Türchen 17: Bayern – PSG 2020 – RO
Im August 2020 kam es in Lissabon zu einem deutschen Trainerduell: Im Endspiel der Champions League traf der von Hansi Flick trainierte FC Bayern auf Paris Saint-Germain, gecoacht von Thomas Tuchel. Für die Franzosen war es die erste Finalteilnahme überhaupt, doch echte Finalstimmung wollte nicht wirklich aufkommen, da die Zuschauerränge im Estadio da Luz pandemiebedingt leer bleiben mussten. Wusste das Duell dafür zumindest sportlich zu überzeugen?
Anfangsformationen – Alles wie im Halbfinale
Hansi Flick änderte im Vergleich zum Halbfinalspiel gegen Lyon seine Startelf nur auf einer einzigen Position: Der Ex-PSG-Spieler Coman begann auf Linksaußen, dafür musste Ivan Perisic zunächst auf der Bank Platz nehmen. Ansonsten spielte Bayern im gewohnten 4-2-3-1 System mit Müller auf der Zehnerposition hinter Robert Lewandowski und Serge Gnabry auf Rechts. Die Doppelsechs bildeten Thiago als tiefer Spielmacher und Goretzka als Box-to-Box-Spieler, wodurch Joshua Kimmich auf die Rechtsverteidigerposition geschoben wurde. Die Viererkette wurde ergänzt durch Boateng, Alaba und den schnellen Davies auf links. Zwischen den Pfosten stand selbstverständlich Manuel Neuer.
Auch Thomas Tuchel ließ seine Halbfinal-Startelf weitestgehend unangetastet. Einzig im Tor ersetzte Keylor Navas seinen Ersatzmann Rico. Davor verteidigte eine Viererkette aus Kehrer, Thiago Silva, Kimpembe und Bernat. Im zentralen Mittelfeld des Pariser 4-3-3-Systems agierte Marquinhos, unterstützt von Paredes, der halblinks den Vorzug vor Marco Verratti erhielt. Halbrechts agierte Ander Herrera in einer Hybridrolle aus Achter, Zehner und Flügelspieler. Das prominente Offensivtrio des französischen Serienmeisters setzte sich aus Di Maria rechts, Neymar zentral sowie Mbappe auf links zusammen.
Pariser Pressing: Wer übernimmt Davies?
Die Pariser agierten gegen den Ball im hohen Mittelfeldpressing mit einer Mischung aus 4-4-2 und 4-5-1, wobei Mbappe den linken Flügel besetzte und Di Maria anfangs zwischen dem rechten Flügel und einer Rolle als halbrechter Stürmer pendelte. Mit fortschreitender Spieldauer spielte Di Maria allerdings zunehmend defensiver und stellte ein symmetrischeres 4-5-1 her. Bei Abstoß Bayern orientierten sich Neymar und Di Maria an den Innenverteidigern, während Herrera als halbrechter Achter oft Thiago verfolgte. Insgesamt konnten sie allerdings eher selten wirklichen Druck erzeugen oder Ballverluste erzwingen.
Gerade in der ersten Phase des Spielaufbaus war Thiago der klar tiefere Part der Doppelsechs, und Goretzka besetzte die höheren Zonen. Mit dem abkippenden Thiago, Boateng, Alaba und Neuer als mitspielendem Torwart hatte man im tiefen Aufbau eine Überzahl gegen Neymar und Di Maria und konnte den Ball recht ungestört zirkulieren lassen. Auch die verletzungsbedingte Einwechslung von Niklas Süle (25. Minute für Boateng) änderte daran nichts.
Da Mbappe links deutlich tiefer und breiter gegen Kimmich verteidigte als Di Maria auf der anderen Seite, blieb Davies oft relativ ungedeckt und die Münchner konnten viele Situationen durch Verlagerungen auf den Kanadier auflösen, der auf links erstaunlich viel Freiraum vorfand.

Bayern im tiefen Aufbau: Herrera verfolgt Thiago mannorientiert ins Zentrum und wird dadurch von dem rechten Flügel weggezogen. Davies hat keinen direkten Gegenspieler und kann von Neuer relativ simpel durch einen hohen Ball angespielt werden. Da Kehrer durch Coman gebunden ist, muss Marquinhos auf Davies herausrücken, hat dabei aber einen so weiten Weg, dass PSG kaum Zugriff erzeugen kann.

Hier PSG mal tiefer und kompakter mit Di Maria hinter dem Ball: Trotzdem verteidigt niemand den rechten Flügel, wodurch Thiago erneut den freien Davies anspielen kann. Dieser nimmt Tempo auf und kann auf Lewandowski flanken, der anschließend den Pfosten trifft.
Münchner Angriffspressing
Beim Pariser Torabstoß lauerten die Bayern in einer Art 4-2-4 am Pariser Strafraum, um dann in ein aggressives Angriffspressing überzugehen. Dabei wurden gerade die drei Spieler im Mittelfeldzentrum PSGs stark mannorientiert gedeckt. Hierfür ließ sich Lewandowski auf eine Höhe mit Müller fallen, sodass die beiden bayrischen Flügelspieler die höchsten Akteure waren. Coman und Gnabry versuchten dann, ihren Deckungsschatten zu nutzen, um im Bogen von den Pariser Außenverteidigern auf Thiago Silva und Kimpembe durchzupressen.
Paris auf der anderen Seite ließ Marquinhos und Paredes auf einer Höhe im Sechserraum agieren, während Herrera höher und weiter rechts spielte. Allerdings verzichteten sie oft frühzeitig auf viel Ballzirkulation, sondern suchten sehr direkt den Weg in die Spitze. Gerade die eigene linke Seite wurde dabei stark fokussiert: Hier sollte Neymar immer wieder durch Rückfallbewegungen eingebunden werden, während Mbappe die Tiefe attackierte. Die Intensität der Mannschaft von Hansi Flick stellte die Pariser dabei zwar vor Probleme, durch ihre hohe individuelle Qualität in der letzten Linie kamen sie aber trotzdem zu ein paar gefährlichen Schnellangriffen, während etwaige Ballverluste durch Marquinhos und Paredes gut abgesichert wurden.

Abstoß PSG: Das zentrale Mittelfeld wird mannorientiert zugestellt, Coman und Gnabry versperren außerdem die Passwege zu den Außenverteidigern. Navas spielt den ersten Ball kurz auf Thiago Silva und lockt die Bayern ins Angriffspressing.

Coman erzwingt durch sein Anlaufverhalten den Querpass auf Kimpembe. Dieser sucht direkt mit einem weiten Vertikalpass den zurückfallenden Neymar, doch Thiago kann den Ball abfangen. Auffällig: Auch den Abpraller des Thiago-Zweikampfs schlägt Paredes direkt nach vorne. Paris kann in der Folge den Ball zwei Mal verlängern und fährt einen vielversprechenden Angriff, an dessen Ende Di Maria eine Großchance knapp vergibt.
Nichtsdestotrotz hatte Bayern grundsätzlich viel Zugriff und kam gerade auch im Gegenpressing immer wieder zu Ballgewinnen in der Hälfte der Franzosen, nur dass daraus selten gefährliche Umschaltaktionen entstanden. Somit hatte Bayern die Partie zwar optisch im Griff, wurde aber trotzdem nur wenige Male (jeweils nach Flanken) gefährlich.
Pariser Angriffsspiel: Linksfokus und tiefe Läufe
PSG hatte hingegen trotz weniger Ballbesitz die etwas besseren Chancen in einer insgesamt chancenarmen ersten Halbzeit. Dabei suchten sie nicht nur im Aufbauspiel, sondern in jeder Spielphase den direkten Weg auf die eigene linke Seite mit den Superstars Neymar und Kylian Mbappe. Gerade Letzteren versuchte man immer wieder tief hinter die
Kette ins 1 gegen 1 mit Joshua Kimmich zu schicken, um dessen Geschwindigkeitsvorteile auszuspielen. Dies führte besonders in Umschaltsituationen nach Ballverlusten der Bayern zu einigen sehr gefährlichen Momenten, die aber letztendlich immer noch von einem Verteidiger oder dem glänzend aufgelegten Manuel Neuer entschärft werden konnten.

In der Folge eines abgeblockten Distanzschusses von Goretzka landet der Ball bei Marquinhos, der direkt mit einem Steilpass den zurückfallenden Neymar sucht und findet. Da Süle den Brasilianer nicht verfolgt, kann dieser aufdrehen und Mbappe durch die Schnittstelle tief schicken.

Nach einem Einwurf will Alaba klären, sein Ball wird allerdings von Paredes abgefangen. Dieser spielt mit dem ersten Kontakt einen scharfen Pass in den Lauf von Mbappe, der daraufhin aggressiv gegen Kimmich ins Dribbling gehen kann.
Fehlende Flügelverteidigung trifft auf gutes Flankenspiel
In der zweiten Halbzeit änderte sich an der Dynamik der Begegnung nicht viel, obwohl sowohl Tuchel, als auch Flick ein paar kleine Anpassungen vornahmen. So tauschten Di Maria und Mbappe zu Beginn von Hälfte zwei für etwa 20 Minuten die Seiten, einen Effekt auf das Pariser Offensivspiel gab es aber kaum. Auf der anderen Seite agierte Kimmich seltener breit, sondern tauchte häufig im rechten Halbraum auf. Dafür wich Müller nun noch mehr auf den rechten Flügel aus, um Breite zu geben, wenn Gnabry in die Spitze gelaufen war. Blieb Kimmich etwas tiefer und breiter, ließ Müller sich teilweise auch in den rechten Achterraum fallen, um dort Verbindungen zu schaffen.
PSG hatte über die gesamte Dauer des Spiels Probleme damit, Druck auf den Ballführenden zu erzeugen und die eigenen Flügel zu verteidigen. Wie schon in Halbzeit eins, rückte Marquinhos im Zentrum situativ etwas heraus, verhindern konnte dies die Bälle auf die Flügel aber nicht.

Sofort starten drei Bayern Spieler in die Tiefe und attackieren den Pariser Strafraum. Müllers Flanke findet den Kopf von Robert Lewandowski, dessen Kopfball aus kurzer Distanz Navas aber mit einem starken Reflex parieren kann.

Weil Gnabry siutuativ ins Sturmzentrum gezogen ist, erkennt Müller die fehlende Breite auf rechts und setzt sich im Rückwärtslaufen auf den Flügel ab, ohne dass ihn jemand aufnimmt. Da Thiago ebenfalls nicht unter Druck gesetzt wird, kann er auf Müller verlagern, der daraufhin viel Zeit für seine Hereingabe hat.
Auf den Flügeln selbst hatte die Pariser Hintermannschaft wiederum mit verschiedenen Problemen zu kämpfen. Zum einen arbeitet Di Maria und Mbappe nicht immer konsequent mit nach hinten, sodass man immer wieder in Unterzahlsituationen geriet. Da Kehrer und Bernat durch ihre direkten Gegenspieler Coman und Gnabry gebunden waren, hatten der aufrückende Davies sowie der ausweichende Müller im Rücken der Pariser Außenstürmer oft sehr viel Zeit und Raum um zu flanken. Diese Zeit nutzten die Bayern, um eine gute Besetzung der Box sicherzustellen. Insbesondere Goretzka stieß immer wieder aus dem Rückraum in den Strafraum nach und sorgte mit seiner körperlichen Präsenz für Gefahr. Auch dass Kingsley Coman einen Sahnetag erwischte und seinem Gegenspieler Thilo Kehrer ein ums andere Mal davonlief oder ihn im Dribbling düpierte, half der Pariser Flügelverteidigung nicht. Es passte zu diesem Finale, dass der Ex-Pariser Coman den Siegtreffer per Kopf nach einer Flanke erzielte.

Szene vor dem 1:0: Gnabry wird auf rechts geschickt und flankt flach ins Zentrum. Dort zieht Müller drei Gegenspieler auf sich, doch anstatt abzuschließen, spielt er eine überragende First-Touch-Ablage auf Kimmich. Dieser kann erneut in aller Ruhe den Ball annehmen und zur Flanke ansetzen.

Coman, Lewandowski sowie der nachrückende Goretzka laufen dynamisch auf den zweiten Pfosten ein, sodass Kehrer alleine drei Leute verteidigen muss. Gleichzeitig sind Herrera und Paredes zwar ballnah, aber schaffen es nicht, Druck auf den Flankengeber zu erzeugen. Auch Thiago Silva wurde durch Müllers Aktion aus seiner Position gezogen und kann Kehrer nicht unterstützen, weswegen dieser machtlos zusehen muss wie Coman einköpft. Ebenfalls auffällig: Genau wie in der Szene aus Minute 31 war Marquinhos zuvor im Pressing weit vorgerückt und fehlt deswegen in der Strafraumverteidigung.
Rückstand und Wechsel
Unmittelbar nach dem Führungstreffer hätte Coman nach einer sehr ähnlichen Szene beinahe einen Doppelpack geschnürt, doch PSG-Kapitän Thiago Silva klärte kurz vor der Linie. Anschließend wechselten beide Trainer mehrfach: Bei den Parisern kamen der technisch starke Verratti sowie Julian Draxler für Paredes und Herrera ins Spiel. Hansi Flick hingegen brachte mit Perisic und Coutinho zwei neue Flügelspieler für Coman und Gnabry.
In der Folge agierten die Bayern im Pressing einen Hauch tiefer und vorsichtiger, möglicherweise aus Sorge vor Verrattis Pressingresistenz. Eine Auswirkung auf das Spiel hatte aber auch dies nicht, da Flicks Mannschaft die Pariser weiterhin weitestgehend vom eigenen Tor fernhalten konnte. Natürlich agierte PSG zunehmend offensiver und risikofreudiger, konnte aber bis zum Schlusspfiff keine wirkliche Drangphase mehr entwickeln. Der eingewechselte Choupo-Moting (78. für Di Maria) vergab in der Schlussphase zwar noch eine Großchance, konnte die Niederlage seiner Mannschaft aber auch nicht mehr verhindern.
Fazit
Somit krönte der FC Bayern seine überragende Saison und sicherte sich das Triple. Letztendlich ist es sicherlich kein unverdienter Sieg gewesen: Durch das eigene Pressing konnte man viele Pariser Angriffe im Keim ersticken und die Offensivstars um Neymar kamen nur selten in gute Aktionen. Außerdem wusste man die Schwächen der Pariser Flügelverteidigung gut zu bespielen, hatte eine starke Strafraumbesetzung und konnte somit regelmäßig und systematisch Gefahr erzeugen.
Die Mannschaft von Thomas Tuchel hingegen dürfte der ein oder anderen vergebenen Großchance hinterhertrauern. So konnten sie gerade nach schnellem Umschalten immer wieder für Gefahr sorgen, hatten aber im Pressing längst nicht so viel Zugriff wie die Bayern und waren auch individuell in einigen Mannschaftsteilen (zentrales Mittelfeld, Außenverteidiger) unterlegen.
RO hofft noch immer auf den großen Durchbruch von Adama Traoré. (X: @trikotnummerfuenf)

Keine Kommentare vorhanden Alle anzeigen