Hoffenheims erstes Spiel unter Marco Kurz
4-4-2-Mittelfeldpressing und schnelle Konter: Das erste Spiel unter dem neuen Trainer Marco Kurz deutete an, in welche Richtung die Hoffenheimer steuern.
Wenn ein neuer Trainer einen Verein übernimmt, sind die Augen auf ihn gerichtet – besonders wenn der Klub unerwartet gegen den Abstieg spielt. Marco Kurz soll 1899 Hoffenheim aus dem Tabellenkeller herausführen. Keine leichte Aufgabe, schließlich betrug der Abstand auf Platz 15 nach der Hinrunde sieben Punkte. Besonders die schwache Defensive (41 Gegentore – Ligahöchstwert) machte den Hoffenheimern zu schaffen.
Defensiv: Mittelfeldpressing
Bereits bei Kurz‘ Auftakt gegen Borussia Mönchengladbach zeigte sich, dass der frühere Löwen- und Lautern-Trainer in der Winterpause das Defensivverhalten trainieren ließ. Hoffenheim baute sich von Beginn weg in einer 4-4-2-Ordnung auf und überließ den Gladbachern den Ballbesitz in deren Hälfte. Erst wenn diese in die Regionen des Mittelkreises kamen, attackierten die Hoffenheimer.
Sie setzten auf ein klassisches Mittelfeldpressing: Sobald ein gegnerischer Sechser an den Ball kam, störten die Hoffenheimer Sechser. Die Stürmer versuchten, die Passwege zurück zu den Verteidigern zu schließen, und die Viererkette rückte weit auf, um die Räume zwischen den Linien zu verkleinern. Gerade in der Anfangsviertelstunde schafften sie gegen Gladbachs 4-4-2 klare Zuordnungen und einige Ballgewinne. Besonders die hohe Aggressivität von Tobias Weis blieb im Gedächtnis.
Solch ein Mittelfeldpressing ist eine simple, aber effektive Möglichkeit, eine stabile Defensivordnung zu erreichen. Ein Mittelfeldpressing ist ideal, um in einer vitalen Zone des Spielfeldes (um den Mittelkreis) hohen Druck zu erzeugen, ohne offene Räume zwischen den Ketten entstehen zu lassen. Der Gegner kann zwar in der eigenen Hälfte einen hohen Ballbesitz ansammeln (so wie es Gladbach tat), hat aber im Spiel nach vorne praktisch keine freien Räume zum Bespielen. So standen die Hoffenheimer in ihrem ersten Auftritt unter Kurz fast über die gesamte Spielzeit defensiv stabil.
Offensiv: Schnelle Gegenstöße
Bei Balleroberungen waren die Hoffenheimer bestrebt, schnell und schnörkellos nach vorne zu spielen. Wenn sie den Ball nahe der gegnerischen Hälfte gewannen, spielten sie ihre Konter direkt und flach. Salihovic leitete diese Angriffe ein, Volland kombinierte vorne mit den Außenspielern. Bei Ballgewinnen weit in der eigenen Hälfte jagte Hoffenheim viele lange Bälle zu Derdiyok. Dieser versuchte, die hohen Anspiele zu halten und weiterzuleiten. Sobald das Team einen Konter abbrechen musste, suchten sie den Spielaufbau über die Flügel. Hier wirkten sie wenig einfallsreich, konnten aber zwei, drei Mal gefährliche Flanken auf Derdiyok und Firmino schlagen.
Bei eigenen Angriffen fiel die klare Aufgabenteilung zwischen den Zweier-Paaren auf dem Feld auf: Im Sturm hielt Derdiyok seine Position im Zentrum, während Volland um ihn herum agierte – die klassische Aufteilung zwischen einem verwertenden und einem spielmachenden Stürmer. Auf den Außen hielt Usami seine Position auf dem Flügel und sorgte für Breite, während Firmino oftmals ins Zentrum zog. Den Flügel beackerte hier Außenverteidiger Andreas Beck. Im zentralen Mittelfeld agierte Salihovic als Ballverteiler, der hauptsächlich auf der horizontalen Achse agierte. Weis hingegen schaltete sich immer wieder dynamisch in die Angriffe ein und legte sein Spiel vertikaler an.
Eine leichte Asymmetrie auf den Außen, ein vertikaler und ein horizontaler Sechser, zwei Stürmer mit unterschiedlichen Aufgaben: Die Aufgabenteilung der Hoffenheimer ist weder revolutionär noch in irgendeiner Weise innovativ, dafür war sie den Stärken der Spieler auf den Leib geschnitten: Derdiyok konnte seine Robustheit einbringen, Volland seine Handlungsschnelligkeit, Firmino seinen Zug zum Tor, Usami seine Dribbelstärke, Weis seine Dynamik und Salihovic seine Passstärke. Zudem passten die schnellen Ein-Kontakt-Konter zur hohen technischen Qualität der Kraichgauer.
Gladbach zeigt die Grenzen dieses Ansatzes auf
Die positiven Aspekte des Hoffenheimer Systems kamen besonders in den ersten 20 Minuten zum Tragen. In dieser Phase gewannen sie zahlreiche Bälle im Mittelfeldzentrum und konnten sich zwei große Chancen durch Firmino erspielen (6., 20.). Nachdem Lucien Favre jedoch den Braten gerochen und auf ein 4-3-3 umgestellt hatte, bekamen die Hoffenheimer zunehmend Probleme. Mit der entstehenden Zwei-gegen-Drei-Unterzahl im Mittelfeld verloren sie den Zugriff. Favre ließ dabei seinen Sechser Marx sehr tief agieren, sodass Gladbach den Ballbesitz in der eigenen Hälfte in ungeahnte Höhe schraubte (am Ende lagen sie bei knapp 65%).
Auch im Spiel nach vorne konnte das neue System noch nicht vollends überzeugen. Kurz muss jedoch zugutegehalten werden, dass Favres Gladbacher ein undankbarer Gegner für eine Kontermannschaft ist. Gladbach rückt im Spielaufbau nicht weit auf, meist befinden sich nur drei bis fünf Spieler vor dem Ball. Zudem kehren sie schnell in ihre eigene Grundordnung zurück, sodass Über- oder Gleichzahlkonter fast unmöglich sind. Zudem fehlte nach der verletzungsbedingten Auswechslung von Salihovic die kreative Ader im Mittelfeld.
Die schwächste Phase legten die Hoffenheimer nach dem Wiederanpfiff hin. Die Aggressivität im Mittelfeld ließ etwas nach. Nun rückte die Mittelfeldreihe zu früh zurück und zwang die eigene Viererkette, tiefer zu spielen; Gladbach konnte das eigene Ballbesitzspiel weiter vorne auf dem Feld anlegen, wodurch Arango und Cigerci besser ins Spiel fanden. Hoffenheims Fitness-Level war ein Problem in der Hinrunde, und so zeigte sich auch hier, dass sie das laufintensive Mittelfeldpressing nicht über 90 Minuten durchhalten konnten. Erst nach der Einwechslung des hungrigen Jungspunds Grifo besserte sich ihr Spiel gegen den Ball, so dass in der Schlussviertelstunde nichts mehr anbrannte.
Fazit
Defensiv steigerten sich die Hoffenheimer bereits in der ersten Partie unter Kurz stark. Diese Steigerung könnte reichen, um das Team mittelfristig zu stabilisieren. Zudem war erkennbar, dass sie offensiv genug individuelle Klasse für ein starkes Konterspiel besitzen – nur ist Gladbach mit ihrer risikoarmen Haltung nicht das beste Opfer für solch eine reaktive Taktik. So ist Kurz‘ System alles andere als innovativ, aber angesichts der Tabellensituation und des Kaders schlüssig. Seine Herangehensweise erinnert an jene von Mirko Slomka in seiner zweiten 96-Saison oder an Lucien Favre in seinen ersten Gladbacher Spielen – zwei Geschichte, die bekanntlich positiv verliefen.
8 Kommentare Alle anzeigen
myfuba 23. Januar 2013 um 02:38
mikedemm 22. Januar 2013 um 08:38
marco kurz macht genau das richtige. er verpasst der mannschaft eine klare
struktur und wollte vor allem nicht verlieren. dieses spiel glich eher dem sogenannten rasenschach, was vor allem an den gladbachern und dem sehr
guten schiedsrichter lag, der das spiel sehr penibel bewertete. was für uns als
zuschauer eher langweilig war ist die spielweise der gladbacher. kein tempo im spiel,
das endlose ballgeschiebe, keine vertikalpässe, kein entschlossenes 1 gegen 1. phasenweise spielten sie eher ein 4-1-4-1 und nahmen de jong komplett aus dem spiel . dies ging soweit, dass der ball nahe am gegnerischen strafraum sogar in
die eigene hälfte zurückgepasst wurde. fazit: keiner wollte verlieren, keiner wollte
gewinnen, hoffenheim stark verbessert – gladbach stark langweilig. die zuschauer
bleiben bei solchen spielen außen vor d.h. wer will solche spiele sehen ??
Rasengrün 21. Januar 2013 um 11:36
Hier zeigt sich wieder einmal, dass eine kriselnde Mannschaft systemübergreifend vor allem erst einmal klare Strukturen braucht. Kurz macht das ähnlich wie zuletzt Köstner in Wolfsburg, nothing fancy, aber sehr klar definierte Rollen und Aufgaben. Neben dem psychologischen Aspekt – Verunsicherung wird durch reduzierte Komplexität entgegengewirkt – sehe ich auch potentiell positive Auswirkungen auf die Handlungsschnelligkeit im Umschaltspiel. Die Optionen und zu bespielenden Räume sind klar, die Entscheidungsfindung darum wenig fehlerbehaftet.
Trotzdem halte ich es noch nicht für ausgemacht, dass Kurz dauerhaft beim gezeigten 442 bleiben wird. Schon dieses Spiel hat gezeigt, dass man mit Überzahl im Zentrum recht leicht ein deutliches Übergewicht erlangt. Da Salihovic wohl länger ausfällt und ich nicht so recht sehe wer ihn 1 zu 1 in der Rolle ersetzen könnte – der Kader ist eben nicht fürs 442 zusammengestellt – könnte ein adaptiver Ansatz besser greifen. TE hat schon den Vorteil der klaren Zuordnungen in der Anfangsphase als Gladbach ebenfalls noch 442 spielte angesprochen ,Hoffenheim verfügt dazu individuell über mehr Klasse als viele direkte Konkurrenten. Es liegt durchaus nahe die Aufstellungen des Gegners zu spielen und das Spiel so erst einmal auf direkte Duelle zu fokussieren. Auch das ist ein Mittel zur Reduzierung der Komplexität. Ob das angesichts der Tabelle ausreicht ist eine andere Frage.
AP 21. Januar 2013 um 15:53
Ein erfolgreicher Trainer hat mal gesagt, Stabilität geht vor Flexibilität… Nur logisch dass Kurz, nach dieser Vorrunde den Weg wählt… Und wie geil jetzt Wiese und Weis nachtreten… Sie bleiben halt gute Jungs, egal wer Coach ist 🙂
Wolfsmond 20. Januar 2013 um 18:36
War da nicht im Podcast was mit 4-4-2 gegen Mainz? *g*
Ich denke aber auch dass 4-4-2 im Abstiegskampf durchaus Sinn macht. Das kann einfach Jeder, da muss man nicht großartig was einstudieren und kann sich schnell darauf konzentrieren das Spiel in dieser Formation zu optimieren statt ewig das System selbst einzuüben. Und wenn man dann noch individuelle Klasse in der Mannschaft hat (wie eben Hoffenheim) holt man damit wohl ausreichend Punkte für den Klassenerhalt.. aber wahrscheinlich auch nicht wirklich viel mehr.
Sturzhelm Friedrad 20. Januar 2013 um 22:36
4-4-2 ist nicht gleich 4-4-2, Formation ist nicht die gesamte Taktik – und eine Taktik hat TE analysiert. Die Frage ist ja nicht, was kann man mal eben schnell einstudieren, sondern was passt zu den Spielern. Ich finde TE hat schön heraus gearbeitet, dass Marco Kurz eine passende Formation und eine Taktik gewählt hat, die der Mannschaft erkennbar zu einer stabileren Defensive verholfen hat, in dem vertikale und horizontale Pärchen zusammen agieren. Und der Schritt ist nachvollziehbar, wenn man die offenste Schießbude der Liga darstellt.
Wolfsmond 20. Januar 2013 um 23:04
lies meinen Text bitte nochmal.. ich versteh nicht ganz warum dein Einwand wie eine Gegenrede klingt obwohl du im Prinzip genau das selbe sagst wie ich: Das 4-4-2 passt zu Hoffenheim und man kann sich damit schon jetzt darauf Konzentrieren die Taktik und Spielweise feiner abzustimmen.
mischl 21. Januar 2013 um 15:47
Lies du noch einmal dein Posting und dann Sturzhelms…
Sein erster Satz ist der wichtige