Über Oberdorf zum Kantersieg ausgelöst – MX
Im Vorfeld wurde viel über dieses Spiel geschrieben, da es für das DFB-Team die Generalprobe für Olympia war und eine 0:3-Niederlage in Island vorausging. Die Österreichinnen waren knapp an einem Sieg gegen Island gescheitert und hatten sich so die direkte Qualifikation für die EM vermiest. Die Erwartungen waren bei Deutschland trotz der Qualifikation groß, denn die Mannschaft von Horst Hrubesch benötigte nun drei Punkte für den ersten Tabellenplatz.
Hrubesch zeigte sich nach jener Klatsche durchaus noch erwartungsvoll und wollte unbedingt mit gutem Gefühl nach Paris reisen: „Ich hoffe, dass wir ein anderes Gesicht zeigen als in Island. Wir haben einiges gut zu machen. Das wissen die Mädels auch. Es war gegen Island ein gebrauchter Tag, das war zu wenig.“ Gleichzeitig galt das Spiel als Generalprobe für Olympia, wo sich Deutschland durchaus Titelchancen ausrechnet. Bei unseren Nachbarn stellte sich die Frage, ob man jetzt den jungen Spielerinnen auf dieser Bühne Chancen geben wird oder mit der besten Besetzung auflaufen will. Man entschied sich für letzteres. Dabei musste man allerdings mit Zadrazil (Zehenbruch) und Naschenweng (OP) auf zwei absolute Stammkräfte verzichten.
Pressinglöserin Oberdorf
Dennoch formierte man sich wie gewohnt im 4-3-2-1 bzw. 4-4-2 im strukturierten Pressing, dabei standen die Abwehrlinie wie auch die Mittelfeldlinie sehr eng, während man in der ersten Linie durchaus die Breite der deutschen Innenverteidigung mitgehen musste. Hierbei rückte auch Höbinger situativ neben Campell in den Sturm, um die Breite der Deutschen mitgehen zu können, denn mit einem Einzelsturm wäre dies nicht möglich gewesen.
Die Österreicherinnen legten dabei viel Wert auf die Kompaktheit der Linien, gerade der Raum zwischen der Abwehr- und Mittelfeldlinie wurde minimiert. Dabei wollte man einen gegnerischen Handlungsablauf abblocken: Immer wieder suchten Bühl oder Brand den Raum zwischen den Linien, um nach Auslösung über die Außenverteidiger oder auch via lange Bälle anspielbar zu sein. Auch im Doppelsturm neigte oft eine Spielerin oft, sich in diese Räume abkippen zu lassen.
Grundsätzlich gewährte man aber Schulze-Solano wie Hendrich durchaus Raum zum Andribbeln und fokussierte sich im Mittelfeldpressing auf den Pass der Innenverteidiger in die zweite Linie. Die beiden Innenverteidiger wurden dabei bogenartig von Campell angelaufen, wodurch der Pass auf die Außenverteidigung forciert wurde. Die Außenstürmerin schob daraufhin auf die ballführende Spielerin, hierbei ließ man den deutschen Außenverteidigerinnen teils zu viel Raum zum Andribbeln, da man die Linien eng und tief (durch die Kompaktheit) gestaffelt hatte. Gleichzeitig deckten Deger wie die auch gegen den Ball nach vorne gerückte Puntigam im Spielaufbau die Sechserinnen Oberdorf wie Minge stellenweise Spielerinnenorientiert.
Diese Problematik ergab durchaus Probleme im Spiel: Oberdorf und Minge agierten im zentralen Mittelfeld breit und verschoben im Laufe des Aufbaus ballseitig, um Überzahlsituationen auf dem Flügel zu generieren. Gerade durch die Probleme im Anlaufen der Österreicherinnen auf die Außenverteidiger konnte so oft Spielmacherin Oberdorf gefunden werden, da Deger wie Puntigam beim Ausbrechen aus der Spielerinnenorientierung, was sie gerade in diesem Ablauf taten, oft den Deckungsschatten nicht halten konnten. Dieses Ausbrechen ist eine Tendenz einer Pressingfalle bei dem Spiel auf die Außenverteidigung: Man möchte man den Raum der Außenverteidigerin sehr verengen, dies praktiziert man durch ein hinausschieben der zentralen Mittelfeldspielerin und auch durch Campell (oder teils Höbinger), welche den Passweg zur ballnahen Innenverteidigerin abschneiden sollte. Zusätzlich Druck wurde erzeugt, indem sich das gesamte Konstrukt weit auf die Ballseite fallen ließ.
Auffällig war hierbei auch, dass Oberdorf bei der Annahme des Balles von Gwinn, also der ballfernen Außenverteidigerin, näher an die eigene Innenverteidigung rückte. Dahingehend löste sie sich von der direkten Orientierung von Degen, welche immer zwischen den Halten der Kompaktheit zur Abwehrlinie und der Spielerinnenorientierung schwankte, und konnte tendenziell von Gwinn gesucht werden, wodurch auch ein Raumgewinn eingefahren wurde und man die Enge der Österreicherinnen ausnutzen konnte durch das Verlagern über Oberdorf.
Deutschlands Plan
Das 4-2-2-2-System des deutschen Nationalteams verwandelt sich im Laufe des Angriffes in ein 4-2-4. Hrubesch stellt dabei nicht nur im Sechserraum extrem breit auf, sondern auch die beiden Flügelspielerinnen rücken bis zur Seitenlinie, um die gegnerische Abwehr auseinanderzuziehen. Die ballferne Außenverteidigerin wird leicht ins Zentrum einrücken, um im zentralen Mittelfeld Restverteidigung zu bieten, sollte der Gegner einen Ballgewinn einfahren. Im Gegensatz dazu versuchte die Außenverteidigerin auf der Ballseite, entweder unter- oder zu überlappen (je nach Positionierung der Flügelspielerinnen), um sich im Angriff zu beteiligen oder auch weitere Anspielstationen in weiteren Räumen zu schaffen.
Der grundsätzliche Plan fußt auf ein Kurzpassspiel, hier versucht man aber schon vertikal über wenige Stationen in Zielräume zu kommen. Der Zielraum- bzw. die Zielposition schlechthin sind die inversen Flügelspielerinnen, welche dann mit ihrer technischen Qualität nach der Ballannahme schnell das 1g1 suchen und in das Zentrum ziehen sollen. Es führen aber bekanntlich viele Wege nach Rom. Ein bekanntes Muster war die Auslösung über die Innenverteidigung zu den Außenverteidigern, welche dann die Flügelspieler suchten, dies wurde durch die österreichische Herangehensweise begünstigt. Das Abkippverhalten von Jule Brand oder Klara Bühl wurde durch das enge Kettenverhalten der Österreicherinnen gefährlich, denn durch jene Positionierung der direkten Gegenspieler war der vertikale Passweg in diese Position über die Außenverteidigung meist offen, so war oft ein aggressives Herausrücken der österreichischen Außenverteidigung in den Raum zwischen den Linien notwendig.
Tendenziell war hier dennoch ein hohes Tempo notwendig, welches über kleine Strecken gerade in den Aufdrehbewegungen nicht geboten werden konnte, dann endeten hier oft Angriffe. Deutschland zeigte sich aber davon wenig beeindruckt und suchte und fand Lösungen. Torhüterin Berger wurde oft als Ausweg verwendet und spielte einige lange Flachpässe direkt auf entgegenkommende Spielerinnen aus der letzten Linien (bspw. Freigang), dazu verlagerte sie auch oft einfach zur Drucklösung das Spiel zur ballfernen Innenverteidigerin, die durch Österreich nicht abgedeckt wurde. Dazu sah man tiefe Longline-Pässe auf die Flügelstürmerinnen ins 1v1, welche Hanshaw wie Wienroither große Probleme bereiteten, man konnte weder mit der technischen Klasse von Brand und Bühl mithalten, noch mit dem Tempo, dahingehend fielen das 2:0 wie das 4:0 aus diesen Situationen.
Das simple, aber effektive Herangehen der DFB-Elf wirkte gerade im ersten und zweiten Drittel sehr dominant, oft kam man mit wenigen Berührungen in die letzte Linie. Hier agierten die Österreicherinnen sehr zweikampfstark und rückten aggressiv heraus, daher entstanden hier einige Ballverluste des deutschen Teams. Hierbei fühlt sich das Team wohler, wenn sich die Abwehrlinie des Gegners bewegt und man sich nicht mehr aus der Statik heraus von der im Rücken agierenden Gegenspielerin lösen muss. Hierbei werden gegen stärkere Gegner noch mehr individuelle Lösungen erforderlich sein, gerade das Spielen in den Gegnerdruck hinein ist ausbaufähig und die Ballverluste groß. Am Ende ließ aufgrund des Ergebnisses und des ständigen Wiederholens des Aufbaus von Deutschland die Kraft der Österreicher sehr nach: Abstände wurden größer, Herausrücken wurde weniger intensiv, Improvisation fand nahezu nicht statt. Infolge wurde Deutschland noch dominanter ab Minute 65 und fand zunehmend den Weg vor das gegnerische Tor.
Deutscher Druck in der Box
Wie bereits erwähnt, stellt der Flügel eine Zielzone im Angriffsspiel des Teams dar. Hierbei drangen die Flügelspielerinnen gegen Österreich oft nicht direkt in die Box ein, sondern ersuchten Flanken. Das Bild zeigt ein hervorragendes Beispiel dafür. Jule Brand, welche sich von ihrer direkten Gegenspielerin löse, nach dem Erhalten des Balles geht direkt die Blickrichtung in die Box.
Hier schieben, wie oft im deutschen Spiel, die vier aufgerückten deutschen Angreiferinnen, stoßen in die Box. Während die beiden defensiven Mittelfeldspielerinnen nach vorne drängen und sich in der Nähe des Strafraums positionieren oder eine davon in die Box schiebt, um alle zweiten Bälle abzufangen, die die gegnerischen Verteidigerinnen klären können, was die gegnerische Abwehr infolge weiter unter Druck setzt. Auch die ballnahe Außenverteidigerin Linder schiebt weit nach vorne auf Höhe der Sechserinnen, die ballferne Gwinn schiebt wie gewohnt etwas ein und sichert so die Restverteidigung.
Diese aggressive Boxbesetzung hat in den letzten Spielen zu vielen Toren für Deutschland geführt, wobei die gegnerische Abwehr in der Regel über weite Strecken des Spiels unter Druck gesetzt wurde. Auffällig ist auch, dass hierfür ähnliche Handlungsstränge verwendet werden: Es wird immer von einer Stürmerin (hier Schüller) der kurze Pfosten attackiert, während der lange Pfosten tendenziell von der anderen Stürmerin (hier Freigang) und der ballfernen Flügelspielerinnen, welche einschiebt, und einer Sechserin attackiert wird. Gerade die hohe numerische Anzahl wurde hier wichtig, wodurch Schüller nochmal an den Ball kam und ins Tor einschob.
Keine Luft zum Atmen für Rot-Weiß-Rot
Das frühe Tor der Deutschen prägten den weiteren Verlauf der Partie. Es waren fortan die Österreicherinnen, die gezwungen waren, das Spiel zu gestalten. Österreich agierte ähnlich wie Deutschland mit einem Flügelfokus, Hanshaw wie Wienroither schoben früh im Angriffsablauf auf Höhe der Flügelspieler und agierten extrem breit, wonach Dunst und Purtscheller in den Halbraum rückten. Bevorzugt agierte man mit einem Flachpassspiel aus dem 2-4-Aufbau (+ Zinsberger) heraus und versuchte über ein bis zwei Stationen zu Spielgestalterin Höbinger zu gelangen. Diese Schlüsselspielerin nahm auch Deutschland in den Fokus, wonach Minge spielerinnenorientiert zu der 10erin agierte und sie stets eng begleitete.
Allgemein agierte das DFB-Team in einer Art flachen 4-4-2-Variante und konnte so spielerinnenorientiert anlaufen, allerdings ließ man Vorsicht walten und gewährte gerade den Innenverteidigerinnen Raum zum Andribbeln, auch weil man sich bei hohem Tempo nicht in die Breite ziehen lassen wollte. Hierbei stellten die beiden Stürmerinnen mit Degen und Puntigam die Sechserinnen der Österreicher in den Deckungsschatten, dazu schob Oberdorf tendenziell auf die beiden Sechser. Hierbei hätte es aus der Systematik Probleme geben können, da Österreich mit dem 2-4-Aufbau eine +1-Überzahl im Sechserraum schuf, da Minge Spielerinnenorientiert zu Höbinger agierte. Dies wurde ausgeglichen, indem A) Minge rechtzeitig aus ihrer Orientierung ausbrach und B) die ballnahe Flügelspielerin auch im Zugriffsbereich lag, hierbei war es aber wichtig, dass man die Außenverteidigerin im Deckungsschatten hält, was aber Deutschland gut machte.
Um dies zu brechen, kippte Degen stellenweise zwischen Kirchberger und Georgieva ab, dabei versuchte sie sich stets freizulaufen und die Nähe zum Ball zu suchen. Deutschland reagierte aber auch hierauf gut, wonach entweder eine Stürmerin sie im Zugriffsbereich hielt oder Oberdorf höher schob. Die dadurch geöffneten Räume im Mittelfeld bespielte dann Österreich über Höbinger, aber Minge unterband oft Angriffe.
Grundsätzlich versuchte man aber Österreich auf die Außenverteidiger zu drängen, welche oft etwas Raum durch die deutsche Kompaktheit zum Andribbeln vorfanden, hierbei stellte Deutschland aber die vertikalen Passwege auf die Flügelspielerinnen gut zu. Dahingehend drängte man gerade Hanshaw zu einem kurzen Diagonalpass in den Sechserraum zu Degen, wo Österreich mit der Sechserin 1 gegen 3 stand.
Um diese Problematik zu umgehen, löste man vorwiegend über die linke Seite aus und ließ Campell weit horizontal in den Halbraum abdriften, wonach sie mit langen Bällen gesucht wurde und so ein Pärchen mit den breit stehenden Flügelspielerinnen bilden konnte. Hierbei versuchte Österreich allgemein die Flügel durch Herausschieben der Zentrumsspieler zusätzlich zu überladen. Gleichzeitig umging Höbinger die Spielerinnenorientierung, indem sie als Spitze stellenweise agierte, aber im Angriffsablauf oft in den Raum zwischen den Linien abkippte, und so den frei gewordenen Raum und die zentralen Aufgaben von Campell füllte.
Gerade das Zweikampfverhalten der Außenverteidigerinnen und der Sechserinnen sorgte aber dafür, dass auch diese Alternativen eher wenig erfolgreich blieben, gerade die Flügelspielerinnen um Dunst wurden oft am Aufdrehen gehindert und abkippende Spieler aus dem Zentrum wie eben Höbinger wurde das direkte Weiterleiten des Balles aus dem Druck heraus oft verwehrt. Dahingehend versteiften sich die Gäste recht schnell auf das taktische Mittel der eher unkontrollierten langen Bälle. Andere Wege hinter die Abwehr fanden sie nicht. Sie versuchten zwar immer wieder, ihre breit stehenden Außenspielerinnen hinter die deutsche Außenverteidigung oder Campell hinter die Innenverteidigung zu schicken. Österreich dribbelte an, Deutschland ließ sich dadurch aber nicht locken. Immer wieder warteten die Deutschen Verteidigerinnen richtig wie clever ab und blockierten die Passwege nach vorne. Einzig wenn sich die eingewechselte Feiersinger sich weit fallen ließ, durchbrach sie etwas das deutsche Pressingkonstrukt. Häufig blieb für Österreich nur der Weg auf die Außenverteidigung, dort gab es aber mangels offensiver Unterstützung der Flügelspielerinnen und aus dem Zentrum heraus nur selten die Möglichkeit, in dynamische Situationen zu kommen.
Fazit
Gerne lobe ich das deutsche Team für die dominante Leistung über den grünen Klee. Die Stabilität gegen den Ball und die einfachen, aber sehr gut eingestellten Handlungsabläufe mit dem Ball, sind das Herzstück des Teams. Wenn es gut läuft, erhält der Gegner keine Möglichkeit, sich spielerisch aus der eigenen Hälfte zu befreien und läuft in die Sechser-Falle. Somit kann Deutschland das Spiel aus dem Pressing heraus dominieren und offensiv mit der Dynamik wie den technisch starken Spielerinnen für Nadelstiche setzen.
Leider trübt die Verletzung am Innen- und Außenband von Lena Oberdorf diese Euphorie etwas. Gute Besserung an dieser Stelle! Es wird sehr schwer sein, dass man das Herzstück des Teams gerade im Pressing mit ihrer Zweikampfstärke zu ersetzen. Gerade gegen individuell stärkere Gegner kann das noch ein Thema werden.
MX hat eine Vorliebe für besonders auf Ballbesitz ausgerichtete Mannschaften, steht mittlerweile aber auch auf Relationismus. Neben Der-Jahn-Blog schreibt er auch für miasanrot. Vorher war er im Analysebereich des NLZ von Jahn Regensburg tätig.
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