Die Meisterentscheidung der Eredivisie in der Analyse
Am 32. Spieltag der Eredivisie trafen die ersten Vier der Tabelle zu zwei direkten Duellen aufeinander. Da Ajax sein Spiel gewinnen konnte, steht der Titelverteidiger angesichts eines Vorsprungs von sechs Punkten praktisch als Meister fest.
Es war klar, dass Ajax patzen musste, wollten die Mannschaften auf den Rängen 2 bis 5, die untereinander nur einen Punkt auseinander lagen, noch einmal ins Titelrennen eingreifen. Folglich lag es an Twente, den Amsterdamern Punkte abzuluchsen. Profitieren wollten davon auch Feyenoord und AZ, die unter günstigen Bedingungen hätten auf drei Punkte herankommen können.
FEYENOORD – AZ 1:0 (0:0)
Die beiden direkt aufeinander treffenden Verfolger mussten zeitgleich zur parallel in Enschede laufenden Partie ihre Hausaufgaben erledigen, um überhaupt noch realistische Chancen auf den Titel zu haben: Dafür brauchten beide Teams einen Sieg.
Genau so stellte sich die Begegnung dann auch dar – von Abtasten war nichts zu spüren, stattdessen war man bereit, Risiko einzugehen und spielte mit dem Wissen der Ausgangslage nach vorne. Dies sorgte für eine recht offene und geöffnete Partie, in der die Vorteile zunächst bei den Hausherren lagen, die AZ immer wieder unter Druck setzen konnten.
Steilpässe auf die Außenstürmer und offensives Zocken
Bestimmendes Element der offensiven Spielweise Feyenoords und dabei maßgeblich an diesem Angriffsdruck beteiligt waren die beiden Außenstürmer Schaken (rechts) und Cissé (links), die immer wieder in aussichtsreiche Situationen kamen. Entweder wurden sie mit sehr guten Vertikalpässen, die insbesondere die beiden Innenverteidiger in großer Zahl spielten, durch die Schnittstelle zwischen dem gegnerischen Innenverteidiger und Außenverteidiger in den Raum hinter der aufgerückten Abwehr geschickt. Oder man spielte den Ball enorm schnell und teilweise auch mit hohen Zuspielen auf die Außenstürmer, die aufgrund der eher geringen Defensivarbeit der AZ-Flügelspieler (die sich an den gegnerischen Außenverteidigern orientierten) immer wieder in gefährliche 1-1-Situationen auf außen kamen und diese oftmals gewinnen konnten.
Dass die jeweiligen Außenstürmer der Teams oftmals sehr hoch standen und direkte Duelle mit ihren Gegenspielern suchen konnten, lag auch an der Tatsache, dass beide Mannschaften in der Defensivarbeit zockten und ihre Offensivspieler anstelle von normaler Defensivarbeit vorne auf Konter warten ließen. Gerade Feyenoord machte dies in starkem Maße und kam auch aufgrund der angesprochenen guten Pässe aus der Tiefe zu einigen Chancen. Auf diese Weise provozierte man auch die Isolation der gegnerischen Flügelspieler voneinander, was wiederum zu den vielen 1-1-Situationen auf außen führte.
Durch diese taktische Maßnahme entstanden vor allem für AZ viele Räume im Mittelfeld hinter den gegnerischen Offensivkräften, aus welchem sie ihren Spielaufbau vollziehen konnten. Allerdings hätte man diese Räume noch etwas konsequenter und geschickter nutzen können, was in zu vielen Szenen an ungenauen Pässen oder zu starker Konzentration auf die Flügel mit einer zu breit gefächerten Formation scheiterte. Die verbliebenen Feyenoord-Spieler standen enorm eng zusammen, konnten daher die Mitte und gerade Distanzschüsse nicht so gut vermeiden – ersteren Bereich hätte AZ stärker suchen müssen, bei letzterem Punkt fehlte ihnen Abschlussglück.
Feyenoords Siegtor, Alkmaars Schlussoffensive und Jordy Clasie
Das entscheidende Tor eines insgesamt durchaus ausgeglichenen Spiels, in welchem allerdings Feyenoord die hochwertigeren Chancen hatte und daher verdient gewann, fiel schließlich nach 54 Minuten durch Bakkal, dessen offensive Ausrichtung sich bezahlt machte. Es war kein besonders typisches Tor, doch erwähnenswert war zum einen die Vorarbeit von Innenverteidiger de Vrij und zum anderen die Tatsache, dass Viergever in dieser Szene nicht zum einzigen Mal ein wenig zu unbeweglich für eine echte Mittelfeldrolle wirkte.
In den letzten 15 Minuten begann dann die Schlussoffensive AZs, wobei man sich hier zu stark auf Flanken und weite Bälle fokussierte. Dafür wurde auf dem rechten Flügel mit Johannsson ein flankenstarker Akteur sowie zusätzliches Personal für die Mitte eingewechselt. Somit funktionierte die Strategie doch noch überraschend gut, allerdings konnte man keine Chance mehr verwandeln.
Zum Spieler des Spiels wurde im Live-Voting schließlich Feyenoords Sechser Jordy Clasie gewählt – und das nach einer einmal mehr starken Vorstellung zurecht. Für einen alleinigen Sechser ist der enorm talentierte Senkrechtstarter ungewohnt spielstark: Defensiv überzeugt er fast durchgehend (diesmal bis auf 2-3 Ausnahmen) mit Aggressivität und Biss, während er in Ballbesitz nicht nur intelligente Pässe zeigt, sondern vor allem durch seine Vorstöße glänzt, mit denen er seine Mannschaft anführt und nach vorne treibt – eine fast schon revolutionäre Allrounder-Spielweise auf der Sechserposition. In dieser Form könnte der U21-Nationalspieler gar ein Geheimtipp für die EM sein.
TWENTE – AJAX 1:2 (0:1)
Feyenoord hatte seine Chance gewahrt, AZ musste mit der Niederlage endgültig alle Titelhoffnungen abschreiben. Davon wussten die Amsterdamer bei ihrem zeitgleichen Gastspiel bei Twente noch nichts, so dass sie angesichts des Vorsprungs von 6 Punkten gegen den Konkurrenten aus Enschede vor allem nicht verlieren wollten.
Ajax will Risiko vermeiden
Entsprechend zeigte sich auch die Ausrichtung des Meisters in einem Match, das viel weniger offen, temporeich und faszinierend war als die Parallelbegegnung in Rotterdam. In üblicher Manier kontrollierte Ajax zunächst das Geschehen mit risikolosem Ballbesitz (60 % im ersten Spielviertel), ohne Zwang, unbedingt ein Tor schießen zu müssen, während Twente zunächst einmal abwartete.
Dafür ließ sich bei Ajax Anita aus dem defensiven Mittelfeld zu seinen beiden Innenverteidigern fallen, während die beiden Außenverteidiger aufrückten und damit Twente nach hinten drückten. In Verbindung mit der hinten entstandenen Dreierkette war es für Twente schwer, die sichere Ballzirkulation Ajax´ in den hinteren Reihen zu unterbinden.
Ajax´ rechte Seite und Twentes Flankenspiel
Der interessanteste taktische Aspekt bezog sich auf die rechte Angriffsseite des Meisters. Während auf links der jüngst von einer langen Verletzung zurückgekehrte Boerrigter auflief, spielte auf der anderen Flanke mit Aissati ein eigentlicher zentraler Mittelfeldspieler. Folglich tendierte er sehr stark in Richtung Mitte und zog seinen Gegenspieler mit sich weg, was teilweise Räume für Rochaden mit Eriksen oder die typischen abenteuerlustigen Vorstöße van der Wiels öffnete, wobei Ersteres nicht abgestimmt und zu inkonsequent umgesetzt wirkte.
Umgekehrt war man in der Defensive auf dieser Seite allerdings angreifbar, was nicht nur an der offensiven Rolle und den gelegentlich auftretenden Defensivschwächen van der Wiels lag, sondern auch daran, dass Aissati an die Defensivarbeit auf dem Flügel nicht gewöhnt war. Mehrmals kam er zu spät hinterher, so dass Tiendalli und John Überzahlsituationen gegen van der Wiel herstellen konnten. Allerdings brachte Twente aus diesen Situationen häufig einfach nur eine Masse an Flanken in die Mitte, die zwar gelegentlich zu Chancen führten, oft aber Ajax gut klären konnte. Effektiver wäre ein in die Mitte ziehendes Kombinationsspiel gewesen. Dennoch entstand die beste Chance durch eine Flanke, wenn auch von der rechten Seite, die dann John an den Pfosten setzte (10.). In dieser Szene brachte der Vorstoß von Wisgerhof, der sich in die Schnittstelle der Abwehr bewegte, Unberechenbarkeit – das gefährlichste taktische Mittel Twentes, auch wenn man dadurch gerade in der zweiten Halbzeit einige Konter in Kauf nehmen musste.
Führung für Ajax und die zweite Halbzeit
Vor der Halbzeitpause erzielte allerdings zunächst noch Ajax den ersten Treffer der Partie nach einer halben Stunde durch einen Elfmeter von Janssen. Eingeleitet wurde die zum Strafstoß führende Situation natürlich über die rechte Seite und einen Vorstoß van der Wiels, der von Torwart Mihaylov gelegt wurde. Mit diesem Ergebnis von 0:1 ging es dann in die Pause und zu jenem Zeitpunkt war Ajax auch rechnerisch bereits Meister.
In der zweiten Halbzeit nahm Ajax weitgehend eine verteidigende Haltung ein, wobei man aufgrund der frühen Führung Feyenoords im Parallel-Spiel nun den knappen Vorsprung auf jeden Fall halten musste. Dies funktionierte gut: Man verteidigte kompakt, ließ sich nicht zu weit nach hinten drängen und konnte auf die aufmerksame Innenverteidigung um Kapitän Vertonghen vertrauen. Im defensiven 4-1-4-1 war es einmal mehr der sehr bewegliche Sechser Anita, der eine starke Leistung anbot – an derartiger Bewegung fehlte es im Mittelfeld Twentes.
So musste es eine Standardsituation sein, um mit einer der wenigen Chancen zum überraschenden Ausgleich zu kommen (72.). Vorausgegangen war eine Großchance nach einer Halbfeldflanke. Nun stand Ajax wieder unter Zugzwang, doch sie reagierten sehr gut und kamen nach nur 6 Minuten zur erneuten Führung, die man dann auch über die Zeit bringen sollte: Der für Boerrigter eingewechselte Ebecilio bekam nach einer der vielen guten Verlagerungen auf die linke Seite Platz – da Siem de Jong als Falsche Neun gut zurückfiel und für zusätzliche Ballsicherheit im Mittelfeld sorgte, muss Twente auch enger stehen und konnte diese Bälle schwerer verteidigen. Mit einem klugen Zuspiel konnte Ebecilio dann van der Wiel anspielen, der bei einem weiteren enorm aggressiven Vorstoß im Rücken der Abwehr heran preschte und netzte.
FAZIT
Mit einem nicht mehr für möglich gehaltenen Endspurt konnte sich Ajax letztlich den Meistertitel sichern. Zeitweise betrug der Rückstand weit mehr als 10 Punkte auf AZ, doch sowohl die Mannschaft von Pim Verbeek als auch die PSV aus Eindhoven schwächelten nach gutem Start. Auch Feyenoord und Twente hätten von deren Patzern profitieren können, doch in der Rückrunde waren sie Ajax nicht mehr gewachsen. Die Probleme aus Herbst und Winter hat Trainer Frank de Boer bravurös gemeistert, indem er seiner Philosophie treu geblieben ist, aber einige kleinere Dinge geändert hat – besonders herauszuheben sind hier sicherlich das verbesserte Pressing, der Einbau von Aissati sowie ein bärenstarker Anita in passender Rolle auf der Sechs. Gerade aufgrund der Tatsache, dass ein junger Trainer wie de Boer sich selbst aus einer derartigen Krise zog und letztlich mit seiner Mannschaft einen ähnlichen Endspurt wie im vergangenen Jahr hinlegte, macht Ajax Amsterdam auch 2011/2012 zu einem verdienten Meister.
Auch wenn es noch nicht offiziell, gratuliert spielverlagerung.de an dieser Stelle bereits recht herzlich!
3 Kommentare Alle anzeigen
Tank 1. Mai 2012 um 16:07
Danke für den tollen Artikel. Mit spielverlagerung.de kann man seinen fußballerischen Horizont echt erweitern.
Ihr habt ja nun schon ein paar Mal Ajax in der Analyse gehabt und könnt vermutlich auch was zu ihrem allgemeinen Spielstil sagen. Daher meine Frage: Wie nah sind sie vom Stil her an ihren Cousins aus Katalonien dran? Ich nehme mal an, dass sie bezüglich der Qualität der Einzelspieler weit hinterherhinken, aber wie ähnlich ist die Spielidee? Im Artikel werden ja Ballbesitz und Pressing als zwei zentrale Merkmale des Ajax-Stils genannt, was ja nun schonmal passen würde. Aber wie versuchen sie im Normalfall Chancen rauszuspielen? Durch die Mitte, flach über den Flügel oder hohe Flanken? Und wie sieht es mit dem Verhältnis schnelles Umschalten vs. Ballbesitz aus? Und zum Schluss zwei Orakel-Fragen: Wie werden sie sich nächstes Jahr in Europa schlagen und auf welchen Spieler sollte man in Zukunft besonders achten?
Falls ihr keine Zeit oder Lust habt die Fragen zu beantworten ist das auch kein Problem. Danke auf alle Fälle für die tolle Berichterstattung aus der Eredivisie.
TR 1. Mai 2012 um 18:19
Ballbesitz ist natürlich das Grundprinzip, man hat etwa zwischen 60 und 65 % Ballbesitz im Durchschnitt, oftmals spielt man dabei noch relativ viel im ersten Drittel. Hier scheint mir ein Unterschied zu Barca zu sein, dass man sich nicht langsam bis ins dritte Drittel vorarbeitet, sondern aus der Ballzirkulation dann relativ schnell nach vorne spielt. Flanken durch Boerrigter und van der Wiel oder auch Einzelaktionen über die Flügel sind dabei noch stärker genutzt als bei Barca, da das Kombinationsspiel durch die Mitte noch nicht immer ganz so klappt. Von daher noch stärkerer Bezug zum Flügel, ebenso wie etwas mehr Umschalten, wobei dies zuletzt etwas weniger wurde.
Zu den Orakel-Fragen: Schwierig zu sagen, eigentlich wären sie dieses Jahr in der CL ja weitergekommen, aber dann kam das ominöse Spiel zwischen Zagreb und Lyon. Gegen Real zweimal unterlegen, einmal gut mitgehalten, gegen Zagreb zwei lockere Siege, gegen Lyon ohne Durchschlagskraft zweimal 0:0 – das alles war in ihrer Schwächephase, also könnte nächstes Jahr durchaus AF oder VF drin sein. Auch in der EL waren sie eigentlich besser als United und hätten die da schon raushauen können. Geheimtipp sind sie durchaus für nächstes Jahr.
Besondere Spieler: Eriksen und Vertonghen würde ich auf jeden Fall nennen, vielleicht auch Alderwereild. van der Wiel geht nach Valencia, ist aber zu defensivschwach für einen Topspieler. Ansonsten noch Boerrigter, aber er ist noch ein wenig zu schwach im Kombinationsspiel und müsste bisschen „dimensionaler“ werden.
@VVO:
Stand eigentlich auf unserem Plan, leider konnten wir es aus Zeitgründen nicht covern. Tut mir Leid.
VVO 1. Mai 2012 um 10:38
Echt super zu lesen ! Wie wärs denn mit einer Analyse zu LOSC vs. PSG ? War, wie ich finde sehr interessant.