Mannorientierte Adler setzen sich im Topspiel durch – FN
Nach zuletzt zwei Spielen ohne eigenes Tor empfing der VfB Stuttgart am vergangenen Bundesliga-Sonntag im Topspiel die formstarke Eintracht aus Frankfurt. Mit fünf Treffern und einem fast-Comeback des VfB in letzter Minute nach einem 0:3-Rückstand hielt das Spiel, was es versprach. Trotz Stuttgarter Dominanz über weite Teile der Partie und einem überzeugenden Bespielen des mannorientierten Frankfurter Pressings holte die Eintracht letztlich drei wichtige Punkte und festigte Platz drei in der Tabelle.
Personal
Auf Stuttgarter Seite musste Hoeneß nach dem Spiel gegen Atalanta auf den verletzungsbedingt ausfallenden Undav verzichten. Er wurde durch Rieder, der die rechte Außenbahn übernahm, während Millot ins Zentrum rückte. Dennoch vermisste der VfB schmerzlich Undavs Fähigkeiten als Verbindungsspieler, der zuletzt immer wieder sehr tief in den Spielaufbau abkippte und als Klatsch-Option im Überspielen des gegnerischen Angriffspressing diente. Durch diese tiefen Abkippbewegungen und seine Ballsicherheit mit Rücken zum Tor im Ablagespiel konnten stets Räume für Mitspieler geöffnet werden, die danach dynamisch bespielt wurden. Hoeneß versuchte dies durch einige spannende Rotationen auf der rechten Seite mit dem abkippenden Millot im Kollektiv zu ersetzen.
Als Sturmpartner von Undav schien zuletzt El Bilal die Nase vorn zu haben. Dennoch entschied sich Hoeneß in diesem Spiel für Demirovic, der als Partner von Millot jedoch eine unglückliche Figur abgab. In der Defensive konnte der VfB wieder auf den zuletzt angeschlagenen Abwehrchef Chabot zurückgreifen, der den zuletzt in die Startelf gerückten Chase ersetzte.
Auf Frankfurter Seite nahm Toppmöller einige interessante Änderungen im Vergleich zu den letzten zwei Spielen gegen Prag und Bochum vor. Ähnlich wie Alonso setzte Toppmöller aufgrund des mannorientierten Ansatzes im Pressing gegen den VfB und der durch Stuttgarts ballbesitzorientierter Spielanlage verursachten hohen Anzahl an zu erwartenden Pressing und Gegenpressingmomenten auf mehr defensivdenkende und physisch überlegene Spieler in der Startformation. So entschied er sich auf der linken Seite mit Theate und Brown für zwei gelernte Verteidiger und setzte auf Ebimbe auf der rechten Außenbahn anstelle von Knauff, Bahoya oder Götze. Larsson und Skhiri erhielten zudem den Vorzug vor Dahoud auf der Frankfurter Doppelsechs.
Mannorientiertes Angriffspressing
Stuttgart hatte bereits in München große Probleme mit dem intensiven, stark mannorientierten 1-gegen-1-Pressing der Bayern über den gesamten Platz. Aufgrund ihrer körperlichen und qualitativen Überlegenheit in den einzelnen 1-gegen-1-Duellen konnte Bayern das Spielgeschehen über weite Strecken dominieren. Alonso wählte einen ähnlichen Ansatz in einem stark mainorientierten 4-2-4 Pressing mit den gewohnten Flügelverteidigern als Außenstürmern und dominierte den Ball ebenfalls über weite Strecken des Spiels. Toppmöller folgte diesem Beispiel gegen Stuttgart und entschied sich ebenfalls für ein sehr mannorientiertes Angriffspressing.
Im Angriffspressing agierte die Eintracht in einem 4-2-4-System und setzte Stuttgart mannorientiert unter Druck, das wie gewohnt aus einem 4-2-4-Aufbau agierte. Die Stürmer und Außenstürmer pressten die Stuttgarter Viererkette, während Skhiri und Larsson im Zentrum jeweils die gegnerischen Sechser in Manndeckung nahmen. Die Mannorientierungen waren dadurch sehr klar und ermöglichten ein intensives Pressing. Allerdings war durch die hohe Positionierung der Sechser der Raum vor der Viererkette unbesetzt. Um diesen offenen Raum zu verteidigen, mussten die Frankfurter Innenverteidiger deshalb aggressiv und mannorientiert aus der letzten Linie nach vorne schieben, um zu verhindern, dass ein abkippender Angreifer sich im Zwischenlinienraum aufdrehen konnte. Dadurch können allerdings Räume in der letzten Linie freigezogen werden, die durch Tiefenläufe bespielt werden können.
Ablagespiel gegen Mannorientierungen
Anders als in den Spielen gegen Bayern und Bayer war Stuttgart diesmal deutlich klarer in ihren Abläufen und machte einen sehr guten Job darin das mannorientierte Angriffspressing zu manipulieren und überspielen. Der VfB war sehr gut darin den Druck auszuhalten und ihre Abläufe richtig zu timen. Speziell die Außenverteidiger Mittelstädt und Vagnoman wurden von der SGE lange freigelassen und als Pressingfallen genutzt und hielten den Ball um im richtigen Moment den aufgehenden Raum zu bespielen.
Der entscheidende Schlüssel für das wiederholte Überspielen des Frankfurter Angriffspressings war, wie in der folgenden Szene beschrieben, das Stuttgarter Ablagespiel und das gezielte Herausziehen der Frankfurter Innenverteidiger, um so die Zielräume zu bespielen.
Wie von Stuttgart bereits gewohnt, löst Nübel durch gezieltes Verzögern das Pressing aus. Mit einem Chipball hinter die erste und zweite Frankfurter Pressinglinie findet er den abkippenden Millot, der Tuta aus der Abwehrkette zieht. Ebimbe orientiert sich in Richtung Ball, sodass Millot durch ein geschicktes Ablagespiel den freistehenden Mittelstädt anspielen kann. Stiller kippt als zusätzliche Anspielstation zwischen Chabot und Mittelstädt in die erste Aufbaulinie ab und zieht Skhiri mit sich, wodurch der Raum zwischen den Linien weiter geöffnet wird. Mit einem weiteren Chipball findet Stiller den in den Zwischenlinienraum abkippenden Demirovic, durch dessen Bewegung der zweite Innenverteidiger, Koch, ebenfalls aus der letzten Linie gezogen wird, was Lücken in der Frankfurter Abwehrkette reißt. Doch Demirovic verpasst das Abspiel nach rechts, um eine dynamische Umschaltsituation zu schaffen, sodass der Aufbau erneut beginnt.
Ein weiteres Element des Stuttgarter Ablagespiels war das dynamische Positionsspiel auf der rechten Seite. Da Marmoush meist von links das Pressing auslöste und Nübel im Bogen anlief, um Rouault im Deckungsschatten zu halten, war der Stuttgarter Aufbau oft sehr rechtslastig. Rouault als freier Mann hinter dem Pressing konnte immer durch das Spiel über den Dritten mit einem der Sechser gefunden werden und agierte als erster Aufbauspieler nach Nübel. Durch das Herausziehen von Marmoush wurde Rouault wiederholt Zeit am Ball verschafft, und er fand regelmäßig den tief abkippenden Millot im Sechserraum, der Koch aus der Abwehrkette zog. Millot konnte dann entweder direkt eine Ablage in den freien Raum ins Zentrum spielen oder durch eine Ablage an die Sechser Kontrolle über das Spielgeschehen gewinnen. Eine weitere Möglichkeit bestand darin, eine Ablage für den dynamisch in den durch Millots Abkippen und Rieders Gegnerbindung freigewordenen Raum vorstoßenden Vagnoman zu spielen. Dieser konnte den Ball in offener Position annehmen und mit langen Schritten nach vorne tragen.
Bespielen des Frankfurter Abwehrpressings
Sobald das Angriffspressing überspielt war ließ sich in die Eintracht in ein 4-4-2 Abwehrpressing mit zwei sehr eng gestaffelten flachen Viererketten zurückfallen. Auffällig war, dass die Eintracht den Stuttgarter Sechsern den Ball überließ, sobald sie einmal ins Abwehrpressing übergegangen war. Dieser fehlende Druck auf den Ball lässt sich dadurch erklären, dass Ekitike sehr hoch positioniert blieb und sich nicht hinter dem Ball, sondern auf Höhe der Stuttgarter Innenverteidiger aufhielt, wo er auf Umschaltmomente lauerte. Zeitweise fand man sogar beide Stürmer auf Höhe der Stuttgarter Abwehrlinie. Die Eintracht bereitete so ihr sehr direktes Umschaltspiel in die Spitze nach einem Ballgewinn vor.
Dies bringt jedoch auch Nachteile mit sich. Durch das Verteidigen in einer 4-4-Ordnung fehlt jeglicher Druck auf den Ballführenden; das Team wird passiv und rückt immer tiefer in Richtung eigenes Tor. Zudem ist es sehr schwer, aus dem Abwehrpressing heraus wieder ins Angriffspressing umzuschalten und sich zu befreien. Außerdem ermöglicht die Überzahl des Gegners im Mittelfeld ein sofortiges, aggressives Gegenpressing, was den Druck auf die Defensive weiter erhöht.
Aufgrund der teilweise fehlenden ersten Pressinglinie setzte die Eintracht in ihrem Block auf sehr enge vertikale, aber vor allem horizontale Abstände, um das Zentrum zu schließen. Der VfB versuchte daher oft, das Abwehrpressing durch Tiefenläufe von Demirovic, Führich oder Vagnoman vertikal auseinanderzuziehen, um den Raum zwischen den Linien zu öffnen und durch Gegenbewegungen zu bespielen.
Wie von Stuttgart gewohnt, versuchte das Team, das Abwehrpressing durch Flügelkombinationen mit klaren Abläufen sowie durch das Wechselspiel der Außenverteidiger und Außenstürmer zwischen Halbraum und Breite zu knacken. Auffällig war, dass der VfB bis zur Einwechslung Diehls ballfern auf der rechten Seite häufig ohne Breitengeber agierte. Vagnoman besetzte oft die Halbraumspur aus der Tiefe und rückte ballfern ins Zentrum, um als zusätzliche Absicherung gegen Frankfurter Konter zu dienen. Der nominelle Rechtsaußen Rieder zog ebenfalls oft ins Zentrum und überlud die linke Spielfeldhälfte, was für enge Abstände zwischen den Spielern sorgte und speziell in den ersten 30 Minuten für ein sehr griffiges Gegenpressing. Von dort aus waren auch Flanken durch den nach innen ziehenden Führich mit Zug zum Tor oder durch den überlaufenden Mittelstädt ein häufig genutztes Mittel, wie etwa bei der Chance von Demirovic in der 18. Minute.
Hybrides Stuttgarter Angriffspressing
In der ersten Linie presste Stuttgart wie gewohnt mannorientiert, wobei beide Stürmer und die Außenstürmer auf Frankfurts Viererkette Druck ausübten. Dahinter positionierte sich Stiller zwischen den beiden Sechsern des Frankfurter 4-2-4-Aufbaus und verschob nach dem Lenken des Spielgeschehens auf eine Seite mannorientiert auf den ballnahen Sechser, um ein ballnahes 3-gegen-3 herzustellen. Der ballferne Stürmer schob auf den Torhüter, um Passwege zur anderen Seite zu blockieren, und der ballferne Außenstürmer rückte ins Zentrum ein, um die Abstände zum ballfernen Frankfurter Sechser zu verkleinern. Karazor sicherte hinter den ersten beiden Pressinglinien den freien Raum vor der Abwehr und konnte so Überzahl gegen Befreiungsschläge der Eintracht schaffen sowie Bälle im Zentrum abfangen und Abkippbewegungen der Stürmer aufnehmen. Sollte Frankfurt den ballnahen Mannorientierungen entkommen und die Seite verlagern, schob Karazor mannorientiert auf den zweiten Sechser und es wurde 1-gegen-1 gepresst. Ein weiterer Fall, in dem Stuttgart ins mannorientierte Angriffspressing überging, war das Umschalten vom Mittelfeld- ins Angriffspressing. Hierbei schob Karazor ebenfalls mannorientiert auf den zweiten Sechser, um ein Durchspielen durch einen Pass in den Druck während der Umschaltbewegung zu verhindern.
In den ersten 30 Minuten war Stuttgart sehr griffig in ihrem Angriffspressing, und Frankfurt fand wenig spielerische Lösungen. Häufig wurde der lange Ball erzwungen, und durch die +1-Überzahl mit Karazor konnten die zweiten Bälle meist gewonnen werden. Aufgrund des hohen Drucks spielte Frankfurt sehr direkt nach vorne, schaffte es jedoch nicht, das Spielgeschehen zu kontrollieren, was wohl auch nicht Toppmöllers Plan A war.
Verbesserungen vor der Pause
Kurz vor der Halbzeit fand die Eintracht dann jedoch zunehmend Lösungen gegen das hybride Pressing und schaffte es, durch die breite Positionierung der Sechser und das Abkippen Browns in die Halbspur, das Mittelfeld zu überladen und die Mannorientierungen der Stuttgarter Sechser zu manipulieren.
In dieser Szene aus der 39. Minute stehen die Frankfurter Sechser tief und sehr breit am eigenen Strafraum. Durch einen Doppelpass zwischen Trapp und Skhiri wird Stiller dazu gebracht, auf Skhiri zu springen. Millot presst Trapp nicht, da er aufgrund der angesprochenen Positionierung Larssons bereits zwei Stuttgarter abdecken muss. Karazor zögert, aufgrund von Browns Abkippen in die linke Halbspur mannorientiert auf Larsson zu pressen. Mit dem Pass nach außen auf Theate wird ballnah Überzahl durch Brown und Larsson geschaffen. Frankfurt kann dieses 3-gegen-2 auflösen und findet Brown dynamisch im offenen Raum hinter Karazor, wodurch eine gefährliche 5-gegen-5-Umschaltsituation entsteht.
So gelang es der Eintracht, mehr Kontrolle über das Spiel zu erlangen und trotz ihres weiterhin sehr direkten Angriffsspiels einige interessante Abläufe im Ballbesitz zu zeigen. Der Aufbau erfolgte aus einer 3-1-Struktur, wobei ein Sechser in die erste Linie abkippte. Die Flügel wurden doppelt besetzt, weshalb man einige diagonale Verlagerungen in Richtung des hochschiebenden Außenverteidigers sah. Ekitike und Marmoush besetzten das Zentrum und sorgten mit ihren gut abgestimmten Gegenbewegungen und Tiefenläufen für ständige Gefahr hinter der letzten Linie sowie für Anspielstationen zwischen den Linien. Die Stürmer wichen allerdings auch häufig nach außen aus und schufen dort Überzahl für die bereits in dieser Saison häufiger zu beobachtenden Flügelkombinationen der Eintracht.
Eiskalte Frankfurter im zweiten Durchgang
Der Frankfurter Führungstreffer kurz vor der Pause, erzielt von Ekitike nach einem Eckball, wirkte sich spürbar auf den Spielverlauf aus. Stuttgart machte weiterhin einen herausragenden Job darin, sich durch ihr Ablagespiel aus dem mannorientierten Angriffspressing der Eintracht zu befreien. Dies führte dazu, dass sich die Eintracht zunehmend ins Abwehrpressing zurückgedrängt sah, immer passiver wurde und sich auf lange Bälle sowie Umschaltsituationen beschränkte. Dieser Ansatz zahlte sich voll aus, und die Eintracht konnte nach einem sauber zu Ende gespielten Konter durch Brown das 0:2 erzielen.
Der VfB reagierte darauf und brachte mit El Bilal und Diehl, der ein belebendes Element in der Partie darstellte, zusätzliche Offensivkräfte für Karazor und Rieder. Von diesem Zeitpunkt an tat es Hoeneß seinen Gegenüber gleich und presste ebenfalls sehr mannorientiert im 1-gegen-1 über den gesamten Platz. Damit ging er defensiv mehr Risiko in Umschaltmomenten und nach langen Bällen ein, bei denen Stuttgart nun in der Restverteidigung 1-gegen-1 verteidigte. Zudem befand sich mit Diehl ein zusätzlicher Breitengeber auf den Flügeln auf dem Platz.
Durch einen hohen Ballgewinn nach eigenem Pressing und einem sehenswerten Treffer durch Marmoush per Freistoß konnte die Eintracht kurze Zeit später auf 0:3 erhöhen. In der Folge erhöhte Stuttgart weiter den Druck auf das Frankfurter Abwehrpressing. Durch das hochriskante 1-gegen-1-Verteidigen des VfB in der Restverteidigung gegen die weiterhin auf Konter lauernden Angreifer der Eintracht erspielten sich die Frankfurter weitere aussichtsreiche Kontermöglichkeiten. Diese wurden allerdings häufig unsauber zu Ende gespielt, sodass die endgültige Entscheidung verpasst wurde.
Fazit
Insgesamt machte der VfB trotz des spürbaren Fehlens von Schlüsselspieler Undav, wie so oft in dieser Saison, ein sehr gutes Spiel. Besonders das Aufbauspiel gegen das mannorientierte Pressing der Frankfurter und das hervorragend organisierte hybride Angriffspressing stachen heute hervor. Hoeneß kann sich aus taktischer Sicht dementsprechend wenig vorwerfen lassen. Dennoch konnte das Team sich erneut trotz guter Leistung nicht mit einem Sieg belohnen.
Auch wenn die drei Punkte für die Eintracht etwas schmeichelhaft erscheinen und die Mannschaft dem zunehmenden Druck des Stuttgarter Offensivspiels am Ende kaum standhalten konnte, ging Toppmöllers Matchplan insgesamt auf. Die mannorientierte Spielweise mit zusätzlichen Defensivspielern trug trotz des starken Aufbauspiels des VfB dazu bei, das Spielgeschehen über weite Teile der Partie vom eigenen Tor fernzuhalten. Zudem war die Eintracht im Abwehrpressing gut gestaffelt und setzte immer wieder Nadelstiche durch das beeindruckende Umschaltspiel.
Autor: FN beschäftigt sich mit intensiv mit Taktiktheorie als auch Analysen zu aktuellen Spielen und Entwicklungen im Fußball. Auf Twitter ist er als @felixnb aktiv.
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