Kompaktanalyse: Ausgeglichenheit und Ausbaufähigkeit – MX

RB Leipzig gegen den VfL Wolfsburg stand am Mittwochabend im DFB-Pokal-Viertelfinale an. In einer eher enttäuschenden und ausgeglichenen Partie sicherte sich die Elf von Marco Rose durch einen Elfmeter mit 1:0 den Sieg.

Die Grundformationen

Die Grundformationen

Die Partie wurde im Vorfeld mit Spannung erwartet, denn beide Mannschaften kamen mit zwei Unentschieden gegen Abstiegskandidaten aus der Bundesliga in den Pokal-Fight. Für diesen startete Leipzig mit einem 3-4-1-2: Vandervoort begann zwischen den Pfosten, davor starteten Bitshiabu, Orban und Geertruida in der Dreierkette, davor Raum, Vermeeren, Kampl und Baku im Mittelfeld. Xavi startete auf der 10, und Sesko sowie Opende bildeten den Doppelsturm.

Ralph Hasenhüttl und der VfL Wolfsburg starteten aus einer 4-4-2-Grundformation: Fischer und Maehle auf den Außenverteidiger-Positionen, dazwischen Koulierakis und Vavro. Davor auf den Flügeln Wimmer und Skov Olsen, dazwischen Dardai und Svanberg. Im Doppelsturm standen Amoura und Tomas.

Wolfsburg presst im 5-3-2-Mittelfeldpressing

Die Gäste agierten in der Anfangsphase zumeist aus einem 5-3-2-Mittelfeldpressing heraus, wobei wie gewohnt der rechte Außenspieler aus der 4-4-2-Grundformation, in diesem Fall Skov Olsen, gegen den Ball als rechter Halbverteidiger agierte. Dieser stellte sich jedoch sehr eng an den linken Schienenspieler Raum von RB Leipzig und versuchte, die tiefen Bewegungen des Nationalspielers weit mitzuverfolgen.

Das führte dann situativ schon sehr früh dazu, dass das 5-3-2 mehr zu einem 4-4-2 wurde, denn Raum nutzte das Verfolgen von Skov Olsen bewusst durch eine tiefere Position im Spielaufbau aus. Dies schaffte wiederum immer wieder Räume im Rücken des Belgiers, die besonders Xavi sehr früh und konsequent besetzte. Auch Openda versuchte sich ballnah immer wieder in Richtung der linken Breite fallen zu lassen. Dementsprechend war schnell erkennbar, was die essenzielle Frage in dieser Partie sein würde: Wie weit kann man aus der Fünferlinie heraus verteidigen und wie übergibt man?

Das funktionierte auch von Beginn an sehr gut, gerade weil der ballferne Flügelverteidiger und auch die Außenspieler immer wieder weit einrückten, konnte man immer wieder gut übergeben. Bewegungen in die Breite beim Herausrücken von Skov Olsen durch Openda verfolgte Svanberg sehr gut und eng mit. Xavi wurde hingegen von dem mittleren Innenverteidiger Koulierakis initial markiert, denn der Holländer ließ sich meist bis auf die letzte Linie fallen und kippte dann dynamisch ab. Dies erzeugte immer wieder den Effekt, dass Koulierakis weit herausverteidigte und zentral ein extremes Loch in der Fünferlinie von Wolfsburg situativ entstand.

Leipzig im Aufbauspiel

Passive erste Pressinglinie = aktive Aufbaulinie

Allgemein liefen die Wolfsburger Bitshiabu, Orban und Geertruida mit dem Doppelsturm aus Amoura und Tomas nur lose und nicht konsequent an. Ein Durchpressen fand praktisch nie statt, sodass nur sehr selten echter Druck auf die Dreierlinie der Leipziger entstand. Stattdessen orientierte sich Wolfsburg überwiegend mannorientiert an den Passoptionen im Zentrum auf den Sechser Kampl oder im Halbraum auf abkippende Spieler der Leipziger. Die Flügelverteidiger schoben auf die gegnerischen Flügelspieler, während beispielsweise Svanberg meist Kampl in der Mitte übernahm.

Dieses passive Anlaufen des Doppelsturms führte logischerweise zu zahlreichen Dribbel-Momenten der Halbverteidiger Bitshiabu und Geertruida (aus dem 3-4-3/3-3-1-3), was oft zu Problemen bei den Wolfsburgern führte. Denn prinzipiell hatte man im Mittelfeld durchaus die Möglichkeit, über Dardai und Wimmer als Außenspieler auf diese halbräumigen Dribbel-Muster herauszuerverteidigen und den Zweikampf zu suchen. Aber besonders Dardai rückte mehrmals sehr zaghaft und ohne das aktive Suchen des Kontakts heraus, wodurch Bitshiabu weit eindribbeln konnte und beispielsweise Raum in der Breite suchen oder direkt die Tiefe ansteuern konnte.

Andererseits agierte der Doppelsturm zumeist aus einer engen Grund-Anordnung, wodurch eigentlich permanent der Ball nach außen geleitet wurde, auf Raum oder Baku, statt direkt in den Zwischenlinienraum. Diese initiale Isolation des Vertikalpasses auf abkippende Spieler wie Simons entlastete zunächst auch die Verteidigungslinie, die dadurch nicht weit herausverteidigen musste. Die Kernüberlegung hierdurch könnte gewesen sein, dass man sie zunächst in die Breite drängt und dann über eine sehr ballorientiert und mannorietiert verfolgende verschiebende Fünferlinie ihnen Optionen beim Ballspiel der Schienenspieler in die Tiefe nimmt.

Isolation verpflichtet (zu Dynmaik)

Diese Isolation der Tiefe führte dazu, dass Leipzig wiederholt auf Bewegungen aus dem Zentrum bzw. dem Zwischenlinienraum angewiesen war. Im Laufe des Spiels ließ sich besonders Simons zunehmend tiefer in den Zwischenlinienraum fallen, um dort anspielbar zu sein. Mehrmals konnte er so von Raum angespielt werden, da Wolfsburg Schwierigkeiten hatte, ballnahe Bewegungen aus dem Zentrum konsequent zu verfolgen. Besonders Svanberg tat sich sehr schwer, diese Bewegungen eng zu verfolgen und den Zweikampf zu suchen.

Mehrmals wäre ein taktisches Foul oder zumindest das Suchen von Kontakt notwendig gewesen. Da Simons über ausgezeichnete Ballkontrolle und Aufdrehbewegungen verfügt, konnte er wiederholt Sesko in der Sturmspitze einsetzen, der über das Wandspiel im letzten Drittel für Gefahr sorgen sollte. Durch das systematische tiefere Spiel von Simons fehlten jedoch oft Passoptionen, was ihm wiederholt Probleme bereitete.

Im Laufe des Spiels kam es jedoch immer wieder zu Szenen, in denen das Andribbeln der Halbverteidiger den Mechanismus der Kompaktheit des Doppelsturms aushebelte und der Passwinkel in den Zwischenlinienraum geöffnet wurde. Dadurch konnten besonders Sesko mehrfach von Bitshiabu eingesetzt werden, was wiederholt zu Problemen für Wolfsburg führte, da Leipzig kontinuierlich versuchte, die durch das Herausverteidigen entstehenden Löcher zu besetzen und tief zu bespielen. Dies führte mehrfach zu Chancen für RB.

Dennoch zog sich ein Muster durch das Spiel: Leipzig kam immer wieder zu den Flügelverteidigern Raum oder Baku, doch die Pässe in die letzte Linie konnten die Wölfe durch ihr exzellentes und direktes Herausverteidigen gut neutralisieren.

Vermeeren/Kampl sucht klassisches „Ausbrechen“

Ausbrechen der Sechser

Wie klassisch gegen ein 5-3-2-Mittelfeldpressing sah man auch von Leipzigs Sechsern Vermeeren und Kampl ein Ausbrechen aus der Pressingwll der Wolfsburger. Besonders auffällig war, dass dieses Ausbrechen meist synchron geschah – warum? Vermutlich wollte man verhindern, dass bei einer einzelnen Ausbrechbewegung ein zentraler Mittelfeldspieler wie Svanberg das Verfolgen übernimmt. Durch das doppelte Ausbrechen war meist ein Spieler ohne direkten Gegenspieler. Die Wolfsburger reagierten darauf überraschend, da die direkten Gegenspieler aus dem Zentrum diese Bewegungen nicht unmittelbar mitverfolgten, und die Stürmer hatten Schwierigkeiten, das Ausbrechen aus ihrem Rücken zu verfolgen.

Durch diesen Freiraum waren die Sechser mehrfach anspielbar und konnten von der Dreierlinie aus in den freien Raum angespielt werden. Dieses Ausbrechen war jedoch teilweise zu gering, bzw. der Pass wurde oft zu früh gespielt, sodass er häufig auf Höhe des Doppelsturms angenommen werden musste, was es erschwerte, den Ball direkt aufzudrehen. Oft führte dies nur zu einem Abprallen. Man könnte an dieser Stelle die Diskussion führen, ob dies tendenziell auch Teil des Plans war: Doppelsturm zusammenziehen, abprallen lassen und dann diese Engheit durch sofortiges Suchen der Breite ausnutzen. Das funktionierte zumindest situativ gut, und mehrmals konnten die Halbverteidiger infolge dieser Szenen weit andribbeln.

Was Wolfsburg jedoch sehr gut gestaltete, waren die Folgebewegungen. Wenn der Ball in die Breite gespielt wurde oder die Halbverteidiger der Leipziger angriffen, verteidigten die Stürmer sehr gut rückwärts mit und isolierten oft die Sechser, sodass diese nicht zentral anspielbar waren.

Mit zunehmender Spielzeit entwickelte sich der Spielaufbau der Leipziger zunehmend zu einem 2-4/3-2-Aufbau, da Geertruida auf der rechten Seite immer höher agierte. Dies war durch das immer kompaktere Verhalten des Doppelsturms der Wolfsburger und das häufigere Andribbeln der Halbverteidiger der Leipziger problemlos möglich. Dadurch verlängerte sich der Pressingweg, da der rechte Schienenspieler Baku zunehmend auf der letzten Linie agierte und somit auch Wimmer band. Dies führte dazu, dass Tomas als linker Stürmer immer wieder in die Breite auspressen musste. Dadurch war kaum Druck möglich.

Leipzigs Pressing gegen Wolfsburgs Aufbau

Wolfsburg konnte zwar sprechen, aber gerade aufgrund der Probleme nach dem Pass in die letzte Linie schwand diese leichte Dominanz zunehmend, sodass man immer mehr auch gegen den Ball aus dem 4-4-2 heraus agieren musste.

Anders als die Wolfsburger agierten Sesko und Openda im Doppelsturm sehr aggressiv und direkt auf die Innenverteidiger des 2-3-Aufbaus der Wolfsburger. Die Stürmer starteten jedoch aus einer engen Grundposition, wobei der ballferne Spieler meistens Svanberg auf der Sechs der Wölfe lose markierte, wodurch ein diagonaler Pressingwinkel auf die breiten Innenverteidiger entstand und der Pass in die Breite forciert wurde.

Leipzig im Angriffspressing

Die lose ballferne Markierung von Svanberg führte dazu, dass der eigentliche direkte Gegenspieler – Kampl – zunächst positionsorientierter agierte. Svanberg lief sich zunächst deutlich zu wenig frei, weshalb er teils zentral anspielbar war, weil der ballferne Stürmer nur lose markiert wurde. Dadurch war der Pressingweg von Kampl auf den Kapitän der Gäste häufig zu weit, was ihm ermöglichte, im Ablagespiel weiterzuspielen.

Ansonsten agierte man auf dem gesamten Feld mit direkten Mannorientierungen. Abkippbewegungen von Wolfsburg wurden extrem weit mitverfolgt, und es wurde meist direkt gepresst oder ein taktisches Foul gesucht. Dadurch taten sich die Wolfsburger sehr schwer, sich beim Abkippen aufzudrehen und für Progression zu sorgen. Dies führte zu vielen Momentum-Schwankungen. Besonders in solchen Phasen kam es oft zu gefährlichen Umschaltszenen für Leipzig, da man gegen die aufgerückten Außenverteidiger sofort mittels ausschiebender Stürmer umzuschalten versuchte, was situativ immer wieder gut funktionierte.

Die Außenspieler Baku und Simons im 4-4-2 agierten zunächst sehr auf Kompaktheit bedacht und schoben erst sehr spät in die Breite, um die Außenverteidiger der Wolfsburger zu attackieren. Tendenziell stellt dies auch den Knackpunkt im Angriffspressing der Leipziger dar, da dieser Moment oft noch etwas unausgereift und zu spät kam. Dadurch konnte ein gut aufdrehender Außenverteidiger Progression erzeugen oder sogar ins Dribbling gehen, da der Pressingweg teils zu lang war. Wolfsburg suchte jedoch meistens nicht die Eröffnung auf den Außenverteidiger.

Weitere Entwicklungen in der zweiten Halbzeit

In der zweiten Halbzeit gab es kaum noch strukturelle Veränderungen. Kampl und Vermeeren brachen weiterhin vor dem Pressingblock aus, nun aber häufiger auch daneben, wodurch die Schienenspieler systematischer in der letzten Linie agierten. Dadurch entstanden zunehmend 1-gegen-1-Duelle über die gesamte Breite, in denen Leipzig jedoch Schwierigkeiten hatte, sich gegen Wolfsburgs zweikampfstarkes Defensivverhalten durchzusetzen.

Allgemein wurde das Spiel zunehmend zerfahren. Da beide Mannschaften gegen den Ball weit ballfern einrückten, suchten sie in der zweiten Halbzeit einige Spielverlagerungen, die jedoch nie den gewünschten Effekt hatten. Die verteidigende Mannschaft – insbesondere Leipzig – konnte sehr schnell auf die Seite verschieben. Die Vielzahl an langen Bällen und hohen Verlagerungen trug zusätzlich zur Unruhe im Spiel bei.

Apropos Zweikampfstärke: Xavi Simons ließ sich zunehmend tiefer fallen, holte sich immer wieder den Ball, drehte auf und trieb das Spiel an. Er bot auch in tiefen Zonen eine Anspielstation unter Druck, um den Block zu umgehen oder eine Gegenballung aufzulösen.

Generell war die Partie davon geprägt, ob eine Verteidigungslinie konsequent-intensiv oder zögerlich-unsauberen herausverteidigte – daran ließ sich auch das Spielmomentum messen. Gerade in der Phase um den Elfmeter war Leipzig in diesen Momenten aktiver, zog das Spiel an sich und schaltete immer wieder über Openda um, der sofort in die Breite auswichen konnte und so den Raum in der Breite anvisierte, den Wolfsburg immer wieder nicht nach Ballverlusten abdeckte.

Wolfsburgs Problem mit zu hoch agierenden Außenverteidigern setzte sich fort. Immer wieder waren sie dadurch nicht anspielbar. Gegen Ende des Spiels ließen sie sich tiefer fallen, doch im Unterschied zur ersten Halbzeit wurden ihre Bewegungen nun direkter von Leipzigs Flügelspielern verfolgt, wodurch diese Option noch seltener genutzt wurde. Stattdessen spielte Wolfsburg zunehmend in den Druck auf abkippende Spieler wie Dárdai, wo Leipzig in den direkten Duellen Vorteile hatte.

So endete eine spielerisch ausbaufähige Partie mit einem 1:0 für Leipzig, womit die Roten Bullen ins Halbfinale des DFB-Pokals einzogen.

MX machte sich in Regensburg mit seiner Vorliebe für die Verübersachlichung des Spiels einen Namen. Dabei flirtete er mit der RB-Schule, blieb aber heimlich immer ein Romantiker für Guardiolas Fußballkunst. Aktuell ist er als Analyst in einem NLZ tätig. Bald – nach der Klausurenphase – ballert er wieder mehr und detailliertere Artikel raus. 😉

 

Hinterlasse eine Antwort

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

*