Weißwurscht bei die Fische – MH
Bayern München gewinnt zuhause 3:0 gegen Werder Bremen. Dabei tun sich die Bayern zunächst enorm schwer, den kompakten Werderblock zu durchbrechen. Bremen wiederum kann kaum eigene Torchancen kreieren. Übrigens ist es auch ein Duell zwischen zwei ehemaligen Spielverlagerungsautoren: RM, Co-Trainer bei Bayern München, traf auf PP, Spielanalyst bei Werder Bremen. Die nachträgliche Analyse findet ihr hier.
München startete wie gewohnt aus einem nominellen 4-2-3-1 mit Kimmich und Pavlovic als nominelle Sechser sowie Kane in der Sturmspitze. Während gegen den Ball im Angriffspressing mannorientiert gepresst wurde, veränderte sich die Münchner Staffelung im Spielaufbau immer wieder. Diese Variabilität macht es enorm schwer, die Münchner Ballbesitzanordnung treffend zu beschreiben und sich als Gegner darauf einzustellen. Später werden wir nochmal genauer darauf eingehen.
Bremen startete aus einem nominellen 3-4-2-1 mit den Halbraumzehnern Grüll und Njinmah hinter Stürmer Ducksch, hatte allerdings lediglich 26% Ballbesitz. Dementsprechend verteidigte man größtenteils aus einem 5-3-2 im Abwehrpressing mit Njinmah und Ducksch in der ersten Pressinglinie und Grüll als linker zentraler Mittelfeldspieler.
Bayerns Angriffspressing gegen Bremer Aufbauspiel
Bremen baute von hinten mit einer 4er Torwartkette auf. Dazu rückte der rechte Innenverteidiger, Pieper, auf die nominelle Rechtsverteidiger Position auf die Außenbahn und Weiser rutschte eine Eben hoch auf den rechten Flügel. Somit entstand eine Art (3+TW)4-4-1-2 mit den entgegenkommenden Weiser auf der rechten Außenbahn und Grüll im linken Halbraum.
Die Bayern pressten mannorientiert direkt hoch im Angriffspressing. Kane und Olise pressten zentral auf die Innenverteidiger des Bremer 4-2 Aufbaus bzw. mithilfe von Deckungsschatten auf den Torwart. Dieser wurde allerdings fast nie unter Druck gesetzt. Musiala orientierte sich zu einem der beiden Bremer Sechser. Coman schob auf den nun Außen spielenden Pieper, während Boey weite Wege auf Köhn hatte. Allerdings blieben Coman und Boey zentraler bzw. starteten tiefer in der eigenen Hälfte, um eine gewisse Kompaktheit herzustellen und zentrale Passwege zunächst zu schließen.
Ähnlich risikoavers agierte Pavlovic, indem er zunächst das tiefe Zentrum schloss und dann auf den verbliebenen Sechser schob. Dadurch, dass sich die beiden Bremer Sechser allerdings bis an den eigenen Strafraumrand fallenließen, entstanden weite Wege für Pavlovic und Bremen fand dementsprechend häufig den freien Sechser im Zentrum, der genug Zeit hatte auf einen freien Außenverteidiger, meist Pieper, rausklatschen zu lassen.
Dort begann der Münchner Manndeckungsfokus und Coman sowie Pavlovic schoben direkt an ihre Gegenspieler. Der entgegenkommende Weiser wurde durch Guerreiro verfolgt und die zuschnappende Pressingfalle ließ lediglich einen langen Ball zu, der durch Kim oder Upamecano gewonnen wurde. Zum einen hatten die Abläufe des Münchner Angriffspressings die Folge, dass Bremen nie erfolgreich den Ball halten konnte, allerdings entstanden durch den Risiko reduzierenden Ansatz auch keine hohen Ballgewinne, die zu Torchancen hätten führen können. Dementsprechend konnte weder Bremen aus dem Spielaufbau noch München aus dem Angriffspressing Torchancen kreieren.
Bayerns Ballbesitzspiel
Das Münchner Ballbesitzspiel lässt sich als eine Mischung aus festgelegten Ankerpunkten und relationistischen Beziehungen auf dem Feld beschreiben. Die relationistisch denkenden Spieler agieren weniger aus festgelegten Positionen und mehr in Reaktionen auf die individuelle Spielaktion selbst. Sie können bestimmte Zonen flexibel überladen und so Überzahl herstellen. Auch die Spieler in Ankerpositionen rotieren teilweise raus, allerdings rotiert ein anderer Spieler in Reaktion darauf in diese Position, wodurch die Zone dauerhaft besetzt bleibt. Somit lässt sich das Münchner System kaum noch durch festgelegte Staffelungen beschreiben.
Häufig baute München aus einem 3-1 Aufbau auf, mit Kimmich in die Aufbaukette halbrechts fallenlassend und Pavlovic als Sechser. Teils ließ sich ein weiterer Spieler ins Mittelfeld fallen, um einen 3-2 Aufbau herzustellen. Allerdings ließ sich auch immer wieder ein 2-3 Aufbau wiederfinden durch das Fallenlassen Musialas oder einseitig asymmetrisch im Halbraum agierende Außenverteidiger. Zudem gab es immer zwei Breitenbesetzungen so tief wie möglich, um die gegnerische Abwehrkette zu binden.
Es lässt sich festhalten, dass Bayern aus einem 3-1-w2 / 2-3-w2 („w“=wide=Ankerpunkte der Breitenbesetzung) aufbaute. Kane ließ sich gegen Bremen wenig fallen und blieb häufig in der Tiefe als eine Art Ankerpunkt. Somit ließe sich die Staffelung gegen Bremen auch als 3-1-w2-d1 („d“=deep=Ankerpunkt der Tiefenbesetzung) beschreiben. Die restlichen Spieler agierten fluide bzw. relationistischer im Halbraum und Zentrum. Wer mehr über das Thema der Verbindung von Relationismus und Positionsspiel erfahren möchte, dem kann ich das verlinkte Seminar „Die Zukunft des Fußballs“ von MR sehr empfehlen.
Im Gegensatz zu beispielsweise Real Madrid haben die fluiden Spieler in München etwas weniger Freiheiten. Das liegt an gewissen „wenn…, dann…“ Regeln, die das Spiel der Münchner als Subprinzipien prägen. Im Folgenden habe ich ein paar dieser Regeln beispielhaft aufgelistet: Wenn der Außenspieler entgegen kommt, dann geht der Halbraumspieler tief. Wenn Kane entgegen kommt, dann geht ein anderer Spieler auf der Innenbahn tief. Wenn zwei Verteidiger aufbauen, dann werden beide Halbräume auf Höhe des Sechsers besetzt (2-3 Staffelung). Wenn der Halbraumverteidiger im Aufbau andribbelt, dann wird der ballferne Halbraum auf Höhe des Sechsers besetzt. Somit weist das Spiel der Münchner sowohl gewisse relationistische, als auch positionelle Merkmale auf. Die hohe Fluidität wird kombiniert mit einem positionellen Rahmen durch Ankerpositionen.
Bremens Spiel gegen den Ball
Bremen wiederum zeigte sich bestens vorbereitet auf die Münchner Abläufe. Grundsätzlich verteidigte Bremen aus einem 5-3-2. Meist wurden die Aufbauspieler der Münchner nicht unter hohen Druck gesetzt. Stattdessen verschob die erste Pressinglinie Bremens, bestehend aus Njinmah und Ducksch, passiv und passwegschließend mit den Verlagerungen der Münchner 3er Aufbaukette und wurde erst bei Andribbeln oder versuchtem Überspielen aktiv. Somit war es für die Bayern schwer, die zentralen Spieler der zweiten und dritten Ebene zu finden.
Wenn München die Tiefe attackierte, dann zumeist über die Raute auf der Außenbahn, bestehend aus dem andribbelnden Halbraumverteidiger (bspw. Kimmich), dem tiefem Halbraumspieler (bspw. Olise), dem Breitengeber an der Außenlinie (bspw. Boey) und dem ballnah verschiebenden Zehner (bspw. Musiala). Die Dreier Mittelfeldreihe der Bremer verschob allerdings sehr weit auf die ballnahe Seite, sodass Bremen in diesen Situationen fast immer defensive Überzahl hatte. Wenn beispielsweise Kimmich als Halbraumverteidiger andribbelte, verschob Grüll als linker Mittelfeldspieler der 3er Reihe auf den andribbelnden Kimmich und erzeugte einen Deckungsschatten auf den Außenspieler, Boey.
Der zentrale Mittelfeldspieler der Bremer, Lynen, ließ sich unmittelbar vor, teilweise auch in die Abwehrkette fallen und übernahm den tiefen Halbraumspieler, Olise. Gleichzeitig konnte Außenverteidiger Köhn auf den Breitengeber, Boey schieben. Auch der rechte Mittelfeldspieler der Bremer, Stage, schob weit ein und konnte so den überladenden Musiala aufnehmen. Somit blieb in der letzten Kette immer eine 2gg1 Überzahl gegen Kane bzw. Olise und es konnte die Tiefe gegen gegenläufige Bewegungen abgesichert werden. Der Halbverteidiger der Bremer kam entsprechend selten in die Situation, die letzte Kette vorwärtsverteidigend verlassen zu müssen und es entstanden kaum Lücken in der letzten Linie.
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Die drei Mittelfeldspieler Grüll, Lynen und Stage verschieben bis weit auf die linke Seite, um Überzahl zu schaffen.
Die sehr stark auf die Seite verschiebende Dreier Mittelfeldreihe hatte dafür den Nachteil, bei Verlagerungen in den gegenüberliegenden Halbraum weite Wege zu haben. So musste die zweite Kette Bremens bei Verlagerungen über beinahe die gesamte Breite des Spielfelds verschieben. Während Lynen und Stage diese weiten Wege verschoben, ordnete sich der äußere Mittelfeldspieler Grüll ballfern auf die äußerste Position der letzten Kette ein.
Damit musste der Bremer Mittelfeldspieler nicht weit verschieben, sondern es konnte die gesamte letzte Kette mit weniger langen Laufwegen rüberschieben und Außenverteidiger Weiser übernahm auf der rechten Bremer Seite die Rolle von Grüll eine Ebene weiter vorne, während Halbverteidiger Pieper auf die Außenverteidigerposition verschob. Die weiten Wege versuchte München auszunutzen, indem immer wieder eine Seite kurz bespielt wurde, um im Anschluss auf die andere Seite zu verlagern. Häufig wurde zunächst die linke Seite der Bremer attackiert, bevor dann auf den im gegenüberliegenden Halbraum einschiebenden Guerreiro oder Breitengeber Coman verlagert wurde.
Bremen hatte sich darauf allerdings sehr gut vorbereitet. Sobald der Ball auf den eingeschobenen Guerrero verlagert wurde, rückte Außenverteidiger Weiser aggressiv auf diesen raus, sodass Guerreiro kein Tempo aufnehmen konnte, um mit Dynamik in einem 2gg2 mit Coman respektive 3gg3 zusätzlich mit Kane oder Pavlovic die Tiefe zu attackieren. Die Münchner wollten in diesen Situationen aufgrund der nach der Verlagerung mangelhaften Restverteidigung unbedingt Ballverluste vermeiden und versuchten dementsprechend kaum die Gleichzahl Situation zu lösen. Stattdessen verlagerte man wieder, um den freien Spieler zu finden.
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Um weniger weite Laufwege bei Verlagerungen im Mittelfeld zu haben, verschob Weiser bei Seitenwechsel eine Ebene hoch und Grüll ließ sich auf der anderen Seite in die 5er Kette fallen.
Um nicht immer weiter hinten reingedrückt zu werden, versuchte Bremen situativ Druck auf die Aufbauspieler auszuüben. Dazu rückte Grüll eine Ebene weiter vor in die erste Pressinglinie, sodass aus einem 5-2-3 die Münchner Aufbaukette Mann gegen Mann attackiert werden konnte. Allerdings mussten in diesen Situationen auch die Halbverteidiger aggressiv mannorientiert mit raus schieben, was für Räume im Rücken der letzten Kette sorgte.
Münchens Dominanz
Wenn München sich in der ersten Halbzeit Torchancen rausspielte, dann zumeist über das Öffnen und Belaufen des tiefen Halbraums. Beispielsweise wurde über den Breitengeber der tiefe Halbraum gesucht, womit man beim Spiel in die Tiefe zwar weniger Durchschlagskraft entwickeln konnte, dafür auch kaum Ballverluste in gefährlichen Zonen provozierte. Die Abläufe der Bremer sorgten allerdings für eine sehr gute Tiefenabsicherung, weshalb München sich schwer damit tat, auf die Grundlinie durchzubrechen.
Ab etwa der 30. Minute fing Bayern an, Bremen deutlich weiter an den eigenen Strafraum zu drücken. Das lag zum einen daran, dass München deutlich aggressiver die Tiefe in den Druck attackierte und durch längeres Andribbeln der Halbverteidiger, Bremen sich schwer damit tat, Zugriff auf den Ballführenden zu entwickeln. Zum anderen schafften es die Bayern über einen längeren Zeitraum dauerhaft anzulaufen, während Bremen kaum noch Pausen hatte. Damit konnte München immer wieder die Seite verlagern und Bremen kam nicht ins Verschieben, sondern musste sich weiter zurückfallen lassen. Durch die fehlende Verteidigungshöhe veränderte sich der Fokus der letzten Kette auf zentralere, tornahe Räume und Bremen fehlte der Zugriff auf die Außenbahnen und die vorderen Halbräume.
Auch in der zweiten Halbzeit konnte Bayern die Bremer hinten reindrücken. Eine wichtige Rolle spielte die Positionierung Boeys, nahe an der eigenen Aufbaulinie in der Breite. Nach der Verlagerung auf Halbverteidiger Kimmich zwang die breite Positionierung Boeys Grüll dazu, abwartender zu reagieren, da er nicht sofort Druck auf den andribbelnden Kimmich ausüben konnte. Dadurch dass Grüll nun keinen Druck mehr auf den Ballführenden ausüben konnte, wurden die Bremer weiter hinten rein gedrängt. In der Folge entstand die Szene, die zum Elfmeter führte, da Grüll durch Boey gebunden wurde und Kimmich viel Raum für eine Halbfeldflanke auf den einstartenden Kane erhielt.
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Durch die Positionierung Boeys übt Grüll keinen Druck auf Kimmich aus. In der Folge entsteht die Elfmetersituation, welche zum 1:0 führt.
Nach dem 1:0 Führungstreffer entstand ein verändertes Spiel. Bremen war gezwungen, mehr Risiko zu suchen. Das zeigte sich auch darin, dass die Bremer im Spielaufbau weniger lang schlugen und häufiger flach das Zentrum suchten. Dadurch konnte Bremen zwar längere Ballbesitzphasen entwickeln, sorgte aber auch durch Ballverluste für gefährliche Umschaltmomente der Bayern. Auch gegen den Ball suchte Bremen jetzt deutlich häufiger den direkten Zugriff, indem die Aufbauspieler häufiger und früher unter Druck gesetzt wurden. Dadurch wurden allerdings auch logischerweise Löcher in die letzte Kette gerissen, die Bayern bespielen konnte.
Fazit
Bayern München gewinnt letztlich verdient gegen Bremen. Werder machte es durch kluge Abläufe im 5-3-2 den Münchnern lange sehr schwer, den kompakten Block zu bespielen und hielt somit lange das 0:0. Die Bayern wiederum zeichneten sich durch hohe Geduld und wenig risikoreiche Ballverluste aus. Es entstand zunächst ein Spiel mit wenigen Torchancen auf beiden Seiten. Am Ende sorgte auch der Handelfmeter als entscheidender Wegbereiter für den 3:0 Heimerfolg. Vincent Kompany und René Maric haben damit übrigens den insgesamt höchsten Punkteschnitt aller ehemaligen Bayern Trainer momentan (Stand 21. Spieltag).
Autor: MH ist Fußball-Aficionado von Herzen. Seine Wohnung gleicht einer Fußball-Bibliothek in deren Regalen Bücher über die großen Taktiker von Rinus Michels bis Pep Guardiola stehen. Das Buch von Spielverlagerung.de fehlt hier natürlich nicht. Für MH ist Fußball nicht nur ein Spiel. Es ist ein Lebensgefühl. Auf X ist er unter Mh_sv5 zu finden.
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