Blick über den Tellerrand – Folge 7

Vor der Winterpause noch der letzte „Blick über den Tellerrand“ des Jahres – bereits das siebte Mal und erneut mit einigen interessanten Themen.

Interessant zu beobachten: AS Saint-Etienne

Durch eine kleine Durststrecke ist die AS Saint-Etienne nun wieder auf den Boden der Tatsachen zurückgeholt worden, hat die zwischenzeitliche Tabellenführung verloren und ist einige Ränge abgerutscht. In der engen französischen Liga bedeutet dies aber immer noch eine kleine Distanz zur Europa League und gar zu den CL-Plätzen – unverändert gehört die starke Defensive der Mittelfranzosen mit nur 13 Gegentreffern in 18 Partien zum Besten der Liga.

Diese Defensivstärke gründet sich auf mehreren Punkten – und hat auch mit einigen Aspekten des Offensivspiels zu tun, denn die durchaus gerne mit Ballbesitz spielenden Grün-Weißen haben im Durchschnitt 55 % vom Spielgerät und kommen oftmals auch deutlich über die 60 %-Grenze. Dabei rücken ihre Außenverteidiger weit vor, doch gerade durch das sehr kompakt und kohärent agierende Mittelfeld sowie die einrückenden Offensivspieler bestehen gute Möglichkeiten für ein Gegenpressing, so dass Saint-Etienne effektiv gegen Konter abgesichert ist.

Auch gegen gegnerisches Aufbauspiel schlägt sich die Mannschaft von Trainer Christophe Galtier souverän. Hier sieht ihr Defensivkonzept eine recht mannorientierte Herangehensweise vor, die aber von den Spielern aus einem sehr beweglichen System ausgeführt und durch Mitdenken effektiv geprägt wird. Wechselweise schiebt sich Saint-Etienne in ein 4-2-3-1, 4-1-4-1 oder gar mal ein flaches 4-5-1, spielt die Mannorientierungen balanciert aus und wird auch durch die Mitarbeit der einzigen Spitze, die das Spiel der Innenverteidiger auf eine Seite lenkt, noch einmal defensiv sicherer.

Ihre eher mannorientierte Herangehensweise lässt sich auch aus den Statistiken ablesen: Mit ca. 21 erfolgreichen Tacklings pro Spiel haben sie den zweithöchsten Wert der Liga, sind im Ranking hinsichtlich der abgefangenen Pässe pro Spiel dafür aber nur im Mittelfeld platziert. Das Risiko einer solchen Strategie ist es natürlich, dass ein Reparieren eines einzelnen Fehlers schwierig werden kann, da nur teilweise Kompakt gewährleistet und daher die Wahrscheinlichkeit kleiner ist, dass ein freigekommener Gegner sofort von einem nah stehenden Abwehrspieler gestoppt werden kann. Genau so machte am Sonntag Jeremie Aliadire mit der ersten Chance für Lorient die Führung gegen Saint-Etienne – ein Risiko, das diese schon letztes Jahr eingehen mussten. Ihre kontinuierliche Entwicklung führt aber zu insgesamt immer besseren Defensivleistungen, wie sich diese Saison nun zeigt.

Spiel der Woche: Lazio – Inter 1:0

blick über den tellerrand 7 lazio-interGegen das taktisch vielseitige und unberechenbare Inter von Andrea Stramaccioni, der beispielsweise zuletzt gegen Napoli mit Cambiasso als Libero eine interessante Aufstellung gewählt hatte, überlegte sich Lazio-Trainer Petkovic eine etwas veränderte Interpretation seiner gängigen 4-1-4-1-Formation. So agierte diesmal Alvaro González nominell auf dem rechten Flügel, während Mauri in die Mitte rutschte, von dort aber immer wieder auf die Seite gehen, während der vielseitige uruguayische Nationalspieler wiederum zur Mitte rochieren konnte. Insgesamt entstand eine interessante Wechselwirkung zwischen den beiden, die damit Räume öffnen, Hernanes auf halblinks entlasten und gelegentlich die rechte Seite überladen konnten.

Wirklich greifen tat diese Ausrichtung allerdings erst nach einer halben Stunde, denn in den ersten dreißig Minuten neutralisierten sich beide Mannschaften gegenseitig. Lazio presste solide und konnte das seitliche Herauskippen von Inters Spielmacher Gargano gut verteidigen, so dass den Gästen die Unterstützung und die Verbindungen in den Offensivräumen fehlten. Gleiches galt für Lazio auf der anderen Seite: Auch hier war das Aufrücken zunächst inkonsequent, weshalb zu wenig Offensivpräsenz erwuchs.

blick über den tellerrand 7 lazio-inter-szene

Beispielszene, wie Lazio das Herauskippen Garganos verteidigte: Klose stellt Zanetti in den Deckungsschatten, Hernanes rückt auf Rannochia heraus, provoziert so den Pass nach außen und läuft diesem nach. Dort kann Lulic ebenso Druck auf Gargano machen, ohne dass Nagatomo anspielbar wird. Insgesamt entsteht eine ballnahe Überzahl für die Hausherren.

Erst zum Ende des Durchgangs nahm das Spiel Fahrt auf, was besonders durch Lazio bedingt war, die nun mit viel Kraft und Gewalt über die Flügel ihre Chancen suchten. Sei es durch ein Überladen der angesprochenen rechten Seite oder über die individuell starken Aktionen von Hernanes und Lulic auf links – in einer kurzen Zeitspanne kreierte Lazio durch Flanken und Fernschüsse insgesamt 10 Abschlüsse, brachte davon aber auch nur einen auf den Kasten von Handanovic. Inter wurde mit ihrem typischen Überladen der linken Seite nur ansatzweise gefährlich – erst nach dem Seitenwechsel drehten auch die Gäste auf.

Nachdem sie zunächst auf ein 4-4-2 (Zanetti wurde Rechtsverteidiger, Nagatomo ging von dort ins linke Mittelfeld, Guarín auf die rechte Seite) umgestellt hatten, was im Gegensatz zur Rautenformation von Spielbeginn die Breite der Römer Flügelangriffe besser kontrollieren sollte, setzte Inter mit der Einwechslung von Palacio wieder mehr auf die Offensive und forcierte das Überladen auf links verstärkt. Gegen die nachlassende Verteidigung der Hausherren wurde dies auch oftmals gefährlich und hätte zu einem Treffer führen müssen – doch ein erneut herausragender Marchetti sowie der eine oder andere Aluminiumtreffer verhinderten das Tor für die unglücklichen Gäste.

Stattdessen war es die Heimmannschaft, die den entscheidenden Stoß setzte – und dieser Treffer allein war nicht unverdient, denn die Chancenqualität hatte sich bei Lazio trotz geringerer Quantität erhöht. Nun verteilten sie sich besser über das Feld, bezogen die Zehnerräume klüger mit ein und zeigten einige Male starkes spielerisches Zusammenspiel in Freiräume und innerhalb der Formation – ein klarer Fortschritt zu einigen anderen Partien dieser Saison. Nachdem Klose bereits zwei dicke Szenen vergeben hatte, erzielte er angeschlagen ein tolles Tor nach Lochpass Mauris (und musste dann endgültig verletzt raus). Insgesamt trotz des verdienten Torerfolgs etwas glückliche drei Punkte, da Inter die noch etwas besseren Chancen hatte, aber zu häufig vergab.

…und last but not least: Corinthians Sao Paulo – Chelsea FC

corinthians-chelseaEs war das Klub-WM-Finale, das hierzulande kaum jemanden wirklich interessierte – so schien es zumindest. Wirklich berauschend war die Begegnung auch nicht, denn eine recht normale Chelsea-Mannschaft traf auf eine passend eingestellte, aber keineswegs spektakuläre Truppe aus Brasilien.

Letztlich setzten sich das fluidere Mittelfeld und die etwas besser wirkende Zusammenarbeit der Südamerikaner gegen die personell überlegenen und eben recht normal spielenden Londoner durch. Während Chelsea gerade defensives und offensives Mittelfeld trotz der nominell angriffslustigen Aufstellung mit einer Doppelsechs aus Lampard und Ramires nicht gut genug verbunden bekam, stellte sich Corinthians hier kohärenter dar:

Die beiden Sechser Paulinho und Ralf spielten sehr intelligent und bewegten sich häufig in freie Zwischenräume oder in die freien diagonalen Schnittstellen von Chelseas defensivem 4-4-2, um anspielbar zu werden. Da Jorge Henrique aus dem rechten Mittelfeld einige Male einrückte, aber auch Emerson sich gelegentlich fallen ließ oder auf die Seiten ging, waren die Corinthians somit beweglicher und zusammenhängender innerhalb des Mittelfelds.

Dagegen fehlte bei Chelsea das vertikale Zusammenspiel in der Zentrale, um die manchmal zu großen Lücken zwischen den Linien der Brasilianer nachhaltig ausnutzen zu können. Gerade Lampard schien nicht wirklich fit zu sein und brachte daher nicht das gewünschte Momentum. Somit wussten sich die Blues zur Überbrückung dieser Problemstellen häufig nur mit langen Bällen auf Torres zu helfen, die dieser immerhin einige Male verwerten konnte. Auch defensiv stimmten bei den Londonern die Abstände für das Erreichen der Benitez´schen Kompaktheit keineswegs optimal, was sie beim entscheidenden Gegentreffer teuer bezahlen sollten:

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Hier sieht man das Problem der fehlenden defensiven Staffelung: Die Sechser lassen sich zu weit nach hinten ziehen (Ramires), was den roten Freiraum in der Mitte öffnet. Damit wird das Zuspiel ermöglicht und es kann nicht schnell genug Unterstützung gegen die hohe Offensivpräsenz der Brasilianer geliefert werden.

Durch das weite Aufrücken der brasilianischen Offensivspieler, insbesondere den weiten Vorstoß des sehr variablen Paulinho, wurden Lampard und Ramires weit zurückgezogen, was dann aber die Kompaktheit zur Dreierlinie davor völlig kappte. So konnten die Corinthians zu einfach direkt vertikal ins Angriffsdrittel verlagern, wo sie die zu flache Stellung Chelseas geschickt ausnutzten. Paulinho und der immer wieder gut diagonal nach außen gehende Emerson erzeugten auf halbrechts die Gelegenheit, ehe Guerrero den zweiten Rebound versenkte. Schon im Halbfinale hatte er den einzigen Treffer erzielt – der ehemalige Bundesligaspieler verdiente sich dieses Tor für eine engagierte Leistung, da er immer wieder auch mal mit einzelnen Aktionen Chelseas Hintermannschaft beschäftigte.

Mit etwas Glück aufgrund der gegnerischen Überlegenheit in Sachen Chancen und Ballbesitz sowie einigen guten defensiven Aktionen, beispielsweise im Rückwärtspressing, brachte Corinthians den Sieg über die Zeit und krönte sich zur „besten Mannschaft der Welt“ – insgesamt war es eine wenig berauschende oder spektakuläre Vorstellung, sondern ein Sieg der Kompakt und Kohärenz. Offensiv, defensiv, allgemein – diese kohärenten Zusammenhänge sind der Kerngedanke über den Erfolgen der Paulistas. Als Team der ruhigen und nüchternen Kompaktheit sind sie aber relativ „unbrasilianisch“ im taktik-historischen Sinne.

laterookie58 17. Dezember 2012 um 17:53

@ TR : Herzlichen Dank für Deine Mühe, uns Details „außerhalb des Tellerrands“ aufzubereiten. Besonders danke ich Dir für den Einblick in das Club- Final! Wie immer und gewohnt, gnadenlos prägnant und, zumindest für mich, erhellend…

Nochmals DANKE! laterookie58

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CJ 17. Dezember 2012 um 22:23

Dem kann ich mich nur anschliessen!

Ich finde es schade, dass die Klub-WM in Europa so einen geringen Stellenwert hat. Der Kontinentalvergleich hat durchaus seinen Reiz und seine sportliche Berechtigung (wie man in diesem Finale wieder sehen konnte). Corinthians haben das gespielt was sie können und je länger das Spiel dauerte, desto sicherer hatten sie Chelsea im Griff. Auf der anderen Seite war der Leistungsabfall von Chelsea in der zweiten Halbzeit wirklich erschreckend.

Noch ein Vorschlag: David Luiz kommt zu Bayern und bildet mit Dante die ultimative Tingel Tangel Bob-Innenverteidung.

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Loewenfan 17. Dezember 2012 um 22:35

Dann schließen sich ihm noch Fellaini und Witsel und und die Connection ist perfekt 😀

TR, echt toll was du da ablieferst, kann mich den beiden nur anschließen. Schön, dass man auch mal etwas über Mannschaften erfährt, die sonst nicht so im Blickpunkt stehen!
Apropos Fellaini: Everton bzw. West Brom würde ich auch ganz interessant finden, mischen die Premier League ja doch etwas auf.

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