VfB Stuttgart – KRC Genk 1:1

Auch in der Europa League kommt der VfB Stuttgart nicht von der Stelle und verbucht einen weiteren Rückschlag im Kampf gegen die Negativspirale. Gegen den belgischen Vertreter KRC Genk kassierten die Schwaben in der Nachspielzeit den späten Ausgleich, welcher in dieser Situation nicht nur mehr als unnötig war, sondern auch nicht wirklich dem Spielverlauf entsprach.

Wie spielt Genk normalerweise?

VfB-Trainer Bruno Labbadia vertraute derselben Formation, die am Samstag noch in der Bundesliga gegen Werder Bremen mit 1:4 unterging. In einem 4-2-3-1/4-1-4-1-Mischsystem nahm Kvist erneut die Rolle des tiefen horizontal agierenden Sechsers ein, während sein Nebenmann Gentner stark in der Vertikalen arbeitete. Tunay Torun als nominelle Offensivkraft hinter den Spitzen besetzte seinen Zehnerraum im Vergleich zum Werder-Spiel wesentlich klarer, aufgrund von Gentners räumeverbindenen Läufen mit einer Tendenz zur halbrechten Positionierung.

VFB Genk - Grundformation

Grundformationen zu Spielbeginn

Der ex-Verein von Kevin de Bruyne formierte sich in einem 4-2-3-1-System mit klassischer Ausprägung in den offensiven Abläufen. Die beiden Innenverteidiger Koulibaly und Somaeys sollen den Ballvortrag aus der Tiefe initiieren, unterstützt von den beiden Sechser Kumordzi und Hyland. Beide Außenverteidiger, hier Ngcongca sowie Tshimanga, suchen den Weg in die Tiefe und schaffen Raum für den Aufbau. Das hochschiebende Verhalten bewegt die beiden offensiven Flügelspieler de Ceulaer und Altstar Buffel zum Aufsuchen der Halbräume. Beide verfügen über eine gewissen Kombinations- und Dribbelstärke, welche mithilfe des ballorientiert verschiebenden Zehners Barda und der hinterlaufenden Dynamik der Außenverteidiger in Flügelüberladungen genutzt werden soll. Aus diesen Überladungen sollen Durchbrüche hinter die Abwehr erzielt werden, die im besten Fall bei Toptorjäger und Kapitän Jelle Vossen enden. Neben Durchbrüchen werden zudem vermehrt Seitenwechsel genutzt, da die Überladungen oftmals zu weiten Verschiebungen der gegnerischen Mannschaft führen und die ballferne Seite damit geöffnet wird. Durch die eigene konstante Besetzung in der Breite ein äußerst probates Mittel in der Jupiler League. Dass diese eigentlichen Stärken in diesem Spiel kaum zum Tragen kamen, lag vor allem an den Süddeutschen.

Verändertes Pressing

Die Schwaben eröffneten die Partie mit einem intensiven Angriffspressing und starkem Gegenpressing. Ersteres war schon in der Bundesliga gelegentlich zu beobachten, wurde jedoch bislang meist nur von der vordersten Offensivreihe praktiziert, ohne entsprechende vertikal unterstützende Bewegungen der Hintermannschaft. Eine gebrochene Formation in Hinter- und Vordermannschaft war oft die Folge, womit viel Platz zwischen den Linien entstand. Ein erfolgreiches Pressing in der vordersten Reihe provoziert lange Bälle auf gegnerischer Seite, die jedoch über die berühmten zweiten Bälle in gefährliche gegnerische Situationen mündeten. Mannschaften die solche Situationen kombinativ zu lösen wissen, haben selten Probleme den pressenden Block zum umspielen und zwischen die Linien zu kommen.

In dieser EL-Partie agierte die Mannschaft von Bruno Labbadia ungewohnt kohärent zum Ball, eine gebrochene Formation mit einhergehenden Lücken konnte vermieden werden. Die Abwehrlinie schob bis zur Mittellinie, wodurch eine enge Staffelung garantiert wurde und der frontale, seitliche sowie rückwärtige Zugriff jederzeit gegeben war. Genk hatte damit sichtbare Probleme und offenbarte Unsicherheiten in der Ballsicherung und im Ballvortrag. Die Heimelf erzielte daraus einige potenziell gefährliche Ballgewinne, welche jedoch kaum in wirkliche Torgefahr umgemünzt werden konnten, da ein enges Kombinationsspiel nicht die große Stärke von Brunos Mannen ist. Die enge Positionierung ermöglichte jedoch das schnelle Gegenpressing für solche Ballverluste. Vom defensivtaktischen Standpunkt war es für mich die wohl ansprechendste Viertelstunde, die ich in dieser Saison bei den Schwaben beobachten konnte. Subjektivität, ein Ausrutscher.

Nach dieser starken Anfangsphase zog sich die Heimelf in ein aktives Mittelfeldpressing zurück und unterließ weitgehend dieses hohe Angriffspressing. Klare Zuordnungen innerhalb der Formationen verhinderten in dieser Pressingvariante den beschriebenen gegnerischen Überladeeffekt. Die individuelle Überlegenheit sorgte in der Regel zusätzlich für das Verflachen der „Genker“ Offensivbemühungen.

Gegnerisches Verhalten als Vorteil

Die Veränderung der Pressinghöhe bedeutete gleichzeitig, dass der Ball nun aus der Tiefe in die Tiefe transferiert werden musste. Das kam dem VfB in diesem Fall entgegen, denn das Verhalten der gegnerischen Außenverteidiger begünstigte das Ausspielen der hauseigenen Stärke, den weiträumigen Überladungen im Flügelbereich. Sowohl Ngcongca auf rechts als auch Tshimanga auf links waren bestrebt ihre Gegenspieler frühzeitig zu stören. Beide lösten sich dafür frühzeitig aus der Kette, orientierten sich am direkten Gegenspieler Harnik/Traore, folgten auch in die Halbräume. Im Gegenzug wurde große Räume im eigenen Rücken geöffnet, die von der Innenverteidigung nicht folgenlos geschlossen werden konnten. Die belgische Doppelsechs versuchte zumindest den Raum mit horizontalen Verschiebungen auf die ballnahe Seite einzugrenzen, doch beide mussten die zentrale Kompaktheit zu einem gewissen Grad wahren, sodass diese Bewegungen nur geringe Auswirkungen hatte.

VFB Genk - Szene

Offene Räume im Rücken der gegnerischen Außenverteidiger.

Der VfB erkannte die Räume recht zügig und bespielte gezielt die Halb- und Flügelzonen, um in diesen Bereich vorzustoßen. Abwechselnde Tiefenläufe von verschiedenen Spielern aus unterschiedlichen Richtungen sollten für den überladenen Durchbruch sorgen. Mal brach Sakai aus seiner Position aus, mal füllte Torun den Raum, mal nahm Gentner seine Lunge in die Hand und sorgte mit einem irren Laufweg quer über den Platz für die Auflösung. Beim sichtbaren Erreichen dieser Zone bzw. des Durchbruchs wurde der Strafraum zügig besetzt, um eine mögliche kommende Hereingabe abzuschliessen. Eine durchschnittliche Staffelung innerhalb des Strafraums verhinderte letztendlich eine höhere Anzahl qualitativer Abschlüsse nach einer gelungenen Überladung.

Fazit

Es war eine gefühlte Niederlage, die nicht hätte sein müssen. Der VfB Stuttgart präsentierte in der Anfangsphase ein kohärentes Angriffspressing, aus dem jedoch kein Kapital in Form von Torchancen geschlagen werden konnte. Die Chancen kamen mit dem später verwendeten erhöhten Mittelfeldpressing, was zu vermehrten Ballvortrag aus der Tiefe führte. Aus diesem wurden bespielbare Räume geöffnet und durch die bevorzugten Flügelüberladungen aus dem Zentrum heraus genutzt. Gentner zeigte in dieser Hinsicht ein herausragendes Spiel und war mit seiner Laufstärke inklusive seiner Dynamik ein wichtiger Faktor. Ob das im mannschaftlichen Kontext respektive der Raumaufteilung immer Sinn macht, steht auf einem anderen Blatt. Ähnlich wie bei Ibisevic, der in diesem Spiel viele Räume in sämtliche Richtungen anlief und viele Ballkontakte sammelte. Eine moderne Interpretation seiner Position, die jedoch bewusst in die restliche Umgebung eingeflochten werden muss.

Genk konnte das gewohnte Spiel nicht in der bekannten Tragweite auf den Platz bringen, meisterte jedoch die defensiven Druckphasen ordentlich und war am Ende präsent als sich die eine, mit freundlicher Unterstützung der Heimelf, Möglichkeit ergab.

Mit dem 1:1-Endstand wird das Rückspiel, übrigens ohne den gelbgesperrten Niedermeier, sicherlich eine intensive Angelegenheit werden, denn die kleine „Genker“ Cristal-Arena wird aus allen Nähten platzen und für reichlich Emotionen sorgen.

Rudi Ratlos 17. Februar 2013 um 22:23

War spannend, auch heute das Spiel gegen Hoffenheim. Gab es da ein ähnliches Pressing zu Beginn wie gegen Genk? Oder war das frühe Tor eher Zufall? immer toll und spannend eure Analysen.

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Gentnerfan 18. Februar 2013 um 17:33

Gegen Hoffenheim hat man über weite Strecken ein bissel tieferes 4-1-4-1-Pressing gespielt mit mW etwa 15-20 offensiveren Minuten nach der Halbzeit. In der Anfangsphase gabs aber kein Angriffspressing, die Pressingaktion vor dem Tor war für mich auch mehr ein individuelles Herauslösen und Verfolgen des Passes aus der Grundordnung heraus ohne dass man im Kollektiv großartig draufgegangen ist.

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Ichselbst 16. Februar 2013 um 12:12

komme gerade von hier,
http://www.spiegel.de/sport/fussball/taktik-analyse-wolfsburg-gegen-bayern-muenchen-a-883780.html
Und wollte nachschauen ob spoon von euch abgeschrieben hat 🙂 aber es ist noch keine wolfsburg gegen bayern Analyse draußen von euch. Trotzdem beeindruckend euer Einfluss mittlerweile, sogar auf die großen der Branche.

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Gentnerfan 16. Februar 2013 um 11:36

Danke für die Analyse! hätte nicht gedacht, dass ihr so ein eher weniger Spaß versprechendes Spiel covert.

Ich hab noch ein paar Anmerkungen:

Da du die Ibisevic-Rolle ansprichst, das scheint mir fast ne Neuerung zu sein, so extrem ins Spiel eingebunden und zwar nicht bloß als Referenzpunkt für lange Bälle hab ich ihn selten gesehen. Halte ich im Grunde auch für sinnvoll, da er da vorne mit Torun noch der spielstärkste ist und es Harnik ein bisschen entlastet und ihn mehr in die Stürmerrolle drückt.
Die Vertikalläufe um ihn herum fand ich dann meist auch gut und richtig, die Spielsituationen wurden aber mal wieder schlecht ausgespielt. Da denkt man sich dann immer, ja eigentlich gar kein schlechter Angriff, aber sie schaffens halt nicht den dann sauber auszukombinieren und dann weiß man irgendwie nicht so recht, was man von dem Spielzug an sich halten soll.
Das 1:0 fand ich dann sehr schön gespielt, aus dem ruhenden Aufbau heraus schnell und direkt über die Mitte eröffnet, nach außen verlagert und dann mit Glück über die Präsenz in der Box verwertet. War gleichzeitig auch irgendwie ein VfB-Klassiker mit Harnik, der die Außenbahn für Sakai freimacht.
Problem für den VfB waren in diesem Spiel am ehesten Konter nach zweiten Bällen und Fehlern im Aufbau, aber sonst, wie du sagst, bei Genks Angriffen kamen dann auch oft individuelle Defizite raus.
Insgesamt wärs ohne diesen grottendoofen Konter am Ende eine super Ausgangsposition gewesen, so steht man jetzt von Beginn an unnötig unter Druck im Rückspiel.

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pomatski 16. Februar 2013 um 11:59

Ich weiß nicht so recht, ob Ibisevics „Mittelfeld“-Präsenz wirklich ne Vorgabe war. Schätze, dass hat sich eher ergeben, weil es ihm vorne in der Luft hängend zu blöd geworden ist.

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Max 15. Februar 2013 um 20:20

Großartig, danke!

Ihr hattet das glaube ich schon mal in einem Artikel zur ersten Stuttgarter Krise in dieser Saison erwähnt: für meine Begriffe war Gentner (der zweifelsohne ein gutes Spiel gemacht hat) zu vertikal unterwegs, oftmals gab es keine Verbindung zwischen ihm und dem tiefen Kvist, was dann im Aufbau zu langen Bällen geführt hat, die nur selten vom Erfolg gekrönt waren.

Wie seht ihr denn Labbadias (erneute) Systemumstellung vom 4-3-3/4-1-4-1 der Hinrunde auf das 4-2-3-1 jetzt? Ist es richtig, auf ein ballbesitzorientiertes Spiel umzustellen oder verfügt der VfB nicht über das richtige Spielermaterial und sollte sich besser wieder am Kontern versuchen?

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kolle 16. Februar 2013 um 08:08

Hör die mal den Podcast zum VFB an, da wird imho was dazu gesagt. War in der Richtung: „Verwunderlich das der VFB die besseren Ergebnisse im 4-3-3 einfährt, da Sie doch eigentlich eher das Spielermaterial für ein 4-2-3-1 haben. Kann mich natürlich irren, hörs halt mal nach..

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