Ottos missglückter Barça-Kniff gegen Magath
Zuhause empfingen die Berliner unter Rehhagel die Magath’schen Wölfe. Es sollte ein schweres Spiel werden und in Anbetracht der Abstiegsängste Herthas musste sich König Otto etwas einfallen lassen, wenn er hier mit einem Sieg vom Platz gehen wollte. Vor dem heimischen Publikum wollte man sich mit einer disziplinierten Leistung keine Blöße geben und im Duell der beiden Bundesliga-Erfolgstrainer den (noch) erfahreneren Otto Rehhagel als Sieger dastehen lassen. Zu Beginn sah es auch relativ gut aus, die Hertha hatte mehr vom Spiel und zeigte eine gute Leistung. Es waren jedoch individuelle Fehler und eine auflebende Wolfsburger Mannschaft, die das Spiel drehen konnte. Nach dem Rückstand und einer offensiveren Formation offenbarten sich schließlich die Löcher im Berliner System, ein derber Rückschlag sollte folgen.
Wechselwirkung der jeweiligen Formationen
Im Gegensatz zu Thomas Schaaf hat sich Felix Magath von der Raute abgewandt. Eine klassische Viererkette, relativ breit organisiert und mit verhältnismäßig offensiven Außenverteidigern spielte hinter einer weiteren Viererkette im Mittelfeld. Dort agierten die beiden Sechser ebenso etwas vertikal versetzt wie der Sturm ganz vorne, in welchem Helmes der etwas offensivere Part war. Bei den zentraldefensiven Mittelfeldspielern war es Polak, der ein bisschen höher als Josué agierte, der Brasilianer war nämlich als Abräumer defensiv der letzte Mann und offensiv als Durchlaufstation für Kurzpässe der erste Mann nach vorne. Dies könnte allerdings gar ein Fehler in der Aufstellung des Felix Magath sein, statistisch gesehen hatte man einmal mehr (die Herthaner aus anderen Gründen jedoch ebenfalls) eine erschreckend schwache Passgenauigkeit, obwohl sich im Mittelfeld eigentlich sehr viele Löcher aufgetan hätten. Es ist unnütz zu betonen, dass Josué trotz all seiner Fähigkeiten und positiven Eigenschaften nie ein koordinierender und spielgestaltender Sechser sein wird, mit einem Spieler wie Polak daneben wird man diesen Nachteil auf hohem Niveau wohl auch nie kompensieren können.
Ein weiterer erschwerender Punkt dürften die beiden Flügelstürmer sein. Mit Dejagah vor Träsch und Schäfer vor Rodriguez befinden sich jeweils zwei Rechts- bzw. zwei Linksfüßer auf den jeweiligen Seiten. Dies mag defensiv zwar für Vorteile und eine einfachere Verteidigung sorgen, doch in der Offensiv beengt man sich selbst. Beide Spieler links wie rechts versuchen nach vorne durchzustoßen, sie können nur mäßig miteinander harmonieren und kombinieren. Das Ziel dieser Taktik dürfte wohl sein, Helmes und Mandzukic mit Flanken zu versorgen sowie die Mitte für letzteren zu öffnen. Ob dies allerdings aufgrund des ohnehin etwas defensiver ausgerichteten Zentrums in diesem 4-4-2-System nötig wäre, sei dahingestellt.
Wieso Wolfsburgs Pressing nicht funktionierte
Da die Berliner sich im Spielaufbau extrem weit auseinander positionierten, hatten die Gäste große Probleme, darauf Zugriff zu erhalten. Die Außenverteidiger verschoben sehr breit und nutzten das Spielfeld, die Innenverteidiger postierten sich in Halbpositionen strafraumnah. Da es im Mittelfeld keine Außenstürmer gab, entstand defensiv für die Wölfe ein Problem, welches sich lange Zeit auch offensiv ergab, wie wir im nächsten Kapitel erleben werden.
In der Defensive hatten sie nämlich keine Zuordnung und standen vor dem Dilemma, nach vorne aufzurücken und dann hinten ein eins-gegen-eins der Außenverteidiger mit den Außenstürmern der Hertha zuzulassen oder sich weiter hinten zu positionieren und dann den gegnerischen Außenverteidigern viel Raum zu überlassen. Im Normalfall entschied man sich für die goldene Mitte, versuchte also den Raum dazwischen zu sichern und den gegnerischen Außenverteidigern dafür etwas Zeit zu überlassen.
Da jedoch die gegnerischen Innenverteidiger sehr tief spielten und das Offensivquartett extrem hoch, machte Berlin das Spiel nicht nur breit, sondern sogar extrem tief. Ramos und Co. rochierten immer, liefen diagonale wie horizontale Linien ab und drückten konstant die gegnerische Abwehrreihe nach hinten. Die Wolfsburger wollten allerdings offensiv spielen und standen nun vor einem zwischenmannschaftlichen Problem.
Helmes und Mandzukic vorne pressten, während die Viererkette zu tief spielte. Dadurch entstanden für Polak und Josué im Mittelfeld zu viele Räume, die sie nicht in ihren Aktionsradius aufsaugen konnten. Sie pressten nicht schnell genug und es war Josués defensive Mentalität, die ihn dazu zwang, sich ebenfalls mit der Viererkette tiefer fallen zu lassen. Polak war nun etwas höher und hatte kaum die Möglichkeit gegen die gegnerische Doppelsechs effektiv zu attackieren, was an sich kein Problem gewesen wäre, wenn die Hertha nicht einen interessanten Kniff für die Offensive gehabt hätte.
So wollte Rehhagel den Wölfen die Zähne ziehen
Die Gastgeber spielten mit einem 4-2-3-1-System, welches abermals ein sehr fluides war. Unter Umständen könnte man die Formation gar als ein 4-2-4 deklarieren, da die vorderen Vier nahezu gleichermaßen in der Offensive beteiligt waren und ähnliche Aufgaben zu erfüllen hatten. Lediglich bei den beiden nominellen Außen kam hinzu, dass sie nicht nur an vorderster Front Aufgaben zu erfüllen hatten und sich teilweise tiefer in der eigenen Hälfte an der Defensivarbeit beteiligen mussten.
Im Normalfall pressten diese vier Spieler relativ weit vorne und gemeinsam, zwei orientierten sich auf den Ballführenden, einer sperrte den Passweg zur Seite und der ballferne Spieler rückte ein. Man provozierte dadurch Pässe zum Torwart oder nach vorne, falls letzteres geschah, so mussten sich die beiden Flügel etwas zurückziehen.
Es gab allerdings folgend sehr viele Fehlpässe, da die Wolfsburger Mittelfeldspieler kaum Anspielstationen besaßen. Durch die schematische Höhe der beiden Flügelspieler hatten die Wolfsburger Außenverteidiger lange Zeit keinen Zugriff und zu wenig Mut für Offensivausflüge, während Schäfer und Dejagah sich in einem „luftleeren“ Raum zwischen der gegnerischen tiefen Viererkette und dem hohen Offensivquartett befanden. Dies sorgte dafür, dass sie selten Gefahr ausüben konnten – es war aber ein Solospielzug Dejagahs, der das Tor von Helmes mustergültig vorbereitete. Ohne Anspielstationen brach er durch und brachte einen Ball in die Mitte, der deutsche Nationalstürmer versenkte ihn herausragend. Dieser Führungstreffer zerstörte letztlich die Ordnung der Rehhagel-Truppe, was in einer fulminanten 1:4-Niederlage mündete.
Zurückkommend auf den Schlussaspekt des letzten Kapitels, die Offensive Herthas. In den ersten Minuten und teilweise auch später funktionierte er hervorragend und er war so einfach wie effektiv. Man orientierte sich übrigens am katalanischen Meister der Primera Division, dem FC Barcelona. Ebenso wie der große FCB aus Spanien hatte der zentrale Mittelfeldspieler gegen eine hohe Verteidigung die Aufgabe diese auszuhebeln. Bei Spanien macht das insbesondere Cesc Fabregas gerne, beim ersten Spiel gegen Osasuna in dieser Saison, einem 8:0, sah man dies nahezu unaufhörlich. Hohe Bälle vor den gegnerischen Strafraum werden hierbei von heranstürmenden Offensivspielern der eigenen Mannschaft aufgesammelt, der Trick liegt darin, dass die Offensivspieler sich unaufhörlich bewegen.
Bei der Hertha war es das Offensivquartett, welche Lücken suchte und in den Schnittstellen startete. Nahezu pausenlos sah man solche „antizipativen Läufe“, die Spieler liefen im Halbsekundentakt nach vorne und wollten durchbrechen, Kobiashvili in der Mitte schickte sie zumeist auf eine weite Reise. Über zehn Abseits zeigen das Risiko eines solchen Spielsystems, aber zahlreiche eins-gegen-eins-Situationen mit dem Torwart die Vorteile. Die Innenverteidiger müssen erst beginnen zu laufen und sich davor drehen, die eigenen Stürmer sind bereits in Geschwindigkeit und können mit diesem Momentum viel Raum überbrücken, was ihnen fast nicht zu stoppende Überlegenheit bietet. Beim FC Barcelona hat dieses taktische Mittel den Zweck, die gegnerische Mannschaft nach hinten zu drängen und das eigene Ballbesitzspiel wieder zu erleichtern. Bei der Hertha hatte dies jedoch den Urzweck dieser Spielweise: Tore zu erzielen und vor den Torhüter zu kommen, ohne viel kombinieren zu müssen. Die Wolfsburger allerdings steckten nicht auf, positionierten sich nur teilweise tiefer, behielten jedoch nach dem Führungstreffer bis Spielende die mentale Überhand. Sie zogen nun ihr eigenes Spiel auf und sorgten dafür, dass Herthas sehr gute Idee mit laufender Spieldauer immer ineffektiver wurde.
Vereinzelte Gassenbälle dieser Sorte sah man mit Erfolg, die meisten strandeten im Abseits oder sonstwo, da Wolfsburg sich etwas dafür vorbereitet hatte. In der Anfangsphase war es aber ein sehr gewiefter Schachzug Rehhagels gewesen, welcher bei einer normalen Chancenauswertung die Vorentscheidung gebracht hätte. Doch nicht nur das, ganz wie beim FC Barcelona hätte man der gegnerischen Mannschaft nach dem Rückstand weiterhin auf diese Art und Weise ergebnisbezogene wie mentale Nadelstiche verpassen können.
Fazit
Es war kein berauschendes Spiel und beide Mannschaften hatten hohe Fehlpassquoten. Bei den Wolfsburgern liegt dies an den einzelnen Spielern, bei der Hertha an der extrem vertikalen Spielweise. Mit 1:4 sind die Herthaner aber zu Unrecht bestraft, hatte man doch die gleiche Anzahl an Torversuchen und zeigte sich in der Anfangsphase gar deutlich überlegen. Das alte Fußballersprichwort: „wer die Chancen nicht macht, bekommt sie selbst hinten rein“ scheint zuzutreffen. Es war ein hoher Sieg für die Wölfe, die viel Selbstvertrauen daraus ziehen können – ganz anders als die Hausherren, die dem Abstieg einen Schritt näher rücken.
Statistiken von bundesliga.de.
8 Kommentare Alle anzeigen
pb 3. April 2012 um 18:49
Der entscheidende Unterschied zu den anderen Hertha-Spielen dieser Saison war tatsächlich die Bewegung ohne Ball der Offensivspieler.
Unter Babbel bewegten sich ja maximal zwei bis drei Mann und die auch nur in Ballnähe, der Rest der Mannschaft stand zu oft nur rum. Skibbe hatte wenigstens ansatzweise wieder gemeinschaftliches Verschieben zu etablieren versucht, aber die Herren Profis spielten sehr bald gegen ihn und gingen dann nicht mehr in die entscheidenden Zweikämpfe und Zonen ( Jedenfalls nicht auf dem Platz… )
Gegen den VfL gab es von allen vier Angreifern viele spekulative und schnelle Läufe, wodurch sich ja überhaupt erst die Möglichkeit für Bälle aus dem Mittelfeld zwischen bzw. hinter die gegnerische Abwehr ergab. Es zeigte sich allerdings auch, warum in der Bundesliga kaum jemand so spielt. Auf sich allein gestellt sind bestenfalls durchschnittliche Defensivspieler wie Janker, Bastians & Co. sehr schnell überfordert und dann wird man eben schnell mal abgeschossen.
Insb. die Umstellung auf 4-4-2 mit Rukawitsja, Niemeyer, Raffael und Ben-Hatira als Mittelfeld war schon nahe am Russischen Roulette. Bei allem Respekt für den Mut der ( für die Detailarbeit zuständigen ) Co-Trainer Tretschok und Covic, das war wohl etwas zuviel des Guten.
Immerhin aber mal ein Ansatz, wie es bei etwas besserer Balance gehen könnte. Hertha hat ja fast alle Zutaten für wenigstens etwas besseren Fussball, als er in dieser Saison geboten wurde. Für noch mehr Experimentieren und Findungsphasen bleibt angesichts des umittelbar drohenden Abstiegs allerdings wenig Zeit.
HerrHAnnibal 1. April 2012 um 19:39
Sind lange Bälle über eine zu hoch stehende Abwehr nun etwa typisch für Barcelona? Die Taktik der Hertha ist ja richtig beschrieben aber der Vergleich mit Barca wirkt doch sehr gezwungen.
maverick.91 1. April 2012 um 21:23
Lang ist relativ.
Gegen Mannschaften die sehr hoch stehen und so versuchen Barcas Mitteleld zurückzdrängen sind Lupfer auf den startenden Sanchez/Messi durch Busquets oder Pique aber eigtl keine Seltenheit. Ich muss allerdings dazu sagen das ich fast nur Free-TV-Spiele von Barca sehe.
Ähnliche Bälle sieht man hin und wieder auch von Hummels beim BVB.
Christian 1. April 2012 um 22:56
Wenn du Barca live sehen willst, kann ich http://www.laola1.tv sehr empfehlen. Da kann man nahezu alle Spiele von Barca (und Real) in guter Qualität verfolgen und meines Wissens nach auch völlig legal.
HerrHAnnibal 1. April 2012 um 23:08
Ja, „lange Bälle“ klingt mehr nach Pässen über 35 Meter. Das wollte ich so natürlich so nicht ausdrücken.
Natürlich erzielt auch Barca einige Tore nach solchen Szenen. Aber das ist doch wirklich Standard wenn der Gegner so hoch steht und solche Räume anbietet. Das sieht man in jeder Liga von etlichen Teams.
Da gibt es nun wirklich andere Dinge die man als „typisch Barca“ deklarieren würde.
Grasnarbe 2. April 2012 um 00:20
yep, laola1.tv gehört dem axel-springer-verlag. wenn man den unqualifizierten kommentar ausblendet, bekommt man einen klasse kostenlosen service.
RM 2. April 2012 um 00:51
Als „typisch Barça“ empfinde ich gar nicht so sehr diese Lupfer- und weiten flachen Pässe in den leeren Raum, es ist vielmehr die Art, wie sie erfolgreich werden – das Kreuzen und Rochieren der Stürmer, das Freilaufen und Nutzen simpler Mechanismen. Das war es, was mich – ohne Scherz – so faszinierte in den Anfangsminuten.
Scheinbar mühelos kamen solche Zauberpässe von Leuten wie Niemeyer und Kobiashvili an, scheinbar unaufhörlich standen die Wolfsburger Verteidiger zu weit hinten bzw. vorne. Die Bewegung der Stürmer und dazu noch vier in einer Reihe – das hat mich sehr an das 8:0 Barcelonas erinnert, welches ich im Text erwähne und es vor ein paar Monaten für eine in-depth genutzt habe.
Dieses Spiel war nämlich für mich damals sinnbildlich, was man mit der Dreierkette alles veranstalten könnte. Über 80% Ballbesitz und dann noch ein fast zweistelliges Ergebnis, hinzu gesellten sich eben die Tempiwechsel zwischen Kurzpässen und diesen Lupfern mit der taktisch hochwertigen Bewegung der Stürmer. Das einzige Spiel, welches ich je sah, wo ich mir dachte: „wie soll man so jemanden schlagen können? Stehst du zu tief, wirst du zerspielt, stehst du zu hoch, bestrafen sie dich. Eigentlich muss man im Sechzehner stehen und um Gnade winseln.“
Furchtbar eigentlich für mich als Taktikgeek, aber gut, ich bin Gott sei Dank kein Vereinstrainer und weder von Real noch von Barcelona ein Anhänger/Fan. Bei ersterem oder zweiterem wäre es wohl ein Supergau gewesen damals.
Bratseth 1. April 2012 um 17:23
interessante Analyse und sehr interessanter Vergleich mit den Spaniern!
Die Sprache des Artikels lässt allerdings zu wünschen übrig. Viel zu häufig musste ich Schachtelsätze auseinander klamüsern. Das mindert leider den Lesefluss und die -lust.