FC Barcelona – Athletic Bilbao 2:0

Auch im zweiten Aufeinandertreffen der Saison wollte Marcelo Bielsa dem FC Barcelona mit einer Quasi-Manndeckung beikommen – defensiv funktionierte es ordentlich, doch nach vorne kam von den „Euro-Stürmern“ nichts.

(Grobe) Grundformationen

Angesichts ihrer jeweiligen Aufgaben im internationalen Geschäft in der vorigen sowie in der kommenden Woche schonten beide Trainer einige Stammkräfte – Bielsa traut dem souverän wirkenden Vorsprung gegenüber Schalke wohl nicht, wobei Llorente und Ander angeschlagen waren, während Pep Guardiola allen Grund hat, sich nach dem 0:0 auf die schwere Partie gegen Milan vorzubereiten.

In der Hinrunde hatte Bilbao dem Champions-League-Sieger mit einer Taktik sichtlich überrascht und schließlich auch ein Remis abgerungen, die fast schon wie eine klassische Manndeckung gespielt wurde. Da der Überraschungseffekt nach jener Partie aufgebraucht zu sein schien, war es interessant zu sehen, ob Bielsa erneut auf diese Methode zurückgreifen würde. Da allerdings das Defensivkonzept der Basken generell sehr stark auf das direkte Spiel gegen den Mann ausgerichtet ist, womit man auch Manchester United in der Europa League große Probleme machte, griff man auch im zweiten Duell mit Barca auf diese Art des Verteidigens zurück.

Athletics „Manndeckung“ und Barcelonas Antwort darauf

Ihr 4-1-4-1-Grundsystem wurde eher als ein 4-2-3-1 ausgelegt, so dass sich feste Zuordnungen ergaben und jeder Akteur einen festen Gegenspieler hatte – bis auf Ekiza, der als freier Mann in der Defensive sicherte, während Javi Martinez sich an Weltfußballer Messi orientierte und je nach dessen Position in der Viererkette blieb oder ihn über das Feld verfolgte. Dabei lief er ihm natürlich auch nicht bis in die eigene Hälfte nach, sondern ließ ihn ab einem bestimmten Punkt ziehen und übernahm einen eventuell anderen Spieler, der die vorderste Position bei Barca übernehmen würde. Durch die sehr breit spielenden Barca-Flügel Alexis und Tello entstanden somit in der Mitte teilweise riesige Räume, die Bilbao von einem einzelnen Spieler abdecken ließ – ein äußerst ungewöhnliches Bild.

Athletic mit der breiten Dreierkette in der Defensive: Ein Innenverteidiger verfolgt Messi, der andere sichert ab. Hier haben Martínez und Ekiza die Aufgaben auch gewechselt, wie sie es gelegentlich taten. In diesen Fällen war der Libero, der freie Mann, ein Spielmacher.

Die entscheidende Frage war nun, ob der FC Barcelona die Lehren aus dem Hinspiel gezogen und sich genauestens auf die ihren jeweilis zugeteilten Akteuren ähnlich einer Manndeckung stark folgenden Gegner aus Bilbao eingestellt hatten. In der Tat war man dominant, kombinierte gefällig und erspielte sich auch einige Torchancen – dennoch machte sich im Camp Nou nicht das Gefühl von kompletter Kontrolle breit, was auch dadurch bedingt war, dass man erst in der 40. Minute nach einem gegnerischen Ballverlust eine der Tormöglichkeiten verwerten konnte.

Was man gegen eine solch unorthodoxe Defensive tun konnte, das versuchte man auch: Durch die beiden Außenstürmer wurde das Spielfeld sehr breit gemacht, um im Zentrum Raum für die anderen Spieler zu schaffen, so dass diese sich aus der direkten Deckung lösen konnten. Um dieses zu ermöglichen, wurden deutlich mehr Flanken (18), Dribblings, direkte Zweikämpfe und Läufe in den freien Raum forciert, wo der freigelaufene Spieler schließlich den Ball zugespielt bekam. Dies wiederum ging mit einer deutlich freieren Auslegung der einzelnen schematischen Grundpositionen einher, die oftmals kaum gehalten, sondern in einer selten gesehenen Spontanität mit quantitativ deutlich mehr Freilaufbewegungen aufgelöst wurden. Teilweise liefen die Spieler mit Absicht aneinander vorbei und übergaben sich dabei den Ball, um so für Freiheiten zu sorgen, während beispielsweise Iniesta mit seinen Läufen ohne Ball auf recht einfachem Wege Räume aufziehen konnte. Diese Räume wurden oftmals auch für die beiden Innenverteidiger oder Busquets geöffnet, die aus der Tiefe immer wieder Soli mit dem Ball starteten, da sie nicht gedeckt oder kaum verfolgt wurden – dies war ein sehr sinnvolles Mittel bei Barcelona und sorgte nicht nur für mehr Druck nach vorne, sondern auch phasenweise für völlig ungewöhnliche und veränderte Aufteilungen der Spieler auf dem Platz.

Iniesta zieht mit seinem Lauf nach links den Raum für Busquets frei, der energisch nach vorne marschiert.

Bilbaos Harmlosigkeit

Ordentlich war die Defensivleistung der Gäste, die mit viel Einsatz ihre direkten Gegner bearbeiteten, doch komplett enttäuschend war das, was die Mannen aus dem Baskenland in der Offensive zu bieten hatten: Erst in der 80. Minute konnte der erste Torschussversuch verbucht werden und gerade im ersten Durchgang blieb die Mannschaft komplett harmlos.

Dies war sicherlich durch die personellen Umstellungen bedingt und einer daraus resultierenden fehlenden Abstimmung geschuldet, doch auch individuell zeigten einige Spieler keine gute Leistung, was sich immer wieder in unnötigen, da viel zu einfach entstehenden, Fehlpässen wiederspiegelte. Es war der Ansatz zu erkennen, sich ähnlich wie beim 3:3 gegen Espanyol auf die Außen zu konzentrieren und dort mit schnellen Kombinationen über mehrere Spieler durchzubrechen, doch blieb es eben meist nur beim Ansatz. Schließlich war es auch Barcelonas Pressing, das seinen Anteil hierzu beitrug, da es schon ziemlich weit vorne immer wieder Situationen provozierte, in denen ein Spieler Athletics gegen mehrere Gegner isoliert wurde.

Hier zeigte sich ein offensives Problem der Deckungsweise Bilbaos, welche nicht nur in der Breite, sondern auch in der Tiefe für sehr weit gestreckte Reihen und damit recht weit entfernt stehende Mannschaftsteile sorgte – Barcelona konnte im Pressing also immer wieder Phasen einstreuen, in denen man trotz eingeschränkter Kompaktheit mit mehreren Spielern vorne pressen konnte, ohne große Gefahr zu befürchten – aufgrund der Distanzen zwischen den Athletic-Spielern, ihrer fehlenden Abstimmung sowie den immer wieder vorkommenden Ungenauigkeiten.

Zweite Halbzeit

Nach dem Seitenwechsel brachte Bielsa dann nicht nur die bisher geschonten Ander und Muniain, die natürlich im Vergleich mit ihren Vertretern Inigo Pérez und Imai Gómez das Niveau des Teams hoben, sondern wollte auch genau an diesem Punkt ansetzen. So spielte man in der zweiten Halbzeit mit etwas mehr Kompaktheit, gab dafür die stark mannorientierte Manndeckung in dem Grad ihrer Ausführung ein wenig auf und stand dafür geordneter – oftmals nun deutlich tiefer und deutlich enger zusammen in der eigenen Hälfte.

Die erhöhte Kollektivität schlug sich allerdings nicht nur in leicht erhöhter Stabilität, sondern auch etwas mehr Offensivstärke nieder, wenngleich man auch im zweiten Abschnitt lange ohne Torschuss blieb. Nach dem 2:0 durch einen Elfmeter Messis (59.) veränderte sich die Partie erneut, denn nun wurde Athletic angesichts der vergrößerten Rückstandes offensiver, während Barca phasenweise gar auf Konterspiel umstellte, hier allerdings verschwenderisch agierte. Zwar sank der Ballbesitz der Katalanen am Ende bis auf einen Wert von 55 %, doch blieb grundsätzlich das Muster im Spiel erhalten – Athletic spielte leicht kollektiver und wurde dadurch offensiv wie defensiv ein wenig stärker. Für ein weiteres Tor reichte dies allerdings nicht mehr.

Fazit

Eine mutige Herangehensweise seitens Athletics, die alles versuchten, doch aufgrund der schwachen Offensive sowie der personellen Rotation hatte man gegen einen FC Barcelona, der sich nach dem Hinspiel gut vorbereitet wusste, keine wirkliche Chance auf Punkte.

Vielen Dank an laola1.tv für das Bildmaterial.

Grasnarbe 3. April 2012 um 16:16

Mythos Spielfeldbreite Camp Nou

Wie oft haben wir schon gelesen und gehört von der sagenhaften Breite des Camp Nou? Nachdem Fernsehreporter und sonstige Sportjournalisten meist Lichtjahre von der fachlichen Kompetenz der Autoren dieser Seite entfernt zu sein scheinen, gehört diese wichtige „Rahmeninformation“ zum festen Halt eines jeden Berichterstatters aus Barcelona.

Platzbreite wie -länge müssen sich in bestimmten Rahmen bewegen, wie dieser Artikel auch ausführt. Ausserdem wiederholt er die Legende des breiten Camp Nou…
http://fussball.germanblogs.de/archive/2011/06/22/warum-ist-das-fussballspielfeld-unterschiedlich-gross.htm

Da sv.de die läppischen Recherchekosten für Überprüfungen vor Ort leider nicht übernehmen wollte, hier Satellitendaten. Eine mögliche Fehlerquelle ist neben meiner zitternden Hand bei der Messung ob der Brisanz dieser Daten auch die Inkonsistenz der Markierung: Hypothetisch könnten am Aufnahmetag die Platzwarte in ganz Europa völlig besoffen die Linien gekreidet oder sie für andere sportliche Veranstaltungen präpariert haben.

Camp Nou 66,2
Anfield Road 66,7
Guiseppe-Meazza 67,2
Allianz-Arena 68,7
A-Platz meines Heimatvereins (drittunterste Spielklasse) 69,4

Myth …busted.

Antworten

Tank 1. April 2012 um 15:09

Muchas Gracias, wie immer.

Ein paar Gedanken zum Spiel:

– Interessant war, dass Barca in diesem Spiel auf ihre, sonst übliche 10-15 minütige Findungsphase zu Beginn des Spiels verzichtet hat. Schon nach ca. einer Minute legte Barca los wie die Feuerwehr. Ergebnis der schon zu Beginn ungewöhnlich großen Räume oder taktische Variation? (Wenn man mal annimmt, dass diese Phase sonst etwas taktisch gewolltes ist und nicht aus Unfähigkeit resultiert.)

– Auch unter taktischen Gesichtspunkten muss man sich nach diesem Spiel mal wieder vor Sergio Busquets verbeugen. Wie er es immer schafft genau da zu stehen, wo die gegnerischen Spieler gezwungen sind sich den Ball etwas vorzulegen oder sonst etwas riskantes zu tun, um den Ball dann einfach abnehmen zu können, ist der Wahnsinn. Bis auf einen Ballverlust gegen Ende hat der Mann gestern für mich so etwas wie eine perfekte Partie gespielt.

– Ihr habt es ja schon genannt, aber ich möchte nochmal zuspitzend hervorheben, dass für mich gestern die Sturmläufe der Innenverteidiger das entscheidende Mittel zum Aufbrechen von Bielsas Manndeckung war. Pique und Mascherano haben sich dabei reichlich mit Ruhm bekleckert.

– Daneben sehe ich auch Busquets und Iniesta als wichtigen Grund dafür, dass die Manndeckung diesesmal nicht so gut geklappt hat. Beide Spieler sind in der Lage durch kleine Drehungen und Finten im Bereich um den Mittelkreis ihren Gegenspieler für 2-3 Sekunden abzuschütteln. Gelingt dies so gut, dass ein anderer Gegenspieler übrnehmen muss, so entsheht automatisch ein freier Mann.

– Trotz barcas Sieg und Bilbaos Harmlosigkeit bleibt es faszinierend, wie Bielsa es schafft seine Mannschaft so auszurichten, dass sie zwar riesige Räume in der eigenen Verteidigung offen lässt, aber Barca doch zu relativ wenigen hundertprozentigen Torchancen kommt. Definitiv ein mutiger und hochinteressanter Trainer.

Oder wie Guardiola es sagt: „People like Bielsa are a gift for football, probably we’re not aware. With teams like his, football will live forever.“

Antworten

sharpe 2. April 2012 um 14:02

Danke für Peps Zitat; ich sehe es genauso, jedes Spiel von Bilbao ist ein Erlebnis. Und das liegt nur an Bielsa, der genau wie Guardiola oder Klopp eine klare und eigene Spielidee hat, die sich von den ansonsten meist sehr ähnlichen Spielformen wohltuend abhebt. Nur ist Bielsas Spielidee die radikalste und am meisten auf offenen Schlagabtausch ausgerichtete.

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