Bayer Leverkusen – Hamburger SV 2:2

Drei Spieldrittel, wie sie unterschiedlicher nicht sein können: Am Ende trennen sich Bayer Leverkusen und der Hamburger SV im Topspiel des 12. Spieltages mit 2:2.

Es war der Krisengipfel am Samstagabend: Bayer Leverkusen, das unter Dutt bisher unter den Erwartungen blieb, traf auf den Hamburger SV, der unter Fink in den letzten Spielen einen spielerischen Aufwärtstrend verbuchen konnte. Nicht verwunderlich, dass Letzterer an der taktischen Grundordnung festhielt. Herzstück des „neuen“ HSVs ist die Rolle Rincons, der sich beim Spielaufbau zwischen die eigenen Verteidiger fallen lässt. Dadurch können die Außenverteidiger mit aufrücken – aus der Vierkette wird eine Dreierkette. Mit dieser Maßnahme verbesserte sich zuletzt der Spielaufbau, der zu Beginn der Saison die größte Schwäche des HSV war.

Leverkusen spiegelt Hamburgs Formation

Werkself-Coach Dutt hatte seine Mannschaft auf diese Taktik gut eingestellt. Die Grundformation der Leverkusener ähnelte einem 4-2-3-1, wurde jedoch flexibel interpretiert. Gerade Bender und Ballack waren viel unterwegs und tauschten oft die Positionen. Oftmals agierten beide relativ offensiv neben Kießling. Gerade bei Ballbesitz Hamburg halfen sie weit vorne mit aus, um die gegnerischen Innenverteidiger unter Druck zu setzen. Die Außenstürmer Schürrle und Sam fielen weiter zurück, um die gegnerischen Außenverteidiger aufzunehmen. Die Leverkusener spiegelten mit diesem defensiven 4-3-3 die Hamburger Offensivaufstellung.

Bayers Defensivformation "spiegelte" den Spielaufbau des HSV.

Diese Verteidigungstaktik war gut gewählt. Praktisch hatten die Leverkusener jeden Gegenspieler mit einem eigenen Akteur abgedeckt. Obwohl die Hausherren auf aggressives Pressing verzichteten, drückten sie dem Hamburger Aufbauspiel durch das Zustellen sämtlicher Passwege ihren Stempel auf. So fand der HSV in der ersten halben Stunde überhaupt nicht zu seiner Linie, verlor viele Bälle und konnte seine Außenverteidiger nicht ins Spiel einbinden. Spätestens nach dem frühen Treffer durch Schürrle, dessen Freistoß von der Mauer unglücklich abgefälscht wurde (5.), waren die Hausherren klar spielbestimmend.

Die Leverkusener taten gut daran, nicht viel Risiko einzugehen. Sie beschränkten sich darauf, mit wenigen Akteuren schnelle Konter zu spielen. Viele ihrer Angriffe liefen durch die Mitte, wo sie mit dem nominellen 10er Ballack, dem aufrückenden Bender und den recht zentral agierenden Schürrle eine Überzahl erzielen konnten. Es war kein Zufall, dass der zweite Treffer eine Co-Kooperation dieser drei Spieler war: Bender verwertete eine Flanke von Schürrle, der einen abgefälschten Schuss Ballacks auf Außen unter Kontrolle bringen konnte (20.)

Der HSV kommt mit mehr Pressing zurück

Bereits nach 30 Minuten sprach wenig für ein Comeback der Hamburger. Dass sie kurz darauf wieder zurück ins Spiel finden konnten, zeugte eher vom Leverkusener Unvermögen als von Hamburger Stärke. So schenkten sie erneut trotz dominanter Spielweise dem Gegner einen Treffer – das 1:2 hatte sich in keiner Weise angedeutet. Vielmehr verteidigten die Leverkusener einen Freistoß so schlampig, dass Westermann völlig freistehend den Anschlusstreffer köpfen konnte (34.). Aussetzer in der Defensive, seien es auf kollektive oder individuelle Weise, sind derzeit ständiger Begleiter im Leverkusener Spiel.

In der Folge wurden die Rheinländer nervös. Die Hamburger witterten Morgenluft und störten nun früher. Damit legten sie die Leverkusener Schwächen im Spielaufbau offen. Gegen Teams mit starken Pressing tun sich die Innenverteidiger schwer, konstruktive Lösungen zu finden. Das Leverkusener Spiel versteifte sich in der Folge vermehrt auf lange Bälle und schlechte Vertikalpässe, die oft vom Gegner abgefangen wurden. Schnelle Konter wie zu Beginn des Spiels kamen von ihnen nun kaum noch. Schürrle, Kießling und Co. hingen fast komplett in der Luft.

Erschwert wird dieses Problem aktuell dadurch, dass Rolfes wie ein Fremdkörper in der Mittelfeldzentrale wirkt. Er hatte zu Saisonbeginn die größten Probleme mit den Mittelfeldrochaden, die Dutt einzuführen versuchte, und tat dies auch öffentlich kund. Nachdem Dutt in den letzten Spielen aufgrund einiger Spielerproteste wie dem von Rolfes von dieser taktischen Maßnahme abrückte, kehrt er nun Schritt für Schritt zum flexiblen Mittelfeldspiel zurück. Besonders Bender und Ballack lebten an diesem Abend die neue, alte taktische Flexibilität. An Rolfes, der strikt seine Position in der Zentrale hielt, lief das Spiel hingegen komplett vorbei. Am Ende hatte er nur 33 Ballkontakte vorzuweisen, weniger als halb so viel wie Ballack und Bender. Aus seiner tieferen Position verpasste er es, in der schwierigen Phase vor und nach der Pause Ruhe in das Spiel zu bringen, was eigentlich seine Aufgabe gewesen wäre.

Konditionsschwächen beim HSV

Die Hamburger hielten ihren Druck auch nach dem Wiederanpfiff hoch. Dutt versuchte das Blatt durch die Einwechslung Reinartz (für Sam) zu wenden, was allerdings nur mäßig gelang. Nach dem Spiel behauptete er im Sky-Interview, er wollte damit die Kreise Töres einschränken. Reinartz sollte die rechte Seite sichern, so dass Bender weiter nach links gehen und den ins Halbfeld rückende Töre übernehmen könne. Dass dies nicht hundertprozentig gelang, wurde spätestens in der 58. Minute deutlich. Hier legte Töre den Ausgleichstreffer durch Jansen auf. Vorausgegangen war – wie sollte es bei Bayer anders sein – ein individueller Fehler in Form eines unsäglichen Fehlpasses von Schürrle.

Die Hamburger waren in dieser Phase absolut dominant, die Leverkusener brachten kaum noch Druck auf den Ballführenden zustande. Doch abermals schwächelte die eigentlich stärker werdende Mannschaft in der Folge. Die Hamburger hatten mit Konditionsproblemen zu kämpfen. Erneut bauten sie in den letzten 20 Minuten stark ab – und das, obwohl sie mit rund 111km nicht übermäßig viel gelaufen sind (für eine Bundesligamannschaft, versteht sich).

Zudem brachte Dutts zweiter Wechsel neuen Schwung in das Leverkusener Spiel. Mit Derdiyok brachte er eine weitere Offensivkraft, die etwas hängend hinter Kießling agierte. Während letzterer ein wenig deplatziert im Leverkusener Passspiel wirkte, etablierte sich Derdiyok als Anspielstation in der Spitze. Er legte viele Bälle ab und brachte so Ballack wieder besser ins Spiel. Leverkusen hatte nun wieder mehr Ballbesitz und konnte sogar eine große Chance durch Schürrle verbuchen (74.). Dennoch konnten sie nicht mehr die erneute Führung markieren, auch weil Fink kurz vor Schluss mit den Einwechslungen von Skjelbred und Jarolim die Zentrale dicht machte. Es blieb beim Unentschieden.

Fazit

Man muss es deutlich sagen: Leverkusen gewinnt an diesem Abend nicht einen, sondern verliert zwei Punkte. Wer nach 30 Minuten mit 2:0 führt und zur Elite der Liga zählen möchte, muss diesen Vorsprung zumindest bis zur Halbzeitpause halten können. Doch die Werkself machte sich durch individuelle Fehler und ihren nervösen Spielaufbau das zuerst Erarbeitete wieder kaputt. Zudem haben sie aktuell immer mindestens einen Spieler in ihren Reihen, der stark unter seinen Möglichkeiten bleibt – diesmal war es Rolfes. Schade für die Leverkusener, die sich zu Beginn gut auf die Hamburger Taktik einstellten und auch am Ende nach der Einwechslung Derdiyoks zulegten.

Die Hamburger hingegen haben einen Punkt gewonnen. Gerade zu Beginn der zweiten Halbzeit zeigten sie eine sehr engagierte Leistung. Die oft in die Mitte ziehenden Außenstürmer Jansen und Töre stachen dabei besonders heraus. Dennoch zeigte sich zu Spielbeginn, dass sie noch keine Lösung haben, wenn ihr eigentlicher Spielplan nicht funktioniert. Dies soll jedoch keine Kritik am Trainerteam sein – schließlich kann man komplexe Taktiken in einem Verein nicht in so kurzer Zeit installieren. Vielmehr gebührt Fink ein Lob, da er dem HSV neues Selbstvertrauen und einen geordneten Spielaufbau eintrichterte. Wenn sie so weiter machen, wird bald auch der nächste Sieg kommen. Und spätestens in der Winterpause wird er auch mit den unsäglichen Konditionsschwächen seines Teams aufräumen.

vastel 7. November 2011 um 12:43

Sehr schöne Analyse und vor allem sehr gut, dass du auf den extrem statischen Rolfes hinweist, der mit dynamischen Spiel absolut überfordert scheint, was in so vielen Spielen schon deutlich wurde, auch in der NM. Mir ist es immer noch ein Rätsel warum Jogi ihn immer noch nominiert.

Positiv aufgefallen ist mir diesmal wieder L. Bender. Scheinbar haben beide Bender-Zwillinge eine familieninterne Wette laufen wer diese Saison am meisten Tore erzielt bzw. vorbereitet, denn es fällt auf, dass beide (BVB und Bayer – Bender) diese Saison viel öfter offensive Akzente setzen.

Auch Ballack scheint langsam wieder ins Spiel zu finden. Ich hätte mir von ihm in der kritischen Phase jedoch mehr erwartet. Mit seiner Erfahrung muss er da klar das Ruder rumreißen und den Takt angeben.

Der HSV war mir durch seine Kampfleistung sehr sympathisch, obwohl es spielerisch in meinen Augen immer noch eine kleine Katastrophe ist. Vielleicht lässt sich daher die Konditionsschwäche erklären. Solche Kraftakte haben sie auch schon in den letzten Spielen hinlegen müssen und auf Dauer kann es da zu Problemen kommen.
Wie hoch ist denn der Anteil der gesprinteten km an der gesamten zurückgelegten Strecke (111 km) ? Hast du dazu eine Statistik? Vielleicht gibt es hier eine Erklärung warum die HSV-Spieler so früh platt waren.

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Daniel 7. November 2011 um 14:10

@vastel diese Daten kann man bei bundesliga.de einsehen
Intensive Läufe (km) LEV 8,0% HSV 7,5%
Sprints (km) LEV 3,0% HSV 2,6%
Schnelle Läufe (km) LEV 4,9% HSV 4,9%
Spieler mit mehr als 11 KM LEV 5 HSV 2
Wenn man nur die Werte vergleicht, muss man aber auch bedenken, dass Leverkusen zuvor 4 Tage in Valencia gespielt hat.

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vastel 7. November 2011 um 17:23

Danke für den Hinweis! 🙂

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Leonardo 7. November 2011 um 11:51

Das Problem mit der Kondition wird Fink (respektive Vidovic) bald in gen Griff kriegen, in Basel war die Mannschaft in der Ära Fink jeweils immer fit (im Gegensatz zur Zeit von Christian Gross). Das mit dem in Rückstand geraten war bei Basel ebenfalls oft zu beobachten, allerdings auch der Starke Charakter/Wille der Mannschaft nach diesem Rückstand wieder zurückzukommen.

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Daniel 7. November 2011 um 11:33

Es muss einfach wieder Selbstvertrauen und Spielfreude nach Leverkusen. Weiß jemand, ob Leverkusen einen Mentalcoach hat? Da würde ich mal ansetzen. Bei Ribery war es nix anderes, unter van Gaal lief es nicht, unter Heynckes ist er voll da. Weil man so einen wilden Charakter einfach toben lassen muss. Das basiert alles auf Vertrauen und einem Wohlfühlfaktor. Wenn man einem Schürrle der in Leverkusen noch nicht richtig zeigen konnte was in ihm steckt, erklärt, dass er irgendwelche Abwehrspieler wegziehen soll.. was soll das für eine Signalwirkung haben? Wenn Dutt solche Taktiken gegen Chelsea auspackt ist das ok. Aber gegen die meisten in der Bundesliga kann es nur heissen das eigene Ding durchziehen. Und daher kommt der Frust, man wird gezwungen Angsthasenfußball zu spielen, man wird seinen eigenen Fähigkeiten beraubt.
Ich bin nicht grundsätzlich gegen Dutt, vielleicht ist er der Ideale Trainer für eine Abstiegsmannschaft oder auch Bayern München? Aber in Leverkusen braucht man so glaube ich immer öfters eher einen Fink!

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Fernando Hierro 7. November 2011 um 10:00

Korrektur zur HSV Aufstellung: Es spielte Mancienne anstatt dem verletzten Jeffrey Bruma.

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