Das Scheitern des André Villas-Boas
Nach dem Spiel gegen Barcelona war die Fachwelt voll des Lobes über Roberto Di Matteo. Der Interimstrainer feierte in den letzten Wochen viele Erfolge und scheint sogar eine langfristige Alternative zu werden. Ganz im Gegensatz zu André Villas-Boas, um den sich im Sommer noch zahlreiche Gerüchte rankten, die nächste Saison wird er womöglich ohne Arbeit beginnen. Der Vorgänger Di Matteos wurde für eine Rekordablöse von 15 Millionen € vom FC Chelsea verpflichtet. Für einen Trainer, wohlgemerkt.
Der Saisonstart sah sogar einigermaßen gut aus, dies sollte allerdings nicht lange währen. Zu groß waren die Differenzen mit seinen Spielern, zu komplex seine Ideen und er selbst wohl zu unerfahren. In einem harten Geschäft in der englischen Premier League scheint der ruhige Di Matteo, von Fans und Medien geliebt, die bessere Wahl zu sein. Das angebliche Jahrhunderttalent Villas-Boas war gescheitert. Doch woran eigentlich?
Trainernovize
Eventuell war es genau dieser Status als Trainer-Jahrhunderttalent, wobei die Betonung klar auf dem Wort „Talent“ liegt. Anstatt einen erfahrenen Trainer zu bekommen, erhielten die Stars des FC Chelsea einen jungen Mann, fast schon in ihrem Alter. Sein Lebenslauf las sich durchaus beeindruckend, doch ein Triple mit einer portugiesischen Mannschaft reichte nicht aus. Im Gegensatz zur Verpflichtung José Mourinhos war die Mannschaft zu gestanden, um solche Erfolge wirklich wertzuschätzen. Was waren schon solche Trophäen im „Verliererpokal“ wert? Dort treten die englischen Vereine gerne mit der B-Mannschaft an, um sich für die härteste Liga der Welt zu schonen – ihre eigene. Dieses Selbstverständnis gepaart mit einer Mannschaft, die unter Mourinho und Ancelotti Meister geworden war, sollte sich als Gift für Villas-Boas herausstellen.
Eine Ursache war sicherlich auch, dass der Großteil der Mannschaft unter Ancelotti und sogar Mourinho noch gespielt hatte. Spieler wie Terry und Lampard kannten Villas-Boas noch als Chef der Taktikabteilung und Assistenztrainer Mourinhos, weswegen er mannschaftsintern den Spitznamen „DVD“ erhielt. Solche stellte er nämlich von jedem Gegner vor jedem Spiel für die Spieler Chelseas zusammen. Angereist war der ehemalige Assistent aber mit der selbsternannten Aufgabe eines „neuen Chelseas“. Vollmundige Versprechungen, die auf eine Mannschaft trafen, welche sich in den letzten Jahren nur auf einzelnen Positionen verändert hatte. Sein moderner Ansatz eines ganzheitlichen Prinzips stoß bei den Veteranen auf Kopfschütteln, die innovativen Taktiken konnten nicht umgesetzt werden. Dies lag jedoch nicht hauptsächlich an André Villas-Boas.
Die fehlenden Spieler
Mit einem agierenden 4-3-3 wollte Villas-Boas seine Mannschaft spielen lassen. So hatte er bereits beim FC Porto aufgestellt und sogar mit Academica Coimbra, seiner ersten Station, feierte er damit Achtungserfolge. Der Fokus lag auf einem hohen und frühen Pressing in der gegnerischen Hälfte. Allerdings diente dies nicht rein dem Ballbesitz, sondern mehreren Möglichkeiten nach Ballgewinn.
Der FC Porto unter Villas-Boas zeichnete sich dadurch aus, dass die Spieler flexibel agierten. Sie konnten nach Ballgewinn den Ball in ihren eigenen Reihen laufen lassen oder sofort den vertikalen Weg gehen. Dadurch vereinigte der Triple-Sieger Aspekte einer ballbesitzorientierten und einer konternden Mannschaft. Ein asymmetrischer Dreiersturm war neben den offensiven Außenverteidigern und einem Mittelfeld, welches kollektiv vorne wie hinten aushalf, das Markenzeichen dieser Teams. Mit einem klassischen Flügelstürmer auf der einen und einem Mittelstürmer auf der anderen Seite brachte Villas-Boas sowohl Breite als auch Torgefahr in seine Offensive. Hulk und Falcao, der im Zentrum spielte, waren somit die Hauptgaranten für die Tore, das Dreiermittelfeld dahinter spielte aber ausnehmend offensiv. Sogar der Sechser, Fernando, schaltete sich bei Bedarf nach vorne mit ein.
Dieses System wollte der Portugiese bei seinem Abstecher in England ebenfalls nutzen. Hierzu fehlen allerdings die Spielertypen, was dem Ganzen abträglich war. Eine hohe Abwehrreihe mit John Terry spielen zu wollen, schien Selbstmord zu sein. Kein Wunder, dass der ehemalige Kapitän der Three Lions am stärksten gegen die Taktiken seines Trainers rebellierte. Doch nicht nur die Spieler waren ein Problem. Im Vergleich mit der portugiesischen Liga ist der englische Fußball schlichtweg viel schneller. Die Betonung der physischen Attribute äußert sich besonders im direkten Zweikampf und dem Umschaltmoment. Das Aufrücken des Sechsers sowie der beiden Achter musste bald verworfen werden, da sich dadurch viele Lücken im Abwehrverbund auftaten. Die Gegner spielten schnelle Bälle in diese Räume, von wo man mit langen Bällen hinter die aufgerückte Abwehr kommen konnte.
Beeindruckend ist allerdings, dass Chelsea zu Saisonbeginn die wenigsten Schüsse der gesamten Liga zuließ. Dies fiel aber nur wenigen auf, da sie trotzdem viele Treffer bekamen. Die geringe Anzahl an erhaltenen Torschüssen wurde durch mehrere Faktoren bedingt. Einerseits stellte die hohe Viererkette oft die gegnerischen Stürmer ins Abseits, andererseits funktionierte das Pressing teilweise und Bälle wurden weit vorne erobert. Deswegen wollte Villas-Boas angeblich auch Torhüter Petr Cech zur nächsten Saison ersetzen. Thibaut Courtois, der von Chelsea in die spanische Liga verliehen wurde, soll einer der Kandidaten gewesen sein. Hierbei muss gesagt werden, dass Cech trotz abgenommener Leistungen seit seiner schweren Verletzung nach wie vor ein hervorragender Torhüter ist. Das Problem war vielmehr, dass die Gegner zwar weniger Torschüsse erhielten, diese allerdings im Normalfall aus einer aussichtsreichen Position zustande kamen. Die riskanten Vertikalpässe gegen die hohe Abwehr gelangen selten, doch wenn sie es taten, kam es oft zu 1-gegen-1-Situationen. Für einen Stürmer mit spielerischer Klasse kein Problem.
Die Idee Villas-Boas‘, einen neuen Torhüter statt dem eigentlich unumstrittenen Petr Cech zu verpflichten, deutete auf einen weiteren Missstand bei Chelsea hin.
Mediale Darstellung
Zu Beginn schienen ihn die Medien sogar zu lieben. Mit aristokratischen Wurzeln, einem ungemein höflichen Benehmen und schönem Englisch beeindruckte er bei den ersten Pressekonferenzen die englische Fußballwelt. Dazu gesellte sich seine rote Mähne und der Portugiese wirkte englischer als die meisten seiner Trainerkollegen. Diese positive Stimmung sollte im Laufe der Saison kippen. Nie vermied der junge Trainer eine Antwort auf die Medien, er stand immer Rede und Antwort bereit – und fand Erklärungen für Dinge, die von Zufall und Glück abhingen. Taktisch komplexe Zusammenhänge wollte er einem kritischen Publikum erklären, welches bereits mehr Jahre im Fußball auf dem Buckel hatte, als er es tat. Zumindest dachten sie so und bald entstand eine Hassliebe der Medien zum Chelseatrainer.
Dieser behauptete schließlich, die englischen Reporter und Journalisten wollen sein Scheitern. Zu kritisch erschien ihm deren Berichterstattung, woraus sich eine fixe Idee zu entwickeln schien. Manchmal waren nun die Schiedsrichter schuldig, wenn Chelsea verlor. Als John Terry einen gegnerischen Spieler angeblich rassistisch beleidigte, stellt er sich vor ihn. Ohne die genaue Faktenlage zu kennen, beging er einen Fehler. Er nahm es mit der englischen Presse auf, ohne die Meinung einer zumindest größeren Minderheit zu teilen. Das Problem war, dass es eine sehr kontroverse Sache war, welche einen erheblichen Imageverlust für Terry und Villas-Boas nach sich zog. Dieses Schicksal hatte Kenny Dalglish und dessen Spieler Luis Suarez in dieser Saison ebenfalls erlitten.
Die ohnehin kritischen Medien sollten Villas-Boas nach diesem Zwischenfall noch kritischer beäugen. Jede Entscheidung wurde auseinandergenommen, jede Taktik hinterfragt und Probleme im Umkleideraum wurden nach außen getragen. Irgendwann intervenierte Roman Abramovich, der sich lange Zeit überraschend geduldig gezeigt hatte. Der Klubbesitzer sah sich Trainingseinheiten an, erkundigte sich nach den Taktiken und nahm angeblich sogar darauf Einfluss. Nur kurze Zeit später musste Villas-Boas gehen. Die Schuld gab Abramovich allerdings besonders den Spieler, welchen er mit einem Neuanfang ab der nächsten Transferperiode drohte. Viele objektive Medien sprachen ebenfalls davon, dass es die Spieler waren, welche hauptverantwortlich für das Scheitern des Villas-Boas‘ waren.
Vereinsinterne Probleme
Ähnlich wie unter Robin Dutt bei Bayer Leverkusen schienen die Stars auf der Bank zu protestieren. Wenn Terry oder Lampard sich abseits der ersten Elf wiederfanden, konnte der neutrale Beobachter spätestens nach einer Niederlage einen neuen Artikel in der yellow press lesen. Die Topverdiener des FC Chelsea fühlten sich durch die Systemumstellung und die neue Philosophie angegriffen. Dies verwunderte nur wenig, da der neue Trainer damit ihre Vormachtsstellung angriff. Unter José Mourinho und den folgenden Trainern wurde das System auf ihre Stärken zugeschnitten. Eine tiefe Abwehrreihe für Terry und eine Freirolle für Lampard machten sie zu Chelseas Aushängeschildern. Luiz Felipe Scolari wurde auch wegen interner Grüppchenbildung aus dem Amt geekelt, der Starcoach hielt sich bei Chelsea sogar einen Monat kürzer als Villas-Boas.
Das größte Problem Villas-Boas‘ war wie bei Dutt die fehlende Konsequenz im Umgang mit seinen Diven. Manchmal spielten sie, es wurde ihnen Vertrauen geschenkt und kurze Zeit darauf fanden sie sich auf der Bank wieder. Anelka und Alex wanderten im Winter ab, letzterer sagte, er hätte sich mehr Respekt gewünscht – nicht für sich selbst, sondern für Lampard. Dieser sei ohne Erklärung oder Angabe von Gründen auf der Bank gelandet. Dies geschah, obwohl das Mikromanagement sogar als die größte Stärke des neuen Trainers galt.
Beim FC Porto war er ein Freund der Spieler geworden, hier musste er sich für die Professionalität entscheiden. Ohne die Erfahrung und die Autorität im Umgang mit Stars war dieses Experiment zum Scheitern verurteilt. Zu genau, zu ehrgeizig und zu überheblich war er ihnen. John Terry sagte sogar, dass die Spieler die Hauptschuld an seiner Entlassung trugen. Vor Abramovich kritisierten sie im Training seine Taktik und Spielweise, besonders Frank Lampard und Ashley Cole sollen ihn hierbei in ein schlechtes Licht gerückt haben. Diese Unbeliebtheit resultierte teilweise aus seiner extremen Genauigkeit.
Villas-Boas war sehr penibel, was jedes Training und Spiel betraf, doch hier stoppte er nicht. Ihm war wichtig, wann wer zum Training kam, wie er sich verhielt und wie wer mit den Mitspielern interagierte. Die Presse behauptete sogar, dass er seinen Spielern befohlen hatte, nach einem Treffer mit ihm zu jubeln. Geschichten traten an die Oberfläche, wonach die Spieler sich einen Spaß machten, möglichst spät zum Training zu kommen. Letzten Endes gab es einen klaren Bruch der Beziehung zwischen Mannschaft und Trainer. Die Altstars wollte er verkaufen, die Jungstars wurden vergrault. Josh McEachran, Oriol Romeu, Romelu Lukaku und Salomon Kalou erhielten ihre Chancen, nutzten sie sogar, mussten sich dann aber wieder hinten anstellen. Einige andere wurden bereits im Sommer verkauft, manche zum Hamburger SV. Fabio Borini reifte in der Serie A sogar zum A-Nationalspieler. Das größte Problem hierbei war dennoch, dass die neuen Spieler floppten.
Schwache Transfers
Juan Manuel Mata und Raul Meireles sind die einzig wirklichen Stammspieler von allen Neuverpflichtungen unter André Villas-Boas. Romelu Lukaku kam für 22 Millionen Euro, Oriol Romeu kostete 5 Millionen. Für 24 Millionen wechselten Lucas Piazon, Kevin de Bruyne und Gary Cahill zum FC Chelsea. Cahill sollte Terry ersetzen, spielte bislang gut, aber nicht herausragend. Die ersten beiden sind noch zu jung, um als realistische Alternative in Frage zu kommen. David Luiz und Fernando Torres kamen als Starspieler im Winter davor, beide fanden unter Villas-Boas nie in Form. Besonders letzterer erhielt dafür ausreichend Chancen, wurde Anelka und Drogba vorgezogen, konnte sich aber nie gegen den Ivorer durchsetzen.
Bei 186 Millionen € an Transferminus in den letzten Jahren fanden sich nur Ramires, Mata und Meireles in der Stammformation wieder. Dieser Umstand sollte durch Villas-Boas unabsichtlich noch schärfer in den Fokus gerückt werden. Im Gespräch mit den Medien äußerte er sich dahingehend, dass Chelsea trotz der gewaltigen Ausgaben Abramovichs nicht an die Qualität des Kaders von Ligakonkurrent Manchester City heranreichen könne. Des Weiteren verglich er Fernando Torres mit Andriy Shevchenko, der im Trikot der Blues scheiterte. Später bereute er diese Aussage, ihre Existenz konnte dennoch nicht aus dem Gedächtnis seiner Kritiker getilgt werden.
Die zahlreichen Fehleinkäufe sorgten letztlich für ein Umdenken bei Villas-Boas.
Der doppelte Verrat
Die Transfers passten nicht und die eigenen Spieler waren nicht ausreichend. Im Laufe seiner Ära veränderte Villas-Boas deshalb die Spielphilosophie. Zu Saisonbeginn hatten die Blues noch 60-70% Ballbesitz, dieser Schnitt wurde im Laufe der Zeit immer weiter nach unten korrigiert. Aktuell liegt er bei 55,3%, besonderer Wendepunkt war wohl die Partie gegen Valencia. Hier ließ Villas-Boas seine Mannschaft extrem tief stehen und Chelsea konzentrierte sich auf die ihnen zugeschriebenen Attribute. Eine defensive Stellung, Abwehrpressing und schnelles Umschalten nach vorne, anstatt das Spiel zu kontrollieren. 335 Pässe weniger als der Gegner waren ein Negativrekord unter der Fuchtel des Portugiesen.
Die Ergebnisse sollten sich kurzzeitig bessern, später gingen sie aufgrund interner Differenzen allerdings wieder nach unten. Dennoch stellt sich die Frage, ob dieser kurze Positivtrend nicht auch negativ einzuschätzen ist. Schließlich verriet Villas-Boas jene Dinge, weswegen er überhaupt geholt wurde: seine taktische Einstellung, seine radikale Veränderung der Spielphilosophie und die Art, wie der gesamte Verein aufgebaut ist. Diese Identitätsveränderung zog vermutlich einen Authentizitätsverlust nach sich. Immerhin war er mit großen Worten angetreten, ein neues Chelsea zu schaffen. Mitte seiner ersten Saison begann er ein schwächeres altes Chelsea aufzubauen, in welchem die Beziehung zwischen Mannschaft und Trainer ohnehin schon sehr problematisch war.
Die neue Generation und einige Spieler, die das System hätten spielen können, wurden nun in gewisser Weise hintergangen. Oriol Romeu zum Beispiel hatte sich kurzzeitig einen Stammplatz erspielt, verlor ihn aber alsbald wieder. Villas-Boas sah sich einem Kader gegenüber, wo ihm bis auf wenige Ausnahmen kein einziger Spieler mehr wirkliches Vertrauen schenken konnte. Ein weiterer Vertrauensverlust schien sich sogar im Trainerteam einzustellen.
Dass er sich mit mehreren Jugendcoaches und dem Trainer der Reserve zankte, blieb nur kurze Zeit ein Geheimnis. Allerdings gibt es unbestätigte Gerüchte über ein internes Problem mit dem ehemaligen Co- und jetzigen Interimstrainer Roberto Di Matteo. Nur wenige Beweise lassen sich dafür finden, ein auffälliges Interview lässt allerdings durchaus aufhorchen. Im Januar gab der damalige Assistent vor der Presse zu, dass Villas-Boas‘ mangelnde Erfahrung ein Problem darstellen könne. Erfahrung auf höchstem Niveau, wie er sie selbst besitze, sei ungemein hilfreich und nicht zu unterschätzen. Wenige Wochen später saß jener Di Matteo, ehemaliger Fanliebling und bereits bei zwei Vereinen als Trainer tätig, auf der Bank des FC Chelsea. Nach dem Erfolg gegen Barcelona besitzt er die Chance, das Finale der Champions League zu erreichen. Wenn er sich dazu noch in den Top Vier platziert, so könnte ihm sogar eine Anstellung über den Sommer hinaus winken. Etwas, was bei seinem Vorgänger und ehemaligen Chef keineswegs sicher ist.
Ein ausführliches Trainerporträt des André Villas-Boas von letztem Sommer findet sich hier.
20 Kommentare Alle anzeigen
ContraNostalgie 23. Juli 2012 um 17:45
Das ist doch völlig verklärte Fussball-Nostalgie. Man nehme nur mal das Beispiel WM 1974, als zuerst Beckenbauer als Sprachrohr der Mannschaft zum ersten Mal in der DFB-Historie Turnierprämien ausgehandelt hat und die Mannschaft dadurch im Vorfeld von den Medien komplett als Söldnertruppe beschimpft wurde. Soviel zu den Söldnern.
Bezüglich „Respekt vor den Trainern“ eine weitere Anekdote aus der WM 74: Nachdem man im ersten Gruppenspiel gegen die DDR verloren hat, wurde der Trainer Helmut Schön von der Mannschaft praktisch komplett entmachtet, da die Spieler nicht mit seiner Taktik zufrieden waren und Beckenbauer hat intern als Spielertrainer fungiert. Das ist nahezu 1:1 das, was dieses Jahr bei Chelsea passiert ist. Und genau das finde ich sehr charakterstark, denn genau solche Leute werden rückblickend immer als Helden gefeiert, in der Gegenwart aber als elende Querulanten und Söldner abgestraft. Terry, Drogba und Lampard werden aufgrund ihres Erfolges 2012 in der Chelseahistorie DIE Typen schlechthin sein, weil sie gegen einen Trainer meuterten, der das System Chelsea nicht kappiert hat.
Gerade der letzte Satz spiegelt ganz und gar nicht meine Meinung wieder, sondern ich zeige nur auf, wie Geschichte in der Rückblende völlig verwaschen wird, hauptsache es gibt strahlende Sieger oder am Boden liegende Verlierer.
Als echte Typen, die noch aktiv sind, nenne ich ohne lang zu überlegen Puyol, Casillas, Gerrard, Schweinsteiger, van Bommel, Buffon etc etc. Mittlerweile schaue ich seit 20 Jahren Fussball und es ist doch jedes Jahr wieder schön, wenn man bei einem Abschiedsspiel den Kommentator folgendes sagen hört: „Einer der letzten ganz großen Typen verlässt gerade die Bühne des Fussballs“
thomas_06 25. Juni 2012 um 15:55
RM hat hier wirklich einen tollen Artikel verfasst, der ein sehr wesentliches Problem bzw. eine bestimmte Entwicklung im Fussball aufzeigt, nämlich dass die Spieler heutzutage zu viel Macht und Einfluss haben.
Auch, wenn es sich bei Terry, Lampard oder Drogba um Spieler handelt, die in der Vergangenheit für diesen Klub schon sehr viel geleistet haben, habe ich absolut kein Verständnis für deren Verhalten oder deren Intoleranz gegenüber neue Entwicklungen/Trends. Wenn sie diesen nicht mehr gewachsen sind, sollten sie besser ihre Schuhe an den Nagel hängen, denn solche charakterlosen Söldner braucht keiner und verderben zudem nur diesen tollen Sport. Leider gibt es jedoch immer mehr Spieler mit keinem bzw. schlechtem Charakter.
Wo sind die großen Persönlichkeiten des Fussballs hin (wie zB ein Effenberg, Zidane, Del Piero, Maldini, Rivaldo oder Bergkamp uvm.), die diesen Sport noch gelebt und geprägt haben – leider eine aussterbende Rasse!?
Max Hasenauer 3. Mai 2012 um 21:35
ich finde es, trotz der erfolge chelseas in den letzten spielen und di matteo, immer noch sehr schade, dass AVB nicht mehr trainer bei den blues ist.
der job, diesen „alten haufen“ neu zu organisieren, war mit dem fakt, dass man lampard, drogba und konsorten nicht gleich zu beginn in den verdienten ruhestand geschickt hat, zum scheitern verurteilt – so hart und unfair es gegenüber diesen aushängeschildern des vereins auch klingen mag.
die taktische ausrichtung AVBs war für diese spielertypen einfach nicht geeignet und ein machtkampf, welchen AVB sehr schnell verloren hat, die logische folge.
geben die erfolge di matteos jetzt den spielern oder avb recht? schwer zu sagen, da avb im laufe der saison wohl selbst, auf grund des medialen und des vereinsinternen (ra) drucks, wieder das alte chelsea rekonstruieren wollte. di matteo führt diesen weg jetzt konsequent fort – aber bei allem respekt, das ist definitiv kein weg für die zukunft!
man hatte mit AVB die einzigartige chance, mit ein wenig mehr konsequenz und vertrauen in seine fähigkeiten, etwas einzigartiges aufzubauen und den verein als ganzes in einer moderneren form neu auszurichten. ich bin mir ziemlich sicher, dass eine erfolgreiche neustrukturierung nur unter der prämisse, dass die verdienten spieler in die 2. reihe zurücktreten, zu bewältigen ist. sollte sich das nicht ändern, wird auch der nächste trainer scheitern: nämlich dann, wenn auch die ergebnisse mit dem „alten chelsea“ (welch wortwitz) nicht mehr den wünschen entsprechen.
asti80 25. April 2012 um 16:17
Einen Villas-Boas würde ich gern bei Barca sehen. Ich denke seine Affinität zum 4-3-3 würde sehr gut zur Philosophie Barcas passen.
Was auch ein Plus für ihn wäre, ist seine Vorliebe mit eher jüngeren Spielern, als mit Topstars zu arbeiten.
Bei Barca hätte er ein quasi unerschöpfliches Reservoir an Talenten, die er seinen Vorstellungen nach formen kann. Die Frage ist, ob er es auch mit den arrivierten Spielern wie Pujol oder Pique hinkriegen kann. Aber da bin ich guter Dinge, denn diese Spieler identifizieren sich total mit Barca.
Bern 1989 25. April 2012 um 13:40
Möglicherweise gibt ja Guardiola heute bekannt, dass er bei Barça nicht verlängert. AVB als Nachfolger, warum nicht? Zu Barça würde sein Konzept eher passen.
RM 25. April 2012 um 13:44
Villas-Boas sieht Guardiola auch als sein Vorbild und angeblich soll Guardiola ihn einst als potenziellen Nachfolger genannt haben. Ich denke aber, dass Guardiola nicht nach diesem Saisonende aufgrund dem Verlauf desselben gehen wird.
Bern 1989 25. April 2012 um 14:24
Laut spanischer Presse will er heute mit Rosell sprechen und sich entscheiden.
Er hat ja in den letzten Jahren öfter erklärt, dass er den Job nicht ewig machen will. Und so lange wie diesmal hat er sich mit der Verlängerung noch nie Zeit gelassen, so dass in der Tat viel dafür spricht, dass er seine Entscheidung vom Ergebnis der Saison abhängig machen wollte.
Aber dennoch halte ich beides für möglich. Es kann sein, dass er sagt, dass er jetzt nicht gehen kann (dass man ihn rauswirft, steht ja eh nicht zur Debatte) und es in der Tat nächste Saison nochmal allen zeigen will, dass seine Spielphilosophie nicht am Ende bzw. „besiegt“ ist. Es kann aber auch sein, dass er sagt, dass Barça gerade jetzt frischen Wind auf der Bank braucht. Würde ich ihm auch zutrauen.
asti80 25. April 2012 um 00:49
Ich denke Villas Boas ist in London an den alteingesessenen Spielern wie Lampard und Terry gescheitert. Mit diesen alten Recken kann man keinen modernen, offensiven Fussball spielen. Es ist auch die Frage des Alters, denn inzwischen müssten die alle so über die 30er-Grenze sein, da kann der Körper keine 90 Minuten wie ein Windhund über den Platz hetzen. Und darauf kam es bei Villas-Boas System ja an.
schöner ist das 24. April 2012 um 23:21
Schöner Bericht, aber leider habe ich einige Probleme, manche Stellen zu verstehen. Was bedeutet dieser Satz: „Beim FC Porto war er ein Freund der Spieler geworden, hier musste er sich für die Professionalität unterscheiden.“?
unterscheiden=ändern?
maverick.91 25. April 2012 um 13:35
soll denke ich mal entscheiden heissen
RM 25. April 2012 um 13:40
Natürlich. Ich danke, hatte ich ganz übersehen!
Stehtribüne 23. April 2012 um 22:43
Bei Chelsea ist wirklich einiges schiefgelaufen. Zuerst sah es wirklich gut aus für das Team aus London. AvB hatte die Spieler die in sein System gepasst hätten. Drogba oder Torres als Falcao (Lukaku ist zwar ein Riesentalent trotzdem muss man sich als junger Spieler aus Belgien erst einmal an England gewöhnen), Sturridge in der Rolle.von Hulk, Mata sollte den Part von Varela einnehmen. Soweit zur Offensiven Ausrichtung. Auch im Mittelfeld hatte er die, wie im Text angesprochenen, zentralen Mittelfeldspieler. Mit Essien Lampard und Ramires hatte man theoretisch das perfekte Dreieck. Auf der Bank hätte man noch Mikel, Meireles und Romeu gehabt. So weit war auch alles perfekt geplant. Defensiv hatte man mit Bosingwa, Cole und Luiz sehr schnelle Verteidiger die AvB’s System eigentlich hätten umsetzen können. Warum letzendlich die Spieler in Porto das System besser verstanden oder umsetzten konnten, als die des Chelsea FC bleibt wohl ein Rätsel. Vielleicht liegt es an der Spielweise Englands, indem kein 4-3-3 funktioniert, man weis es nicht. Fakt ist das Chelsea einen sehr sympathischen Trainier verloren hat, der leider ruhmlos in London versagte
JayM 26. April 2012 um 23:31
Es stimmt zwar, dass in England dogmatisch am 4-4-2 (und einigen wenigen Varianten) festgehalten wird, aber Mourinho war höchst erfolgreich mit seinem 4-3-3 bei Chelsea. Auch Ferguson hat regelmäßig 4-3-3 gespielt als er die richtigen Leute (sprich Cristiano Ronaldo ;)) dafür hatte. Auch Swansea spielt heuer sehr erfolgreich 4-3-3 (als Aufsteiger!).
Das Problem mit AVB war eher – wie oben gut dargestellt – dass der junge Mann gedacht hat, er kann hier einfach alles im Handumdrehen umstellen und verdiente Veteranen ignorieren, als würde er FIFA Manager spielen. Und an der einflussreichen Gruppe um Lampard/Terry/Drogba haben sich schon viel gestandenere Trainer die Zähne ausgebissen (Hiddink, Scolari).
Sten 23. April 2012 um 20:37
Sehr interessanter Artikel, danke, auf so eine Analyse von Villas-Boas‘ Scheitern habe ich gewartet. Einziger Kritikpunkt: Lukakus Transfer würde ich ihm nicht anlasten, an dem Mann war schon länger halb Europa dran und auch der FC Chelsea, bevor AVB dort war.
RD 23. April 2012 um 20:26
Dass Di Matteo nicht auf Villas Boas‘ Seite stand ist Blödsinn, er war es nämlich der nach dem ersten Sieg nach VillasBoas‘ Entlassung sagte, dieser Sieg sei für seinen früheren Chef und sagte wie bedaurlich es sei dass dieser junge Trainer keine Zeit bekam. Außerdem ist die Aussage David Luiz habe sich nicht zum Stammspieler entwickelt und hätte nicht gut gespielt falsch, da er meiner Meinung nach neben Ramires der beste Chelsea spieler der letzten Monate war.
Aber trotzdem wieder einmal exzellenter Artikel! 😉
Ich schaue täglich hier vorbei
Weiter so!!
dns 27. April 2012 um 19:22
Also ich würde Trainern (und allen anderen leitenden Angestellten einflussreicher Firmen) nicht alles glauben , was sie in Interviews sagen. Schon garnicht denen, die ausreichend gut sind, um sich in Top-Clubs zu etablieren. Die wissen nicht nur viel über Fussball, sondern auch wie man sich vermarktet und Konkurrenten kalt stellt. Mancher weiß sogar, wie man die Medien umgarnt. Diese Aussage ist einfach etwas, was er sagen musste. Jemandem Siege widmen oder Schriftzüger unterm Trikot und all das Zeug, dass ist Zucker für den Boulevard, das ist Rosamunde Pilcher für Fussball-Romantiker.
firedo 23. April 2012 um 19:19
Schöner Artikel, aber trotz der Länge nicht viel neues.
Das Meiste ließ sichbereits in den Boulevard-Medien oder dem bereits vorhandem Trainerportrait nachlesen.
JayM 26. April 2012 um 23:24
In der Tat leider nichts Neues, wenn man die englischen Medien verfolgt – allerdings trotzdem eine sehr gute Zusammenfassung der Geschehnisse 🙂
Lino 23. April 2012 um 17:51
Ein wunderbares Beispiel dafür, dass die Fußball-Branche mit Abstand zu den am wenigsten progressivsten Bereichen der Gesellschaft zählt 😉
ZB ;-) 23. April 2012 um 17:38
Ein Kompliment an den Autor RM…
Perfekter Artikel… Muss sich echt gut mit Chelsea auskennen… Unglaubliches Background Wissen…;)
Weiter so…;-)