Türchen 18: AC Milan – Ajax Amsterdam 1969 – MH
Im Finale des Europapokals der Landesmeister 1969 verliert das von Rinus Michels trainierte Ajax Amsterdam mit 1:4 gegen AC Mailand. Letzten Endes schlägt das italienische Catenaccio den noch nicht ausgereiften holländischen Totaalvoetbal – vorerst.
Eine Einordnung des Finals in die taktische Historie des Fußballs
Mit dem verlorenen Finale 1969 leitete Ajax Amsterdam die große Wende des Ballbesitzfußballs ein. Während die Grundlagen für den später so erfolgreichen Totaalvoetbal bereits Ende der 60er durch Rinus Michels gelegt wurden, startete Ajax Amsterdam in den 70ern voll durch und dominierte sowohl in der heimischen niederländischen Liga als auch auf europäischer Bühne. Zwischen 1971 und 1973 holte Ajax Amsterdam dreimal hintereinander den Europapokal der Landesmeister.
Der AC Mailand wiederum wurde im Finale 1969 durch Trainer Nereo Rocco geführt. Dieser war bereits von 1961 bis 1963 Trainer bei den Mailändern und machte sich in dieser Zeit vor allem durch das Catenaccio einen Namen. Rocco war neben Helenio Herrera bei Inter Mailand der wohl bekannteste Trainer des Catenaccios der 60er Jahre.
Im Gegensatz zu dem beim Erzrivalen tätigen Herrera (auch bekannt als der „Totengräber des Fußballs“) setzte Rocco allerdings nicht ausschließlich auf tiefes Verteidigen. Die Spielweise der Rossoneri war ebenso durch technisch besonders versierte Spieler, wie Rivera oder auch Prati, offensiv geprägt. Seine zweite Amtszeit bei der Rossoneri sollte von 1967 bis 1972 andauern. Im Finale 1969 gegen Ajax waren die Einflüsse des in den 60ern in Italien so erfolgreichen Catenaccios jedenfalls deutlich spürbar.
Das Finale 1969 stand somit inmitten einer Zeitenwende des europäischen Fußballs. Mit Rinus Michels und Nereo Rocco trafen zwei Trainer aufeinander, die einen immensen Einfluss auf zwei der bis heute bekanntesten und einflussreichsten Fußballtaktiken hatten. Auch wenn in diesem Finale 1969 Mailand verdient mit 4:1 gewinnen konnte, so hatte sich das Blatt doch spätestens mit dem 6:0 Erfolg Ajax Amsterdams 1973 im europäischen Supercup gegen die noch im Stile des Catenaccio verteidigenden Mailänder gewendet.
Damit beerdigte der sich in den erfolgreichsten Zeiten befindende holländische Totaalvoetbal zunächst das in den 70ern nun unattraktiv gewordene italienische Catenaccio. Die Manndeckungen auf der letzten Linie waren gegen die Positionswechsel des Totaalvoetbals schlicht und ergreifend nicht mehr geeignet. Nicht ohne Grund schaffte es Italien bei der WM 1970 bis ins Finale gegen Brasilien, während die Niederlande im WM-Finale 1974 überraschend gegen die BRD verlor.
Aufstellungen, Spieler und Co.
Zurück zum Finale 1969: Ajax Amsterdam startete aus einer Art 4-2-4 / 1-3-2-4 / 1-3-2-1-3 rund um Führungsspieler Johan Cruijff. Dieser war so ziemlich überall auf dem Feld wiederzufinden. So ließ er sich sehr häufig von der linken Halbstürmerrolle ins Mittelfeld oder noch weiter fallen. Mit den beiden auf den Außenstürmer Positionen spielenden Swart und Keizer sowie den sich in der defensiven 4er bzw. 3er Kette befindlichen Suurbier auf rechts und Hulshoff zentral bzw. halbrechts hatte Ajax bereits 1969 einen wichtigen Teil des von 1971 – 1973 so erfolgreichen Teams in der Startaufstellung. Auf der zentralen bzw. halbrechten Stürmerposition agierte noch der klassische Mittelstürmer Danielsson.
Als Libero spielte zudem der 1970 durch den deutschen Blankenburg ersetzte Vasovic. Nach dem verlorenen Finale 1969 sollte Rinus Michels seinen linken Verteidiger van Duivenbode absägen. Ironischerweise gewann dieser im Jahr darauf mit dem ärgsten Konkurrenten Feyenoord Rotterdam 1970 als erste niederländische Mannschaft den Europapokal der Landesmeister, bei dem Ajax aufgrund des verlorenen Finals 1969 lediglich zuschauen konnte.
AC Mailand startete aus einer Art 3-2-2-3/ 1-3-1-2-3 / 4-1-2-3 Formation. Mit Anquilletti, dem deutschen Schnellinger, Rosato und Malatrasi hatte die Elf von Nereo Rocco direkt vier überaus zweikampfstarke Spieler auf dem Feld. Anquilletti nahm auf links Swart in Manndeckung und Rosato auf rechts Keizer. Aufgrund der Ende der 60er noch verbesserungswürdigen Auflösung des Fernsehbildes ließ sich nicht mit absoluter Sicherheit erkennen, ob Schnellinger oder Malatrasi als Libero agierte. Vor der bereits sehr zweikampfstarken Abwehrformation spielte auf halbrechts meist gegen Cruijff Sechser Trapattoni.
Mit Rivera auf der halbrechten 10 und Lodetti halblinks hatte die Rossoneri zwei technisch sehr starke offensive Mittelfeldspieler. Die Flügel wurden durch Prati und Hamrin besetzt. Prati startete auf dem linken Flügel, lief in der zweiten Halbzeit dann auf dem rechten Flügel auf. Beide Flügelspieler waren hervorragende 1gg1 Spieler und konnten gemeinsam mit 10er Rivera mit dem ihnen zur Verfügung stehenden Raum beim Kontern immer wieder ihre Gegenspieler sehenswert ausspielen. Komplettiert wurde die Offensive durch Stürmer Sormani.
Mailänder Anfangsdominanz
Die ersten Minuten des Spiels dominierte AC Mailand die Partie. Bereits in der 1. Minute suchte 10er Rivera mit einem hohen Ball Mittelstürmer Sormani. Gleichzeitig verließ Prati seine Position auf dem linken Flügel und versuchte im Zentrum anspielbar für eine Ablage des hoch angespielten Sormanis zu werden, um zentral zum Abschluss zu kommen. Erstmal traf er nur den Pfosten.
In der 7. Minute erzielte Mailand dann das 1:0. Auch hier verließ Prati seine eigentliche Position auf dem Flügel und wurde im Zentrum anspielbar. Dadurch konnte Mailand das Mittelfeld überbrücken. Die anschließende Hereingabe von Sormani verwertete Prati mit dem Kopf. Dadurch, dass Prati seinem Gegenspieler immer wieder über das Zentrum entkommen konnte und anspielbar wurde, konnte sich Mailand in der Anfangsphase leicht Torchancen erspielen.
Mailänder Catenaccio gegen noch nicht ausgereiften Amsterdamer Totaalvoetbal
In der Folge zog sich Mailand im Verteidigen weiter zurück. Attackiert wurde, wenn überhaupt, frühestens ab der Mittellinie. Auffällig war, dass Mailand gar nicht den Plan hatte, Druck auf den Ballführenden auszuüben. Man fokussierte sich auf das Blocken von Pässen oder Dribbelwegen ins letzte Drittel. Zwar konzentrierten sich die vier Offensivspieler Sormani, Rivera, Prati und Hamrin hauptsächlich auf das offensive Umschaltspiel, jedoch sah man situativ immer wieder alle vier Spieler sich defensiv beteiligen.
Während 10er Rivera immer wieder aus dem Rücken des Gegenspielers den Ball klaute, fingen Prati und Hamrin Pässe auf die Flügel ab. Dadurch konnte Mailand regelmäßig früh gegen das aufgerückte Ajax Bälle gewinnen und kontern. Mit den besonders zweikampfstarken Defensivspielern konnte Mailand das Spiel vor dem Strafraum besonders kompakt machen, sodass sich die Dribblings von Cruijff und Co. schnell verfingen.
Ajax versuchte gegen das Mailänder Defensivspiel seine Verteidiger offensiv mit einzubinden. Insbesondere Suurbier aber auch Hulshoff dribbelten sehr häufig bis weit in die gegnerische Hälfte an. Das Hauptproblem von Ajax war allerdings das zu stark auseinandergerissene Mittelfeldzentrum. Zu groß waren die Abstände im Zentrum, sodass Mailand hier ballnah immer wieder Überzahlsituationen hatte.
Mailand verteidigte kompakt und Ajax versuchte, die Abstände groß zu halten, was allerdings insbesondere im Zentrum nicht gelang. Dadurch gelangen Ajax selten längere Kombinationen in Ballbesitz. Spätestens am gegnerischen Strafraum verfingen sich die Angriffsversuche aufgrund der besonderen Kompaktheit der Mailänder. Die Folge war ein durch Mailänder Konter zerfahrenes Spiel.

Mailand macht das Zentrum vor dem Strafraum mit zweikampfstarken Spielern sehr kompakt. Die Räume vor der Abwehr kann Ajax nicht ausnutzen, da die Abstände im Mittelfeld zu groß sind.
Zwar ließen sich in Ajax Spiel bereits einige für den Totaalvoetbal typische Positionswechsel erkennen, jedoch beschränkten sich diese weitestgehend auf das offensive Einschalten der Verteidiger sowie den „freien Spieler“ Cruijff. Dieser holte sich zwar immer wieder den Ball von hinten ab und setzte zum Dribbling an, scheiterte allerdings wiederholt an der kompakten und zweikampfstarken letzten Abwehrreihe der Mailänder. Zu selten versuchte Ajax gezielt die Manndeckungen auf der letzten Linie durcheinander zu bringen oder alternativ gezielt mehr Spieler in das Mittelfeldzentrum zu bringen, um sich von dort weiter in Richtung der gefährlichen tornahen Zonen zu kombinieren. Stattdessen kam es zu einem durch Milan defensiv dominiertes Spiel.
Während Ajax dadurch in der Folge kaum zu nennenswerten Torchancen kam, erzielte Mailand durch das zweite Tor von Prati das 2:0 noch vor der Halbzeitpause. Nach einem Ballgewinn konterten die Mailänder über Rivera und Prati. Einmal mehr suchte Prati von dem Flügel aus das Zentrum, um von dort aus frei angespielt zu werden und zum Abschluss zu kommen. Das einzige Tor für Ajax an diesem Abend sollte durch einen von Mailand im Spielaufbau verursachten Strafstoß fallen. Das beschreibt das eher maue Offensivspiel der Mannschaft von Trainer Rinus Michels in diesem Spiel ganz gut.
Sowohl das 3:1 als auch das 4:1 fielen kurze Zeit nach dem Anschlusstreffer jeweils über einen Konter der Rossoneri. Mit dem 4:1 erzielte Prati sein drittes Tor in diesem Spiel. Hier habe ich einen Link eingebaut, über den ihr euch auf X das 2:0 und das 4:1 durch Prati in Vorbereitung durch 10er Rivera anschauen könnt.
Erst nach dem 4:1 sollte Ajax Amsterdam zu häufigeren Abschlüssen zentral vor dem Strafraum kommen. Ursächlich hierfür war, dass Hulshoff deutlich weiter nach vorne durchschob und somit eine zusätzliche Anspielstation im Mittelfeld gab. Ebenso war Außenverteidiger Suurbier vermehrt im Zentrum wiederzufinden. Dadurch hatte Mailand deutlich weniger Zugriff im Zentrum und musste sich mit dem Abwehrblock rund um die vier Defensivspieler und 6er Trapattoni noch weiter fallen lassen. Das ermöglichte einige Abschlüsse aus der zweiten Reihe.
Fazit
Letztlich verdient siegt AC Mailand mit 4:1 gegen Ajax Amsterdam. In diesem Finale 1969 ließ sich noch nicht wirklich erahnen, dass Ajax Amsterdam die folgenden Jahre dominieren sollte und dass das italienische Catenaccio außer Mode geriet.
Falls ihr mehr über den Totaalvoetbal und das Ajax Amsterdam unter Rinus Michels von 1965 bis 1971 oder über Gloria Ajax von 1971-1973 unter Rinus Michels und Stefan Kovács lesen wollt, habe ich euch zwei weiterführende, ältere Spielverlagerungsartikel verlinkt:
» Gloria Ajax oder: die totale Fußballrevolution
Autor: MH ist Fußball-Aficionado von Herzen. Seine Wohnung gleicht einer Fußball-Bibliothek in deren Regalen Bücher über die großen Taktiker von Rinus Michels bis Pep Guardiola stehen. Das Buch von Spielverlagerung.de fehlt hier natürlich nicht. Für MH ist Fußball nicht nur ein Spiel. Es ist ein Lebensgefühl. Auf X ist er unter Mh_sv5 zu finden, auf LinkedIn ebenso.



Keine Kommentare vorhanden Alle anzeigen