New York Red Bulls – Chicago Fire 0:2

Spielverlagerung meldet sich dieses Mal mit einer exotischen Spielanalyse. Wir analysieren nämlich Red Bull – aber nicht Leipzig oder Salzburg, sondern den Konzernvertreter aus Übersee, welches zuhause gegen Chicago Fire antrat.  Der Vierte empfing somit den Zweiten in der Tabelle.

Dieses Duell bedeutete auch das Aufeinandertreffen von Arne Friedrich und Thierry Henry, welches letztlich im Sieg des Deutschen resultierte. Auch zeigte das Spiel, welches taktische Niveau der amerikanische Fußball besitzt und wie sich der Fußball im (ehemaligen) Entwicklungsland entwickelt hat. Diese Strichprobe zeichnet zumindest ein durchgängig positives Bild.

Das System der New Yorker

Die Bullen begannen mit einem 4-4-2-System, welches aber offensiv interpretiert wurde. Thierry Henry lief dabei als Mittelstürmer auf und nicht auf dem linken Flügel, was theoretisch ebenfalls eine Option gewesen wäre. Neben dem Franzosen begann Kenny Cooper, welcher sich entweder fallen ließ und als Anspielstation das Mittelfeld für abprallende Pässe in Form eines Doppelpasses unterstützte oder ganz vorne als Zielspieler für lange Bälle agierte. Dies war von Henrys Bewegungen abhängig, da dieser sich entweder im Pressing isolierte oder auch im Aufbauspiel weit nach hinten ging.

Grundformationen zu Spielbeginn

Auf den Flügeln spielten Joel Lindpere und Jan Gunnar Solli. Lindpere suchte die Verbindung Henry und agierte dadurch auch etwas höher wie auch diagonaler, während sein Gegenüber oftmals mit dem Mittelfeld in einer Reihe spielte und eine absichernde Dreierkette bildete. Auch Tim Cahill rückte oftmals auf und wurde von Dax McCarthy abgesichert. Ansonsten bildeten diese beiden in der Defensivarbeit ein Duo, wodurch zumeist ein 4-4-2-Pressing entstand.

Gelegentlich entstand bei gegnerischen Kontern auch eine andere Formation, wenn Cahill oder Lindpere sehr weit vorne postiert waren. Dann positionierten sich die Mittelfeldspieler in einer Art breiten Raute und stellten die Räume gekonnt zu, der vordere Akteur sollte dann auf seine Position zurückkehren oder aus der zentraloffensiven Zone im Rückwärtspressing gezielt den ballführenden Spielgestalter der gegnerischen Doppelsechs bedrängen.

Auf den Positionen der Außenverteidiger machten sie das Spiel sehr breit, sie postierten sich hoch und wirkten dabei beinahe wie Flügelverteidiger. Sowohl Wilman Conde als auch Brandon Barklage hatten dabei relativ wenige Offensivaktionen, obwohl sie im Spielaufbau teilweise enorm hoch positioniert waren. Das Ziel war es natürlich, dass sie dem Gegner im Pressing keinen Zugriff erlauben und das Spielfeld breit machen. Hinten hatten dann Markus Holgersson und Heath Pearce viel Zeit und Raum, um das Spiel zu gestalten. Der Fokus lag somit klar auf einem Ballbesitzspiel, wobei der Gegner ähnliche Aspekte in seinem Spiel aufwies, sie aber weniger konstant verfolgte.

Chicago Fires Spielweise als Auswärtsmannschaft

Beide Teams spielten wie erwähnt sehr breit im Spielaufbau, doch Chicago positionierte sich in der Arbeit gegen den Ball tiefer und präsentierte sich dabei weniger aggressiv. Stattdessen nutzten sie den dadurch entstehenden Raum im Rücken des Gegners für Konter. In der Abwehr organisierte Arne Friedrich die Verschiebung im Raum, sein Partner Austin Berry übernahm meistens einen der Stürmer (bevorzugt Cooper) als Manndecker.

Logan Pause und Daniel Paladini als Doppelsechs spielten verhaltener und konservativer als ihre Pendants aus New York. Defensiv standen sie sehr eng vor ihren beiden Abwehrspielern, offensiv rückte einer von ihnen auf und wählte diese Ausflüge geschickt. Generell war der strategische Wert beider Mittelfeldduos hoch und sehenswert. Sie sicherten auch die ungemein offensiven Flügel im Verbund mit den Außenverteidigern Jalil Anibaba auf rechts und Gonzalo Segares auf links ab. Diese gingen zwar mit nach vorne, aber auch hier wurden diese Vorstöße mit Bedacht und Intelligenz gewählt.Primär lag die Offensivlast auf den beiden Flügelstürmern, welche im Aufbauspiel enorm hoch spielten und sich breit positionierten. Alvaro Fernandez rückte dabei etwas enger ein, Patrick Nyarko spielte etwas breiter. Dies hatte seine Ursache in der gegnerischen Spielweise und der eigenen Ausrichtung mit den beiden nominellen Stürmern.

Chicagos Pressing und Konter

Generell kam Chicago sehr oft über die Flügel. Sie nutzten dabei das gegnerische Pressing, welches noch näher erläutert werden wird, sowie die Sicherheit im Spielaufbau durch die tiefstehende Doppelsechs. Immer wieder konnten die Innenverteidigern bei den Sechsern Anspiele prallen lassen und sich selbst freilaufen. Danach bespielten sie bei der vorhandenen Ruhe im Aufbauspiel die offenen Räume auf den ballfernen Seiten mit langen Diagonalbällen oder rückten gemächlich auf.

die Konter von Chicago beziehungsweise der Muster-Spielzug. MacDonald zockte und sorgt für Tiefe, geht zum Ball und lässt ihn nach innen prallen, links rückt Fernandez schnell auf

Hier hatten sie mit breit agierenden Außenverteidigern und der von Sherjill MacDonald geschaffenen Tiefe ein ähnliches Konzept wie New York, das Ballbesitz- und Kombinationsspiel funktionierte auf beiden Seiten gut. Besonders die sehr langen Bälle auf Nyarko waren gefährlich.

Dieser hatte seine breite Positionierung wegen der tiefen Spielweise von Rolfe inne. Dieser bewegte sich viel in der Vertikale und konnte mit seinen Läufen offene Räume ansteuern. Diese offenen Räume sollte Nyarko durch seine breite Stellung erhöhen und sich selbst noch stärker ballfern positionieren, was viel freien Raum um ihn herum bei erfolgreichen Seitenwechseln bedeutete.

Links spielte Fernandez enger, weil er MacDonald als Kombinationspartner nutzte. Ein einstudierter Spielzug im Konter sah beispielsweise so aus: aus der Defensive nach der Balleroberung kam ein langer Pass auf den höchsten Mittelstürmer, eben MacDonald. Dieser legte nach innen auf den dynamisch nachrückende Rolfe ab und auf der linken Seite brach dann Fernandez durch. Dieser wurde durch einen steilen Pass geschickt und die aufgefächerte Formation des Gegners wurde für schnelle Konter genutzt.

Dieser variable Fokus war der Unterschied zwischen Chicago und New York. Möglich gemacht wurde er durch das Pressen der beiden Stürmer hinter der gegnerischen Doppelsechs. Beide Angreifer positionierten sich so tief, dass sie die Doppelsechs des Gegners isolierten und auf einer Höhe mit ihnen standen. Um nicht Opfer durch ein einfaches und kurzes Pressing von zwei Seiten, nämlich durch die gegnerischen Mittelstürmer und die von hinten aufrückende Doppelsechs, zu werden, mussten die Spieler von New York nach hinten schieben.

Dadurch verloren sie die Bindung und den Zugriff nach vorne, Chicago stand zwar tief, aber hatte in ihrer Hälfte bei jedem langen Ball eine Überzahlsituation. Aus dieser heraus konnten sie dann schnell nach vorne kontern und die enorm entfaltete Formation des Gegners bespielen. Doch auch der Gegner hatte im Pressing einige interessante Ideen, die trotz der Heimniederlage nicht übersehen werden sollen.

Dynamisches Pressing und die Rolle der Doppelsechs

Die Gastgeber agieren mit einem sehr laufintensiven Spiel gegen den Ball. Aus ihrer Grundformation, welche eigentlich mit einer positionsorientierten Raumdeckung gespielt wurde, schoben sie immer wieder schnell auf den Ballführenden. Dies wurde so gespielt, dass de facto jeder der Akteure den jeweiligen Gegner als direkten Gegenspieler übernahm, wenn er in seine Zone eindrang.

hier sieht man die einzelnen Zonen des New-Yorker-Pressing inkl. der erhöhten Außenzone. Außerhalb der Zone war der Gegner tief genug, um in Ruhe gelassen zu werden

Damit geriet das Kombinationsspiel der Gäste im zweiten Drittel ins Stocken, doch New York fuhr zu wenig gefährliche Konter nach solchen Situationen. Ohnehin mussten sich die zentralen Mittelfeldspieler enorm viel bewegen, da sie viele defensive wie offensive Aufgaben. Daraus resultierte wohl auch der Versuch, dies mit einer Erholungspause nach Ballgewinn zu verbinden.

Die Außenverteidiger praktizierten dies ähnlich und streckten ihre Zone in der Vertikale. Das heißt, dass sie den Gegner auch sehr hoch stellten und attackierten, wenn er sich frontal vor ihnen befand. Oftmals entstand daraus eine Art asymmetrisches 3-5-2 mit zusätzlichem Spieler auf der vom Gegner bespielten Seiten. Die Sechser ließen sich dann nach hinten fallen und verschoben ihre Zone tiefer, wodurch letztlich ein sehr flexibles und fluides System in der Defensive entstand. Die Folge waren zeitweise über 60% Ballbesitz für New York, welche aber den Kontern des Gegners nicht standhalten konnten.

Fazit

Man darf positiv überrascht vom hohen Niveau und den starken taktischen Auswüchsen in der jeweiligen Spielphilosophie sein. New York schien extrem auf Ballbesitz und viel mehr auf Spielkontrolle bedacht zu sein, während Chicago flexibel war. Gab es die Möglichkeit für einen einfachen Konter oder ihren eingeübten Spielzug, wurde er genutzt. Gab es ihn nicht, wurde ein ruhiges Aufbauspiel mit hohem Fokus auf Sicherheit betrieben.

Dies funktionierte wegen des gegnerischen Pressings nur im ersten Drittel gut, doch die langen Bälle kamen präzise und sorgten für einfache Raumüberbrückung. Der Sieg geht wegen der Variabilität in Ordnung, auch wenn New York primär Probleme im letzten Drittel aufgrund der gegnerischen Kompaktheit hatte.

Roberto 7. Oktober 2012 um 23:00

Ich finde das echt gut. Ich bin zwar seit immer schon BVB fan, aber da ich seit langem schon in Montreal lebe schaue ich mir eine menge MLS spiele an. Vor allem die vom Impact de Montréal halt. Das niveau von der MSL hat sich sehr verpessert seit dem ich hier bin und ich finde diese analyse interresant, wenn ich auch immer noch einige schwierigkeiten mit der liga hier habe (Playoffs, DP und so) aber man braucht halt fußball im leben und es ist nicht immer einfach samstags morgens aufzustehen um sich ein spiel meiner Borussia anzuschauen. Schade Das Torsten Frings für Toronto spielt. Die Sind für mich fast so schlim wie S04, hahaha, aber Chicago und NY sind interessante teams.
Danke für den artickel!

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Körperklaus 7. Oktober 2012 um 12:04

Ich finde diese Varibalität der Analysen auch begrüßenswert, aber das so ein Topspiel wie Man City – BVB noch nicht hier vorgestellt wurde, wundert mich dann doch…

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EvS 7. Oktober 2012 um 13:33

da soll – laut MR – aber noch was kommen

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MR 7. Oktober 2012 um 15:30

…und solange noch mal der Verweis auf unserer ZDF-Analyse, welche die wichtigsten Punkte schon abdeckt: http://www.zdf.de/ZDF/zdfportal/web/Sport/4674/24616874/796f38/Klopps-brillanter-Systemwechsel.html

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Max 7. Oktober 2012 um 11:31

Och, ich finde das super.
Es wird halt überall auf der Welt Fußball gespielt, und offensichtlich ja auf hohem Niveau.
Dass unsere „alten Herren“ dort spielen hat sicherlich auch damit zu tun, dass das Leistungsniveau in diesen Ligen noch nicht ganz so hoch ist wie bei uns. Das Resultat muss aber trotzdem kein uninteressanter Fußball sein.
Also liebe Redaktion, weiter so. Es ist Eure Seite, Ihr bestimmt was geschrieben wird. Interessant ist es immer.

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Sonar 7. Oktober 2012 um 12:18

Meine vollste Zustimmung! Aber ihr solltet vielleicht auch mal was über das Verhältnis von Heynkes zu Sammer schreiben… 😉

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Jojo 7. Oktober 2012 um 15:22

Ernst gemeint oder nicht?

Bitte wir brauchen nicht noch eine Seite die sich mit Kaffeesatzleserei beschäftigt.

Hier solls um Taktik gehen, nicht um aufgebauchsten Boulevard-Mist.

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RM 1. Juni 2013 um 13:23

Weiß man jetzt eigentlich, wie das Verhältnis zwischen Heynckes und Sammer so war?

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Dan 7. Oktober 2012 um 11:18

bisschen unnötig mE, aber dennoch interessant mal was anderes zu lesen. Ein Bericht über ein Spiel aus der 2. oder 3. Liga wäre mir stattdessen aber lieber (v0n mir aus auch mal ein Spiel aus Italien, Frankreich, Holland etc.), das interessiert sicher mehr Leute als ein Spiel aus der Altherren-Liga.

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