Liverpool FC – Everton FC 2:1
Mit geschickter Überlegenheit auf rechts überzeugte Everton zunächst – doch nach der kuriosen Führung agierte man zu defensiv und wurde schließlich von Liverpools Flanken, hohen Bällen und Standards erdrückt.
Es war wieder Derby-Zeit – im ersten Halbfinale des 131. FA-Cups trafen die beiden erbitterten Rivalen von der Merseyside zum Duell in Wembley aufeinander.
Bei Kenny Dalglish stellt sich immer die Frage, welche Grundformation er wählt – mit gleichem Personal kann diese mehr ein 4-4-2 und ebenso mehr ein leicht asymmetrisches 4-3-3 darstellen. Für dieses Spiel wählte die schottische Liverpool-Legende erstere Variante aus und ließ somit die gleiche Formation wie sein Gegner auf der anderen Seite, David Moyes, spielen.
Spielverlauf
Drei Tore fielen – das Siegtor nach 88 Minuten nach einem Freistoß, die beiden anderen nach groben Fehlern in der Defensive. Mitte der ersten Halbzeit waren sich zunächst Carragher und Agger nach einem langen Ball nicht einig, so dass getreu dem Motto „Nimm du ihn, ich hab ihn sicher“ ein gegnerischer Spieler angeschossen wurde, von dem der Ball zu Jelavic sprang, der verwandelte. Nach einer guten Stunde war es dann Suárez, der einen zu kurzen Rückpass Distins erlief und Howard zum Ausgleich überwand.
Auch wenn der Führungstreffer für Everton auf kuriose Weise sowie aus einer Abseitsposition fiel, waren die Toffees bis hierhin die bessere Mannschaft gewesen und hatten sich den Treffer verdient. Anschließend zog man sich sehr weit in die eigene Hälfte zurück und verteidigte den knappen Vorsprung, was auch recht gut klappte, da sich Liverpool kaum nennenswerte Torchancen erspielen konnten, wobei auch Everton zu selten seine Konter in Gang bekam. Vorne war Jelavic isoliert – nicht das erste Mal, dass Everton dieses Problem hatte – und man konnte die Bälle nicht halten, weshalb man auch später Fellaini als hängende Spitze einsetzte. In der zweiten Halbzeit wurden die Reds nicht nur immer dominanter, sondern auch immer gefährlicher – spezielle die Phase nach dem Ausgleich wurde klar von ihnen bestimmt, weshalb der Sieg letztlich durchaus in Ordnung ging. Doch wieso wirkte man hinten unsicher und anfällig, während man vorne gegen einen kompakten Gegner zunächst kaum gefährlich wurde? Und wie schaffte man es letztlich, die Gewichte doch noch stark zu den eigenen Gunsten zu verschieben?
Liverpools defensive Unsicherheit
Einige Verwunderung löste doch die Aufstellung der Reds aus, welche den dort nicht ganz sicheren Agger anstelle von Jose Enrique als Linksverteidiger vorsah. Wahrscheinlich traute sich Kenny Dalglish nicht, Liverpools Urgestein Jamie Carragher auf die Bank zu verdammen – und dies ist schon die ganze Saison über ein großes Problem, denn aufgrund seiner fehlenden Schnelligkeit muss man tiefer stehen und verliert dadurch an Kompaktheit.
Weil außerdem Suárez und Carroll gerade zu Beginn kaum defensiv arbeiten, sondern sich vorne für Konter anboten und somit große Lücken zum Mittelfeld ließen, hatte Everton im zentralen Mittelfeld alle Zeit, ihre Angriffe gegen die nur mit acht Spielern verteidigenden Reds aufzubauen. Dass auch Downing und Henderson gegen ihre Außenverteidiger nicht immer konsequent genug verteidigten, rührte die vorhandene Unsicherheit in Liverpools Defensive weiter an.
Leon Osman – offensiver Schlüsselspieler für Everton
Leon Osman gehört sicherlich zu den Spielern, die sehr viel für ihren Klub leisten, aber bezüglich der öffentlichen Wahrnehmung durchaus als „unbesungene Helden“ einzustufen sind. Auch in dieser Partie war er an den entscheidenden Angriffen seiner Mannschaft beteiligt.
Seiner beweglichen und umher streifenden Spielweise kam es entgegen, dass er zwischen dem eher tiefen Agger und dem eher hohen Downing sowie im Rücken von Gerrard einiges an Raum vorfand. Von dort konnte er – gelegentlich unterstützt von Phil Neville – in die Mitte ziehen und mit den beiden Stürmern kombinieren. Gerade Cahill, gelegentlich zusätzlich auch Jelavic, kippte immer wieder zur rechten Seite ab, bot sich als Wandspieler an und band sowie blockte gleichzeitig potentielle Gegenspieler Osmans, der anschließend entweder Jelavic oder den einlaufenden Gueye bediente. Ebenso rochierte er gelegentlich auf die linke Seite und versuchte diesen dort zu unterstützen.
Seine Läufe ins Zentrum und sein Zusammenspiel mit den Stürmern waren die gefährlichste Offensivwaffe der Toffees und produzierten im ersten Durchgang auch drei oder vier gute Gelegenheiten, die man allerdings nicht gut ausspielte, da Osman auch in manchen Situation den Pass nicht druckvoll oder zum falschen Zeitpunkt anbrachte.
Liverpools Harmlosigkeit
Spätestens nach dem Rückstand musste Liverpool dann etwas tun, doch aus ihrer Dominanz entstanden gegen das sehr tiefstehende Everton kaum Torchancen. Im zentralen Mittelfeld war die Aufteilung zwischen den beiden Spielern so, dass der eine den Spielaufbau organisierte, während der andere relativ weit vorstieß. Wirklich bewirken konnte allerdings nur Gerrard etwas, denn Spearing fehlte meistens die Handlungsschnelligkeit und wurde als mehrheitlich tieferer Sechser gelegentlich auch von Cahill abgeschirmt.
Zwar konnte Gerrard einige gute Seitenwechsel und Spielverlagerungen zeigen, doch spätestens ab dem Übergang zum letzten Spielfelddrittel wurde er meistens von Darren Gibson eng und gut bewacht, was ihn so sehr nervte, dass er immer wieder mit Spearing die Seiten tauschte, um von Gibson weg zu kommen. Währenddessen bewachte Fellaini mit seiner Athletik den Raum vor der Abwehr und nahm dabei auch Suárez auf, der erneut viel rochierte, aber oftmals zu weit nach hinten ging oder zu weit vorne blieb und erst im zweiten Durchgang das richtige Maß fand und seine Mannschaft mit starken Aktionen inspirieren konnte.
Außerdem Downing bekam nicht genug Support von Agger, stand zwar recht breit, um Everton auseinander zu ziehen, konnte sich aber im Dribbling kaum durchsetzen. Allerdings wäre eine effektive Pärchenbildung auf den Flanken essentiell zum scheinbar stark darauf ausgerichteten Matchplan Dalglihs gewesen. Daher wechselte er auch später die Seiten mit Henderson – hinten war man stabiler, vorne effizienter im Angriffsspiel, da die Abstände der wichtigen Außenpärchen nun viel besser passten. Dennoch blieb es weiterhin zu häufig bei Flanken oder längeren Pässen auf die Stürmer, doch kamen diese zunehmend erfolgreicher.
Liverpools Verbesserungen im zweiten Durchgang
Schon nach dem Rückstand hatte Liverpool das Kommando und die Initiative übernommen, doch erst nach dem Seitenwechsel konnte man auch mehr Gefahr entfachen. Es war auffällig, dass man als Kollektiv weiter aufrückte und für mehr Kompaktheit sorgte. Zwar war dies ein kleines Risiko, doch sollte es sich auszahlen, da man Everton auf den Außen gut zurückdrängte und diese aufgrund ihrer enorm tiefen Stellung die Konterangriffe immer unter Einbezug der zentralen Spieler fahren musste, was Liverpool aber gut verteidigte – mit Gegenpressing oder der Lufthoheit bei langen Bällen. Zudem konnte man mit Carroll und vor allem Suárez nun vorne auch sinnvoll attackieren, da diese nicht mehr so einfach umspielt werden konnten.
Nicht zuletzt führte das kollektivere Aufrücken auch dazu, dass die beiden vorherrschend eingesetzten taktischen Mittel – Flanken und weite, hohe Bälle – deutlich effektiver waren, da man zum einen nach dem Zusammenspiel über die Pärchen auf der Außenbahn mehr Abnehmer für die Flanken und zum anderen bei hohen Bällen bessere Chancen hatte, etwaige zweite Bälle oder Abpraller zu erobern.
All diese Punkte sollten sich auszahlen: Der Ausgleich wurde erst durch den Druck Suárez´ ermöglicht und Siegtorschütze Carroll hatte vor seinem Treffer bereits die zwei besten Chancen für seine Farben – einen Kopfball nach einer Flanke und einen Schuss nach einem gewonnenen zweiten Ball.
Fazit
Hätte Everton sich nach der Führung nicht so weit zurückgezogen, hätte man dieses Spiel wohl besser gestalten können – im Nachhinein ein Fehler David Moyes´. Insofern war diese glückliche Fügung zum 1:0 letztlich eine bittersüße Wendung. Zunächst war Moyes mit seinem Team auch dank taktischen Gesichtspunkten überlegen gewesen, während Liverpool an üblichen Problemen zu knabbern hatte. Dann entschied man sich auf Seiten der Reds aber, das Spiel über die Außenbahnen und über Carroll konsequent zu forcieren und wurde für diese Konsequenz – angetrieben von Suárez und Gerrard – letztlich mit einem Carroll-Siegtor belohnt. Im Finale geht es dann gegen Chelsea oder Tottenham, während für Everton der Titeltraum in einem Trauma des „Sekundentods“ endet – damit haben sie in diesem Wettbewerb zuletzt schon einige Erfahrungen gemacht.
3 Kommentare Alle anzeigen
flo 16. April 2012 um 17:10
naja naja…. für mich war es eher ein gewagtes 3-5-2 mit agger,skrtel und carragher als innenverteidiger. johnson nach vorn gezogen,damit henderson auch durch die mitte kommen kann.
mit maxi für henderson ging downing auf rechts, brauchte keinen support von johnson, der dann erst eine „viererkette“ aufbaute (agger ist wahrlich kein rechtsverteidiger).
ballamy für downing brachte dann die möglichkeit für ein offensiveres 3-4-3 (liverpool wollte gewinnen).
meiner meinung nach hätte enrique für carragher kommen sollen,damit ein klassische 4-4-2 auch auf links mit downing funktioniert.
maxi hätte sowieso in der starelf stehen müssen!!
Daniel 15. April 2012 um 22:49
Interessant wird Liverpool, wenn sie es schaffen, Carrols gigantische kopfballpräsenz zu nutzen. Dieser Junge ist im aerial combat unglaublich und so gut wie unschlagbar. Damit eröffnet sich Liverpool (aus meiner Sicht endlich) die Möglichkeit unheimlich gefährlich durch lange Bälle zu werden – insbesondere wenn Carrol zwei Spieler so binden kann und auf Suarez oder einen aufrückenden Gerrard ablegen kann. Interessant wäre id Hinsicht taktisch eine zeitliche spielentwicklungsanalyse aufzustellen warum im modernen Fußball iVgl. zu den „alten“ Zeiten die taktische Variante des hohen langen Balls so verpönt ist. Wobei sie gegen den modernsten Stand der Dinge – Barca – wenn du so einen Spieler wie Carrol hast, unheimlich gut funktionieren würde.
Totaalvoetball 15. April 2012 um 21:52
Wiedermal ein hervorragender Artikel! Kenny Dalglish ist ja ein sehr interessanter Trainer was die Einstellung und Taktik seiner Mannschaft angeht. Michael Cox hat zu ihm auch einen sehr interessanten Artikel für „Life’s a pitch“ geschrieben und kritisiert ihn darin auch, dass Dalglish durch seine Taktiken nicht nur seine Gegner, sonder auch sein eigenes Team verwirrt.