Chelsea FC – Arsenal 3:5
Premier League at its best – Arsenal entscheidet ein fulminantes und aufregendes Londoner Stadtderby durchaus verdient für sich.
Trotz insgesamt nur 14 bzw. 13 Schussversuchen war es eine Partie mit vielen Torchancen und gefährlichen Szenen und ein wahres Spektakel für die Zuschauer.
Für Chelsea war es die zweite Niederlage in Folge nach dem 0:1 bei den Queens Park Rangers vom vergangenen Wochenende, nach welchem André Villas-Boas anstelle von David Luiz und Raul Meireles von Beginn an Ivanovic und Ramires spielen ließ. Außerdem fehlte der rotgesperrte Drogba, der durch den nach einer Roten Karte gegen Swansea wiederkehrenden Torres ersetzt wurde. Bosingwa saß seine Sperre im Carling Cup ab und durfte spielen, obwohl auch er im letzten Ligaspiel Rot sah.
Arsenal hatte sich in den letzten Spielen mit drei Siegen in Folge sowie Erfolgen in den anderen Wettbewerben Selbstbewusstsein und eine immer bessere Abstimmung erspielt – auch diesmal nahm Arsene Wenger nur eine Änderung vor – van Persie durfte im Vergleich zum Sieg gegen Stoke wieder für Chamakh ran.
Arsenals Schnelligkeit entblößt Chelseas hohe Abwehr
Wirklicher Schlüsselaspekt war die hohe Abwehr der Gastgeber und der resultierende Raum dahinter. Mit Walcott und Gervinho hatte Arsenal zwei schnelle, dynamische und bewegliche Flügelstürmer, die immer wieder diese Räume attackierten, und mit Zuspielen aus dem Mittelfeld versorgt wurden. Nicht zum ersten Mal in dieser Spielzeit hatten die Blues derartige Probleme, was besonders an der fehlenden Schnelligkeit bei den meisten ihrer Verteidiger liegt.
Gegen eine Mannschaft wie Arsenal, eine der besten der Liga, die vor allem Walcott auf eine solche Weise gerne zu gefährlichen Situationen verhilft und folglich daran gewöhnt und darauf eingestellt ist, wurde dies besonders deutlich – viele Gelegenheiten der Gunners entstanden durch diese Bälle hinter die Abwehr.
Pressing und der kleine Fehler
Besonders tödlich sind solche Pässe vor allem dann, wenn die verteidigende Mannschaft es nicht schafft, im Mittelfeld genug Druck aufzubauen, um die Zeit des Gegners einzuschränken, das Zuspiel zu timen – Paradebeispiel war am letzten Wochenende das Bundesliga-Spiel zwischen Dortmund und Köln. Natürlich ist ein frühes und aggressives Pressing der Auslöser für die hohe Abwehrlinie, doch in diesem Spiel konnte man das Pressing an einigen Stellen nicht richtig anbringen.
Speziell nach eigenen Ballverlusten hatte man Schwierigkeiten mit dem Gegenpressing und musste einige Konter hinnehmen. Das Mittelfeld war geschwächt, weil Obi Mikel zwecks Absicherung der Außenverteidiger – mehr dazu später – sehr tief stand und Ramires immer wieder stark zur rechten Seite tendierte, und bot somit Räume für die Arsenal-Spieler, gegen die Chelsea nur schwer vorgehen konnte.
Im „normalen“ Pressing im gegnerischen Spielaufbau konnte man eine ambivalente Leistung abliefern – in vorderster Linie presste man – bis auf die Ausnahme, dass man Djourou aufgrund einer Unterbesetzung in jener Zone nicht so richtig unter Druck setzen konnte und dieser so häufig ein letzter Ausweg für Arsenal war – gut, dahinter allerdings weniger. Hier bekam man im Mittelfeld keinen Zugriff, so dass die Mittelfeldspieler Arsenals schnelle Kurzpasskombinationen einleiten konnten und neben Pässen hinter die Abwehrkette auch mit diesem dynamischen One-Touch zu Chancen kamen.
Ansonsten hatten die Blues das Spiel im Griff und unter ihrer Kontrolle – sie dominierten den Ballbesitz und kamen auch zu ihren Chancen. Weil das gegnerische Mittelfeld so direkt und frenetisch agierte, ergaben sich andererseits auch Räume für Chelsea. Wieder einmal wurde deutlich, dass Arsenal bei weitem keine defensive Mannschaft ist, die unter relativ konstantem Druck recht viele Chancen zulässt. Großen Anteil daran hatte die Tatsache, dass man den gleichen Fehler wie Chelsea machte – recht hoch zu stehen ohne genug Pressing zu betreiben. Hinzu kam, dass Song und Arteta, vermutlich damit Ersterer Mata besser blocken und aufnehmen konnte, zu vorherigen Spielen „verkehrt herum“ spielten, was für ein wenig Desbalance sorgte, wie der Spielgrafik zu entnehmen ist.
Duelle auf den Außenbahnen
Sturridge kam einige Male durch ein Zuspiel hinter der Abwehr frei und über seine rechte Seite lief viel bei den Hausherren (40 % ihrer Angriffe über rechts). Aus der Mittelfeldzentrale wurden die Bälle auf den Flügel verteilt, wobei der rechte vor allem deshalb eine dominante Rolle einnahm, weil Ramires dort immer wieder unterstützte und auch Mata in seiner Freirolle nicht nur ins Zentrum, sondern auch auf den anderen Flügel rochierte, so dass man Arsenal in diesem Bereich überladen konnte.
Auf dem anderen Flügel war man somit naturgemäß nicht ganz so stark, doch Cole brachte hier in der Anfangsphase einige gefährliche Aktionen und zwang Walcott zu mehr Defensivarbeit. Die Duelle zwischen Außenverteidigern und Außenstürmern waren generell interessant – Cole und Bosingwa rückten mit Hilfe von Mikel auf und drückten Walcott und Gervinho zurück, doch bis ganz ins letzte Drittel trauten sie sich nicht. Torres versuchte dies durch seinen Linksdrang zu kompensieren, während Cole in die Mitte zog, um für Distanzschüsse zu sorgen und die Defensive der Gunners aufzureißen – manchmal klappte es und Djourou ließ sich nach innen ziehen, worunter die Stabilität etwas litt, doch die Wirkung dieser Idee – angelehnt an die Taktik Man Uniteds – war nur ein Randaspekt. Die Außenverteidiger Arsenals spielten aber auch eine durchaus wichtige Rolle, zwar wirkten sie defensiv gelegentlich etwas unsicher (Djourou durch die Bewegungen Chelseas, Santos durch den hohen Druck), doch Djourou hatte erwähnte Rolle als Anspielstation, während Santos sehr offensiv agierte und sich mehrmals nicht gut von Sturridge verteidigt sah – so leitete er neben seinem Treffer zum 2:2 auch das erste Tor durch van Persie ein.
Auswirkungen der Auswechslungen
Interessant waren die Wechselstrategien der Trainer in der Schlussphase – zunächst von Villas-Boas beim Stand von 2:3, dann von Wenger nach dem Ausgleich. Der Portugiese ließ ein sehr offensives System spielen und konnte zunächst die Früchte ernten, als das Tor durch Mata aufgrund des frühen Pressings und der zentralen Rolle für den Spanier entstand. Torres und Lukaku waren mehr oder weniger Mittelstürmer in einer Formation, welche einen Mix aus einer offensiven Raute und einer Modifikation der bisherigen Grundordnung darstellte. Es schien fast so, als würde Raul Meireles zwei Rollen gleichzeitig spielen, damit einen freien „Platz“ kreieren, welchen Mata ausfüllte und vom Raum profitierte.
Das Risiko, welches Villas-Boas auch nach diesem Treffer weiter verfolgte, sollte allerdings bestraft werden, wozu Wenger mit einer geschickten Auswechslung auch seinen Teil beitrug. Rosický für Walcott sorgte für mehr Präsenz im Zentrum, während die beiden verbliebenden Angreifer als Hybride aus zentralem und äußerem Stürmer weiterhin gefährlich waren. Chelsea bot im Mittelfeld Räume – und Arsenal nutzte sie.
Fazit
Schlussendlich war es ein Topspiel auf Augenhöhe mit leichten Vorteilen für Arsenal. Villas-Boas zockte ein wenig – er wollte die Spielkontrolle haben und weiterhin mit einer starken Konzentration und Überzahlbildung auf der rechten Flanke zum Torerfolg kommen, was auch gelang, doch letztlich erwies sich der Preis dafür als zu hoch – vor allem das Gegenpressing wurde geschwächt und Arsenal entblößte die hohe Abwehr Chelseas oder präsentierte dynamischen One-Touch-Fußball.
3 Kommentare Alle anzeigen
Tim 9. November 2011 um 15:03
Sehr aufschlussreiche Spielanalyse.
Einen Satz fand ich etwas misverständlich:
„…dass Arsenal bei weitem keine defensive Mannschaft ist, die unter relativ konstantem Druck recht viele Chancen zulässt.“
Das besagt doch, dass sie keine Mannschaft sind, die viele Chancen zulassen. Im darauf folgenden Abschnitt erläuterst Du aber das Gegenteil dessen und erklärst dies auch unter anderem durch das fehlende Pressing im Mitelfeld. Ein „k“ zuviel also in dem genannten Satz.
TR 9. November 2011 um 18:01
Ja, der Satz ist in der Tat etwas missverständlich, da sich der Relativsatz auf das vorher Geschriebene bezieht.
Eigentlich müsste es so heißen: …dass Arsenal bei weitem keine defensive Mannschaft ist. Unter konstantem Druck lassen sie (nämlich) recht viele Chancen zu.
44² 30. Oktober 2011 um 14:24
Großartiger Artikel.
Ganz interessant, wenn man den ZM-Artikel davor gelesen hat. Da zeigt sich mal wieder, dass Spielverlagerung eine wesentlich detailliertere und ganzheitlichere Betrachtung des Spiels hat.
Zwei kleine Kritikpunkte: Du hast wieder so einen saulangen Zwischensatz drin (unter Ramires‘ Chalkboard), das liest sich sehr unangenehm, selbst wenn man wie ich selber zu sowas neigt.
Außerdem find ich den Abschnitt zu den Außenverteidigern ein kleines bisschen überladen. Cole geht nach vorn, aber nicht ganz, aber dafür Torres nach rechts, aber dafür Cole nach innen, dadurch Djourou auch manchmal (hä?) und Cole schießt dann, aber eigentlich egal!? 😉 Nicht schlimm, aber etwas suboptimal.
Und ich find ambivalent ’n seltsames Attribut für eine Leistung, aber das könnte daran liegen, dass ich’s erst mit polyvalent verwechselt hab.