1899 Hoffenheim – Schalke 04 1:1
Babbel mit guter Gegneranalyse, aber Stevens kontert.
In einem ausgeglichenen Spiel, in dem jedes Team in einer Halbzeit überlegen und per Foulelfmeter erfolgreich war, trennten sich die TSG 1899 Hoffenheim und der FC Schalke 04 verdient mit 1:1. Für beide Seiten wäre mehr möglich gewesen, jedoch waren beide Trainer offensichtlich nicht umfassend genug auf das Spiel vorbereitet.
Hoffenheim und Schalke mit sehr ähnlichen Defensivformationen
Beide Mannschaften starteten in einem 4-2-3-1-System, wobei sich in der Defensive bei Schalke zwei klare Viererketten postierten und auch die TSG meistens mit einem kompakten 4-4-1-1 verteidigte. Auf beiden Seiten gab es dabei einen Spieler, bei Hoffenheim war es Firmino, bei Schalke Raul, der von Defensivarbeit größtenteils befreit war und sich zwischen gegnerischer Innenverteidigung und defensivem Mittelfeld bewegen durfte. Damit hatte man einen guten Konterspieler in der „gefährlichen Zone“ postiert, um nach Ballgewinn im Mittelfeld schnell durch die Zentrale umschalten zu können.
Dennoch gab es in der Defensivarbeit gravierende Unterschiede zwischen der TSG und dem S04. Zunächst stand die Hoffenheimer Viererkette deutlich höher, sodass man eine regelrechte Kampfzone um die Mittellinie herum aufbaute, in der kein Schalker ungestört den Ball führen durfte. Druck auf die Innenverteidiger wurde nur situativ, nach schlechten Abspielen oder technischen Fehlern, ausgeübt, ansonsten beschränkte man sich auf ein eher risikoloses Mittelfeldpressing.
Schalke dagegen stand wie gewohnt etwas tiefer, mit der Abwehr etwa 20 Meter vor dem eigenen Tor aufgereiht, sodass akkurate Pässe in den Rücken der Abwehr kaum möglich waren. Die Innenverteidiger sorgen für Lufthoheit in der Zentrale, sodass den Schalkern mit hohen Bällen kaum beizukommen war. Die tiefe Abwehr und die kopfballstarke Zentrale zwingen deswegen die meisten Gegner zu einem flachen Angriffsspiel.
Dass dem Gegner dabei mehr Ballverluste im Mittelfeld unterlaufen als bei einer Spielweise, bei der das Mittelfeld ganz einfach überbrückt wird, ist logisch. Und ebenso logisch ist, dass das Schalker Spiel auf eben solche Ballgewinne gegen aufgerückte Gegner angelegt ist. Bei aufgerückten Außenverteidigern finden die Königsblauen Platz auf den Flügeln, um schnell umzuschalten und Überzahlsituationen zu erzeugen.
Angst bei der TSG vor dem Schalker Umschaltspiel
Wie schon die letzten Gegner betonte auch 1899-Trainer Markus Babbel im Vorfeld der Partie das starke Umschaltspiel der Schalker und die Notwendigkeit, Fehler im Aufbauspiel zu vermeiden. Der große Respekt vor den Kontern veranlasste Babbel darüber hinaus zu einer Modifizierung des eigenen Aufbauspiels:
Um den schnellen Gegenstößen gegen eine aufgerückte Hintermannschaft zu entgehen, schlugen die Hoffenheimer Innenverteidiger trotz der Unterlegenheit in der Luft bei dem kleinsten Anzeichen von Gegnerdruck lange Bälle in die Spitze. Dabei hatte man jedoch nicht den Eindruck, dass sich die vier Offensivspieler ernsthafte Hoffnungen in den Kopfballduellen machten. Vielmehr galt als oberste Priorität die Vermeidung von Schalker Gegenstößen. Dass man so häufig den Ball verlor, war nebensächlich und für das Offensivspiel sogar eher förderlich.
Denn die TSG wollte ebenfalls Fehler des Gegners zu schnellen Gegenangriffen nutzen, was der Trainer schon im Vorfeld der Partie angedeutet hatte: „Wir müssen es schaffen, schnell umzuschalten, sodass der Gegner noch nicht wieder sortiert ist und wir diesen Moment nutzen können.“ Über Firmino konnte man einige Male gut umschalten und 1:1-Situationen auf dem Flügel erzeugen, allerdings hatten es die vier Offensiven schwer gegen schnell zurück eilende Schalker. Dennoch ging 1899 mit dieser Spielweise per Foulelfmeter durch Salihovic in Führung. So kann man Babbel zwar eine unattraktive Angriffsstrategie vorwerfen, doch ging diese in der ersten Halbzeit voll auf, und Schalke kam aufgrund im folgenden behandelter Aspekte nicht zur Entfaltung.
Salihovic mit Sonderrolle
Die Asymmetrie im Schalker Spiel, mit einem offensivstarken Linksverteidiger (Fuchs) und einem in die Mitte ziehenden linken Mittelfeldspieler (Draxler) auf der einen Seite, und einem eher zurückhaltenden Rechtsverteidiger (Uchida) und einem sehr breiten rechten Mittelfeldspieler (Farfan) auf der anderen Seite, bringt für jeden Schalker Gegner die Notwendigkeit mit, asymmetrisch dagegen zu verteidigen.
Während die meisten Schalker Konter über den schnellen Farfan auf rechts gespielt werden, wird die linke Seite bevorzugt im ruhigen Spielaufbau gesucht und mit dem Vorschieben von Fuchs Überzahl auf dem Flügel erzeugt. Geht lediglich Fuchs’ direkter Gegenspieler dessen Bewegungen mit, ergibt sich hinter Fuchs ein großer Raum, in dem defensive Mittelfeldspieler und Innenverteidiger schalten und walten können.
TSG-Coach Babbel war sich dieser Besonderheiten des Schalker Systems bewusst und wählte eine pragmatische, und ebenso effektive Verteidigungsstrategie dagegen. Während der nominelle linke Mittelfeldspieler Salihovic sehr weit einschob und damit die Zentrale stärkte, war Vukcevic in der ersten Halbzeit vor allem mit der Bewachung des Österreichers Fuchs beschäftigt. Hierbei wurde er von den horizontal sehr weit verschiebenden defensiven Mittelfeldspielern unterstützt, sodass ein Überladen des Flügels verhindern werden konnte.
Uchida auf der anderen Seite zeigte – wie von Babbel beabsichtigt – nicht den Mut, den zusätzlichen Raum zu mehr Offensivdrang zu nutzen. Auch war das Schalker Spiel im ersten Durchgang weder auf die geschlossene linke Seite noch auf die vorhandenen Räume auf rechts eingestellt und versäumte es deswegen diese Besonderheiten zum eigenen Vorteil zu nutzen.
Schalker Umstellung in Hälfte 2
Jedoch zeigte Stevens, dass er Versäumnisse im Vorfeld der Partie durchaus zu korrigieren weiß, und stellte nach dem anfänglichen Versuch es weiterhin mit der alten Formation und nur geringfügig geänderten individualtaktischen Anweisungen mit der Einwechslung Obasis in der 64. Minute auf ein 4-4-2 um. Dass diese Reaktion auf die Hoffenheimer Spielweise wohl zu spät kam, dürften ihm einige Beobachter im Nachhinein nicht zu Unrecht vorwerfen. Aufgrund der Tatsache, dass Stevens schon mehrmals entgegen einschlägiger Meinungen am augenscheinlich unterlegenen Spielsystem festhielt und damit beispielsweise in Köln Erfolg hatte, erklärt jedoch sein Zögern.
Nach erwähnter Auswechslung agierte Raul etwas tiefer und bildete gemeinsam mit Jones das zentrale Mittelfeld, während der häufig nach links driftende Obasi gemeinsam mit Huntelaar die Sturmspitze bildete. Damit waren beide 1899-Innenverteidiger unter direktem Gegnerdruck und für Schalke lange Bälle aus der Innenverteidigung in die Sturmspitze wesentlich erfolgversprechender. Statt des zuletzt so erfolgreichen Flügelspiels war das Angriffsspiel damit wesentlich zentraler ausgelegt.
Jones und Raul hatten eine enorme Laufarbeit zu verrichten, da neben der Ballverteilung auch das Gewinnen der 2. Bälle auf ihrer Aufgabenliste stand. Mit dieser Spielweise drängten die Schalker den Gegenüber tiefer in die eigene Hälfte, und machten so gleichzeitig Konterversuche der Gastgeber ungefährlicher und mehr Druck auf die gegnerischen Hintermannschaft, sodass der Ausgleichstreffer – übrigens erneut nach Foulelfmeter – nur folgerichtig war.
Hoffenheimer Reaktion auf zu erwartende Schalker Umstellung bleibt aus
Nach der ersten Hälfte sprach vieles für die Mannschaft von Markus Babbel, der mit seinem Trainerteam den Gegner offensichtlich gut analysiert und logische Schlüsse aus den Beobachtungen gezogen hatte. Was allerdings fehlte, war eine erneute Reaktion Hoffenheims auf die Schalker Umstellung, so hätte zum Beispiel eine Stärkung des Zentrums durch einen zusätzlichen defensiven Mittelfeldspieler zu mehr gewonnenen 2. Bällen und damit weniger Druck und mehr Kontergelegenheiten geführt.
Die starke Besetzung der Außen war aufgrund der Fokussierung der Königsblauen auf das Sturmzentrum nicht mehr im gleichen Maße wie in der ersten Halbzeit möglich, sodass beispielsweise ein Tannenbaumsystem oder ein 4-3-1-2 möglich und sinnvoll gewesen wären.
Fazit
Die Gastgeber zeigten die bessere Gegnervorbereitung im Gegensatz zu Stevens, der im Vorfeld der Partie sagte: „Wir schauen auf uns!“ Dass dies ganz offensichtlich ein Fehler war, wurde in der ersten Halbzeit deutlich, nach der die TSG verdient in Führung lag und dem Gegner taktisch wie spielerisch überlegen war.
Zwar stellte der Schalke-Trainer seine Taktik noch nicht in der Halbzeitpause um, wohl wird er aber seine Spieler auf die mögliche Veränderung, die dann in der 64. Minute folgte, vorbereitet haben. Dass die Umstellung von einem auf zwei Stürmer, von Flügel- auf Zentrumsspiel, letzten Endes Erfolg hatte, lag aber auch an der Tatenlosigkeit seines wohl doch nicht ganz so umfassend vorbereiteten Gegenübers. Babbel hätte auf die logische wie vorhersehbare Reaktion Stevens erneut reagieren müssen und ist damit mitschuldig an dem Verlust zweier Punkte gegen die Gäste aus Gelsenkirchen.
4 Kommentare Alle anzeigen
RD 1. April 2012 um 22:57
Ich war live vor Ort und wenn ich mich nicht irre, spielte Firmino auf Links, jedoch sehr invers, und Salihovic hinter Schipplock, beteiligte sich jedoch nie an der Defensivarbeit .
GelsenHandy 1. April 2012 um 22:37
Taktisch eine sehr gute Analyse.
Dennoch sollte man einige Sachen mehr im Zusammenhang mit diesem Spiel erwähnen.
Als aller erstes muss man sagen, dass beide Elfmeter sehr strittig waren. Schipplock wird nicht berührt und hebt ab, weil er sieht, dass weder er noch Unnerstall den Ball erreichen können. Obasi hebt ab und wird dann am Knie von Beck getroffen.
Als nächstes muss man sagen, dass die Schalker völlig von der Rolle waren. Uchida war teilweise nicht mehr in der Lage einen Pass über 5 Meter zu spielen, geschweige denn den Ball anzunehmen. Stevens Wechsel, Höger für Uchida zu bringen war hier folgerichtig.
Auch Fuchs spielte absolut unterirdisch. Offensiv schoss er einen gefährlichen Freistoß, ansonsten gelang ihm nichts. Defensiv hatte er katastrophale Stellungsfehler und hatte subjektiv die wohl schwächste Zweikampfbilanz auf demk Platz.
Positiv stach Raul heraus, gerade taktisch war sein Spiel äußerst interessant. Raul füllte alle Lücken, die er irgendwie zu füllen vermochte. Da Uchida wie auch Fuchs ugs. „Totalausfälle“ waren, lies Raul sich oft nach hinten fallen und übernahm streckenweise die Rolle des einen oder anderen Außenverteidigers. Als 6er machte er dann seine Rolle außerordentlich gut, der Sky-Kommentator sprach von einer Zweikampfquote von 75%, was dies belegt.
Interessant am Schalker Spiel war noch, dass dadurch, dass Fuchs unterirdisch spielte Matip oft rausrücken musste. Dadurch ergaben sich eigentlich Räume in der Mitte, die jedoch von Jones meist gefüllt wurden. Dadurch konnte dieser jedoch nur schwer das Aufbauspiel Hoffenheims unterbinden, was dann eigentlich auch Holtbys Aufgabe gewesen wäre, dieser nahm aber nicht wirklich am Spiel teil. Als Raul dann als 6er agierte, klappte das defensiv viel besser.
MfG
mrb 1. April 2012 um 21:55
Hallo,
Ich finde es gut, dass Ihr mittlerweile euren Spielanalysen kurze, aber markige Überschriften gebt. Das erleichtert es für mich als geringer in Taktik geschulten Leser, beim Lesen den roten Faden zu wahren.
Bleibt weiter so stark an Ball und Taktiktafel!
crs 3. April 2012 um 17:53
ich fand die andere variante besser.
schaue viele spiele 1-2 wochen später und konnte per rss-feed schnell auf die spiele zugreifen. jetzt muss ich ganz genau hinschauen und zudem hoffen das spiel nicht zu übersehen.