt zu früh oder zu weit nach hinten, sodass sich zu große Verbindungslücken in Dortmunds Mittelfeld öffneten. In anderen Phasen versuchte er sich dann auf das Angriffsspiel zu fokussieren, wofür er sich aber oft nicht vorausschauend genug positionierte. Das führte dazu, dass der wendige Kreativspieler zwischendurch 15 Minuten lang keinen Pass spielte.
Kurz gesagt ist Gündogan ein genialer Balancegeber für eine Mannschaft, während Leitner ein Spieler ist, dem jemand Balance geben muss. Insofern war die Auswirkung des Wechsels auf Dortmunds Spiel schwerwiegend und es entwickelte sich nach der BVB-dominierten Anfangsphase ein ausgeglichenes und recht zerfahrenes Spiel.
Auswirkungen der fehlenden Relevanz
Über diesen Wechsel hinaus lag das natürlich auch an der fehlenden Relevanz, die sich in vielen Kleinigkeiten widerspiegelte. Bei Bayern fehlte über das logischerweise schwächer Ballbesitzspiel hinaus auch teilweise die Konsequenz im Pressing. Oft gingen sie fahrig und überfrüht in ihre Mannorientierungen, anstatt erst noch Passwege zu schließen und bessere Situationen abzuwarten. Auch die Intensität im Anlaufen der Defensivspieler war niedriger als gewöhnlich, wofür natürlich auch das Fehlen von Mandzukic und Müller mitentscheidend war.
Dem BVB fehlte etwas Intensität im Verschieben, was Bayerns Flügelfokus unterstützte. Im gruppentaktischen Verhalten wirkten sie stellenweise etwas lethargisch und waren nicht so auf den sofortigen Zugriff fokussiert wie üblich, sondern ließen dem Ballführenden mehr Zeit. Nach vorne fehlte beiden Teams zuweilen die Aggressivität im Nachrücken, wichtige lange Wege im Umschalten und die Sauberkeit im Ausspielen der Angriffe, was sicherlich auch mit der Eingespieltheit zusammenhing. Vor allem Schieber und Alaba merkte man die fehlende Praxis (auf ihrer Position) an.
Die fehlende Grundspannung lässt sich auch an den Laufwerten ablesen. Beim Hinspiel im liefen beide Mannschaften über 115 Kilometer (FCB 116,5; BVB 118,7). Hier waren es auf Seiten der Gastgeber ganze 7400 Meter weniger, bei Bayern (106,3) war der Abfall ein ähnlicher, rechnet man die 25 Minuten Unterzahl heraus. So kam bei weitem nicht jene Spiel-am-Limit-Atmosphäre auf, wie sie in den letzten Jahren zwischen Dortmund und Bayern der Standard war.
Dortmund in Überzahl
So pendelte sich das Spiel zwischendurch auf zerfahrener Augenhöhe ein. Ein fragwürdiger Elfmeter wurde von Lewandowski vergeben. Taktischen Zündstoff erhielt die Partie erst wieder durch Rafinha, der nach „vorstoßen und reinflanken“ auch seiner zweiten Spezialität nachging und sich beim Provozieren einen Platzverweis einhandelte. Heynckes brachte Emre Can als Rechtsverteidiger und nahm dafür Gomez vom Feld. Später kam noch Müller und erhöhte an Stelle Pizarros die Lauf- und Konterstärke. Bayern formierte sich fortan im 4-4-1 und der BVB hatte 25 Minuten Zeit, in Überzahl auf den Siegtreffer zu drücken.
Sie spielten ihren zusätzlichen Spieler aber oft nicht konsequent aus. Zuweilen formierten sich drei oder vier Spieler in der letzten Linie gegen den alleinigen Münchner Stürmer, sodass Dortmund Probleme hatte, das Spiel effektiv und zügig nach vorne zu tragen. Teilweise ließen sie dadurch nur den Ball unnötig lange zirkulieren, doch mehrfach spielten sie ihre Angriffe auch überflüssig in unterbesetzten Bereichen durch und machten den Bayern die Balleroberung zu leicht.
Klopp erhöhte in der 71. Minute noch die Durchschlagskraft seiner Elf, indem Reus für Kehl kam. Leitner ging für 13 Minuten zurück neben Sahin und kam nun besser ins Spiel, Schieber besetzte die Position hinter der Spitze. Dortmund kam in dieser Phase vereinzelt zu guten Strafraumszenen, die aber nicht für ein Tor reichten. Zum einen wurden eine Angriffe zu hektisch beendet, zum anderen erwischte Schieber einfach einen ganz schlechten Tag und verschliss die besten Situationen.
Für die letzten Minuten kam dann Bender für Blaszczykowski zur Absicherung des Ergebnisses und Erhöhung der Konterstärke. Die Zeit reichte den Borussen aber letztlich nicht für den Siegtreffer.
Die Lehren
Das klassische Fazit braucht dieses Spiel nicht. Es ging nur zweitrangig um den Sieg, dem die Borussen der Gesamtsituation entsprechend etwas näher kamen. Wichtiger war das taktische Pokerspiel, welches beide mit halb verdeckten Karten betrieben. Was bleibt festzuhalten für Wembley?
- Gündogan als Zehner ist eine interessante Alternative, besonders im Kontext von Götzes Ausfall. Über den zusätzlichen Aufbauspiel kann Dortmund dem Pressing der Bayern mehr entgegensetzen als in den vorangegangenen Spielen. Mit Hummels wird dieses Konstrukt noch verstärkt. (Gegen Wolfsburg, die Hummels ausschalteten, sah es jedoch wesentlich schwächer aus.)
- Bayern kann über die Flügel gefährlich werden, wenn sich der BVB im 4-2-3-1 formiert. Über schnelle Flügelwechsel und vorausschauende Positionierung auf zweite Bälle können sie der Borussia auch ohne konstruktive Nutzung der Mitte durchaus schaden. Dortmund zeigt weiterhin eine gewisse Anfälligkeit nach Flanken der Außenverteidiger.
- Leitner und Schieber sind momentan keine all zu hilfreichen Alternativen für den BVB, aus Gründen der Form und der taktischen Einbindung.
- Bayern ist deutlich leichter zu verteidigen, wenn die Pressingresistenz bei den Sechsern fehlt. Dortmund kann dadurch deutlich breiteren Zugriff herstellen. Kein Geheimnis, aber nochmals bestätig worden: Martinez und Schweinsteiger sind Schlüsselspieler!
- Das Konterspiel deutet sich nicht als entscheidender Faktor an. Beide Mannschaften sind im defensiven Umschalten noch besser als im offensiven. Die Bälle werden fast nur in gut abgesicherten Positionen verloren und können sofort entschleunigt oder zurückgeholt werden.
- Der Kampf um die zweiten Bälle kann entscheidend werden.
- Die Intensität bei der Umsetzung der taktischen Konzepte ist mindestens ebenso entscheidend wie die Konzepte selber. Die Dynamik im Finale wird noch einmal eine ganz andere sein, als in diesem Spiel. Die Trainer sind zum Abstrahieren gezwungen.
Detailliertere Gedanken zu den Vorzeichen des Spiels liefern wir im Laufe der nächsten 48 Stunden in geschriebenem und gesprochenem Wort.
2 Kommentare Alle anzeigen
Applewaters7 23. Mai 2013 um 23:38
Ich mag sehr wie MR die Spiele analysiert.Sehr tiefschürfend,nie ausufernden,immer verständlich.qualität statt Quantität.wenig emotio aber viel Ratio.–> Super Typ , Nicer Sachverstand
gg55 23. Mai 2013 um 11:19
Schön herausgearbeitet, wie belanglos dieses Spiel für das Finale war! Kann man das Nicht-Einwechseln zahlreicher Stammkräfte durch Heynckes als zusätzlichen Versuch werten, Klopp keine Referenzpunkte für die Münchner A-Mannschaft zu bieten?
Generell super Arbeit! Vielen Dank und weiter so!