SV Werder Bremen – Borussia M’Gladbach 4:0
Ein denkwürdiges Spiel für die Gladbacher auswärts in Bremen. Besonders in negativer Hinsicht, zeugte das Spiel doch von der aktuellen Krise: kein Tor erzielt, vier kassiert und in den meisten Kategorien und Spielphasen klar unterlegen. Die Werderaner hingegen präsentierten sich hervorragend, sie waren spielerisch wie läuferisch überaus stark und legten auch taktisch einige nennenswerte Aspekte an den Tag.
Wechselwirkungen der jeweiligen Formationen
Bei den Borussen gab es die erwartete Aufstellung. Im Tor spielte Marc-Andre ter Stegen und vor ihm die Abwehrreihe aus Martin Stranzl und Alvaro Dominguez in der Innenverteidigung sowie Tony Jantschke und Filip Daems auf den Außenverteidigerpositionen. Davor bildeten Havard Nordtveit und Thorben Marx die Doppelsechs.
Die Orientierung war wie eigentlich immer relativ klassisch und es gab eine positionsgetreue Interpretation: die Mittelfeldspieler sicherten den Raum in der Mitte ab und waren primär mit Pässen nach vorne präsent, die Außenverteidiger schalteten sich sporadisch nach vorne ein, etc.
Allerdings sei dazu gesagt, dass es einige Phasen im Spiel gab, hauptsächlich in der Zeit vor dem ersten Gegentreffer, wo Gladbach sich den Fesseln des eigenen Unterzahlkonterspiels entledigen wollte und dadurch die Sechser im Wechsel mitaufrückten. Etwas Zählbares kam dabei aber nicht heraus, obgleich es ein kurzvorgekommenes taktisches Mini-Novum der Elf war. Ebenso wie es die klarere Aufteilung in ein 4-4-1-1 statt eines 4-4-2 war, in welchem Granit Xhaka hinter Luuk de Jong agierte und damit kein wirklicher Sturmpartner war. Eine von vielen marginalen Veränderungen im Vergleich zur vorangegangenen Saison.
Die Gastgeber spielten einmal mehr in ihrem 4-3-3-System. Hinten sicherten Assani Lukimya und Sokratis Papastathopoulos ab, während sich Lukas Schmitz und Theodor Gebre Selassie situativ mit nach vorne einschalteten. Die offensive Hauptlast trugen aber die fünf Akteure vor dem absichernden modernen Sechser Zlatko Junuzovic.
Eljero Elia und Marko Arnautovic beackeren die offensiven Flügel, zentral spielt Nils Petersen als Mittelstürmer und dahinter organisieren Aaron Hunt und Kevin de Bruyne das Spiel. Letztere agieren auch als Raumfüller, was in diesem Spiel gut zum Vorschein kam.
Wie die Bremer die Breite zwischen Elia und Arnautovic schlossen
Eines der gelegentlich auftretenden Probleme im Bremer Spiel ist die mangelnde Bindung ihrer zwei Schlüsselakteure auf den offensiven Flügelpositionen. Diese machen nämlich das Spiel in der Offensive breit, wodurch sie aber die Möglichkeit verlieren, direkt oder zumindest indirekt miteinander zu kombinieren.
Gegen Augsburg war dies bereits ein gewisses Problem gewesen, weil die Augsburger die Mitte zugestellt hatten und über die Außen wegen der Isolation der Flügelstürmer wenig Gefährliches kam. Die Folge war dann eine 3:1-Niederlage für den SVW. Diese breite Position der Außenstürmer kam gegen die Gladbacher aber nicht zum Tragen, was an mehreren Aspekten lag, welche diese Disharmonie neutralisierten.
De Bruyne und Hunt bewegten sich sehr viel, dienten auf den Flügeln als Kombinationspartner und auch die Außenverteidiger unterstützten gelegentlich. Desweiteren waren auch gruppentaktische Aspekte stark verbessert im Vergleich zum Spiel gegen Augsburg.
Die Pässe kamen öfter an, sie zirkulierten schneller durch die Anspielstationen und diese Dynamik im Offensivspiel erschwerte das Zuschieben und Isolieren der Flügelstürmer für den Gladbacher Defensivverbund. Darum behielten die Außenstürmer der Bremer also die Bindung zu den zentralen Spielern bei, welche ihnen mit Passkombinationen bei der Befreiung von lästigen Gegenspielern halfen.
Außerdem konnten Elia und Arnautovic auch öfter ins Dribbling gehen, weil sie einerseits weniger Gegenspieler hatten und andererseits dank der höheren Passdynamik und des schlechteren Zustellens mehr Raum bei der Ballan- und -mitnahme hatten. Diese ließ sie effektiver im eins-gegen-eins werden, weil sie sich Ball und Gegner zurechtlegen konnten, anstatt dass sie überhastet in den Offensivzweikampf gingen.
Diese Aspekte des Passpiels und der Einbindung der Flügelstürmer waren gegen Augsburg noch inexistent gewesen, weswegen Bremen trotz theoretischer individueller Überlegenheit kaum einen Stich hatte setzen können – gegen Gladbach funktionierte dies aber. Doch nicht nur die Offensive der Bremer zeigte sich verbessert, auch die Defensive.
Das Bremer Pressing
Ein interessanter Punkt bei diesem zu-Null-Erfolg der Hausherren war ihr Pressing. Sie gingen sehr antizipativ auf die Innenverteidiger des Gegners und den Torhüter. Dabei versuchten sie, die gegnerischen Pässe zumindest gefährlich wirken zu lassen, was aus einer taktikpsychologischen Sicht in zahlreichen Befreiungsschlägen und weiten Bällen resultiert – welche dann hinten abgefangen werden.
Dies entstand auch, indem Arnautovic, Petersen und Elia relativ freie Pressingrollen inne hatten. Sie durften den Ball durchaus verfolgen, wenn er Richtung Torhüter ging, weil von hinten beispielsweise Hunt nach vorne schob und ihre Position besetzte.
Einfache Pässe von ter Stegen zu den Innenverteidigern und das „aus dem Spiel nehmen“ vom attackierenden Spieler gab es nicht. Es kamen weite Bälle, welche aber wegen der Unterzahlkonter-Philosophie der Gladbacher nur selten in gefährlichen Balleroberungen nach zweiten Bällen mündeten. Zumeist konnten die Bremer diese weiten Befreiungsschläge der Gegner für sich behaupten und dessen Angriffe im Keim ersticken.
Diese Flexibilität im Angriffspressing war gepaart mit einer enormen Aggressivität und Laufintensität bei den Bremern. Auch im Gegenpressing und der klassischen Defensivarbeit zeigte sich dies effektiv, denn Arnautovic und Elia ließen sich im Mittelfeldpressing nach hinten fallen und es entstanden teilweise 4-1-4-1-ähnliche Strukturen.
Taktischer Aspekt: von positionsorientierter zu mannorientierter Raumdeckung im Angriffspressing
Die wieder aufgekeimten Gladbacher Defensiv- und Offensivprobleme wollen wir nur kurz anschneiden: mangelnde Kreativität im Aufbauspiel, mangelnde Dynamik im Umschaltspiel, unpassendes Timing bei den Passkombinationen bei den Kontern im letzten Spielfelddrittel und das generelle Fehlen von Mechanismen und Abstimmung. Ein interessanter Aspekt soll aber aufgegriffen werden – es sei uns verziehen, dass dies der einzige ist, in Anbetracht der herben Niederlage aber hoffentlich verständlich.
Die Gladbacher spielen normalerweise ein 4-4-1-1 mit positionsorientierter Raumdeckung in ihrem Abwehr- und Mittelfeldpressing. Gegen Bremen zeigten sie Ansätze ihres Angriffspressings, in welchem sie abwechselnd im 4-4-2 und im 4-4-1-1 pressten, wobei sich in dieser Variante de Jong zum Ballführenden orientierte und die Spieler hinter ihm sich einen Mann suchten.
Aus der Positionsorientierung wurde also beim hohen Pressing eine Mannorientierung. Dies hatte aber einen interessanten Effekt: der Gegner steht noch etwas unbedrängt, während man selbst den Fokus wechselt. Der Ball kommt zu ihm und man steht zwar noch etwas entfernt, befindet sich aber im Lauf. Dadurch kann man dynamisch attackieren und schnell zum Gegner kommen. Dieser hat weniger Reaktionszeit und bei schwachen Ballannahmen oder Pässen kann sofort mit Geschwindigkeitsvorteil ein Angriff gefahren werden.
Gegen Bremen war dies jedoch nicht der Fall, weil die Bremer nicht oft in diese Situationen kamen und mit einem Doppelschlag vor der Partie einen psychologischen Vorteil hatten: die Gladbacher bäumten sich höchstens ansatzweise gegen die Niederlage. Die Folge war ein Scheitern dieses taktischen Mittels und eine hohe Niederlage.
Fazit
Ein sehr gutes Spiel der Werderaner, welche ihre offensiven Stärken dank hoher Bewegung und Dynamik zeigen konnten. Sie liefen 120km und somit 4km mehr als der Gegner, was der taktischen Umsetzung der offensiven und besonders der defensiven Aufgaben entgegen kam. Gladbach hingegen kehrt nach dem Sieg gegen die Eintracht wieder zurück in die Krise.
3 Kommentare Alle anzeigen
Jo 23. Oktober 2012 um 21:49
Werder’s System scheint nicht wirklich ausbalanciert zu sein. Der Artikel zeigt ja, dass Werder eine sehr hohe erste Pressingreihe hat, die aber bei Passsicherheit einfach zu überspielen ist, dann entsteht im Mittelfeld ja bereits eine riesige Lücke. Könnte es sein, dass das System von Schaaf nach wie vor Defensiv massive Mängel aufweist? Gegen Augsburg hat man ja gesehen, wie einfach ein Gegner ohne große individuelle Klasse den Bremer Defensivverbund auseinander nehmen kann!
chris 23. Oktober 2012 um 23:28
Genau das ist auch meine Befürchtung…. die Balance stimmt schon bei den Spielertypen, die aufgestellt werden nicht. Junusovic, der Einzige 6er, ist kein klassischer 6er, sondern ein eher offensiver Mittelfeldspieler. Alle anderen defensiven Mittelfeldakteure haben bisher kaum eine Rolle in Schaafs Aufstellungen gespielt.
Mir scheint, dass Schaafs System so lange sehr hoch und aggressiv gepresst wird und sich alle Spieler aufmerksam beteiligen/nachgeschoben wird ganz gut funktioniert. Das ist aber nicht die ganzen 90 Minuten (und vll auch nicht alle Teams) möglich und dann fällt die fehlende Balance eben negativ auf. Besonders auch, wenn die offensiv-Akteure auf den Aussen (Elia, Arnautovic) nicht konsquent mit nach hinten arbeiten.
Stoertebeker 23. Oktober 2012 um 20:47
Sehr schöne Analyse.
Könnte man sagen, dass Bremens Pressingansatz im Vergleich zu dem anderer Mannschaften besonders tagesformabhängig ist, weil einerseits die Routine der Gegner (Du sprachst davon, dass man die Passoptionen gefährlich „wirken“ lasse) und andererseits der Riecher der eigenen Offensivspieler im Pressing eine so große Rolle spielt, wenn es (wie es scheint) keine festen Vorgaben gibt?