Türchen 18: Juves Aufbauspiel

Nachdem Thiago Motta in der letzten Saison mit Bologna nicht nur sportlich erfolgreich war, sondern auch sehr interessante Lösungen im Ballbesitzspiel zeigte, wechselte der Trainer im Sommer zu Juventus Turin. Dort schaffte er es bereits, seine Ideen im Aufbauspiel umzusetzen. Juve überzeugt mit Positionswechseln, untypischen Freilaufbewegungen und Dribblings.

Grundstruktur mit flacher Kette

Grundsätzlich startet Juventus Turins Aufbauspiel in einem 4-3-3. Beide Flügelspieler positionieren sich maximal breit und tief und halten diese Position in dieser Spielphase auch permanent. Juve arbeitet im Aufbauspiel darauf hin, einen dieser Flügelspieler in ein Eins-gegen-Eins zu bekommen. Spieler wie Weah, Yildiz oder Conceição sollen dafür sorgen, dass Juve am Flügel durchbricht und sich so mindestens im gegnerischen letzten Drittel festsetzen, bestenfalls sofort eine Torchance erspielen kann. Situativ fällt Stürmer Dusan Vlahovic zurück, um im Aufbau zu unterstützen. So weit, so normal. 

Die Viererkette von Juve spielt anfänglich sehr flach und eng. Startet das Aufbauspiel mit einem Abstoß, wird auch der Torwart eingebunden, sodass fünf Spieler auf einer Höhe positioniert sind. Neben einem klaren Sechser wie Thuram oder Locatelli lässt sich immer auch ein Achter fallen. Juve bildet hier nicht wirklich eine Doppelsechs sondern spielt eher mit einer Sechser-(tiefer) Achter-Zehner Staffelung, da der Sechser klar das Zentrum hält und nicht auf eine Seite ausweicht, um “Platz für die Doppelsechs” zu machen.

Ein wenig Bologna in Turin

Juventus bindet beide Außenverteidiger sehr variabel in den Spielaufbau ein. Ihre Entscheidungsfindung im Freilaufverhalten orientiert sich zum einen an der Vorgabe Mottas mit einer +1 Überzahl in der ersten Linie aufzubauen und zum anderen an der Positionierung von Sechser und Achter. Gegen zwei Stürmer spielt Juve im 3-2 Aufbau. Dafür bleibt einer der Außenverteidiger flach und leicht eingerückt. Untypisch ist hierbei, dass es keine klare Rollenverteilung zwischen den Außenverteidigern gibt. Juventus startet den eigenen Aufbau und spielt den Ball auf den Außenverteidiger. Der ballferne Außenverteidiger schiebt leicht ein, stellt eine einfache Verlagerungsoption sicher und bildet situativ die Dreierkette. Juventus hält diese Struktur, wie auch jede andere in der Aufbauphase, nie lange aufrecht. Insbesondere Außen- und Innenverteidiger passen ihre Positionierung permanent an. Motta spielt mit seinen Außenverteidigern also mehr oder weniger eine pendelnde Viererkette im Aufbau, die das Ziel hat, stets mehrere klare flache Anspielstationen zu haben, um in Verlagerungen zu kommen. Insbesondere wenn ein Achter flacher kommt, stellt Juve so außerdem sicher, dass dieser Zentrumsspieler wiederum mehrere “einfache” Klatschoptionen hat. Sie entscheiden sich damit für gesicherten Ballbesitz und ein Stück weit gegen die Chance, mit möglichst wenigen Spielern in die große Verlagerung zu kommen. 

Fällt ein Sechser oder Achter situativ in die Kette, rückt der Außenverteidiger mit ins Zentrum. Insbesondere Danilo findet fast immer das richtige Timing, um seinen Raum freizumachen und/oder den Zentrumsraum zu besetzen. Diese Lösung nutzt Juve auch, wenn der Gegner nur mit einem Stürmer spielt (dann sogar im 2-3 Aufbau). Beide Außenverteidiger setzen sich außerdem frühzeitig und zum Teil sehr weit nach hinten ab, wenn ein Zentrumsspieler den Ball unter Druck bekommt. Auch hier entscheidet sich Motta damit wieder für die ballbesitzsichernde Lösung. Durch das Absetzen nach hinten und/oder außen geben sie dem ballbesitzenden Sechser oder Achter eine klare Passoption, die längere Anlaufwege für den Gegner bedeutet. Entscheidet sich der Gegner dennoch für das Anlaufen, bespielt Juve den Rücken dieses Gegners und bricht die erste Pressinglinie. 

Die Verhaltensweise der Innenverteidiger im Aufbauspiel erinnert stark an Mottas Bologna. Juve setzt diese Lösungsoptionen aber seltener und fast immer nur als Anschlussaktion ein. Initial positionieren sich die Innenverteidiger “klassisch” in der Kette. Spielen sie den Ball auf einen der Außenverteidiger, bieten sie sich situativ im Sechserraum für den Doppelpass an und halten im Anschluss diese Position. Hier profitiert Juve wieder vom ballfern einrückenden Außenverteidiger. Sie können die freiwerdende Innenverteidigerposition durch leichtes Verschieben sofort auffüllen, stellen wieder einfache Passoptionen für die Zentrumsspieler und im Verlauf des Angriffs eine Restverteidigung sicher. Die Freilaufbewegungen der Innenverteidiger bringen selten einen numerischen Vorteil. Im besten Fall entsteht aus dem Vorrücken eine Gleichzahl. Das Zahlenverhältnis ist aber gar nicht wirklich relevant, entscheidender ist der dynamische Vorteil. Der Innenverteidiger nutzt die Gegendynamik für sich aus. Er bleibt im Verlauf des Angriffs der Spieler, der “seinen” Gegenspieler bereits überspielt hat und nun mit Tempo- bzw. Dynamikvorteil Passoptionen schaffen oder sogar tiefe Läufe anbieten kann. Dieses Verhalten ist insofern untypisch, als dass es eher an das “klassische” Verhalten eines Außenverteidigers erinnert. Dieser würde sich am Flügel oder im Halbraum genau so verhalten. Da Juves Innenverteidiger diese Freilaufbewegungen aus der Zentrumsspur oder dem Halbraum starten, haben sie nicht nur mehr Freilaufoptionen, sondern auch mehr mögliche Anschlussaktionen wenn sie den Ball zurückerhalten. Dazu kommt das Zuordnungsproblem, da wie gesagt der Gegenspieler des Innenverteidigers in diesen Momenten bereits überspielt ist.

Dribbling als unterschätze Lösung im Aufbau

Ein weiteres Mittel, das Juventus häufig nutzt, um sich einen Vorteil im Aufbauspiel zu verschaffen, ist das Dribbeln. Juve überzeugt hier nicht nur durch die Qualität ihrer Ausführung, sondern auch durch die Variabilität, mit der sie individualtaktisch aus dem Dribbling einen gruppentaktischen Vorteil erzeugen. Juves Sechser dribbeln im Aufbauspiel gegnerüberwindend, wenn sie geschlossen und mit Gegner im Rücken angespielt werden, dieses Eins-gegen-Eins aber per Dribbling lösen und damit das Pressing brechen. Die Innen- und Außenverteidiger dribbeln raumüberwindend und damit zum Teil sogar linienbrechend, wenn sie aus der Viererkette (nach Verlagerung) andribbeln. Sie dribbeln aber auch gegnerbindend (also bewusst auf einen Gegenspieler), um das Spiel über den Dritten bzw. Zwei-gegen-Eins Situationen vorzubereiten. Auch hier wird das frühzeitige Absetzen der Außenverteidiger wieder relevant, in diesen Situationen profitiert Juventus außerdem enorm von den fallenden Achtern, die für den gegnerbindend dribbelnden Spieler häufig die diagonale Passoptionen sicherstellen. Diese Vielfalt im Dribbling ist auf diesem Niveau definitiv untypisch und sorgt in Kombination mit den weiteren gruppentaktischen Lösungen dafür, dass Juventus Turin unter Thiago Motta ein außergewöhnliches Aufbauspiel hat.

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