Unsere Spiele der Saison

Wir haben zum Saisonabschluss gesammelt: Jeder Autor sollte sein persönliches Spiel der Saison küren. Dabei kamen die unterschiedlichsten Antworten heraus.

MB: Borussia Dortmund – Mainz 05 2:1

Eigentlich sollte es eine Spielanalyse wie jede andere werden. Doch dann beschäftigte ich mich doch etwa eine halbe Stunde vor Anpfiff intensiv mit möglichen Strategien gegen einen zu der Zeit famos aufspielenden BVB. Meine Gedankenspiele wurden befeurt von dem Wissen, dass der heutige Widersacher Klopps, der Mainz-Trainer Thomas Tuchel, für genau solche taktischen Spielchen zu haben ist und er sich gegen die Topteams eigentlich immer etwas Spannendes einfallen lässt.

Die Grundaufstellungen beim Spiel BVB - Mainz.

Und so grübelte ich, wie der Spielweise des BVB am besten beizukommen wäre und wirbelte die rot-weißen Kreise in unserem Grafikprogramm nur so herum. Leider musste ich schon in den ersten fünf Minuten erkennen, dass Tuchel offenbar einen gänzlich anderen Plan verfolgte. Doch die Enttäuschung währte nicht lange, zu spannend war der taktische Schlagabtausch, der sich während dieser für mich so eindrücklichen 90 Minuten zwischen den beiden Trainern abspielte.

Jürgen Klopp ließ seine Elf wie erwartet im schon bekannten 4-2-3-1 auflaufen, sodass der Mainzer Linksaußen Choupo-Mouting mit der Doppelrolle betraut wurde, sowohl den rechten Innenverteidiger Subotic als auch Rechtsverteidiger Piszczek in Schach zu halten. Die Antwort Klopps folgte nur einen Augenaufschlag später: Er ließ ganz einfach die Außenverteidiger höher, also offensiver agieren, was den Abstand zwischen Subotic und Piszczek in der Vertikalen derart vergrößerte, dass Choupo-Mouting seiner ursprünglichen Stellenbeschreibung nicht nachkommen konnte.

Damit hatte Jürgen Klopp einen ersten schmerzhaften Treffer  im Trainerduell gelandet, der durch das 1:0 durch Blaszczykowski auch auf der Anzeigetafel abzulesen war. In der Halbzeit stellte Gästetrainer Tuchel auf das am ehesten als Stammsystem zu bezeichnende 4-3-1-2 um, doch erst nach der Anweisung an seine beiden äußeren defensiven Mittelfeldspieler und die beiden Außenverteidiger in der 60. Spielminute, von nun an verstärkt den Vorwärtsgang einzulegen, kam er aus der Verteidigungshaltung heraus und landete in der Folge seinerseits einen empfindlichen Treffer.

Der etwas überraschende Ausgleich durch Zidan gab den Gästen jedoch nur kurzzeitig Auftrieb. Schon drei Minuten später sorgte Kagawa für die erneute Führung und auch für die Entscheidung in einem spielerisch durchschnittlichen, aber taktisch herausragenden Bundesligaspiel.

Nun hören sich die einzelnen Änderungen vor allem in der Zusammenfassung relativ unspektakulär an. Allerdings ist es eine Seltenheit, und für mich ein besonderer Genuss, wenn sich in der Bundesliga zwei Trainer gegenüberstehen, die bereit sind ihre Taktik der des Gegners anzupassen und die fähig sind, Auswechslungen nicht bloß zum Spielerwechseln zu nutzen.

Mit Sicherheit gab es noch weitere Spiele ähnlicher Art in dieser Saison, dennoch ist mir dieses aufgrund der gleichzeitigen Einfachheit und Komplexität der taktischen wie personellen Veränderungen besonders in Erinnerung geblieben.

Wer meine sehr ausführliche Analyse mit einem Schwerpunkt auf den (möglichen) Gedankengängen lesen möchte, kann dies hier tun!

PP: Bayern München – Chelsea 4:5 n.E.

Leider war das Finale der Champions League mein Lieblingsspiel der Saison, auch wenn es nicht zu dem von mir gehofften Resultat kam. Es beschrieb die Quintessenz des Fußballs so genau und es bleiben dennoch unendlich viele Fragen.

Dieses Spiel zeigt einmal mehr, dass Fußball eben nicht nur aus Taktik, Technik und Fitness besteht. Nicht messbare Dinge wie Motivation, Konzentration, äußere Umstände und nicht zuletzt Glück gehören ebenso zu dem Sport, den wir alle so verehren.

Zwei Mannschaften, in ihrer Vereinsführung und im Umgang mit Geld ebenso verschieden wie in ihrer Taktik, zogen ihre Spielphilosophie konsequent durch.

43 Schussversuche der Bayern sprechen für eine enorme Offensivpower und dafür – oder doch für Planlosigkeit? Chelsea warf sich nicht nur gefühlt in jeden Schuss, 22 geblockte Torversuche sind wahnsinnig viele – oder blieb ihnen nichts anderes über, weil sie so hoffnungslos unterlegen waren?

War Chelseas gnadenlose Effizienz ein Qualitätsmerkmal? Oder lief an diesem Tag einfach nur alles für sie?  Auch Barcelona wird sich nach dem Aus im Halbfinale – auch angesichts ihrer Aluminiumtreffer – ähnliche Fragen gestellt haben.

Oft ist Fußball Interpretationssache. Die Ergebnisse bringen uns in der Regel dazu, den leichteren Weg bei der Entscheidungsfindung zu gehen, wenn es um solche Fragen geht.

Die Formationen im CL-Finale

Aber ist es nicht verrückt, Bayern Planlosigkeit vorzuwerfen, obwohl man dieses Spiel auch 4:0 gewinnen kann? Was wäre gewesen, wenn Schweinsteiger den Pfosten ein paar Milimeter weiter links oder rechts getroffen hätte? Cechs Rücken als Bande: Tor, Titel, Triumph! Ein Teufelskerl von Torwart, der hält und kurz darauf selber trifft, ein Schweinsteiger, der seine Karriere und eine Generation mit dem Tiel krönt. Ich denke, jeder kann sich derartige Stories und Überschriften in den gängigen Medien vorstellen. Doch so bleibt nur eine große Leere, die Unberechenbarkeit des Fußballs hat mal wieder zugeschlagen.

Was ist gut? Was ist ein verdienter Sieg? Und wer entscheidet das?

Auch die Grundsatzdiskussion, ob der Zweck denn immer die Mittel heiligt, ist hier nicht fern. Viele Leute sagen, dass es keine unverdienten Gewinner gibt, da das Toreschießen ja das Ziel des Spiels ist und ergo immer die Mannschaft gewinnt, die dies besser umgesetzt hat.

Neben all diesen emotionalen und philosophischen Aspekten war es ein packendes Spiel mit vielen einprägsamen Szenen wie zum Beispiel Müllers Torjubel: Nicht durchchoreografiert, sondern einfach nur ein Befreiungsschrei und Abschütteln seiner individuell unglücklichen Saison. Ebenso Schweinsteigers Elfmeter an den Pfosten, der an John Terrys Fehlschuss im Finale 2008 erinnert.

Manchmal ist es auch als Taktikliebhaber schön, wenn haltlose Klassiker wie „Wer die Dinger vorne nicht reinmacht, wird bestraft“ sich ab und zu bewahrheiten – es lehrt einem die Demut vor dem Spiel, das wir nie vollends verstehen werden. Doch genau das ist ja das Wundervolle.

Es bleiben also viele Fragen nach einem denkwürdigen Finale. „So ist Fußball“ war einer der häufigsten Erklärungsversuche nach dem Spiel. Und gerade weil dieses Spiel so fußballtypisch war, wie ein Fußballspiel nur sein kann, ist es mein Spiel der Saison.

TR: Sambia – Elfenbeinküste 8:7 n.E.

In Teilen der spielverlagerung.de-Redaktion ist das Wort „überlegen“ ein Insider – in einem anderen Sinne musste ich auch lange überlegen, um mich auf ein persönliches Spiel der Saison festlegen zu können. Nach langem Ringen mit dem taktisch hoch interessanten Milan-Derby vor kurzem hat sich letztlich allerdings ein Spiel vom Februar durchgesetzt,  welches man sich in dieser Liste wohl kaum erwartet hätte.

Allein dass es sich um ein Länderspiel handelt, ist vielleicht ein wenig ungewöhnlich, denn es ist seit einigen Jahren nichts Neues, dass die taktischen Innovationen im Vereinsfußball passieren, der im taktischen Sinne die Nationalmannschaften in ihrer Bedeutung überholt hat. Doch dass es sich bei diesem Spiel um das Finale des Afrikacups zwischen den schließlich siegreichen Außenseitern aus Sambia sowie der Elfenbeinküste handelt, wird den einen oder anderen wohl verblüffen.

Warum ist dies ein Spiel der Saison? Es war insgesamt ein kaum beachtetes Turnier und ein relativ unterbewertetes Finale mit einer durchaus wichtigen Erkenntnis am Ende.

Doch von vorne: Der ivorische Favorit wollte unbedingt den Titel holen und musste das Spiel machen, während die Sambier phasenweise mit überraschenden Pressing-Wellen attackierten, sich aber meistens zurückzogen und ihren Defensivblock verriegelten. Wie man es dabei schaffte, die Elfenbeinküste mit taktischen Mitteln und unter Ausnutzung von deren Schwachstellen fast komplett zu neutralisieren, war schlichtweg genial.

Als Schlüsselmaßnahme erwies sich dabei, wie das Mittelfeld bei gegnerischem Spielaufbau agierte und sich positionierte – die beiden äußeren Mittelfeldspieler Kalaba und Lungu zogen sich nämlich eng zusammen und spielten weit eingerückt, meistens leicht vor den beiden defensiven Mittelfeldspielern, was besonders aufgrund des zögerlichen Linksverteidigers Tiené sehr effektiv funktionierte und Sambier eine ganze Reihe an Vorteilen bescherte:

Erstens war der Raum im Zentrum damit generell enger und man war ebenso numerisch sehr kompakt bestückt, zweitens konnten sich Yaya Touré und der gelegentlich mit aufrückende Tioté nicht in den Halbräumen vor der zweiten Viererkette oder in ihren Schnittstellen positionieren, um dort angespielt zu werden oder eine Kombination zu starten, und drittens konnte man so die Passwege auf die beiden zur Mitte tendierenden Flügelstürmer sehr gut zusperren – dies war wohl die primäre Strategie der Ivorer gewesen, die beiden trickreichen Außen zwischen den Linien anzuspielen, doch diese Pässe wurden nun blockiert und damit das Konzept komplett lahm gelegt.

Nachdem er kaum einen Ball bekam, ließ sich Yaya Touré immer tiefer fallen, um selbst zu gestalten, doch Sambia ließ ihn gerne machen, da sich damit die Optionen für den Favoriten noch weiter beschränkten. Weiterhin verpassten die Ivorer es, die gegnerische Defensive konsequenter in die Breite zu ziehen.

Grundformationen bei der Partie Elfenbeinküste - Mali

Die Sambier wirkten offensiv aktiv und bemüht, aber so wirklichen Druck konnten sie nicht entwickeln. Dies lag daran, dass ihre nach innen kommenden Außenspieler immer wieder an den tief stehenden gegnerischen Sechsern scheiterten. Nach torlosen 120 Minuten mit eher wenigen Veränderungen gab es dann das Elfmeterschießen, welches Sambia gewann.

19 Jahre zuvor hatten die Sambier an gleicher Stelle, in Libreville, die größte Tragödie ihrer Fußball-Geschichte, als die begabteste Generation des Landes auf dem Weg zu einem WM-Qualifikationsspiel in Senegal aus ungeklärter Ursache mit dem Flugzeug verunglückte. An jenem dunklen Ort gewann man auch dank einer vorbildlichen, aber in Afrika seltenen Nachwuchsschmieden die erste Afrikameisterschaft überhaupt, während die Goldene Generation der Ivorer wieder einmal leer ausging – eine besondere Motivation für Drogba, der dann die Champions League gewann.

Insgesamt zeigte das Turnier, dass der afrikanische Fußball zwar physisch stark sein mag, es ihm aber etwas an Kreativität fehlt – Ausnahme Sambia. Ihre dynamische Spielstärke hatten sie fast allen anderen Teams voraus, welche sie vor allem deshalb zum verdienten Titelträger macht, weil die offensive Lust nicht zu Lasten der Defensive ging.

Es war ein Sieg des Kollektivs über die Individualisten und ein Sieg der Taktik – vor allem ein Sieg der einheitlichen und mikrotaktischen Teamorganisation gegenüber einer (vor allem im Endspiel) in zwei Teile geteilten Mannschaft ohne Verbindungen. Dies ist Botschaft des Spiels, die dieser „Überraschungssieg“ der Sambier von Afrika in die Welt hinaus trägt und die es zu einem Spiel der Saison macht.

Hier geht es zu Teil 2.

Michael 24. Mai 2012 um 15:30

Zum Lieblingsspiel Sambia-Cote d’ivoire:
„Es war ein Sieg des Kollektivs über die Individualisten und ein Sieg der Taktik – vor allem ein Sieg der einheitlichen und mikrotaktischen Teamorganisation gegenüber einer (vor allem im Endspiel) in zwei Teile geteilten Mannschaft ohne Verbindungen. “ Wirklich?

Vielleicht sollte TR mal den Artikel des Kollegen PP genau studieren, denn letztlich wurde das Finale im Africa Cup nicht durch Taktik oder individulle Klasse entschieden, sondern weil dort Drogba den Robben machte und einen Elmeter verschoss, der mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit das Spiel entschieden hätte. Ganz einfach, ganz banal, und alles andere als Taktik. Letztlich hätte eine Analyseseite zum Fußball mit dem Thema „Zufall“ eine größere Relevanz als eine Seite mit dem Thema „Taktik“, so interessant dieses Thema auch ist….

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Vin 24. Mai 2012 um 01:01

Eine schöne Idee! Mein persönlicher Favorit war das Hinspiel der Paarung Leverkusen – Barcelona in der CL. Trotz des Ergebnisses und des Gemotzes der Medien m.E. die beste Leistung einer Mannschaft gegen Barcelona diese Saison, was auch in Form der quasi ausgeglichenen Chancenverteilung Niederschlag fand. Wenn eine Mannschaft außer Real einen Sieg über die Katalanen verdient gehabt hätte, dann die Werkself – und nicht Chelsea, die lediglich sehr viel Glück hatten. Insbesondere taktisch eine großartige Leistung! Danke, Robin Dutt!

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Rasengrün 23. Mai 2012 um 18:09

Wie schön, dass mit dem Afrika-Cup-Finale ein Spiel, dass in der Tat sehr wenig Beachtung fand, hier noch einmal in den Fokus gerückt wird, den es mMn auch verdient hat. Nicht nur, weil es wirklich eines der taktisch interessanteren Duelle der Saison war, sondern auch, weil es genau diese Underdog-Siege durch taktische Kreativität waren, die meine Beschäftigung mit der Materie überhaupt erst ausgelöst haben. Außerdem freue ich mich immer, wenn ich mal wieder was von Katongo höre. Sicher nicht die erste Garde, aber ein Spieler, der innerhalb einer einzigen Saison bei einem einzigen Verein (und dazu noch meinem…) alle Positionen bis auf IV und TW gespielt hat und meist sogar gar nicht mal schlecht, ist doch ein feuchter Trainer-Traum. Viel weiter kann man Polyvalenz nicht treiben. Hat mich jedenfalls sehr gefreut, dass er nun einen Titel in der Vita hat.

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Alex 23. Mai 2012 um 13:39

Ich fand Barcas 4-0 gegen Santos samt dem bahnbrechenden „Guardiolismus“, also Peps 3-8-0-System bestehend aus lauter Mittelfeldspielern grandios und daher äußerst erwähnenswert.

Elf der Saison, BuLi und Europa, würde mich auch interessieren, stimme da Tank zu.

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Tank 23. Mai 2012 um 13:05

Interessante Auswahl. Besonders natürlich, dass ein Spielverlagerungs-Autor ein Spiel auswählt von dem er betont, dass es grade nicht die taktischen Dinge waren, die das Spiel primär interessant gemacht haben.

Ich stehe persönlich mehr auf taktische und spielerische Innovationen und Machtdemonstrationen und würde deshalb entweder Deutschlands Sieg gegen Holland oder ein frühes 3-4-3 von Barcelona nehmen. Entweder das 5-0 gegen Villareal oder das 8-0 gegen Osasuna. Natürlich waren beide Spiele spannungsfrei und im Prinzip ganz normale Ligaspiele, aber was Barcelona da mit ihrem damals neuen 3-4-3 auf den Rasen gezaubert hat, war schon ganz großes Kino. Deutschlands Sieg gegen Holland wiederrum markiert meiner Ansicht nach den spielerisch wichtigsten Evolutionsschritt der deutschen Mannschaft seit der letzten WM.

PS: Was mich ja sehr interessieren würde, wäre wenn ihr, auch aus taktischer Sicht, eure Elf der Saison aufschreibt. Habe ein Faible für solche Listen. Vielleicht besteht ja Interesse.

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Datschge 23. Mai 2012 um 12:02

Ein schöne Idee!

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