Türchen 20: Aston Villa – Bayern 1982 – BE
Latteks Bayern enttäuschen gegen kompakte Solidität.
Es war angerichtet: Die Bayern mit einem formidablen Kader voller ehemaliger und baldiger Weltmeister, gegen die nur im Tabellenmittelfeld stehenden Engländer aus Birmingham, Aston Villa.
Bayern München hatte in der Bundesliga nicht die allerbeste Saison gespielt. Als amtierender Meister landeten sie nur auf dem dritten Platz hinter dem HSV und Köln. Für Aston Villa hingegen lief es in der nationalen Liga noch bescheidener, nur mit einem elften Platz. So gingen die Bayern dennoch als Favorit ins Spiel. Die Frage stand im Raum, welche Serie reißen würde: Die in Finalspielen noch ungeschlagenen Bayern oder sollte doch zum sechsten Mal in Folge ein englisches Team den Cup der Landesmeister gewinnen?
Villas funktionales 4-4-2
Für einen Verein, dessen Geschichte oft zwischen dem Mythos des schlafenden Riesen und der harten Realität schwankt, stellt der Sieg von Aston Villa im Finale des Europapokals 1982 einen unwahrscheinlichen Höhepunkt dar. Es war kein Triumph überwältigender Talente, sondern von Struktur, Entschlossenheit und kollektiver Klarheit, auf die sich englische Mannschaften dieser Ära so oft verlassen haben. Dies war kein Spiel mit ausgeprägten taktischen Innovationen, sondern eine Demonstration, wie eine Mannschaft aus einer einfachen Struktur das Maximum herausholen kann. Das 4-4-2 von Villa unter Tony Barton, der die Mannschaft nach dem Rücktritt von Ron Saunders mitten in der Saison übernommen hatte, war pragmatisch, aber kohärent. Die Flügel Tony Morley und Gary Shaw wechselten zwischen breiten Positionen, um Bayerns Defensive horizontal auseinander zu ziehen, und dem Rückzug in die Halbräume, um die Außenverteidiger zu Fehlern zu zwingen.
Das Mittelfeldduo Dennis Mortimer und Gordon Cowans agierte nicht mit Raffinesse, sondern mit funktionaler Intelligenz. Einer ging ins Pressing, der andere sicherte die Räume ab; einer verteilte die Bälle, der andere attackierte die zweiten Bälle. Weitaus wichtiger war jedoch ihre horizontale Staffelung: Einer rückte auf Breitner oder Dremmler vor, der andere blockierte mit seinem Deckungsschatten die Anspielmöglichkeit zu Karl-Heinz Rummenigge, der sich gerade in der ersten Hälfte immer wieder zurückfallen ließ. Die Staffelung verhinderte, dass das Mittelfelddreieck der Bayern Überzahlsituationen im Zentrum nutzen konnte, sondern stattdessen oft auf die Außen ausweichen musste. Die Viererkette Villas agierte kompakt und vorsichtig, indem die Außenverteidiger nur minimal herausrückten. Oberste Priorität war es, das Zentrum zu verdichten und das Spiel in die Breite zu zwingen.
Offensivansätze der beiden Teams
Villa versuchte nur selten, aus der eigenen Hälfte heraus aufzubauen, sondern nutzte stattdessen frühe direkte Bälle in die Halbräume, um die oft aufgerückten Außenverteidiger der Bayern in Bredouille zu bringen. Das Sturmduo aus Withe und Shaw ging über die klassische Beschreibung aus einem „big man“ und einem „runner“ hinaus. Ablagen der beiden Angreifer untereinander zwangen die Münchener Defensive mehrfach zu Klärungsaktionen in und um die eigene Box. Zudem zogen Shaws diagonale Bewegungen die Innenverteidiger seitlich weg und öffneten Räume für Cowans aus dem Mittelfeld.
Die Struktur des FC Bayern, nominell ein 4-3-3, gab Paul Breitner und Wolfgang Dremmler, große Verantwortung für die Spielgestaltung. Jedoch fehlte es dem deutschen Meister an vertikaler Effektivität. Die Anspiele auf den häufig zurückfallenden Rummenigge blieben zu ungenau. Die weiten Diagonalbälle von Klaus Augenthaler auf Dieter Hoeneß verteidigte Villas Block aufmerksam. Auch die Dribblings der Flügelstürmer Mathy und Dürnberger nach innen erfolgten zumeist als Einzelaktionen, die das gegnerische 4-4-2 daher auffangen konnte. So verfügten die Bayern in den Worten Jonathan Wilsons nur über „prosaische Kontrolle“: Sie hatten den Ball, aber Villa den Raum.
Villas Siegtor und Bayerns Schlussoffensive
Villas Siegtor in der 67. Minute war kein Zufallsprodukt, sondern direkte Konsequenz des strukturellen Risikos der Bayern. Da beide Außenverteidiger weit vorne standen und das Mittelfelddreieck auf geduldiges Passspiel statt auf Gegenpressing ausgelegt war, konnte Villa nach einem ungenauen Pass einen entscheidenden Konter fahren. Die defensive Staffelung fehlte und die Münchener standen ohne ordentliche Absicherung da. Beim Stand von 0:0 verteidigten sie hinten im 2gegen2 – zumal noch die gegenseitige Absprache in dieser Situation nicht funktionierte, war das Gegentor die Quittung.
Als Reaktion auf den Rückstand nahm Bayern-Trainer Udo Lattek eine aggressive Umstellung vor: Er schob Breitner in eine Art Zehner-Rolle und wies Rummenigge an, stärker die Spitze zu halten. Dies führte jedoch nur dazu, dass die Aufbaustruktur noch flacher wurde. Mit weniger Passwegen und mehr Spielern, die denselben vertikalen Raum besetzten, griff das Team auf vorhersehbare Muster zurück: Flanken aus der Tiefe, Distanzschüsse gegen Villas gutes Blockverhalten und lange Phasen sterilen Ballbesitzes.
Fazit
Die defensive Klarheit von Villa verdient Anerkennung, aber die taktische Sturheit der Münchener war entscheidend. Ihr System war darauf ausgelegt, den Gegner auseinanderzuziehen, aber Villa konzentrierte sich auf Kompaktheit. Ihr Plan basierte auf Positionswechseln, die aber nur oberflächlich umgesetzt wurden. Ihre nominelle Überlegenheit im Mittelfeld kam nie zum Tragen, weil es ihnen nicht gelang, die räumliche Basis dafür zu schaffen.
In Rotterdam reichte Ballbesitz allein nicht aus. Bayern kontrollierte den Ball, Villa die Struktur. Und im Spitzenfußball gewann auch damals die Struktur – wenn sie mit der Disziplin ausgeführt wird, die Villa in jener Partie an den Tag legte.
BE schaut gerne über den Tellerrand hinaus und zieht die Finesse der Fitness vor. Heuer arbeitet und lebt er in Warschau, Polen, und steht auch als Enddreißiger noch mit seinen Copa Mundial in der Innenverteidung und versucht der nächsten Generation die Liebe zum Spiel zu vermitteln.
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