Türchen 9: Milan – Liverpool 2007 – FN

2:1

Nach der dramatischen Niederlage im wohl ereignisreichsten Campions League Finale 2005 zwischen Liverpool und dem AC Mailand nutze Milan nur zwei Jahre später die Chance zur Widergutmachung und gewann die Neuauflage gegen Liverpool mit 2:1. Das Spiel war bis zum 1:0 größtenteils durch Mailänder Kontrolle geprägt. Was sorgte für diese Überlegenheit und wie reagierte Liverpool darauf?

Das erfahrene Team von Trainer Carlo Ancelotti agierte aus einer 4-3-2-1 Grundordnung heraus. Das Innenverteidigerduo vor Torhüter Dida bildeten Nesta und Maldini. Flankiert wurden diese von Jankulovski links und Oddo rechts. Den Sechser gab Pirlo, umrahmt von den beiden Achtern Ambrosini und Gattuso. Auf den offensiven Halbpositionen hinter Stürmer Inzaghi agierten Seedorf und Kaka, der sich zu diesem Zeitpunkt in Weltklasse Form befand.

Liverpool agierte unter Trainer Rafael Benitez aus einem 4-2-3-1. Zwischen den Pfosten stand Pepe Reina. Die Viererkette bildeten von links nach rechts Riise, Agger, Carragher und Finnan. Die Doppelsechs davor bestand aus Alonso und Mascherano. Das Dreiermittelfeld komplettierte Gerrard als Zehner davor. Auf den Flügeln agierten Zenden links und Pennant rechts. Als einzige Spitze agierte Kuyt.

Milan etabliert Ballkontrolle

Nach von langen Bällen und Nervosität geprägten ersten fünf bis zehn Minuten gelang es Milan immer besser das Spiel über eigenen Ballbesitz zu kontrollieren und ihr geordnetes Ballbesitzspiel aufzuziehen. Dies geschah über eine Reihe an gewonnenen zweiten Bällen nach langen Liverpooler Schlägen auf Kuyt, der Nesta und Maldini im Luftzweikampf deutlich unterlegen war. Die zweiten Bälle sammelte die extrem eng agierende Dreiermittelfeldlinie auf.

Liverpool zog sich im Zuge der Ballkontrolle in ein 4-4-2 Mittelfeldpressing zurück. Die Auslösung aus dem Mittelfeldpressing erfolgte vor allem über Gerrard der in der ersten Pressinglinie leicht diagonal nach links versetzt zu Kuyt agierte. Sobald der Pass in die Breite auf einen der Außenverteidiger erfolgte löste Gerrard seine lose Mannorientierung auf Pirlo im Zentrum auf und schob diagonal auf den empfangenden Außenverteidiger heraus. So gelang es ihm den Deckungsschatten auf Pirlo zu halten, wodurch sich der ballnahe Liverpooler Sechser in den Zugriffsbereich auf Pirlo oder den ballnahen Mailänder Achter orientieren konnte. Der ballferne Sechser agierte in diesem Fall etwas tiefer im Zugriffsbereich auf Kaka, um dessen Anbindung zu unterbinden. Bei guter Ausführung im Auslösen durch Gerrard und Kuyt gelang es Mascherano und Alonso so sehr gut das Zentrum zu verdichten und auf Bewegungen im Block zu reagieren. Der ballferne Außenstürmer agierte dabei nicht als Restangreifer für Konter, sondern orientierte sich auf die Defensive und rückte ballfern aktiv ins Zentrum ein. Das Zentrum wurde dadurch weiter verdichtet und die ballseitigen Bewegungen der Sechser je nach Auslösung unterstützt.

Milan tat sich in dieser Phase des Spiels trotz Feldüberlegenheit schwer gegen den Liverpooler Zugriff auf dem Flügel Lösungen zu finden und darüber in den Block zu gelangen. Höchstens über horizontale Ausweichbewegungen von Seedorf oder Ambrosini gelang es auf der linken Seite eine vertikale Anspielstation für den unter Druck gesetzten Außenverteidiger zu schaffen. Der ballnahe Außenstürmer Liverpools konnte diese Ausweichbewegungen durch seine tiefere Ausgangspositionierung direkt aufnehmen. Dies brachte Seedorf/Ambrosini in eine ungünstige Position mit Gegnerdruck unmittelbar an der Seitenauslinie. Aus dieser Position heraus war es schwer wieder Zugang ins Zentrum zu finden und die bestmögliche Option war es noch einen Freistoß herauszuholen.

Abkippende Sechser und Flankenfokus

Ein wichtiger Faktor in der Stabilisierung der Zirkulation und der Mailänder Offensivbemühungen war das Abkippen der Zentrumsspieler. Das Abkippen erfolgte spielerunabhängig mit dem Ziel den Innenverteidigern eine weitere Option der Zirkulation in die Breite in einer Zwischenebene zu geben und das Liverpooler Mittelfeldpressing vor Rausrückentscheidungen zu stellen. In den meisten Fällen war es Pirlo, der die Position im Dreieraufbau einnahm. Das Abkippen erfolgte in einer leicht höhenversetzten Position zu den Inneverteidigern mit dem Ziel diagonal auf den Block anzudribbeln und Reaktionen zu erzwingen. Gerade auf der linken Seite war dies besonders effektiv, da Kuyt auf dieser Seite versuchte die Wege auf die Innenverteidiger zu schließen und Gerrard als Auslöser ballfern agierte. Somit war Alonso gezwungen aus dem Block herauszuverteidigen. Alternativ zu Pirlo übernahm auf links gelegentlich Ambrosini das Rauskippen.

Das Herausverteidigen des ballnahen Liverpooler Sechser erfolgte jedoch improvisiert reaktiv auf die Ballannahme, was Pirlo/Ambrosini die nötige Zeit am Ball gab, um sich aufzudrehen und noch immer ohne Gegnerdruck ein paar Schritte anzudribbeln. Das Herausverteidigen wirkte durch das Improvisieren zeitweise etwas unsicher, wodurch es an Intensität fehlte den Ballführenden effektiv unter Druck zu setzten. So war das Verhalten meist eher stellend. Durch diese blockende Haltung war es für Pirlo/Ambrosini möglich über Andribbeln den Passweg in den Block zu verbessern und Seedorf diagonal im Halbraum zu finden. Dieser konnte sich durch das horizontale Nachschieben des ballfernen Liverpooler Sechser nur nach außen aufdrehen. Der ballferne Sechser übernahm so die zuvor aufgegebene Mannorientierung des herausverteidigenden Sechsers auf Seedorf. Und auch der linke Außenstürmer Zenden schob ballfern weiter auf Kaka ein.

Linksverteidiger Jankulovski schob als Reaktion auf die Abkippbewegungen in der Breite in eine höhere Position. Der etwas eingerückte Pennant wurde dadurch in der Höhe gebunden. Dieser rückte jedoch nach Ballannahme von Pirlo/Ambrosini etwas nach vorne, um die Winkel ins Zentrum weiter zu schließen. Dadurch ergaben sich für Jankulovski in Pennants Rücken Räume in der Breite. Ein Grund dafür war auch die kompakte Horizontalstaffelung der Liverpooler Viererkette und somit auch enge Position des Rechtsverteidigers Finnan. So konnte Seedorf nach Aufdrehen nach außen diesen Raum in der Breite bespielen. Jankulovski kam so mehrfach in aussichtsreiche Flankenpositionen, jedoch fehlte ein adäquater Abnehmer in der Box. So hatte Inzaghi bei Flanken Probleme sich gegen die physischen Innenverteidiger durchzusetzen. Pirlo streute zudem den ein oder anderen Chipball aus seiner abgekippten Position hinter Pennant auf Jankulovski ein, was für noch mehr Flanken sorgte.

Das Problem war das von Liverpool erzwungene Aufdrehen von Seedorf nach außen. So tat sich dieser schwer über Dribblings wieder ins Zentrum zu spielen. Es fehlte in diesen Momenten an Überladungen durch Kaka und Gattuso, um durch gegengleiche Bewegungen mehrere diagonale Passoptionen zu schaffen und dadurch den ballfernen Sechser vor Entscheidungen zu stellen. So hätte man Kaka und Seedorf auch häufiger in Kombinationen miteinander bringen können und über deren Kreativität gefährliche Momente erzeugen können.

Detail-Unterschiede je nach Seite und je nach Spielphase

Auf der rechten Seite gelang es Liverpool zunächst durch Rückwärtspressen von Gerrard besser diese Passwege in den Block zu isolieren und direkten Druck auszuüben. Zudem agierte Zenden hier deutlich aktiver in der Auslösung als Pennant. Zenden lief später über einen Bogen mit Deckungsschatten auf den hochgeschobenen Oddo auf Pirlo an. Auch nach einem bemerklichen Abfall der Intensität von Kuyt und Gerrard im Verschieben über den Verlauf der ersten Halbzeit war so kein Rausschieben der Sechser notwendig.

Das Abfallen der Intensität führte zwar einerseits dazu, dass die Lücken zwischen Zenden und Gerrard besser diagonal ins Zentrum bespielbar waren, andererseits konnten die Sechser bei offenem Fuß von Pirlo so ihre Mannorientierungen enger fassen und bei diagonalem Anspiel ähnlich wie auf der anderen Seite verhindern, dass sich ins Zentrum aufgedreht wurde. Gerade Kaka hatte so Probleme ins Spiel zu finden und in seine vertikalen Dribblings durchs Zentrum zu kommen. Dieses Problem führte so auch auf der rechten Seite nach Anspiel ins Zentrum zur direkten Verlagerung nach außen auf den Außenverteidiger. Oddo setzte sich hier mehrfach stark im 1gg1 gegen Riise durch und konnte so von der Grundlinie aus flanken. Aufgrund der Luftdominanz Liverpools in der Box war dies wiederum ein recht ineffektives Mittel.

Milan gelang es somit nicht, ihre Feldüberlegenheit in ein klares Chancenplus umzumünzen. Generell war die erste Halbzeit recht chancenarm. Dies lag auch daran, dass Liverpool ihre Kontergelegenheiten über den schnellen Pennant nach Ballgewinn nicht immer zielstrebig genug ausspielte. Dennoch war man zur Pause über jene Konter chancenmäßig überlegen. Das 1:0 durch Inzaghi in der 45. Minute fiel dementsprechend der Mailänder Spielanlage durch einen Freistoß, als Inzaghi den Schuss von Pirlo ins Tor abfälschte.

Zweite Halbzeit

Als Folge der Führung unmittelbar vor dem Pausenpfiff zog sich Milan zunehmend in ein Mittelfeldpressing zurück. Man stellte die eigenen Offensivbemühungen und Kontrolle mit Ball etwas ein und fokussierte sich auf Kompaktheit aus einem 4-4-1-1 Mittelfeldpressing heraus. Seedorf agierte als linker Mittelfeldspieler etwas zurückgezogener in der Mittelfeldlinie. Milan stand sehr kompakt und war auch aufgrund der aufgestellten Spielerprofile sehr zentrumsfokussiert. Die Außenspieler Gattuso und Seedorf agierten vornehmlich aus dem Halbraum heraus und lösten bei Anspiel auf die Außenverteidiger Liverpools aus.

Aufgrund dieser engen Stafflung setzte Liverpool ihren Fokus auf das Flügelspiel. Entscheidend waren hierfür die Außenverteidiger, die aus einer flachen Position heraus agierten. Durch den fehlenden Zugang zum Zentrum suchten diese nach Anspiel den Pass in die Breite auf den entgegenkommenden Außenstürmer. So konnte das diagonale Ausschieben der äußeren Mittelfeldspieler Milans umspielt werden.

Durch das enge Verfolgen der Außenverteidiger entstand hinter diesen Raum in der Tiefe. Diesen wollte Liverpool über Aufdrehen des Außenstürmers bespielen. Die Außenverteidiger beliefen diesen Raum dann durch Vorderlaufen. Hin und wieder gelang es Liverpool so die Tiefe zu bespielen und zu Flanken zu kommen. Häufig war das Aufdrehen des entgegenkommenden Außenstürmers jedoch nicht sauber genug, wodurch es zu einem unmittelbaren Ballverlust oder einem unsauberen Pass kam.

Neben dem Flügelspiel setzte Liverpool in den nun erhöhten Ballbesitzanteilen vor allem auf lange Bälle in Richtung des Flügels oder Stürmer Kuyt, welcher gegen Nesta und Maldini in der Luft einen schweren Stand hatte. Gerade Alonso, der begünstigt durch die Mailänder Passivität das Spiel immer mehr an sich riss, wählte mehrfach den langen Ball auf den Flügel. Über 1gg1 Momente der Außenstürmer – speziell über den dribbelstarken Pennant – kam man so mehrfach zu guten Chancen. Dies lag auch am kollektiven Nachrückverhalten aus dem Zentrum, wodurch die Box stets mehrfach besetzt war.

Liverpool verstärkte im Laufe der zweiten Halbzeit ihre Offensivbemühungen und ging immer mehr ins Risiko. Dadurch boten sich für Milan Möglichkeiten in unsortierten Momenten nach gewonnenen zweiten Bällen umzuschalten. So auch als Inzaghi in der 82. Minute, nach einem für ihn charakteristischen Tiefenlauf am Rande der Abseitslinie lauernd, das 2:0 erzielte und das Spiel entschied. Kuyt konnte in der Nachspielzeit nach einer Ecke noch den 2:1 Anschlusstreffer erzielen.

Fazit

Milan schlägt Liverpool letztlich über eine ordentliche erste Halbzeit und eine hohe Effektivität vor dem Tor. Das in der Entstehung durchaus glückliche 1:0 kurz vor der Pause veränderte die Dynamik des Spiels enorm und fiel gerade in eine Phase, in der es Liverpool gelang, das Spiel etwas offener zu gestalten. Nach der Pause war Liverpool nun gezwungen selbst Lösungen mit dem Ball gegen einen tieferstehenden Gegner zu finden, was eher mäßig gelang.

Liverpool zeigte trotz der optischen Überlegenheit Milans eine disziplinierte Leistung gegen den Ball. Besonders hervorzuheben ist das kompakte Zentrum um Alonso und Mascherano, welche das Spiel sehr gut auf den Flügel lenkten.

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