Contes Kompaktheiten
Herausragende Kompaktheit, klare Pläne, starkes Umschalten, tolles Angriffspressing, interessante Überladungen: Willkommen in der Premier League 2017! Conte setzt sich knapp aber verdient gegen Guardiola durch.
Chelsea tief, kompakt, intensiv im 5-4-1
Die prägendste Phase des Spiels war – wie gehabt – der Ballbesitz von Guardiolas Mannschaft. Chelsea formierte sich im 5-4-1 in der eigenen Hälfte, bisschen vor dem eigenen Strafraum. Dabei bestach vor allem die horizontale Kompaktheit. Die Fünferkette hielt enorm kurze Abstände. Pedro und Hazard beteiligten sich herausragend am Verteidigen in der Mittelfeldreihe, die sich als echte Viererkette präsentierte.
Der Abstand dieser Reihen wurde vereinzelt minimal zu groß, was aber durch das Herausrücken eines Innenverteidigers kompensiert werden konnte; auch wenn das kopflose Heraussprinten von David Luiz fast immer ausgespielt wurde, gab es der Mittelfeldlinie ein bisschen Zeit, um sich zurückzuziehen und viel Druck auf den Zwischenlinienraum zu machen, während die Abwehr sich zusammenzog. So hatte City selbst beim Überspielen der Mittelfeldlinie noch äußerst schwierige Situationen zu lösen.
Die Halbraum-Sichel
Zudem konnte Manchester nur schwer, in der Nähe dieses kompakten Blocks zirkulieren. Den zentralen Raum schloss Diego Costa. Theoretisch kann das flach gestaffelte 5-4-1 aus den Halbräumen und mit Halbraumwechseln bespielt werden, um sich dann die richtigen Momente für Pässe durch die Linien zu wählen. Das verhinderte Chelsea aber geschickt durch Herausrücken der Sechser. Meist rückte Fabregas nach vorne, was von Pedro sehr diszipliniert abgesichert wurde.
So bildeten sie vor dem Ball eine Sichel mit Kanté als Abfangjäger dahinter und einer sehr guten Verengung der Passwege nach vorne. Seltener ließen sich beide Sechser dafür herausziehen; dann bekam Chelsea tendenziell Probleme. Doch meist konnten sie mit dieser kompakten Ausrichtung das Eindringen des Gegners ins Zentrum verhindern.
Flügelangriffe sind gegen ein 5-4-1 doof
Guardiolas Mannschaft versuchte sichtlich, in den kompakten Block der Gastgeber einzudringen. Silva und de Bruyne bewegten sich permanent zwischen den Linien, teilweise gesellte sich Sané noch dazu und formierten sich dazu gar eng in Ballnähe. Diese Überladungen brachten jedoch wenig, da Chelseas Deckungsschatten zu dicht waren.
Die Alternative für City waren dann Flügelangriffe. Diese sind aber gegen ein 5-4-1 traditionell schwierig. Chelseas Flügelläufer kam dann herausgerückt, der ballnahe Zehner bzw. Flügelspieler sicherte den Weg in die Mitte, die Doppelsechs verschloss den diagonalen Weg und der Halbverteidiger blockte den Raum hinter dem Außenverteidiger – eine sehr stabile Struktur, gegen die City kein Rezept hatte.
Die Asymmetrie verpufft weitestgehend
Dabei versuchten sie durchaus die Flügel zu überladen. Besonders auf die linke Seite brachte Guardiola viele Spieler. Die Doppelsechs spielte nach links versetzt mit Delph in einer Art Freirolle. Sané agierte breiter als de Bruyne. So sollte Chelsea wohl auch nach links gezogen werden, um dann Räume für Navas zu öffnen. Agüero wich dafür auch teilweise schon früh nach rechts aus.
Das half aber beides nichts. City konnte höchstens Gleichzahlsituationen ohne Raum und ohne Dynamik herstellen. Rechts war es meist 3-gegen-4 bis 3-gegen-5. Links gab es zumindest mal 4-gegen-4-Situationen, jedoch mit einer zusätzlichen Absicherung für Chelsea, guter Kompaktheit und wenig Überraschungseffekt. Im zweiten Durchgang konnten die Gäste wenigstens ein paar Kombinationen durch direkte Ablagen ankurbeln. Doch das blieb die Ausnahme. Flügelangriffe gegen ein 5-4-1 sind keine gute Idee.
City presst gut nach vorne…
Im Pressing überzeugte City wohl am meisten. Dass der Ausgleichstreffer durch eine frühe Balleroberung fiel, war folgerichtig, auch wenn Courtois Fehlpass schon spektakulär schwach war – eigentlich war alles in der Richtung des Passes zugestellt, das muss aber auch erstmal so zugestellt werden.
Das machte City sogar ziemlich simpel: Sané und de Bruyne ignorierten schlichtweg die Außenverteidiger weitestgehend und schoben im richtigen Moment in die Mitte, quasi wie im 4-2-2-2. Agüero stellte zudem Luiz zu, sodass früh die Angriffsseite von Chelsea klar war und der entsprechende Außenverteidiger rausschieben konnte. Silva lief dann den Halbverteidiger an – meist Zouma – und warf dabei gut Deckungsschatten über das Zentrum, sodass Kanté und Fàbregas ständig isoliert waren. Wenn der Außenverteidiger angespielt wurde, wurde er dann von drei bzw. sogar vier Seiten zugeschoben.
…und schlecht nach hinten
Die Folge waren viele lange Bälle auf Costa, der sich dafür recht viel fallen ließ. Beziehungsweise war er zumindest weit weg von den Innenverteidigern, was auch daran lag, dass Citys Restverteidigung äußerst lasch war. Die Innenverteidigung ließ sich sehr früh fallen, Navas blieb dabei kaum in der Kette. Wenn Chelsea dann mal den Ball kontrollieren konnte und durch die Pressinglinien kam – ob im Aufbau oder im Konter – war City in der Rückzugsbewegung ziemlich unkompakt und dadurch passiv.
Diese Passivität konnten sie dann auch in kompakterer Stellung am Strafraum nicht ablegen, sondern standen in solchen Szenen einigermaßen planlos in der Gegend rum, während Chelsea über Hazard oder Pedro andribbelte und die nachrückenden Außenverteidiger einbinden konnte. So kam Chelsea zwar selten in die Nähe des Gäste-Strafraums, aber dann wurden sie sofort sehr gefährlich. Beide Tore entstanden primär durch äußerst passives und kaum ballorientiertes Verhalten in der Strafraumverteidigung; beim zweiten Treffer sogar nach einem Einwurf.
Chelseas Angriffspressing
Chelsea machte City zusätzlichen Stress und hielt das Spiel zumindest phasenweise aus der eigenen Hälfte raus, indem sie punktuell auf ein Angriffspressing umschalteten. Hier zeigten sie sich ebenfalls sehr kompakt, klar in den Abläufen und höchst laufstark. Sie pressten City bis hoch zur Eckfahne und waren vor allem stark darin die Räume hinter der ersten Linie effizient zuzuschieben.
Meist versperrte Hazard direkt Stones, um Kompany in den Aufbau zu zwingen. Das hatte natürlich den positiven Nebeneffekt, dass Pedro ballnah Druck machen konnte und Kanté als linker Sechser die absichernde Abräumerrolle inne hatte, während Fabregas rausrücken konnte. Die Abwehr rückte äußerst aggressiv nach, wobei die Außenverteidiger nun klar als Flügelläufer agierten und oft sogar ballfern auf Mittelfeldhöhe agierten.
So konnten die Flügelläufer die Räume im Zentrum mit absichern, während auch die Abwehrreihe aggressiv mit durchschob. So wurde das Pressing effektiv oft eine Art 3-1-2-1-3 oder sogar 2-3-3-2, sprich: viele Dreiecke, enorme Ballorientierung, sehr effiziente Positionierungen dabei. City wirkte auf diese Situationen nicht wirklich vorbereitet. Im Grunde hätten sie enorm schnelle, quasi blinde Diagonalverlagerungen spielen müssen. Aber wer macht sowas schon von sich aus.
Vertikal und flach durch das Gegenpressing
Das aggressive Pressing von Chelsea zeigte sich auch nach hohen Ballverlusten als sie auf ähnliche Weise ins Gegenpressing gehen. Das sah auch stark aus, aber hier war City offenbar besser vorbereitet und zeigte ein paar unheimlich gute Bälle dagegen. Mehrfach gelangen flache Pässe durch zwei Mittelfeldreihen, die genau im richtigen Moment bei (meist) de Bruyne oder Silva ankamen, die sich optimal dazu in den Zwischenlinienraum lösten und aufdrehen konnten.
Dank dieser lösenden Bälle konnte City einige sehr gefährliche Konter fahren und mit vollem Tempo auf Luiz und Co. zuspielen. Hier konnten aber vor allem Zouma und Luiz ihre überragende Athletik ausspielen, verzögerten den Konter geschickt und verhinderten direkte Durchbrüche. Kanté kam natürlich entsprechend schnell zurück und auch die Außenverteidiger waren in der Rückzugsbewegung stark. So konnte Chelsea die gelegentlichen Konter letztlich überleben. Über 90 Minuten gab es diese Situationen schlichtweg zu selten.
Zunehmende Entlastung im zweiten Durchgang
Im zweiten Durchgang ähnelte sich taktisch wenig; zumindest hatte wenig von den Änderungen viel Effekt. City wurde etwas druckvoller, weil de Bruyne mehr eingebunden wurde, der im ersten Durchgang kaum Präsenz entwickeln konnte. Er tauschte mit Silva und viel auf der Zehn öfter zurück und forderte Bälle vor Chelseas Mittelfeldlinie. Diese wurde indes mit Matic noch verstärkt, während Fabregas nach halbrechts rückte und Pedro sowie Azpilicueta eine Position nach hinten.
Zudem versuchten de Bruyne und Silva noch stärker zu zweit zu überladen und bewegten sich noch dynamischer in die Halbräume, gerade bei Flügelsituationen. Das führte zu den erwähnten Ansätzen auf links. Die Einwechslung von Sterling für de Bruyne sollte dies wohl noch unterstützen, änderte so wie die späte Hereinnahme von Nolito für Sané aber wenig an der Gesamtsituationen.
Eher führte der hektischer werdende Rhythmus dazu, dass Chelsea sich öfter durch Konter hinten lösen konnte. Diese spielten sie klug und geduldig aus und kamen dadurch wohl auch zur besten Chance des zweiten Durchgangs. Vor allem aber gelang es ihnen dadurch, dass ihre Spielanteile nicht einbrachen, wie das oft passieren kann, wenn man versucht gegen ein Ballbesitzteam zu „mauern“. Sie hatten im zweiten Durchgang sogar ein bisschen mehr Ballbesitz als im ersten. Manchesters Mittelfeldspieler hatten nach der Pause (teils deutlich) weniger Ballkontakte als zuvor. So gelang Manchester City nach dem 2:1 in fast 60 Minuten acht Schüsse, vier davon aber von Stones und nur zwei auf’s Tor.
Fazit
Ziemlich hochwertiges Spiel. Was Kompaktheit und generelles Positionsverhalten angeht kann Contes Mannschaft einmal mehr brillieren. Zudem zeigten sie sich äußerst reif und konzentriert im Ausnutzen der relativ wenigen Angriffe. Außergewöhnlich ist, mit welcher Entschlossenheit die Mannschaft in der Offensive (auch im Angriffspressing) spielt, obwohl der Fokus über weite Strecken des Spiels auf der Defensive liegt. Die Mannschaft agiert äußerst kollektiv, klar und planvoll.
Manchester City zeigte gute Ansätze und Ideen, doch lief alles am Ende nicht ausreichend zusammen. Das Schussverhältnis – vor allem die wenigen Abschlüsse – Chelseas sprechen erneut für die strategische Herangehensweise, doch wurde sie erneut taktisch nicht wirkungsvoll umgesetzt. Ich denke, City fehlte hier vor allem ein Gespür dafür, welche Pässe und Aktionen dem Bollwerk von Chelsea ernsthaften Schaden zufügen. Lange Flachpässe durch das Mittelfeldzentrum oder horizontale Dribblings fehlten zum Beispiel.
Zudem war auffällig, dass City schlichtweg keine Spieler hat, die im Aufbauspiel wirklich dominant agieren können; spätestens, wenn das Spiel von Stones weggeleitet wird. Delph zeigte zum Beispiel, dass er ein guter Fußballer ist, aber hat keine Weltklassefähigkeiten im Passspiel und den Entscheidungen am Ball, sodass er gezielt eine richtig gute Defensivorganisation aushebeln könnte. Das Spiel durch die ersten beiden Linien von City wirkte immer ein bisschen willkürlich, mit wenig Zug nach vorne und Konsequenz. So ist es dann schwierig, Chelsea richtig wehzutun.
1 Kommentar Alle anzeigen
CHR4 6. April 2017 um 22:47
Vielen Dank! – tolle Analyse, sehr interessantes, vielfältiges Spiel mit hervorragenden Umsetzungen der Taktiken – vor allem selten, dass ich eine Defensiv-Leistung besonders interessant finde, aber in diesem Fall muss ich „Contes Kompaktheiten“ wirklich Respekt zollen