Der HSV schneidet sich ins eigene Fleisch (mal wieder)

1:1

In einem packenden, unterhaltsamen und ansehnlichen 2. Liga Topspiel trennten sich der HSV und die Hertha aus Berlin nach spätem Ausgleich mit 1:1. Ein Spiel mit zwei Halbzeiten, die kaum unterschiedlicher hätten sein können.

Mäßiger Start in die Saison für beide Teams

Während der HSV unverändert in die Partie hineinstartete, stellte Hertha 2 Positionen im Vergleich zum letzten Spiel um. Jedoch waren diese Umstellungen weniger taktischer Natur, sondern eher verletzungsbedingt: So rückte Karbownik für Cuisance in die Startelf, während Winkler Dardai ersetzt. Die Berliner mussten ihren schwachen Saisonstart wieder wett machen: Nach der 2:1 Niederlage gegen Paderborn sah man sich vorallem mit schwacher Abwehrarbeit des Mittelfelds konfrontiert und mit der Frage, wie man ohne Reese das Spiel gestalten könne.

Anders sah es beim HSV aus: Im Eröffnungsspiel gegen Köln war man in der Lage einen Sieg einzufahren. Souverän? Eher nicht. Ein Blick auf den xG-Wert und vor allem die Spielanteile in Halbzeit 2 verraten, dass man noch eine Menge Arbeit vor sich hatte. Ein besonderes Augenmerk sollte hierbei auf dem Aufbau gegen ein hohes Pressing liegen und bei der Verhaltensweise bei Führung. Denn nach der 2:0 Führung beschränkten die Hamburger sich auf ihr tiefes 5-4-1 ohne Interesse zu zeigen, das Spiel zu gestalten.

Wer das Zentrum kontrolliert, kontrolliert das Spiel

Mit Blick auf die Aufstellungen wird schnell eine Sache klar: Auf dem Papier hat der HSV mit der Box im Mittelfeld des 5-2-2-1 einen Zentrumsspieler mehr. Einen Vorteil, der von erheblicher Bedeutung sein kann, da die Kontrolle des Zentrums häufig entscheidet, wer die Spielkontrolle hat. Die Hertha versuchte diese Kontrolle einzuschränken: So lies Tabakovic sich im Pressing fallen um Meffert in Manndeckung zu nehmen, während das 3er Mittelfeld der Hertha die restlichen drei Mittelfeldspieler des HSV’s deckte. Die Flügel Scherhant und Winkler sollten die äußeren Innenverteidiger der 3er Kette anlaufen, sobald der Ball zu diesen gelang. Schnell stellte sich jedoch hinaus, dass dieser taktische Kniff seine Probleme mit sich brachte.

Schonlau ohne Gegnerdruck

Das größte und einleuchtendste Problem: Schonlau durfte als zentraler Innenverteidiger in der 3er Kette ungestört den Ball halten. Ohne jeglichen Gegnerdruck war er so in der Lage die freien Mitspieler in Szene zu setzen. Die freien Mitspieler waren hierbei entweder einer der sehr umtriebigen Mittelfeldspieler der Box, die immer wieder die Manndeckung der Hertha entkommen konnten oder die sich flach anbietenden Flügelspieler Jatta und Dompe (mehr dazu später). Teils hat Schonlau jedoch auch so viel Freiheit genossen, dass er selbst die Initiative ergreifen konnte und die erste Pressinglinie überdribbelt. Teils versuchte Tabakovic Schonlau anzulaufen und gleichzeitig mit seinem Deckschatten den Passweg zu Meffert zu schließen, jedoch wurde Tabakovic ohne viel Mühe mit Steil-Klatsch Kombinationen überspielt und Meffert trotzdem gefunden. Manchmal löste Schonlau jedoch Drucksituationen auch selbst, da er sich selbst ins letzte Drittel wagte und sich mit Doppelpässen vorkombinierte. So gab Hertha jegliche Kontrolle über das Spiel ab, wobei man phasenweise versuchte Mann gegen Mann über den ganzen Platz zu agieren, was jedoch aufgrund großen Abständen zwischen den Ketten zum Verhängnis wurde.

Dompe’s und Jatta’s Dominanz auf den Flügeln

Wie bereits erwähnt war der HSV jedoch nicht auf Vorstöße durchs Zentrum beschränkt, man war auch in der Lage über die Flügel fortzuschreiten: Oft zog sich das Mittelfeld bewusst so sehr zusammen und manipulierte das Mann orientiere Pressing der Berliner um so Freiräume auf dem Flügel zu schaffen. Sowohl Jatta als auch Dompe boten sich etwas flacher an und konnten dann mit ihrer offenen Körperhaltung und Blick Richtung Tor Tempo aufnehmen und Dudziak und Kenny schwindelig spielen. Der Grund für das verhaltene rausschieben der AVs ist, dass man in der 4er Kette kaum Absicherung gegen tiefe Laufwege hatte, die einer der ballnahen Zehner oder Königsdörfer immer wieder in den offenen Raum wagten, sollten die AV’s doch die Lücke öffnen. Das Zuspiel erfolgte teils auch von den äußeren Innenverteidigern, die Scherhant und Winkler rauszogen und so wiederrum Platz schafften. Besonders Dudziak hatte Probleme mit Jatta, was im ganzen 1. Durchgang zu sehen war und auch zum 1:0 führte.

Insgesamt war der HSV so in Halbzeit 1 spielbestimmend. Bis zum Pausenpfiff fand die Hertha zumindest gegen den Ball keine Lösung und lief wiederholt in die gleichen Fallen hinein. Jedoch gilt es hier auch die Spielfähigkeit der Hamburger hervorzuheben, die vor allem im letzten Drittel mit starken Steil-Klatsch Abläufen glänzten.

Mit dem Ball deutete die Hertha nur teilweise ihr können an.
Im 4-3-3 agierte man meist sehr positionsgetreu, Demme
übernahm maßgeblich die Verantwortung im Spielaufbau,
teils auch unter Hilfe von Karbownik. Dudziak schob etwas
weiter vorne während Kenny sich relativ flach anbot.
Dementsprechend pendelte der Aufbau zwischen einem
3-1/3-2. Maza orientierte sich mehr Richtung letzter Kette
des HSV’s/Zwischenraum und vernachlässigte die Aufgaben
im Aufbau. Was sich jedoch bereits in der ersten Halbzeit
andeutete, war die Absicht sich über Tabakovic ins letztee
Drittel zu kombinieren. Gegen Hamburgs 5-4-1 Formation gegen den Ball, wobei Meffert sich in die letzte Kette zurückfallen lies und Dompe, Reis, Elfadli und Karabec (v.l.n.r.) die Mittelfeldkette bildeten, fand man nur schwer Räume zwischen den Ketten und es scheiterte außerdem oft am letzten Pass. Besonders bei Ballbesitz von Jonjoe
Kenny waren immer wieder klare Abläufe in der Spieleröffnung zu erkennen: Karbownik bot sich häufig sehr ballnah an, während Winkler sich an der Seitenlinie orientiere und maximale Breite herstellte. Da Dompe auf Kenny schob und Reis sich an Karbownik orientierte, hatte Tabakovic leichtes Spiel linienbrechende Pässe von Kenny zu empfangen.

Rollenwechsel in Halbzeit 2

Nach dem Seitenwechsel bot sich im Volksparkstadion jedoch ein anderes Spiel. Eingeleitet jedoch eher weniger durch die Adaptationen der Hertha, sondern eher durch das passivere anlaufen der Hamburger.

In Halbzeit 2 machten sich zwei Änderungen besonders bemerkbar. Zum einen zog sich das Hamburger Pressing deutlich zurück, man war zufrieden mit der 1:0 Führung. Das genaue Gegenteil war bei der Hertha zu sehen, die nun Mann gegen Mann bis in die letzte Kette pressten und die Hamburger deutlich häufiger zu langen Bällen zwangen. Unterschiedlich zur 1. Halbzeit schaffte man es jedoch die Abstände zwischen den Ketten kleiner zu halten und vor allem zwang man die Hamburger schon vom Torwart aus die Bälle weit zu schlagen. Zuvor stieß man auf das Problem, dass man erst nach Zuspiel auf die Innenverteidiger anlief, was genügend Passoptionen öffnete und die Passabstände verringerte.

Gegen den Ball legte der HSV die Pressingfalle auf die Außenverteidiger und lief diese an. Besonders die Mittelfeldkette blieb, wenn der Ball bei den Herthaner Innenverteidigern war, deutlich enger zusammengezogen, mit weniger Abstand vor der Verteidigungskette. Jedoch entpuppte sich der Plan des HSV als nicht sonderlich erfolgreich: Die Abstände zwischen Hertha’s Außenverteidigern und den äußeren Mittelfeldspielern des HSV waren zu groß, was dazu führte, dass die Außenverteidiger immer wieder den Ball kontrolliert ins Zentrum oder auf einen der Flügelspieler passen konnten, die das 1 gegen 1 gegen den zugehörigen Schienenspieler suchten. Besonders Scherhant suchte wiederholt das 1 gegen 1 gegen Jatta während Winkler versuchte im Zusammenspiel mit Kenny ins letzte Drittel vorzustoßen. Hinzu kam, dass so die Hamburger Mittelfeldkette deutlich in die breite gezogen wurde und die Berliner Achter den ganzen Halbraum für sich offen hatten. Besonders Maza profitierte von den freien Räumen und konnte dann mit Tempo auf die Abwehr zulaufen, auch da Reis immer wieder nur unzulässig den Raum schloss. Letztlich konnte aus einer ähnlichen Szene der Ausgleich fallen.

Fazit

Der HSV zeigte vor allem in Halbzeit 1 eine anschauliche Leistung mit Ball. Die Lösungen, die man auf das recht rigide und eindimensionale Pressing der Herthaner fand, zeigten immer wieder Wirkung, waren sowohl praktikabel als auch effektiv und setzten die stärkeren Spieler ins Rampenlicht. Dazu gehörten auch bereits gut ins System integrierte Steil-Klatsch Kombinationen, die mit den richtigen Abstand zwischen den Ketten einhergehen.

Dennoch bleibt die Arbeit gegen den Ball eine große Baustelle. Phasenweise, besonders wenn das Spiel noch ausgeglichen ist, fühlt man sich wohl beim hohen Anlaufen der Kette und man hat wenige Probleme sich in die Struktur einzufinden. Dass aber nach der Führung jegliche Pressingintensität verloren geht, schadet enorm und brachte in diesem Fall (wie schon teils gegen Köln) nur den Gegner zurück ins Spiel. Die Hertha wusste vor allem auf den Flügeln und zwischen den Linien überzeugen und durfte völlig zurecht mit einem Punkt nach Hause fahren.

JK hat irgendwann als Jugendlicher hinterfragt wieso Werder jedes Spiel verliert und stieß irgendwann auf das Stichwort Taktik. Seitdem nutzt er seine Freizeit um weitaus mehr als Werder zu analysieren und geht einem Sport-Studium nach. Nebenbei auch noch leidenschaftlicher Trainer.

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