Defensive Probleme
Dem „Mythos der Eigenfehler“, den wir im letzten Teil benannt haben, lässt sich auch entgegenhalten, dass die Hamburger Gegentore sich in der Struktur oftmals wiederholen. Besonders auffällig war dies nach dem Ende der Winterpause. In fünf Pflichtspielen im Jahr 2014 fing der HSV 18 Gegentore. Wir schauen anhand der Gegentore des Hamburger SVs auf die grundsätzlichen defensiven Probleme.
Schlechtes Verhalten beim Verschieben
Defensive Arbeit ist ermüdend. Gefordert ist ständiges, nimmermüdes Verschieben. Beim HSV mangelt es jedoch an der Arbeit im Verschieben. So stehen sie vergleichsweise offen, rücken nicht immer ballorientiert ein oder sprechen sich nicht ab.
Besonders das taktische Mittel der Raumverknappung wird selten ausgeübt. Wenn der Gegner über den Flügel angreift, behalten die Hamburger oft eine vergleichsweise breite Stellung. Hier öffnen sich gerne Räume im Zentrum, wenn ein Sechser einrückt und der andere nicht. Der Hälfte der Gegentreffer aus dem Spiel in diesem Kalenderjahr ging eine Spielverlagerung voraus. Das Herüberrücken nach solchen Spielverlagerungen und das Abdecken des Verbindungsspielers im Zentrum wird nicht immer praktiziert. Besonders Schalke nutzte dies, um über einen Verbindungsspieler die Seite zu wechseln und dann schnell zu Torabschlüssen zu kommen.
Fehlende Absprachen
Bedenklich ist auch, dass Gegenspieler oftmals sehr spät oder gar nicht übergeben werden. Diese Mechanismen sind jedoch in einer zonalen Deckung, wie sie heute ausgeübt wird, unabdingbar. Nicht erst ein Tor fing der HSV, weil Spieler nicht rechtzeitig übergeben wurden. In überschaubaren und langsamen Spielsituationen funktionieren die Mechanismen noch. Doch in dynamischen Situationen braucht es Automatismen, die beim HSV zu fehlen scheinen. So können Gegner sich Freiräume erlaufen, wenn sie geschickt kreuzen oder die Laufwege aufeinander abgestimmt sind. Zwei konkrete Beispiele verdeutlichen das Dilemma:
Fehlende Staffelung im 16er
Das eben erwähnte 0:1 gegen die Bayern zeigt ein weiteres Problem in der defensiven Detailarbeit: Es fehlen Absprachen zum Verhalten im eigenen Sechzehner.
Interessanterweise gab es eine ganz ähnliche Szene im Spiel gegen Hoffenheim, als vor dem 0:3 ebenfalls kein Spieler den direkten Passweg durch den Fünfmeterraum absicherte. Mit klaren Absprachen, welcher Spieler bei einem gegnerischen Durchbruch an der Seitenauslinie den Rückraum abzusichern hat, könnten diese Gegentore verhindert werden. Interessanterweise hat Korkut das Fehlen genau dieser Absprachen zu Beginn seiner Zeit in Hannover bemängelt, wie ein Welt-Artikel darlegt.
Konterabsicherung
Sobald der HSV hinten liegt, wird er anfällig für Konter. Die Probleme im Spielaufbau, die wir im kommenden Teil besprechen, bedingen, dass der HSV die strukturellen Löcher nur über ein starkes Aufrücken kompensieren kann. Das Zurückfallen von offensiven Spielern wie van der Vaart bedeutet, dass andere Spieler nachrücken und die Räume übernehmen müssen. Die offensive Spielstruktur unterscheidet sich wesentlich von der defensiven, was eine schnelle Rückkehr in die angestammte Defensivordnung erschwert. Wenn der Gegner schnell umschaltet, tun sich oftmals Lücken in den Halbräumen und sogar im Zentrum auf, die der Gegner schnell bespielen kann. Daraufhin kann der Gegner in schnellen 3-gegen-4 oder 3-gegen-5-Kontern die Defizite im Verschieben ausnutzen – das oben beschriebene Tor von Hertha ist das beste Beispiel.
Problematisch ist hier, dass es kein kollektives Gegenpressing gibt. Oftmals ballen sich viele Spieler vor dem Ball, sodass bei einem Verlust im Mittelfeld keine schnelle Rückeroberung erfolgen kann. Allgemein ist selten ein Plan erkennbar, wie der Ball direkt zurückerobert werden soll. So werden im Gegenpressing weder Mann- noch Raumorientierungen genutzt. Oft sind Ballgewinne im Gegenpressing nur durch die individuelle Klasse der Spieler bedingt – systematische Überzahlen gibt es selten, wie die folgende Szene beweist.
Standardsituationen
Ein großes Problem in der Rückrunde waren bisher die Standardsituationen. In den vergangenen drei Spielen gegen Hertha, die Bayern und gegen Braunschweig fing der Hamburger SV jeweils zwei Tore nach Standardsituationen. Dabei interpretierten die Hamburger ihre Verteidigungsstrategie sehr starr, sodass der Gegner leicht über einstudierte Varianten zum Torerfolg kommen konnten. Gegen Hertha verteidigte Hamburg im Raum. Die Berliner fanden schnell Standardvarianten, um dies auszuhebeln, und arbeiteten vor allem mit Kopfballverlängerungen. Gegen die Bayern setzte der HSV hingegen auf eine strikte Manndeckung – und kassierte abermals zwei Gegentore gegen die körperlich überlegenen Bayern. Braunschweig durfte ebenfalls zweimal einnetzen, da Hamburgs Mischung aus Raum- und Manndeckung am ersten Pfosten Kumbela mehrfach freiließ. In allen drei Spielen hatte der Zuschauer nicht den Eindruck, als seien die Varianten passend zum jeweiligen Gegner – als Außenstehender ist es allerdings auch schwer zu beurteilen, ob sich die Spieler nicht an die Absprachen gehalten haben oder ob die Absprachen nicht passend waren.
Im Nachhinein muss man konstatieren, dass der Wechsel von Raum- auf Manndeckung das Team bei Standards nicht stabilisiert hat, im Gegenteil: Abermals zeigten sich beim HSV Verständigungsschwierigkeiten bei der Übergabe und der Übernahme von Räumen. Schön zu erkennen war dies vor dem 1:2 gegen Braunschweig, als die Hamburger intensiv darüber diskutierten, wie sie den kurzen Pfosten abdecken. Am Ende stand Kumbela dort völlig frei. Es muss ein System mit klaren Aufgaben gefunden werden, welches länger als einige Spieltage hält, um den Spielern die nötige Sicherheit zu vermitteln.