Brasilien – Paraguay 0:2 n.E.
Favorit Brasilien ist überraschend und dem Spielverlauf unangemessen im Copa-Viertelfinale im Elfmeterschießen an Paraguay gescheitert.
Bei Paraguay um Deutschland-Legionär Lucas Barrios kam Caceres für Ortigoza ins Team, ebenso ersetzte der ehemalige Bundesliga-Spieler Nelson Valdez mit Santa Cruz einen weiteren solchen, während der Titelverteidiger mit der im letzten Gruppenspiel gegen Ecuador erfolgreichen Mannschaft antrat.
Paraguay macht Brasilien stark…
War das erste Treffen zwischen diesen beiden Teams in der Gruppenphase noch eine langsame Partie gewesen, charakterisierte sich das Viertelfinale viel mehr durch Offenheit und Tempo. Zu großen Teilen lag dies an Paraguay, welche zum einen ihre Strategie geändert hatten, zum anderen deutlich fehlerhafter agierten als noch im ersten Match.
Die vorderen Spieler betrieben Pressing auf Brasilien, doch die restlichen Akteure standen dafür zu tief und schoben nicht nach. So klaffte im Mittelfeld eine große Lücke, die Brasilien liebend gerne ausnutzen konnte. Weil auch die Abstände zwischen den beiden zentralen Mittelfeldspielern Paraguays – war die erste Pressingreihe ausgespielt, waren die beiden ganz alleine, manchmal rückte Riveros dann erfolglos heraus – nur unzureichend bestanden, ergaben sich im Mannschaftsverbund mehrere Linien, denen Kompaktheit abging.
Dort gab es dann immer wieder Platz vor allem für die drei offensiven Kreativkräfte Brasiliens, die mit guten Bewegungen immer wieder Räume schufen und den tieferen und allein gelassenen Sechser Paraguays überladen konnten. Besonders Robinho sollte man loben – einst als Paradiesvogel verschrien, scheint er nun die nötige Ernsthaftigkeit gewonnen zu haben: Er driftete über den Platz und überzeugte durch den cleveren und mannschaftsdienlichen Einsatz seiner Ideen und Spielfreude, mit denen er in spielmachender Manier viele Chancen kreierte, machte auch bei den Rochaden sehr gut mit.
In diesem Zusammenhang präsentierte sich auch der bisher einige Male kritisierte Ganso gut, der zunehmend auf die außen auswich und damit nicht nur seinen Teil zur Bewegung und den Rochaden beitrug, sondern auch Caceres, welcher ansonsten noch mit starker Defensivarbeit Schlimmeres abwenden konnte, weglockte.
Ebenfalls gut ausnutzen konnte die paraguayischen Missstände Ramires, der in seiner typischen vertikalen Art spielte und sich immer wieder zwischen den einzelnen Linien im Mittelfeld bewegte und somit bei Brasilien die Defensive mit der Offensive sehr gut verband – allerdings spielte er zu zerfahren und bisweilen kopflos, hielt ebenfalls die Verbindung zu Lucas nicht durchgehend stabil.
Nur konnte Paraguay es nicht ausnutzen – nicht nur im Zentrum hatten diese große Probleme, sondern auch auf außen. Die Guaraníes spielten nämlich mit einer recht engen Formation, weshalb man auf außen immer sehr anfällig war – und bei Brasilien schaltete sich neben Maicon auch Andre Santos immer häufiger nach vorne ein. Zwar gab es über außen einige Gelegenheiten, aber hier hätte man auf brasilianischer Seite noch etwas konsequenter spielen können.
…und spielt selbst schwach
Im eigenen Angriffsspiel blieb Paraguay ebenfalls höchst ungefährlich. Die beiden Stürmer und Estigarribia standen zu hoch und fielen als Anspielstationen häufig weg, im Zentrum fehlten die Verbindungen zwischen den Mittelfeldspielern, zudem vermisste man die spielmachenden Kräfte und kreativen Impulse von Ortizoga. Wegen der Enge der eigenen Formation, konnte man auch über die Flügel nicht viel erwarten – einzig Estigarribia und der hart arbeitende und gelegentlich nach außen driftende Valdez versuchten es dort.
Es war kein Zufall, dass man erst nach 88 Minuten den ersten Abschluss verbuchen und in zwei Stunden Fußball gerade einmal einen einzigen Ball auf das Tor bringen konnte. Weil man stattdessen Brasilien die Chancen ermöglichte, war das Remis nach der regulären Spielzeit höchst schmeichelhaft.
Verlängerung & Elfmeter-„Drama“
Die folgende Verlängerung lief aus brasilianischer Sicht nicht so gut. Weil nach einem Gerangel mit Lucas und Alcaraz beide Teams zu zehnt weiterspielen mussten, setzte Paraguay nun fast ausschließlich auf Tiefstehen – die immer müder wirkenden Brasilianer bissen sich an der vollgepackten Defensive die Zähne aus.
Hinzu kam noch, dass nun das Aufbauspiel Brasiliens öfters stockte – da dies nun zu großen Teilen auf den Schultern von Ramires lag, welcher dazu allerdings nicht der Typ ist. Weil Neymar bereits ausgewechselt und die physische Präsenz der eingewechselten zweiten Spitze Fred zwar bisweilen effektiv war, aber dafür die Dominanz-Probleme nicht löste, sondern die kreative Bürde auf Robinho ablud, der zwar stark spielte, aber nicht alles alleine machen konnte, schwand der Druck Brasiliens – es kam zu Ereignisarmut.
Das Elfmeterschießen geriet dann zur Farce für Brasilien. Von einem zugegebenermaßen unwürdigen 11-m-Punkt vergaben alle ihre vier Schützen – und dabei musste Paraguays Keeper Villar, der sich mit seinen Paraden zum Hexenmeister aufgeschwungen hatte, nur einen Ball davon parieren, die anderen brachten ihre Schüsse noch nicht mal auf das Ziel.
Fazit
Brasilien war zwar dominant und überlegen, besaß quantitativ und qualitativ mehr Torchancen (die schlechten Elfmeter waren symbolisch für die mangelhafte Chancenverwertung), doch diese wurden zu großen Teilen von den Fehlern und Schwächen ihrer Gegner begünstigt.
Auch wenn bei Paraguay – selbst wenn mal fast alle Spieler hinter dem Ball waren – die Unordnung ausbrach, bissen sich die Brasilianer die Zähne aus und mühten sich gehörig – es war symbolisch für die letzte fehlende Konsequenz beim Team von Mano Menezes.
Umgekehrt muss man auch sagen, dass Paraguay sich selbst in diesen Szenen höchst ungeschickt anstellte, was wie die Gesamtleistung umso erschreckender ist, wenn man bedenkt, dass derartige Fehler so gar nicht zu diesem Team passen und einem erheblichen Leistungsabfall bedeuten. Für das Halbfinale muss man sich gehörig steigern – auch wenn es „nur“ Venezuela zu schlagen gilt.
Für Brasilien war die Copa enttäuschend – wie den Argentiniern gelang ihnen nur 1 Sieg in 4 Spielen. Dafür ist das Grundgerüst bei der Seleção deutlich besser, es war vor allem in diesem Spiel sogar vieles gut, worauf man aufbauen kann. Das Ausscheiden hat gezeigt, dass man optimistisch sein kann, aber noch einiges zu tun ist (besonders wichtig, da man bis zum Confed-Cup keine Pflichtspiele mehr haben wird und deshalb solche Lehren noch wichtiger sind) auf der Mission Heim-WM-Titel 2014.
10 Kommentare Alle anzeigen
44² 19. Juli 2011 um 18:02
Ich fand Brasilien (bzw deren Trainer) zu vorsichtig. Ich denke, sie hätten viel mehr Druck machen können, wenn die Doppelsechs aufgelöst worden wäre. Ein 4-1-2-3 (Jadson für Ramires?) fällt mir da als nahliegendste Option ein. Hätte zum einen das kreative Potential erhöht und zum anderen möglicherweise für mehr frühe Balleroberungen gesorgt. Ein Hauptproblem war m.E., dass die Brasilianer nach Ballverlusten zu zögerlich draufgingen. So konnten die Paras immer einen langen Ball spielen und die Brasilianer mussten wieder von hinten aufbauen. Mit einer höher positionierten 1-2-Zentrale hätte man das wohl einschränken können. Den brasilianischen Sechserraum nutzten die Paras ja auch quasi überhaupt garnicht, wurde immer überspielt, von daher unnötig, dort doppelt abzusichern. Stellenweise musste sich Barrios allein gegen 4,5,6 Gegenspieler behaupten. Das zeigt zum einen den unüberlegten Spielaufbau der Underdogs, aber zum anderen eben auch den ineffizenten Personaleinsatz von Brasilien.
Was mich verwundert ist, dass du schreibst, dass Paraguay in der Verlängerung nur noch tief stand. Ich fand die da offensiver als in den 90 Minuten. Kann mich sogar an einen kleinen Konter der Selecao erinnern, in der VL. Ich dachte, dass Paraguay zusammenfallen wird, weil die zentralen Spieler so einen wahnsinns Laufaufwand zu leisten hatten, aber dann habense auf einmal angefangen ihre Flügelspieler ins Spiel zu integrieren und selbst den Ball auch mal zu halten. Fand ich überraschend und klug. (Vielleicht hab ich da aber auch was überbewertet, war nicht durchgängig voll konzentriert dabei.)
TR 19. Juli 2011 um 18:09
Danke für deine Einschätzung!
Dem ersten Absatz kann ich mich anschließen – da hat man wirklich was verschenkt in Situationen, wo Paraguay den Ball hatte.
Bezüglich Verlängerung: Möglich, dass es mal eine Konterchance gab, allerdings reagierten die Trainer mit Vorsicht auf die durch das 10-10 mehr vorhandenen Räume – so wurde der „positive“ Effekt ins Gegenteil verkehrt.
Thomas 19. Juli 2011 um 01:05
Können bzw. sollten die Abstände durch die zusätzliche Reihe im 4-2-3-1 (4 statt 3 Reihen wie im 4-4-2) nicht geringer ausfallen?
MB 19. Juli 2011 um 15:30
Häufig wird das 4-2-3-1 in der Defensive ja auch wie ein 4-4-2 oder ein 4-4-1-1 gespielt, ganz ähnlich dem 4-4-2. Wenn man in der Defensive tatsächlich in einem 4-2-3-1 agiert, sind die einzelnen Reihen nicht so kompakt wie bei zwei Viererketten, da die beiden Sechser nicht die komplette Breite abdecken können. Deswegen empfiehlt es sich, auch hier die Abstände nicht größer als 10 Meter werden zu lassen, damit der Defensivblock kompakt bleibt.
44² 19. Juli 2011 um 18:04
Er fragt doch, ob die Abstände nicht kleiner sein müssten. ^^ Größer wär natürlich blöd.
Und wie kommt man denn auf einen 40×40 Block, wenn man vertikal 3 mal 8-10 Abstand hat?
MB 19. Juli 2011 um 18:25
Da hab ich falsch gelesen. Noch kleiner als 8 Meter erscheint für mich nicht sehr sinnvoll, da man zwar die Mitte sehr kompakt hat, aber dafür sehr anfällig für Seitenverlagerungen und lange Bälle wäre. Außerdem kann der Defensivblock nicht mehr gleichzeitig den sicheren Abstand vom eigenen Tor (ca. 22m) halten und gleichzeitig kurz vor der Mittellinie anfangen zu attackieren, also muss entweder die Abwehrreihe weiter vorschieben, was zu einer höheren Anfälligkeit für Bälle hinter die Abwehr führen würde oder aber der gesamte Defensivverbund muss sehr tief spielen, sodass man den Gegner erst sehr spät unter Druck setzen kann.
Deswegen fallen die Abstände selten kleiner als 8 Meter aus, Ausnahmen bestätigen natürlich die Regel.
Für das 40×40 gilt die Faustregel, dass die Viererkette den sicheren Abstand von 22m halten soll und die vorderste Reihe den Gegner ca. 10 Meter VOR der Mittellinie anlaufen soll, so entsteht ein Abstand von ca. 40 Metern von IV bis ST. Die genauen Abstände zwischen den einzelnen Mannschaftsteilen variieren, wichtig ist vor allem, den Anstand zwischen Abwehr und defensivem Mittelfeld nicht zu groß werden zu lassen. Der Stürmer hält normalerweise vorne die vorgegebene Höhe, während sich der OM und die Außen häufig ebenfalls in die eigene Hälfte zurückfallen lassen, sodass der Abstand der beiden Mittelfeldreihen ebenfalls relativ klein ist.
Thomas 18. Juli 2011 um 22:57
Wie groß sollte die Abstände im 4-2-3-1 innerhalb der Mannschaftsteile in der Defensive sein?
Im 4-4-2 mit flache 4 im Mittelfeld werden Abstände von 8-10 Metern in Tiefe und Breite empfohlen.
Wie groß sollte der Abstand von Viererkette zur Doppel 6, von der Doppel 6 zur offensiven Dreiherreihe sein und von der offensiven Dreiherreihe zum Mittelstürmer?
Und wie groß sollten die Abstände untereinander sein?
Danke im Voraus!
Thomas
MB 18. Juli 2011 um 23:19
8-10 Meter werden vom DFB auch fürs 4-2-3-1 empfohlen, sodass insgesamt ein 40mx40m-Quadrat entstehen soll, was sich dann je nach Ballposition nach vorne/hinten und nach links/rechts verschiebt.
Jan-Henrik Gruszecki 18. Juli 2011 um 21:21
Hi,
schöne Analyse, eine kleine Ergänzung noch: wahrscheinlich konnte der Autor es nicht sehen, weil er das Spiel vermutlich im TV gesehen hat?!. Ich fand besonders spannend, wie Ganso sich in der zweiten Halbzeit und Verlängerung gezeigt hat. Sobald er mehr als zwei defensive Spieler aufrückten, in der Regel ein Außenspiegel, zumeist Andre Santos, der am Ende nur noch Linksaußen war, (da Paraguay nur noch mit Valdez als 3/4 Stürmer und der eingewechselte Perez sehr sehr selten in die Spitze stieß…) und Ramires, rückte Ganso auf die 6er Position. Und das stets so defensiv, dass man nie mit dem zweiten Ball einen direkten Abschluss suchen kann. Empfand ich etwas komisch, aber nunja. Als Argentinier bin ich natürlich einigermaßen froh, dass die Brasis raus sind, wobei natürlich definitv nicht der bessere und klügere gestern gewonnen hat.
Grüße aus dem verregneten Buenos Aires!
TR 18. Juli 2011 um 21:33
Ja, in der Tat, ich habe es auf Sport1 gesehen, gab leider einige Bildprobleme zwischendurch.
Hmm, das hört sich aber sehr interessant an – ich könnte mir schon vorstellen, dass Ganso irgendwann mal eine tiefere Position (6 oder 8 ) einnehmen und sich dahin entwickeln kann. Von daher war es schon recht sinnvoll dieser Schachzug, allerdings nur in dieser konkreten Situation. Für eine dauerhafte Umschulung bräuchte es Zeit, aber lieber den ruhigeren Ganso tiefer, nicht dass der kopflose Ramires – zu dem Zeitpunkt ja alleine vor der Abwehr – das Zentrum offen lässt und man sich noch einen Konter fängt. Deswegen lastete dann wohl auch so viel auf Robinho.
Danke für den Kommentar!