Thüringenderby: Jena demütigt den Erzrivalen aus Erfurt – LB

Vorletzte Woche fuhr der FC Carl Zeiss Jena den sechsten Sieg im sechsten Spiel in der Regionalliga Nordost ein. Und das ausgerechnet Zuhause im Thüringenderby gegen den FC Rot-Weiß Erfurt. Wie es zum 5:1 Erfolg kam, welche Stärken Jena auszeichnet und wo ihre Schwachstellen liegen, lest ihr im folgenden Text.

Pressing von Jena erdrückt Erfurt

Abb. 1: Spielaufbau von Erfurt und Pressing von Jena

In der Anfangsphase hat die Gastmannschaft aus Erfurt große Probleme im Spielaufbau. Rot-Weiß baut im 4-3-3 auf mit sehr breit stehenden Innen- sowie Außenverteidigern. Zusätzlich positionieren sich Ben-Luca Moritz (Rechtsverteidiger) und Lucas Zeller (Linksverteidiger) sehr hoch, teilweise bis auf die Höhe vom Sechser Til Linus Schwarz.

Jena presst den Erfurter Spielaufbau sehr aggressiv. Zunächst zwingen sie Erfurt mit ihrer Doppelspitze das Spiel auf eine Spielfeldseite zu verlagern, indem (meist) Erik Weinhauer den ballführenden der beiden Innenverteidiger so anläuft, dass der Pass zum Außenverteidiger nicht möglich ist. Sobald der Ball beim zweiten Innenverteidiger ankommt, läuft Benjamin Zank ihn an, lässt dabei aber Erfurts alleinigen Sechser Schwarz in seinem Deckungsschatten, sodass nur noch der Pass zum Außenverteidiger möglich ist. Nach dem Pass von Erfurt zum Außenverteidiger schiebt auch die restliche Mannschaft Jenas mannorientiert durch. Hamza Muqaj, einer der beiden Sechser Jenas, rückt meist durch bis auf Schwarz. Erfurts Außenverteidiger werden wiederum von Joel Richter (linkes Mittelfeld Jena) und Ken Gipson (rechtes Mittelfeld) angelaufen.

Nur selten gelingt es Erfurt, sich aus einer solchen Situation spielerisch zu lösen, indem sie beispielsweise über einen der beiden Achter Marco Wolf oder Hinata Gonda auflösen. Dadurch kann Erfurt das gesamte Spiel über nur sehr selten längere, kontrollierte Ballbesitzphasen verbuchen und greift zu oft zu langen Befreiungsschlägen.

Erfurt lässt Jena gewähren

Abb. 2: Spielaufbau von Jena

Jena baut in einem asymmetrischen 3-3-4 auf, bei dem der rechte Außenverteidiger Nils Butzen auf seiner Seite aufrückt und sehr intensiv in das Offensivspiel eingreift. Muqaj und Justin Schau bilden eine klassische Doppelsechs, wobei Ersterer den offensiveren Part spielt und sich deutlich häufiger in die Jenaer Angriffe einschaltet. Die Spieler der Heimmannschaft bewegen sich grundsätzlich deutlich dynamischer im eigenen Ballbesitz im Vergleich zu Rot-Weiß. Weinhauer und Zank lassen sich beispielsweise abwechselnd auf die 10er-Position fallen, um Pässe aus dem defensiven Mittelfeld oder der Flügelspieler entgegenzunehmen. Hier können sie sich ihre Räume suchen, da Erfurt nur mit einem Sechser vor der Viererkette spielt.

Wenn sich Zank fallen lässt, orientiert sich Weinhauer deutlich zentraler in der Sturmspitze, dann rückt Richter auch gerne nach innen in den Halbraum. Auf der rechten Seite bewegt sich Rechtsverteidiger Butzen, wie eben schon angedeutet sehr weit nach vorne und rochiert situativ auch mit Gipson, der dann mehr in die Zentrale rückt. Dies passiert vorzugsweise, wenn sich Weinhauer auf der anderen Seite hat fallen lassen und Zank Raum für Gipson frei gemacht hat.

Jena hat in diesem die allermeiste Zeit über keinerlei Probleme einen kontrollierten Spielaufbau aufzuziehen. Das liegt allerdings hauptsächlich daran, dass Erfurt sie gewähren lässt. Die Gäste lassen sich gegen den Ball sehr tief in ein 4-1-4-1 fallen und das bereits sehr kurz nachdem Jena in Ballbesitz kommt. Erfurt ist so gut wie nie an einem Pressing interessiert. Weder nach Ballverlust noch in einer anderen Phase des Spiels. Oft ist Stürmer Ömer Uzun der einzige Erfurter Spieler, der sich in der gegnerischen Hälfte befindet, wenn Jena über ihre Innenverteidiger aufbauen. Dadurch ist dessen Anlaufverhalten wenig bis gar nicht effektiv ist. Weder stört er die gegnerischen Innenverteidiger erfolgreich am Spielaufbau, noch deckt er Schau oder Muqaj.

So erspielt sich Jena ihre Torchancen

Auch wenn Erfurt seine Gegner nicht an dessen Spielaufbau hindern möchte, so nutzt Jena diese Möglichkeit oft nicht aus, um Ruhe ins Spiel zu bekommen. Ganz im Gegenteil: Sie versuchen nach Ballgewinn Erfurt sehr schnell zu überspielen. Dies tun sie einige Male zu überhastet und nehmen sich damit selbst die Chance, den Ball länger zu halten und kontrollierter ins Angriffsspiel überzugehen. Nichtsdestotrotz dieser Tatsache und des fehlenden Erfurter Pressings ist diese Herangehensweise durchaus verständlich, da Rot-Weiß nach Ballverlust sehr anfällig ist. Sie schieben im eigenen Ballbesitz ihre letzte defensive Kette recht hoch, deswegen versucht Jena nach Ballgewinn mit schnellem Umschaltspiel oder längeren Pässen hinter die aufgerückten Außen- beziehungsweise Innenverteidiger Erfurts zu kommen.

Diese Taktik macht sich beim 2:0 für Carl-Zeiss bezahlt. Nach einem Erfurter Abschlag gewinnt El Haija sein Kopfballduell und Weinhauer kann den Ball anschließend am Mittelkreis mehr oder weniger ungestört hinter die komplette Erfurter Hintermannschaft spielen. Richter rennt am aufgerückten und langsameren Moritz vorbei. Die Innenverteidiger Duncan und Maluze sind ebenfalls zu weit aufgerückt und können Richter auch nicht mehr am Torschuss zur 2:0 Führung hindern. Das so derartige Hochschieben der Außenverteidiger bei Erfurt ist insofern nur wenig verständlich, da sie sich im späteren Offensivspiel kaum beteiligen. Spätestens nach dem 0:2 hätte hier Rot-Weiß eine Umstellung und tiefere Außenverteidiger im Spielaufbau bei der Konterabsicherung geholfen.

Auch den bereits angesprochenen tiefen Mittelblock von Erfurt schafft es Jena immer wieder zu überspielen und zu Torchancen zu kommen. Der Hauptgrund liegt hierbei hauptsächlich darin, dass die Gäste zu passiv agieren. Beispielsweise beim Führungstreffer: Natürlich fällt dieses Tor nicht ohne den immensen Torwartfehler von Otto, allerdings ist die Entstehung hier symptomatisch, weil Gipson viel zu viel Zeit beim Flanken gelassen wird. Auch beim späten 5:1 bekommt Butzen die Möglichkeit, in aller Ruhe die Halbfeldflanke in Richtung rot-weißen Sechzehner zu schlagen. Grundsätzlich ist auch das ein großes Problem für die Erfurter in der Defensive. Butzen bekommt zu häufig zu viel Raum und Zeit gefährliche Pässe und Flanken zu spielen und bringt Erfurt so regelmäßig in Schwierigkeiten.

Das hätte Erfurt besser machen können

Womit Erfurt in diesem Spiel viele Probleme hatte, war ihr eigener Spielaufbau, bei dem Jena sie effektiv störte und oft Ballverluste erzwang. Eine Möglichkeit, diesen zu stabilisieren, wäre es gewesen, dass im eigenen Spielaufbau mindestens einer der beiden Achter (besser beide) sich neben Schwarz beziehungsweise Fabinski fallen lassen und dabei helfen, den Ball kontrolliert aus der eigenen Hälfte zu spielen. Darüber hinaus waren die Räume zwischen den beiden defensiven Viererketten von Jena auffallend groß (siehe Abb. 1 rot markierter Bereich) und hätten sie vor Probleme stellen können, wenn Erfurt sie genutzt hätte. Besonders während der aggressiven Pressingphase, aber auch wenn Jena sich in ihr 4-4-2 hat fallen lassen, war hier Platz zu finden. Allerdings waren in vielen Momenten schlichtweg zu wenig Erfurter im Angriffsdrittel, da ihnen das Nachrücken schwerfiel, wenn sich Gonda oder Wolf für den Spielaufbau in die eigene Hälfte fallen ließen.

Lediglich Uzun, Aboagye oder Andy Trübenbach hätten diesen Raum dann besetzen können, was sie auch ab und an taten. Zum Beispiel bei der Erfurter Torchance in der 30. Minute, als Schau zu aggressiv auf Wolf heraus rückt, der kann Uzun bedienen, der sich im besagten Raum zwischen den Viererketten aufhält. Aus dieser Situation heraus kommt Schwarz kurz darauf zu einem freien Torschuss aus rund 16 Metern. Eine weitere gute Möglichkeit, diesen Raum auszunutzen, wäre es zum Beispiel gewesen, Steil und Klatsch mit Aboagye, Trübenbach oder Uzun in diesem Bereich zu spielen und sich anschließend mit Tiefenläufen hinter die Innenverteidiger für einen Steckpass anzubieten. Speziell bei Reddemann und El Haija ist es häufiger auffällig, wie hoch sie stehen oder dass sie zu überstürzt aus der Kette heraus laufen, um den Ball führenden Spieler anzulaufen.

Hier ist Jena verwundbar

Abb. 3: Spielszene aus der 52. Minute (Teil 1)

So effektiv wie das Pressing von Jena in den meisten Fällen funktioniert, genauso anfällig sind sie, wenn ihr Mittelfeld in solchen Situationen überspielt wird. Beispielsweise in der 52. Spielminute (siehe Abb. 3): Jena presst Erfurt über den gesamten Platz, aber in dieser Situation können sich die Gäste daraus lösen. Maluze, Zeller und Wolf können über ein Dreieck fünf gegnerische Spieler überspielen und den Ball auf Fabinski passen, der etwas Raum zum andribbeln hat.

Dieser nutzt die Gelegenheit (siehe Abb. 4) und spielt einen eröffnenden Pass auf Phillip Aboagye und überspielt weitere zwei Spieler von Jena. In dieser Situation ist Jena extrem ungeordnet und befinden sich in einer vier gegen vier Gleichzahl rund 25 bis 30 Meter vor dem eigenen Tor, weil sie vorher teilweise zu stark ins Risiko gehen und nicht aufmerksam genug sind. Als Maluze den Ball nach der Pass-Stafette mit Zeller und Wolf zurückbekommt, stellt Zank den Passweg horizontal zu Duncan zu, anstatt Fabinski zu decken (siehe Abb. 3). Anschließend verschläft Butzen seine Pressingaufgabe und steht neben Aboagye, der dadurch den Pass annehmen kann. Danach läuft er Aboagye wild hinterher und möchte den Ball zurückgewinnen, anstatt auf seiner Rechtsverteidiger Position zu bleiben. Ganz am Ende des Erfurter Angriffs (nicht auf Abb. 4 zu sehen) findet er sich auf der linken statt auf seiner rechten Abwehrseite wieder. Zeitgleich läuft Innenverteidiger Reddemann ebenfalls zu aggressiv aus der Kette auf Aboagye heraus, was dazu führt, dass Linksverteidiger Krämer seinen Platz im Zentrum auffüllen muss. Deswegen haben Uzun auf links und Gonda auf rechts so viel Platz.

Abb. 4: Spielszene aus der 52. Minute (Teil 2)

Fazit

Der FC Carl Zeiss Jena spielt in den ersten Wochen dieser Regionalliga-Saison sehr stark auf. Besonders ihr Angriffspressing überzeugt und sie führen dieses auf einem (für die Regionalliga) sehr hohem Niveau aus. Auch in den Umschaltmomenten nach Ballgewinn und im kompakten Verteidigen gegen den Ball können sie zumeist überzeugen. Einige Schwächen sind dennoch wie bei jeder Fußballmannschaft zu finden. Hier sind vor allem drei Punkte zu nennen. Erstens: Unkonzentriertheiten und zu risikobehaftetes Anlaufen des ballführenden Spielers während des Pressings. Zweitens: Zu große Abstände zwischen den Ketten im defensiven Mittelblock gegen den Ball und drittens das zu überhastete Einleiten von Kontern direkt nach Ballgewinn. Wenn Jena es schafft, im Verlauf der Saison an diesen Schwachstellen zu arbeiten und sich dort zu verbessern, dann gehören sie dieses Jahr auf jeden Fall zu einem der Favoriten auf den Aufstieg in die dritte Liga.

Rot-Weiß Erfurt hingegen tut sich im Beginn dieser Saison schwer und das sieht man nicht nur in dieser deutlichen Derby-Niederlage. Das ist auf der einen Seite verständlich, da es im Sommer einen großen Kaderumbruch gab. Auf der anderen Seite sollten die bisherigen Spiele und teils hohen Niederlagen (1:5 Jena, 0:4 HFC) trotzdem zu bedenken geben. Erfurt agiert gegen den Ball zu passiv und mutlos, während sie es mit dem Ball bisher noch nicht geschafft haben, zielgenau die Schwächen des Gegners zu adressieren.

 Autor: LB – Bei Twitter unter @GermanGOAT zu finden

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