Kolumbien: Geheimfavorit der Copa América? – LC
Die Copa América 2024, die derzeit in den USA ausgetragen wird, vereint die besten Fußballmannschaften Südamerikas mit Gastteams aus Nord- und Mittelamerika. Kolumbien, das in letzter Zeit eine bemerkenswerte ungeschlagene Serie aufweist, wird als Geheimfavorit gehandelt. Mit einer Mischung aus talentierten Spielern und starker Teamchemie hat Kolumbien das Potenzial, tief in das Turnier vorzudringen.
Südamerikaner unter sich
Nach einem gelungenen Auftaktsieg ging es für die kolumbianische Nationalmannschaft im zweiten Gruppenspiel gegen Costa Rica. Die Überraschungsmannschaft aus der WM 2014 hatte im ersten Gruppenspiel Brasilien einen Punkt abgetrotzt.
Kolumbien trat in einer 4-3-3-Grundordnung an. Trainer Lorenzo Néstor tauschte im Vergleich zum ersten Spiel den ehemaligen Herthaner Córdoba für den Ex-Bremer Borré aus, ein Schachzug, der sich als klug erwies. In der Innenverteidigung gab es ebenfalls eine Änderung aufgrund einer Verletzung: Cuesta von KRC Genk ersetzte Lucumí, der bei Bologna spielt. Costa Rica setzte hingegen auf ein defensives 5-4-1-System. Ähnlich wie im Spiel gegen Brasilien wählte die Mannschaft von Gustavo Julio einen sehr defensiven Ansatz. Allerdings stand Costa Rica dieses Mal höher im Pressing, was die Kolumbianer konsequent auszunutzen wussten.
Gegner locken, binden und dann umspielen
Auffällig im Spiel mit dem Ball war das Locken, Binden und Umspielen des Pressingverbundes. Kolumbien agierte mit einer flachen Viererkette, wobei Mojica auf der linken Seite deutlich offensiver agierte als sein Gegenüber Muñoz. James Rodríguez bewegte sich oft in die Halbräume zwischen den gegnerischen Ketten und in die Zehner-Räume, außerdem ließ er sich in die offene Position vor der ersten Pressinglinie fallen und konnte so das Spiel lenken.
Lerma und Richard agierten häufig als Doppel-Sechs. Richards Partner auf der Achterposition, Arias, zog höher, um durch entgegenstartende Vorstöße Überzahl im Zentrum oder am Flügel zu schaffen. Díaz und Córdoba agierten als Stürmerpaar, wobei Díaz sehr flügelorientiert spielte und oft die linke Seite zusammen mit Mojica doppelt besetzte. Córdoba positionierte sich mit Ball zwischen dem zentralen und halbrechten Innenverteidiger der Dreierkette.
Costa Rica reagierte mit einem flachen 5-4-1, das beim Verschieben auf die linke Verteidigerseite in ein 5-3-1-1 rotierte, wobei der ballferne Zamora den Sechser Lerma in Manndeckung nahm. Im Verschieben auf die rechte Verteidigerseite übernahm Ugalde, die Deckung des Sechers umd Zamora schob breit.
Im Punkt Locken, Binden und Umspielen waren die flachstehenden Außenverteidiger ein wichtiger Aspekt. Mojica und Muñoz lockten die Verteidiger mit breiter Position ins Pressing. Auf der linken Seite agierten Arias, Díaz und Lerma als Anspieloptionen zwischen den Linien, während Cuesta als Ankerspieler für einen Rückpass vor dem Block diente. In der Rautenstruktur waren Lerma und Mojica die Breitengeber, Arias der tiefe Anspieler und Cuesta die Sicherheitsoption.
Durch das Heranschieben der Mitspieler konnte Costa Rica auf die Flügel gebunden werden. Mittels sicherer, kurzer Pässe wurde die Pressingsituation entweder direkt umspielt, mit einem Long-Line Pass hinter die letzte Linie überwunden oder durch eine Spielverlagerung über die Innenverteidiger gelöst. Direkt nach der Spielverlagerung suchte Kolumbien die Breite auf der anderen Spielfeldseite. Muñoz konnte hier in einer breiten Position ohne Gegnerdruck das Spiel fortsetzen, wobei oft ein tiefer, hoher Ball in den Rücken der Verteidiger gespielt wurde, um Córdoba ins Laufduell zu schicken.
Long-Line-Pässe waren hierbei ein probates Mittel gegen hochstehende Verteidiger. Costa Rica bot viel Raum hinter der letzten Linie, Raum, den Díaz und Córdoba permanent anliefen. Diese Pässe in die Tiefe wurden stets mit Effet gespielt, sodass sie nicht Richtung Eckfahne oder parallel zur Seitenlinie abdrifteten, sondern aus einer breiten Position mit Schnitt Richtung 16er-Kante kamen.
Pressing im 4-3 und 1-2 für den Konter
Kolumbien agierte im Spiel um den Ball herum mit einem hohen Pressing aus einer 4-4-2-Raute heraus. Dabei agierten Díaz und Córdoba als Stürmer, dahinter James zentral. Schob Kolumbien in ein hohes Pressing, rückte James auf den zentralen Verteidiger der Dreierkette vor und nahm in einem leicht gebogenen Lauf einen der beiden Sechser aus dem Spiel. Aus dem Mittelfeld schoben dann Lerma, Arias sowie Richard bzw. Uribe in der zweiten Hälfte auf die Spieler hinter der ersten Pressinglinie.
Vermehrt waren dennoch riesige Abstände zwischen den einzelnen Linien zu sehen. Costa Rica gelang es selten, das Pressing zu überspielen, da ihnen viele technische Fehler unterliefen. Dennoch gab es reichlich Raum auf den Flügeln sowie in den Halbräumen.
Die dreier Mittelfeldkette verschob sehr kompakt auf die Flügel, von der dreier Stürmerkette kam wiederrum nur selten Unterstützung, hier wurden schon die Umschaltmomente vorbereitet. In der Anfangsphase schob die Viererkette noch sehr eng im Zentrum, was die dreier Reihe davor sehr breit zog. Kolumbien konnte sich schnell daran anpassen indem Lerma oftmals vor die Kette viel. Dies erlaubte den Außenverteidigern breiter zu stehen, was die Achter wieder ins Zentrum schob.
Kolumbiens Risiko – Costa Ricas Chance
Überspielt werden konnte das Pressing dennoch. Mit einem Doppelbesetzten Flügel Costa Ricas mit einem zusätzlichen Spieler aus dem Zentrum. Wie schon in der ersten Hälfte konnte mit einem simplen Andribbeln der Innenverteidiger die erste Linie überspielt werden. Die Positionierung zwischen Lerma und Uribe ergaben eine Misskommunikation zwischen beiden im Herausschieben. Der Pass konnte danach auf die Flügel in eine Überzahl Situation weitergeleitet werden. Cuesta und Sanchez wurden mit einem tiefen Laufweg gebunden. Nur konnte die Situation Costa Rica nicht lösen.
James wieder bei alter Stärke?
Schon zu seiner Real Madrid und auch Bayern München Zeit galt James als Ausnahmespieler. Während der Copa – America, findet der Spielfähige Linksfuß wohl wieder zu alter Stärke zurück. James trägt große Verantwortung nicht nur als Kapitän der Mannschaft, sondern ebenso in den Phasen mit Ball mit sich. Ergänzend zu Kolumbiens Standardstärke folgen seine Hereingaben von ruhenden Bällen. Auch, wenn das 2:0 durch eine Eckenflanke Arias‘ folgte, entstand die Ecke nach einem Freistoß, getreten von James. Steht der Gegner geordnet orientiert er sich an die Zwischenräume zwischen den letzten Linien der Verteidigung. Auffällig im letzten Drittel ist seine Positionierung auf der linken Seite, wo in vielen Fällen eine Flanke folgt. Im Spiel gegen Paraguay gelang ihm so die Vorlage zum 1:0. Wenig später aus einem Freistoß, die Vorlage zum 2:0. Auch im Umschalten nach Ballgewinn ist James Dreh- und Angelpunkt im Zentrum. Werden Umschaltmomente auf Cordoba oder Diaz gespielt ist erstes Ziel, James. Dieser leitet die Aktion dann entweder weiter oder gibt dem Spiel die nötige Ruhe. James bleibt ein Phänomen auf dem Platz und vor allem mit dem Ball, da macht er seine Passivität gegen Ball oftmals Wett.
Fazit
Kolumbien reichte eine solide Vorstellung gegen eine schwache Mannschaft aus Costa Rica. Der Doppelschlag um die 60. Minute mit 2 Toren zog einen Schlussstrich, obwohl noch 30 Minuten zu spielen waren. In dieser Analyse nicht erwähnt, sind zahlreiche Ballgewinne die direkt in lange Bälle vor die Kette, ohne Ziel verwertet wurden. Bezeichnend hierfür war die Viererkette, bei der jeder Ball egal aus welcher Lage weg geprügelt wurde und ja, die Bezeichnung passt. Das Sprichwort: „Ein gutes Pferd, springt nur so hoch wie es muss.“ Würde zur Leistung Kolumbiens passen. Im kommenden Topspiel am 3. Gruppenspieltag folgen die schwächelnden Brasilianer, da werden die Kolumbianer einen Leistungsschub benötigen, um ihre Ungeschlagen – Serie fortsetzen zu können.
LC ist ein junger Vorzeigestudent, der während der Vorlesung lieber Spiele analysiert und Grafiken erstellt. In seiner Freizeit ist er jede Sekunde auf dem Fußballplatz.
1 Kommentar Alle anzeigen
Taktik-Ignorant 2. Juli 2024 um 20:06
Kolumbien hat mich im Frühjahr sehr beeindruckt, sie haben gegen ein schon damals starkes spanisches Team nicht unverdient gewonnen. Viel Wucht und Physis, bei sauberer Ballbehandlung.