Fiorentina – Inter 4:1
Im Verfolgerduell der italienischen Serie A empfing die Fiorentina zuhause Inter – und sorgte mit klarer Dominanz und beweglicher Offensive für ein Schützenfest gegen die ambitionierte und flexible, aber lückenhafte Defensivstrategie der Mailänder.
Das 3-5-2, das keines war – Florentiner Mischsystem
Nominell traten die von Vinczenzo Montella betreuten Hausherren in ihrem gewohnten 3-5-2/3-5-1-1 an, doch durch eine Asymmetrie in den Spielerrollen ähnelte es häufiger einer Formation mit Viererkette. Auslösend dafür war, dass der wilde und dribbelstarke Cuadrado als rechter Wing-Backs deutlich offensiver und ausgelassener agierte als der kühler und bedacht spielende Pasqual auf der gegenüberliegenden Seite.
Hinter Cuadrado rückte mit Tomovic daher häufig der halbrechte Innenverteidiger bei der Fiorentina mit vor und hinterlief diesen auf dem Flügel. Die linke Außenbahn wurde dann in zurückhaltenderen Phasen vonseiten Pasquals situativ von ausweichenden Rochaden durch die beweglichen Borja Valero, Ljajic und Jovetic besetzt, die dort gerne miteinander kombinierten, wobei sich auch der halbrechte Achter Aquilani das eine oder andere Mal mit einschaltete. Teilweise entstanden auf dieser Flanke brutale Überladeszenarien, was sich letztlich auch statistisch an fast 50 % gespielten Angriffen über links niederschlug.
Inters defensive Anpassungen und die Grundsatz-Probleme
Gegen diese Mischformation der Hausherren wollte Inters Trainer Andrea Strammaccioni mit einer Mittelfeldraute und einer Reihe an defensiven Anpassungen vorgehen. Grundsätzlich arbeitete Inter dabei mit acht Spielern hinter dem Ball, denn Rodrigo Palacio und vor allem Cassano im Angriff orientierten sich an den absichernden gegnerischen Verteidigern und rückten nur selten mit nach hinten.
Im Mittelfeld hatten Zdravko Kuzmanovic und Fredy Guarín an der einen sowie an der anderen Spitze der Raute lose mannorientierte Deckungsaufgaben zu verrichten. Während sich der kolumbianische Nationalspieler um den Florentiner Ballverteiler David Pizarro kümmerte, nahm der ehemalige Stuttgarter Kuzmanovic seinen frei herumschwirrenden Landsmann Ljajic in eine situative Manndeckung, sobald dieser in den Zehnerraum eindrang. Ging jener ausweichend auf die Flügel oder versuchte dort kombinative Überladebewegungen zu starten, war Zanetti erster Verteidiger seines Raumes und konnte dabei von Cambiasso, bei eventuellen Schwierigkeiten auch vom mannorientiert verfolgenden Kuzmanovic unterstützt werden.
Generell mussten die Gäste bei ihren Anpassungen auf den Flügeln immer wieder die Wechselwirkungen mit den Defensivverantwortungen der Halbspieler beachten, konnten daraus aber auch Optionen ziehen. Teilweise bestanden von Seiten von Cambiasso und Kovacic Mannorientierungen auf die beiden Achter der Hausherren, doch wurden diese eben nur phasenweise gespielt, da beide auch wichtige Rollen in den Verschiebebewegungen auf die Seiten einzunehmen hatten. Dabei agierte Kovacic deutlich höher und schob gegen den seitlich aufrückenden Tomovic heraus, während Nagatomo sich eng um Cuadrado kümmerte sowie häufig die Viererkette verließ und die beiden Mittelfeld-Kollegen hinter Kovacic eine übergangsweise Doppel-Sechs formierten. Auf der anderen Seite ließ man der Fiorentina mehr Raum und spielte die Verschiebebewegung eine Ebene tiefer. So wechselte Cambiasso zwischen der Deckung auf Borja Valero und dem Herausrücken auf die von Ljajic initiierten Überladebewegungen, schob aber nur selten in Richtung des etwas vorsichtigeren Pasqual – was bestraft werden sollte.
Der Kapitän der Veilchen zersprengte nämlich Inters Versuch einer komplexen, aber letztlich nicht konsequenten und etwas unabgestimmten Verteidigungsstrategie mit der entscheidenden Vorlage zum Führungstor nach einer guten Viertelstunde. In der grundsätzlichen Strategie versuchte Inter, immer wieder verschiedene Mannorientierungen situativ neu zu bilden – was hinsichtlich der Anpassung auch eine theoretisch gute Leitlinie war, allerdings aufgrund der Formationen nicht funktionierte. Zwar wurde versucht, eine Balance zwischen den Wechseln der Mannorientierungen und dem ballorientierten Herausschieben auf die Seiten zu schaffen, doch wurde dies gerade gegen die beweglichen und viel rochierenden Hausherren zu chaotisch. Weil die hinten mit nur acht Akteuren gespielten Manndeckungen – trotz ihrer Flexibilität – auch wegen der Enge der eigenen Formation seitliche Löcher hinterließen sowie Probleme durch die Freiheiten für nachrückende Spieler wie Pasqual hatten, ging diese Strategie nicht auf.
Gescheiterte Reaktion und Steigerung des Ergebnisses
Spätestens mit dieser Führung im Rücken drehten die Gastgeber richtig auf und konnten ihre Dominanz mehr und mehr in konstantes Erarbeiten von Chancen umwandeln, was natürlich mit dadurch begünstigt wurde, dass dieses erfolgreiche Nachrücken Pasquals verstärkt forciert wurde. Allerdings war auch die Reaktion der Gäste daran beteiligt, welche beim Versuch einer defensiven Antwort noch instabiler wurden.
Immer häufiger bildeten nun Cambiasso (nun halblinks) und Kuzmanovic (halbrechts) eine Art nach außen in die Halbräume verschobene Doppel-Sechs, die das Zusammenspiel der Hausherren in jenen Bereichen eindämmen sollte und in ihrer Mitte vom leicht weiter vorne postierten Kovacic in einem Abwehrdreieck abgesichert wurden.
Ein Problem bei dieser Umstellung lag allerdings in der Tatsache begründet, dass die Flügel immer noch nicht vollends zugestellt werden konnten – und das Zentrum dabei etwas weniger geschützt war. Besonders schwierig gestaltete sich die Raumsicherung, wenn einer der beiden Halbspieler ballnah auf die Seite rücken musste und dahinter kein Kollege in optimaler Position war, um nachzuschieben, so dass sowohl der Flügel mit Freiheiten für Pasqual offen blieb als auch das Zentrum nicht optimal gesichert werden konnte.
Gegen einen sehr flügelfixierten Gegner können solch herausgekippte Sechser sicherlich wertvoll sein, doch auch wenn die Fiorentiner über diesen Weg viel Durchschlagskraft entwickelten, kamen sie zusätzlich noch zu stark über kombinatives Spiel in den mittleren Zonen, als dass dieser Ansatz hätte wirkungsvoll funktionieren können. Erst mit der Einwechslung von Ricardo Alvárez und der Umstellung auf eine 4-3-3(-0)-artige Formation hatte Inter dann konstantere Präsenz auf den Außenseiten – allerdings auch nur in der Theorie, denn der Argentinier zockte ebenfalls ungewohnt häufig, was letztlich doch wieder zu einer Teilung von sieben defensiv mitarbeitenden und drei offensiv lauernden Spielern führte.
Inters Konterangriffe
Bereits in der Europa League hatte Inter zuletzt mit gefährlichen Konterangriffen aus der Raute für entscheidende Tore gesorgt – und so probierten sie diese Strategie auch in dieser Begegnung. Zentrales Element sind dabei die zwei Angreifer mit ihren beständigen Horizontalbewegungen auf der Suche nach Lücken, wobei sich Cassano etwas mehr in die Breite und als Anspielstation freiläuft, während Palacio diagonal Richtung Tor zieht. Gegen die nominelle Dreierkette der Hausherren fanden sie auch einige Male den gesuchten Raum vor.
Hinzu kommt in diesem Plan der als Zehner spielende Guarín, welcher mit seiner Physis in Kombination mit kraftvollen Dribblings und Läufen die Bälle nach vorne treiben soll, was ihm diesmal im Raum neben dem einzigen Sechser Pizarro auch recht gut gelang. Aus den tieferen Mittelfeldbereichen rückt außerdem noch der gelegentlich minimal zockende und hochveranlagte Kovacic mit vor, um etwas engere Räume zu infiltrieren.
Diese vier fuhren einige ordentliche Unterzahlangriffe und erzeugten damit auch durchaus Gefahr – das Problem war nur, dass nach dem frühen Rückstand das Kontern nicht mehr ausreichte. Während hinten lange die Stabilität fehlte, um Chancen zu verändern, erlaubten die recht passiven Rollen der beiden Stürmer auch keinen großartigen Druckaufbau, so dass die Fiorentina recht ungefährdet mit Ballbesitzphasen Inter die Zeit nehmen konnte.
Wenn diese dann schließlich aus dem Aufbau heraus angriffen, wurde es auch kaum gefährlich, weil ihnen das Aufrücken (zum Beispiel durch die Außenverteidiger) und in der Folge die Präsenz sowie die Verbindungen vorne fehlten. Erst in der 87. Minute schafften sie daher in Form des Ehrentreffers den ersten Abschluss auf den Kasten. Eigentlich standen die Gastgeber in einer kompakten 5-3-Stellung souverän und Inter war nur mit vier Spielern konsequent aufgerückt, doch dank Cassanos Sonntagsschuss fand der Ball den Weg ins Tor.
Fazit
Andrea Stramaccioni ist ein vielversprechender junger Trainer und bekannt für interessante sowie gerne auch komplexe taktische Anpassungen – von denen viele auch bereits hervorragend funktionierten – doch diesmal gingen seine Strategien deutlich daneben. Die Fiorentina war über die Flügel und Halbräume brandgefährlich und nutzte die Enge der gegnerischen Formation, die Schwächen der Mannorientierung und die defensive Zweiteilung des Gegners eiskalt zu einem hochverdienten Erfolg aus.
9 Kommentare Alle anzeigen
TW 19. Februar 2013 um 20:25
Das Defensivverhalten von Inter wirkt in den Skizzen wirklich extrem unausgegoren. In der Szene vor dem 1:0 müsste eigentlich Kuzmanovic Valero übernehmen, so dass Cambiasso auf Pasqual rausrücken kann. Mit Juan Jesus existiert noch ein freier Mann, der die Mitte absichern könnte.
Das Abwehrdreieck ist ein feststehender Begriff aus der Fußballtheorie. Es wird jedoch nie fix gespielt, sondern situativ ballorientiert gebildet. In der Szene vor dem 4-0 ist der Ball auf Inters halbrechter Seite. Das Abwehrdreieck würde hier unvollständig aufgebaut, da der rechte Halbspieler rausrückt und die auch schon von Dir angesprochene situative Doppelsechs zentral zur Absicherung entsteht. Der rausrückende und der nachrückende zentrale Spieler bilden das halbe Abwehrdreieck, der dritte sichert das Zentrum. Es macht in diesem Fall keinen Sinn, den zentralen Spieler rausrücken zu lassen (und somit de facto defensiv aus dem Spiel zu nehmen). Nur deswegen entstehen die beschriebenen Möglichkeiten für die Fiorentina.
Kruppe 18. Februar 2013 um 20:59
Vielen Dank für die Analyse, konnte Florentina leider nicht oft sehen in dieser Saison. In der Analyse gehst Du relativ genau auf die defensiven Anpassungen Inters ein, mich würde auch eine allgemeinere Einschätzung zu Florenz interessieren. In letzter Zeit konnte man öfters lesen/hören, dass Florenz den besten/schönsten Fußball in Italien spielt und dieses Spiel scheint durchaus zu dieser Ausssage zu passen. Andererseits liegen sie nur auf Platz 6, neun Punkte hinter Napoli (2.) und damit unter den Erwartungen. Weiterhin würde mich eine Einschätzung zu S. Jovetic freuen, habe nicht viel von ihm gesehen aber halte ihn für einen interessanten beweglichen Stürmer. Seine Chancenverwertung ist aber laut whoscored ziemlich mies und bei ~2KP/Spiel könnte man ihn auch durchaus auf den Flügel/ auf die 10 stellen oder?
TR 18. Februar 2013 um 21:25
1. Zur Fiorentina musste mal ganz oben im Artikel auf den Link klicken 😉
2. Zu Jovetic hat vielleicht der Kollege RM bei abseits.at etwas veröffentlicht. Google müsste da etwas ausspucken.
Kruppe 18. Februar 2013 um 22:37
Oh Danke, mea culpa.
Werde mich mal auf abseits.at umschauen.
Uwe 18. Februar 2013 um 20:38
Bin mal gespannt wie lange Strammacioni noch ein vielversprechender, junger Trainer genannt wird. Immerhin ist nächste Woche Derby. Falls es schlecht für Inter laufen sollte, dürfte Moratti wohl eines der Adjektive streichen.
ben 18. Februar 2013 um 18:09
Hey, wie seht ihr eigentlich die Entwicklung des italienischen Fußballs? Wurde der früher viel zitierte taktische Vorsprung der italienischen Mannschaften von den anderen europäischen Ligen egalisiert oder nehmen die Italiener im Mikro und makrotaktischen Bereich immernoch eine Vorreiterrolle ein? Wie kann man sie in die europäische spitze einordnen, oder sind sie daraus evtl sogar herausgerutscht?Speziell die championsleague Vorstellungen von juventus haben bei mir als chelsea Sympathisant einen recht prägenden Eindruck hinterlassen 😉
Izi 18. Februar 2013 um 16:53
Vielen Dank für diesen tollen Artikel! 🙂 Ich freue mich immer, etwas über die Fiorentina zu hören!
In Italien scheint mir das Spielsystem der Fiorentina weit verbreitet zu sein, hierzulande spielt das keiner… Liegt das an den Gegnern, oder dem generell höheren taktischen Niveau der Bundesliga, oder am Spielermaterial, oder an etwas Anderem?
TR 18. Februar 2013 um 17:24
Laufen sicherlich mehrere Faktoren zusammen. In Italien wird das schon traditionell recht häufig genutzt, was sich dann natürlich auch in der Ausbildung niederschlägt z.B.
Als ein Zeichen für höheres Niveau der Bundesliga würde ich es nicht unbedingt einstufen.
rotundblau 19. Februar 2013 um 00:50
Das liegt an verschiedenen Gründen. Das Spielermaterial ist sicher einer davon, denn in Italien gibts meiner Meinung nach schon länger eine Art Mangel an klassischen Flügelspielern- Die meisten Außenspieler sind Außenverteidiger oder Außenstürmer und der moderne Außenverteidiger ist für diese Position eben gut geeignet. Taktisch hat es hier halt gut gepasst, da der Flügel sowieso etwas vernachlässigt wurde und man hauptsächlich auf ein eher konservatives 4-3-1-2 setzte, wodurch dann eben auch die Nachteile auf den Außen wegfallen, die ein 3-5-2 gegen viele Systeme eben hat. Durch den Erfolg von Genoa (eigentlich unter Gasparini die „ersten“ mit einer 3er Kette, während in den Medien hier meistens Napoli genannt wird) und Napoli und später noch Udinese hat dieses System dann auch noch einige Nachahmer gefunden denke ich. Das taktische Niveau der Bundesliga spielt hier keine Rolle, es gibt in den verschiedenen Ligen dann doch noch paar taktische Eigenheiten, die 4er-Kette ist hinten oft nicht mehr wegzudenken, aber vielleicht traut sich ja auch mal ein Trainer in Deutschland und probiert ein 3-5-2 oder 3-4-3 aus